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 Betreff des Beitrags: Re: Dualismus der Monarchie
BeitragVerfasst: 2.09.15, 14:51 
Edelbürger
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Einige Zeit zuvor,
An einer fremden, fernen Küste

Das Rauschen der Wellen war zweierlei im Klang. Mal leckten sie brandend über den heißen Sand der nahen Küste, mal fuhren sie liebkosend über den hölzernen und stählernen Leib der "Litheth". Ihr Glucksen und Plätschern sang ihm von der Weite des Meeres und unbekannten Gestaden, die ihn mit dem Versprechen neuer Abenteuer lockten. Für den Moment galt seine liebevolle Aufmerksamkeit allein dem Schiff, mit dem er sich in trauter Zweisamkeit befand. Er spürte tief in ihrem Leib, dass sie hier nicht zur Ruhe gekommen war. Besänftigend fuhr er mit der flachen Hand über die schlichte Reling und gab dem Holz einen gehauchten Kuss. "Hörst du, wovon die Wellen singen, mein Schatz? Spürst du, wie die Handelswinde lockend an deinen hafenfein verpackten Segeln zupfen, mit dem Begehren, dich wieder zum Tanz zu fordern?", sprach er mit einem Tonfall, der für das Bettgeflüster zweier Liebender reserviert ist.

"Es ist eine offene Einladung, der wir nachkommen sollten. Hier auf der Insel werden wir unseren Frieden nicht finden können. Schon wendet sich das Kriegsglück und eine Vielzahl uns übelgesinnter Schiffe und Streiter sucht diese Gewässer heim wie einst die Piraten. Wollen wir nicht versuchen, uns einen anderen Heimathafen zu suchen?", fügte er mit sorgenerfüllter Stimme an. Mit einem schweifenden Blick sah er hoch in das laufende Gut, das Rigg des Schiffs. Viel zu lang hatte er nicht mehr in den Genuss kommen dürfen, mit ihr hinaus auf Xans Leib zu fahren. "Alternd und sterblich, wie ich es nun einmal bin, kann ich nicht mehr gewährleisten, dass du hier sicher sein wirst. Und nichts würde mich mehr bekümmern, als dich unter fremden und feindseligen Farben fahr'n zu sehen. Dafür, mein treues Weib, liebe ich dich viel zu sehr. Was also, sagst du? Möchten wir's Hand in Hand noch einmal wagen?"

- - -

Einige Zeit später,
Am Hafen Brandensteins

Es war, als wäre er in kühles Wasser eingetaucht und erfrischt daraus entstiegen; er war wieder in seinem Element. In der geschäftigen Hektik der Seeleute spiegelte sich seine eigene Aufregung wieder. Ohne Unterlass trugen über ihren Köpfen die Lastenkräne des Hafens und des Schiffes die Fracht hin und her. Was tragbar war, brachten Tagelöhner im Akkord an Bord und senkten es durch die offene Frachtluke hinab in den Bauch der "Litheth". Die anweisende Stimme des Maats und die Rufe der Arbeiter schufen eine lebhafte Geräuschkulisse, zu der die gierigen Schreie der Möwen über ihnen noch beitrugen. Die Stimmung an Bord war heiter bis ausgelassen. Die Stammbesatzung und die hinzugeholten Arbeiter tauschten rege Neuigkeiten, frivole Witze, gesponnenes Garn und andere Weisheiten aus.

