Vorgeschichte 1Vorgeschichte 2"Wisst ihr, was am lustigsten war?" Die alte Hofdame strich das Tuch glatt, als ob es kostbarer Brokat wäre. "Als dieser Alarich vor die Burggräfin trat, um sie zu verspotten." Eine Weile stand sie vor dem Haufen aus verfaulendem Stroh, auf dem das von Dreck und Blut verkrustete Tuch lag. Sie starrte glücklich lächelnd darauf. "Dieser tumbe Tor merkte nicht, dass die Burggräfin gar nicht bei Bewusstsein war." Sie kicherte vergnügt, während sie sich ungelenk auf den stinkenden Haufen setzte.
"Ach Ulwing, das war ein Spass. Diese Schlingel, die Ersont verraten haben, sie bemerkten nicht, dass die Burggräfin ihren Spott gar nicht hören konnte." Sie gluckste leise in sich hinein, während sie ihren Rücken an die modrige Steinwand des Kerkers lehnte. "Und wenn ihr mich fragt, dann sollten diese Schlangenwesen und die Diener des Ungenannten ganz froh darüber sein, dass die Burggräfin nicht bei Bewusstsein war." Sie lachte auf - ein heiseres, unnatürliches Lachen. "Was hätte ihre Durchlaucht die Schergen des Ungenannten nur gescholten, wenn sie bei Bewusstsein gewesen wäre" Das Lachen verkümmerte zu einem versonnenen Lächeln, das beklemmend deplaziert wirkte auf dem ausgezehrten, mit Blut bespritzen Gesicht der alten Hofdame.
Noch immer lächelnd drehte sie den Kopf zu Ulwing, dem Medicus ihrer Durchlaucht. "Ihr seht heute schon viel besser aus, Ulwing." Hedwigs Linke strich behutsam über den Kopf des alten Medicus, der ihr zugewandt war. Sein verbleibendes Auge glotzte stumpfsinnig zu ihr. Eine fette Fliege flog begeistert summend in die verschmierte, leere Höhle seines anderen Auges. Hedwig lächelte ihn an und er lächelte zurück: Der ausgerenkte Kiefer des alten Medicus hatte seine Mundhöhle zu einer grotesken Fratze verzerrt. Es sah wie ein irres Grinsen aus. Liebevoll strich Hedwig der verwesenden, misshandelten Leiche über das blutverkrustete Haar. "Es war aber auch nicht sehr freundlich, wie die Diener Angamons euch behandelt haben, Ulwing. Nur gut, dass dies nun vorüber ist." Sie zog die Hand wieder zurück und starrte aus fiebrig geröteten Augen sinnlos ins lauernde Zwielicht. "Aber ich bin mir gewiss, sie werden ihrer Durchlaucht zumindest ein würdiges Begräbnis ausrichten." Sie nickte - noch immer stumpfsinnig lächelnd - zu sich selbst. "Alles andere wäre auch sehr unziemlich, nach allem, was sie mit der Burggräfin angestellt haben." Sie verschränkte die Arme. Der Daumen der Rechten stand in einem unmöglichen Winkel ab. Hedwig bemerkte es nicht.
"Wobei es schon etwas betrüblich war, dass sich Hochwürden und dieser vorlaute Magier gar nicht mehr haben blicken lassen." Ein bedauerndes Lächeln huschte fahrig über ihr verdrecktes Antlitz. "Sicher wären sie gerne zugegen gewesen, als ihre Durchlaucht in den Klauen der Angamondiener verendete." Hedwig seufzte nachsichtig. "Ja nun, es sind beschäftigte Ratsherren" sagte sie wie entschuldigend zu sich selbst und blickte an sich herab. Versonnen summend und vor Irrsinn lächelnd tastete sie an sich herum. Bis ihre zitternden Finger einen kleinen, schmucklosen Dolch hervorzogen, der so gebogen war, dass er sich möglichst unauffällig an die Körperlinien seines Trägers schmiegte. "Alsdenn, Ulwing, ich werde nach den Kammerdienern rufen und etwas Gebäck verlangen. Möchtet ihr wieder jenes mit Rosenwasser? Ja? Ich weiss doch, wie sehr ihr es liebt." Zittrig und ungelenk stemmte sie sich hoch. "Alsdenn, dann wollen wir mal ..."
*
Falkensee war in die Klauen der Diener des Ungenannten gefallen. Seine Räte verschwunden, die Garde vertrieben, die Lehensherrin tot. Ersont lag im Sterben. So wie Hedwig, die alte Hofdame. Nur Wahnsinn und Treue - stärker als der Tod - hielten sie noch am Leben. Wenn sie Glück hatte gerade noch so lange, bis die Kerkermeister ihrem Ruf gefolgt waren. Dann würde auch sie sterben. Und wenn Morsan ihr noch ein klein wenig mehr Zeit gewährte, würde sie einen der Kerkermeister mit in den Tod nehmen. Vielleicht zwei.