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 Betreff des Beitrags: Der Mann und das Meer.
BeitragVerfasst: 25.07.14, 14:17 
Edelbürger
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Quer über das Deck gespannt zogen sich Stricke, gebeugt durchhängend unter der Last der aufgehängten Klamotten. Nebeneinander hingen Socken (immer nur einzeln und oft mehrmals schon gestopft und geflickt), Hemden (fahl und fadenscheinig durch lange Stunden an Deck) und schwere Mäntel (für ganz andere Witterung bestimmt). Dort trockneten sie in Reih und Glied, noch klamm und dunkler durch die Nässe. Doch die sengende Gluthitze der strahlenden Fela würde in Windeseile ihr Werk verrichten. Inmitten des farbenfrohen Durcheinanders saß der Blonde auf der verbleibenden Fracht und hatte auf dem Schoß die löchrige Uniform, zwischen den Zähnen dreierlei Nadeln mit eingefädeltem Garn. Gerade verglich er noch, welcher der Flicken farblich passen würde, um die Brandflecken ungeschehen zu machen. Es war mal eine Abwechslung, denn feinfühlig oder geschickt genug war er keineswegs für so eine Kleinstarbeit. Allzuoft musste er sich um Geduld bemühen und eine schiefe Naht wieder aufzupfen und neu ansetzen.

Aber das machte ihm wenig aus. Was er da vor sich hatte, verlangte allerhand Konzentration. Kein übellauniger Gedanke und kein missmutiges Grübeln konnte sich dazwischendrängen, sodass er mit jedem Nadelstich seinen Geist ein Stück mehr befreien konnte von den Wirren und Trubeln der zurückliegenden Tage und Wochen. Es gab in diesen wenigen, glücklichen Stunden nurnoch ihn und sein Schiff. Um sich herum nahm er es wahr. Es knarzten und knarrten die gespannten Taue, die sie im Hafen hielten. Es klimperten und klapperten die eisernen Rollen, Schließen und Ketten hoch oben in der Takelage, wenn eine müde, schwüle Brise sie streifte. Und gegen die Bordwand weiter unten schwappten in beruhigender Regelmäßigkeit die warmen Fluten des seichten Hafenbeckens.

In stillem Einvernehmen leisteten sich Schiff und Schiffsfahrer treue Gesellschaft und ließen die heißen Zyklen gemütlich verstreichen, die die restliche Insel zum schwitzen und ächzen brachten.

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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..."
Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Mann und das Meer.
BeitragVerfasst: 10.12.14, 10:32 
Edelbürger
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Es war wieder ein harter Tag gewesen. Seinen Kameraden und ihm setzte die auswegslose Situation mehr und mehr nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu. Tiefgreifende Erschöpfung und gereizt freiliegende Nerven waren die unweigerliche Folge. Und wieder war ein Tag in's Land gegangen, an dem sein ferner, stummer, toter Gott ihn mit Stille strafte, die den dringend nötigen Trost verwehrte, den Kurs verborgen hielt und die Zukunft umso ungewisser, bedrohlicher wirken ließ. Jeder Schritt, der ihn hafenwärts führte, erinnerte ihn schmerzlich an das halbe, geschundene Bein. Das neue Holzbein saß nicht richtig, wackelte hin und her und rieb den Stumpf darunter blutig und wund.

Keine dieser Sorgen war neu oder ungewohnt, denn sie drückten und plagten ihn schon seit Monden. Aber wieder fielen sie von ihm ab, als er die breite Planke überquerte, die zu seiner ersehnten Braut führte. Dort lag sie gut vertäut im Hafenbecken, die Vielgeliebte, und wartete in nicht zu brechender Treue auf die Heimkehr des ihr verfallenen Mannes. Zum Gruß streifte er mit der flachen Hand über die Reling und fuhr diese streichelnd entlang. Den spröden Lippen entfloh: "Da bin ich wieder, meine Schöne. Sieh' mir nach, dass es heute ein wenig länger dauerte." Einen Kuss gab er den eisernen Beschlägen des Masts, bevor er sich setzte und diesen im Rücken hatte. Es tat gut, diesen Rückhalt wieder zu spüren, der nicht wankte und nicht wich. Sanft wog sich die "Litheth" im seichten Wellengang, der im Hafenbecken herrschte, und brachte ihn wie ein Kind im Bettchen allmählich zur Ruhe.

Bis spät in den Abend erzählte er von seinen vielen Sorge, den Nöten und Ängsten, die ihm das Leben verbitterten. Still und duster war es im Hafenbecken, und doch war er überzeugt davon, dass sein Schiff ein Ohr für ihn hatte. Sie hörte ihm zu und nahm ihm mit jedem weiteren Worten etwas mehr der Lasten von den Schultern. Sie antwortete nicht, aber das musste sie auch kaum, denn es war das stille und treue Einverständnis zweier Liebender, das sie verband. Sie urteilte nicht, bemängelte und kritisierte nicht - sie verstand und akzeptierte. Sie wandte sich nicht von ihm ab - sie blieb. Und während er sprach, ging er kleinen Arbeiten an Deck nach. Die vertrauten Handgriffe waren ihm längst keine Pflicht mehr, sondern liebevolle Gesten für seine "Litheth". Er wollte ihr etwas Gutes tun, sich bedanken, indem er mit Wachs, Öl und Wasser sie pflegte und verwöhnte.

Keine Eile, keine Hast dabei. Bloß eine gemeinsam verbrachte Nacht, aus der er die Kraft für den kommenden Tag schöpfen konnte.

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