Er genoss die stille Autorität, die seine Stellung als Kapitän ihm wieder bescherte. Es wäre gelogen gewesen, das zu verneinen. Dafür fühlte er sich viel zu sehr erinnert an die gute Zeit in der Kameradschaft der Brandensteiner Marine. Mit hölzern festen Schritten überquerte er das Deck der "Litheth" und ließ sich von dem Maat in's Bild setzen, wie denn die Reisevorbereitungen vorangingen.
"Ventus zur Ehr, Xan zur Wehr'. Stellt einen Mann ab, um das Tuch auf Mottenfraß und Sturmschäden zu prüfen, denn der Ostwind spricht von den Stürmen der nahenden Jahreszeit. Das Bauholz soll auf Fäule geprüft werden, denn wir werden kaum die Zeit haben, um für Reparaturen einen Hafen anzufahren. Zuletzt lasst noch einige Fässer an Most herbeiholen, um einer anderen Art der Fäule vorzubeugen - der Mundfäule, dem Skorbut. Eile und Sorgfalt in gleichem Maß sind angebracht, denn wir möchten unseren hohen Gast und Passagier ja nicht allzu lang warten lassen.", erfolgte die Instruktion einem militärisch präzisen Stil. Es war viel zu leicht, in alte Gewohnheiten zurückverfallen. Drum ergänzte er: "Gute Arbeit, bisher. Und ebenso gut ist's, euch alle wieder an Bord zu sehen. Machen wir eine Fahrt draus, um die uns selbst die Wellengeister und die Windsbräute beneiden. Auf dass sie sagen müssen: Alle Wetter, die versteh'n ihr Handwerk!"

Erst zum Ende des Monologs hin war für ihn ersichtlich, wie der Zustand an Bord war. Die Menge der Leiharbeiter an Deck teilte sich ein wenig und gab in stiller Betroffenheit den Blick auf die Misere weiter hinten frei. Einer der Lastenkräne hing schief auf halb Acht und zwei Fässer mit Trinkwasser waren geplatzt - der Quell des Krachs, den er kurz zuvor hörte. Nach achtern hatte sich eine ganz beachtliche Pfütze gesammelt, die mit dem trägen Wellengang hin und her schwappte. Der Aufprall der Fässer hatte zwei der Planken lädiert, das war sogleich noch zu sehen. Schlimmer noch - womöglich siffte all das Wasser schon unter Deck in die Kombüse oder den Kartenraum, die direkt darunter lagen. Bald schon lief er hochrot an, als sich das labile Temperament aufschaukelte und sein zuvor noch gefasstes Gemüt zu übermannen drohte. "Da nehme ich einmal ein Lob in den Mund! Auf, ihr drei - Aye, der Maat mit eingeschlossen - schnappt euch Lumpen und Eimer. Seht zu, dass diese Schweinerei verschwindet, bevor ich euch am Wickel packe un' mit euch das Deck schrubbe!"

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 Betreff des Beitrags: Re: Dualismus der Monarchie
BeitragVerfasst: 10.09.15, 10:19 
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Am Hafen Brandensteins

Die Menge der Seeleute teilte sich, als die beiden Passagiere an Deck kamen. Einer der jüngeren Matrosen rackerte sich noch damit ab, ein Fass mit Salz rechtzeitig aus dem Weg zu schaffen und rollte es schließlich beiseite. Vor lauter Menschen war recht wenig vom Schiff zu sehen, denn insgesamt 24 Männer waren angeheuert worden, um für diese Fahrt die Mannschaft zu stellen. Sämtlichst waren sie anwesend, um den hohen Gästen das Gepäck und die Zügel der Pferde abzunehmen. Aus dieser Menge tauchte der Kapitän auf, der mit einem zahnreichen Lächeln auf sie zukam, um sie mit einem herzlichen Handschlag an Bord willkommen zu heißen."Ha, da seid'er ja bereits. Blendend, wir sin' gerade fertig geword'n mit allen Vorkehrungen für die Reise. Ich kann 'drum melden, dass die Mannschaft vollzählig und der Frachtraum gut gefüllt sin'. Un'er Deck findet ihr nachher zwei freie Hängematten. Eure eingeilte Schicht zum Schlafen sin' acht Stunden ab der zweiundzwanzigsten Stunde. Wir fahr'n im vollen Wechsel mit drei Schichten zu je acht Stunden, jeweils mit acht Mann im Dienst, um un'erwegs auch ja keine Zeit zu verlier'n. Soviel zum Nötigsten vorneweg. Der Smut wird euch informier'n, wann die Mahlzeiten sin' und der Mittschiffsmann legt euch beizeiten das Fahrtenbuch vor, in dem ihr den ganz'n Rest findet. Jetzt müsst ihr nurnoch das Wort sagen, un' wir stechen in See. Seid ihr bereit, der Insel vorläufig Lebwohl zu sag'n?", klärt er in Kürze, bevor das hektische Treiben fortgesetzt wird und seine Aufmerksamkeit einfordert.

Alles in allem ist die gedrängte, lebhafte Atmosphäre an Bord des Schiffes im ersten Moment geradezu erschlagend. Weiter achtern wird gerade Teer gekocht und dampfende, ölig scharf riechende Schwaden werden von einer steifen Brise quer über das Deck gepustet. Darunter mischen sich die Aromen eines herzhaften Eintopfs, der gerade in der Kombüse unter Deck entsteht. Karotten, Zwiebeln, Kohl und Kartoffeln werden kräftig gewürzt durchgekocht, um vor der Abfahrt noch einmal wirklich frische Kost zu genießen. Dazu kommt der Klang dutzender Stimmen, die sich untereinander Befehle, Witze oder Hinweise zurufen. Der Maat gröhlt mit der Brandung um die Wette, damit auch die Männer hoch oben im Rigg ihn noch hören können. Ein junger Bursche, auf seiner ersten Fahrt, flüstert derweil ein leises Gebet zu seinem Anhänger mit dem blauen Halbmond der Xan und streut eine Prise Salz, als bescheidenes Opfer, in die Gischt. Wie in einem Bienennest geht es zu, aber doch mit einem gemeinsamen Ziel im Sinn: Rothenbucht an der Mündung des Drac.

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 Betreff des Beitrags: Re: Dualismus der Monarchie
BeitragVerfasst: 16.10.15, 22:31 
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“Take a good rest, small bird," he said.
"Then go in and take your chance like any man or bird or fish.”

― Ernest Hemingway, The Old Man and the Sea

Linhafen.

Die doppelte Ration Rum brachte die Gesichter der Männer zum Glühen und entlockte selbst dem griesgrämigen, graubärtigen Maat ein seliges Lächeln. In einem frohen Symposium lagen sie unter Deck und hatten es sich zwischen den Säcken und Fässern bequem gemacht, die im Frachtraum keinen Platz mehr gefunden hatten. Der Mittschiffsmann, dem gerade erst die ersten Barthaare sprossen, saß auf einem Fass mit eingelegten Gurken, während neben ihm der alte Dankwart, seit Jahrzehnten ein Matrose, seine müden und morschen Glieder auf einem Sack mit Getreide ausruhte. Zahnlos grinsend sah er zum Leichtmatrosen ihm gegenüber, der gerade dazu angehalten wurde, den restlichen Inhalt der Buddel Rum in möglichst einem Zug auszusaufen. Seine Bemühungen brachten ihm jedoch bloß das Johlen der restlichen Mannschaft ein. Nachdem er das dritte Mal ansetzen musste, schnappte ihm der erste Maat die Flasche weg, klopfte dem halbstarken Burschen auf den Rücken, und ölte seine Stimmbänder mit dem beißenden Fusel.

"Allüberall, wo auf dem Meer

Ein hoher Mast sich reckt,

Da steht des Königs Flagge sehr

In Achtung und Respekt.

Sie bietet auf dem Meere Schutz

Dem Reiche allezeit,

Jedwedem tück'schen Feind zum Trutz,

Der Galadons Ehr' bedräut.

Und wenn ein feindlich Schiff sich naht

Und's heißt: "Klar zum Gefecht !"

So drängt es uns zur kühnen Tat,

Wir kämpfen für das Recht,

Und dringt ein feindliches Geschoß

In eines Seemanns Herz,

Nicht klagt der wack're Kampfgenoss',

Ihm macht es keinen Schmerz.

Und treibt ein feindliches Geschick

Uns an ein Felsenriff,

Gleichviel in welcherlei Gestalt

Gefahr droht unserm Schiff:

Wir weichen und wir wanken nicht,

Wir tun, wie's Seemanns Brauch,

Den Tod nicht scheuend uns're Pflicht

Selbst bis zum letzten Hauch.

Es tönet hell durch Galadons Auen:

Heil! König Hilgorad dir!

Du kannst auf uns're Treue bau'n,

Wir folgen mutig dir!

Und wie auch einst der Würfel fällt,

Sei's Friede oder Krieg,

Führst du uns an als Königsheld,

Ist unser doch der Sieg."

Der beherzt patriotische Gesang des fürchterlich betrunkenen Maats füllte den Raum unter Deck und war noch weithin zu hören. Der bärbeißige Klotz, der sonst am Tag kaum mehr als drei Befehle knurrte, ließ sich vom guten Zureden seiner Kameraden plötzlich zu immer neuen Strophen ermutigen. Auch an Deck, fern des regen Treibens, konnte der Kapitän noch Wort für Wort hören, was im Bauch des Schiffes gesprochen wurde. Nach der langen Überfahrt von Siebenwind hierher hatten seine Männer es sich verdient, einen Abend ohne die ständige Aufsicht ihres Kap'täns verbringen zu dürfen. Das galt insbesondere, wenn man bedachte, was am folgenden Tag gewagt werden sollte. Wenn sie sich schon in Gefahr begeben müssten, dann doch bitte einem gut gefüllten Magen und nach einer durchzechten und mit Gesang zugebrachten Nacht. Für einige der unglücklichen Seelen unter Deck würde es die letzte Nacht in der Sphäre der Sterblichen sein und in Xans kaltem Schoß sollte es sie nicht reuen, nüchtern zu Bett gegangen zu sein.

Diese endgültige Verantwortung über das Leben seiner Männer wog an solchen Abenden schwer auf seinen Schultern. In den letzten Tagen hatte er noch damit gehadert, ob er denn das Recht besäße, solch ein Opfer verlangen zu dürfen. Immer wieder bedrängte ihn die Vorstellung, dass es den jungen Offiziersanwärter treffen könnte, oder den Gehilfen des Smutje, der noch nicht den Kinderschuhen entwachsen war. Ihn grämte die Aussicht, ihre toten Leiber in Segeltuch gewidmet dem Meer übergeben zu müssen. Und doch hatte er zugleich schon Getreide, Linsen und Kohl einkaufen lassen (für fünfzigtausend Dukaten) und auch Briefe mit an Bord genommen (für geplagte Herzen), als wüsste er im Grunde schon längst, dass dieses Wagnis unausweichlich war.

Zu einem Teil war es wohl Sentimentalität für die Stadt, in der er sein Handwerk gelernt hatte, indem er zum allerersten Mal auf einem Schiff anheuerte. Rothenbucht, das siechende Drecksloch, der faulende Morast, der gärende Tümpel an der Mündung des Drac. Das Galad wurde mit einem ungehobelten Dialekt gesprochen, durch das Bier wurde man blind und die leichten Frauen gehörten allesamt in ein Aussätzigenhaus - es war einzigartig, unersetzbar. Und es war in Gefahr. Vielleicht war es also auch die Bürde der Pflicht, die mit der königlichen Flagge hoch dort oben am Mast verbunden war. Oft und gerne nannte er sich doch selbst "Kapitän zur See", da konnte er allein wegen der Abwesenheit des Königs nicht vor einem schwierigen Kurs zurückschrecken.

Während er diese Gedanken wieder und wieder durchging, schritt er auf dem Deck auf und ab. Mit dem Lauf der Gestirn stieg Fela, folgte ihrem flammendem Pfad über das Himmelszelt und sank in warmglühendem Abendrot wieder hinab zum nächsten Dunkelzyklus. Der silbrige Astreyon spiegelte sich makellos und unnahbar auf der stillen Oberfläche der ruhig daliegenden See wieder und mit Bleiglanz funkelten daneben die sichtbar werdenden Sternbilder hinter den Mondenlicht gesäumten Wolkenzügen. Blau auf Silber, zwischen dem Ventusgefilde und dem Leib der Xan. Während er die natürliche Schönheit der elementaren Schöpfung bewunderte, reifte in ihm die Erkenntnis, dass die Cortaner für eine andere Art der Seefahrt standen. Losgelöst von dem Respekt vor der göttlichen Ordnung reduzierten sie die See auf ein weiteres Schlachtfeld, das es zu stürmen, zu erobern und aufzuteilen galt, und sahen Schiffe als bloße Mittel zum Zweck, als Werkzeuge der Kriegsführung.

Er hatte nicht bemerkt, dass er die Reling seines Schiffes immer fester gegriffen hatte, bis ein langer Splitter in seiner Handfläche steckte. Mit spitzen Fingern zog er den Fremdkörper, drückte den Daumen auf die leichte Blutung und schüttelte leise schimpfend die Hand aus, um sich von dem brennenden Schmerz abzulenken. Er würde sich zusammenreißen müssen, denn für das ausführliche Schwelgen in hochkochenden Gefühlen oder vielzeiligen Gedankengängen war keine Zeit mehr. Was auch immer für ein Wahn ihn ritt, was auch immer ihn zu dieser wahnsinnigen Tat antrieb, er würde es bis zum bitteren Ende durchstehen müssen. Morgen würden sie die Blockade von Rothenbucht überwinden oder aber von Xan heimgerufen werden, an ihren nassen Busen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Dualismus der Monarchie
BeitragVerfasst: 24.10.15, 17:23 
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“I, while the gods laugh, the world's vortex am;
Maelström of passions in that hidden sea
Whose waves of all-time lap the coasts of me;
And in small compass the dark waters cram."

― Mervyn Peake, gesammelte Werke

Vor Rothenbucht.
(Abgesprochen mit Hammerfels)

Zum Ende des Felalaufs hin senkte sich die glühende Scheibe schon langsam zum Horizont herab und warf immer längere Wolkenschatten auf die grünlich-blaue, trübe See der Bucht von Linnhafen. Die frische, trockene Kälte der bevorstehenden Jahreszeit der Xan lag in der Luft, ließ den Atem dampfen und die Augen tränen. In die eiskalten Wogen tauchten hier und dort die Möwen ein, die in der Dämmerung oft die beste Beute machten, und schleppten unter gierigem Krächzen ihren Fang zu ihren Brutstätten an der nahen Küste. Noch vor wenigen Mondenläufen hätten sie sich stattdessen über die Netze der Fischersleute hermachen können. Da hatte man hier keine Meile freie Fahrt gehabt, ohne dass man auf die Frachtkähne der Fernhandelskaufmänner oder die küstenbewachenden Sloops der königlichen Marine getroffen wäre. Wenn man dieses Gewässer noch aus glücklicheren Zeiten kannte, musste es einem gespenstisch leer und verlassen vorkommen. Nur vier Schiffe verblieben noch vor der Mündung des Drac, in Sichtweite zum Hafen von Rothenbucht. Zwei Fähren verkehrten mit der cortanischen Seite der Küste, unter den wachsamen Augen der Besatzung zweier Kriegsschiffe, die vor Anker lagen. Schon wurden Lampen und Laternen an Bord entzündet, um die kommende Dunkelheit zu vertreiben und die gute Sicht zu gewährleisten.

Die abendliche Ruhe wird von dem scheppernden Geläut der Schiffsglocken abrupt gestört, in das sich das erboste Keifen der Möwen einmischt. Unter den cortanischen Mannschaften bricht helle Aufregung aus, als es gilt, zugleich die Segel zu setzen und die Geschütze zu bemannen. Denn dort naht im Brausen vom hohen Meer ein Schiff mit Kurs schräg vorm Wind, der die sämtlich gesetzten, roten Leinensegel aufbläht und mit Ventusgewalt den Dreimaster vorantreibt. Die Offiziere des neuen Reiches Cortan treiben ihre Männer zu größter Eile an und machen die Absicht klar: Dieses Schiff müsse sinken, ehe es die Blockade durchbrechen könnt. Schon werden Pechpfeile herumgereicht und Feuerschalen entzündet, um den Beschuss vorzubereiten während eingespielte Truppen von je vier Mann die Ballisten spannen und bündelweise die Speere herbeischaffen. Wie Affen hangeln die übrigen Seeleute sich über die Wanten hoch auf die Rahen und setzen alles daran, die Großsegel zu setzen, die sich bald darauf auch schon knisternd entfalten und von der steifen Meeresbrise gefüllt und gebläht werden.

An Bord des anderen Schiffs steht der Kapitän, eine Hand am mannshohen Steuerrad, den Kurs haltend. Mit der anderen Hand verstaut er nach einem kurzen, tiefempfundenen Stoßgebet den Halsanhänger wieder unter dem Mantel und knöpft diesen bis oben hin zu. In Gedanken weilt er noch bei Ventus, auf dass er sie auf den letzten, wenigen Meilen der Zielstrecke nicht enttäuschen möge, und bei Xan, damit sie ihnen die Gnade erweise, Schiff und Mannschaft noch nicht einzufordern. Der Stand ist breitbeinig und mit der Hand am Steuer hält er sich zugleich fest, als er den Kurs abknickt und mit voller Fahrt sich zwischen den beiden Fähren hindurchdrängt, die dadurch zugleich zur Deckung gegen den Beschuss werden. Im hohen Bogen abgeschossene Pfeile prasseln auf das Deck und pfeifen, Löcher reißend, durch die Takelage, aber die Entfernung ist zu weit, als dass sie größeren Schäden anrichten könnten.

Kurz darauf folgt jedoch weiterer, feindlicher Beschuss. Die durchschlagenden Speere durchstoßen förmlich die Luft und kündigen sich mit einem hellen, pfeifenden Klang an. Knapp vor dem Bug fährt das erste Geschoß in das Wasser und spritzt feinen Gischtnebel auf. In schneller Abfolge hageln die übrigen Speere auf die Mannschaft und die Litheth ein, schlagen in die Bordwand, krachen in den vorderen Mast und reißen einen Matrosen davon. Wo eben noch der junge Seemann stand und seinen Dienst verrichtete, verbleibt einen Augenblick später nur ein Loch in der Reling und eine blutige Spur, die beschreibt, wohin die schiere Wucht ihn schleuderte. Entsetzen flackert auf den Gesichtern der Männer auf und greift rasant um sich, als der Beschuss immer noch anhält. Die panischen Rufe nach dem Gefallenen, das Poltern der Speere, das Heulen und Pfeifen des Windes drohen die Stimme des Kapitäns zu übertönen, der vom Steuer aus ruft: "Findet euren Mut, Kameraden, oder seid bereit, euch eurer Furcht zu stellen! Wir sind des Königs Männer!" Und so plötzlich, wie sie in Gefahr geraten waren, entkamen sie auch wieder. Der flotte, schlanke Dreimaster ließ den cortanischen Schiffen nur ein schmales Zeitfenster weniger, kostbarer Momente, bevor die Reichweite ihrer Speerschleudern nicht mehr ausreichte. Die Verfolgungsjagd war durch die Geschwindigkeit der Litheth entschieden worden, bevor sie richtig beginnen konnte. Nun hatten sie freie Fahrt und konnten in den Hafen von Rothenbucht einlaufen, unter den wachsamen Augen der Männer und Frauen von der Hafenwehr.

- - -


Ein undurchsichtiger Dunst lag in der Luft, das üble Gemisch des Rauchs schwelender Brände, sowie gärenden Abfalls und Exkrements. Die Fassaden der Kontore waren rußgeschwärzt. Sie hatten ihren früheren Glanz zum Großteil eingebüßt und in einer der ausgebrannten Ruine in der Reihe von Lagerhäusern häuften sich behelfsmäßig zusammengetragene Leichname, die Opfer der auszehrenden Belagerung. Als das Schiff in den Hafen einfuhr und festmacht wurde, kamen einige wenige Rothenbuchter aus der Sicherheit ihrer Häuser hervor, mit geschundener Kleidung, dreckigen Gesichtern und einer mutlosen Müdigkeit. Die vielen Wochen des fortwährenden Katapult-Beschusses hatten ihre Stadt zerrüttet, während der Hunger und die abgeschottete Einsamkeit an ihren Gemütern nagten. Die Cortaner hatten sich in ihren Positionen diesseits des Flusses festgesetzt und rannten immer wieder gegen die westliche Stadtmauer an, die sie schon soweit abgetragen hatten, dass dort die täglichen Straßenkämpfe gegen die Eindringlinge zum grauenhaften Alltag geworden waren. Wie tollwütige Hunde hatten sie sich in der Absicht, Rothenbucht einzunehmen, verbissen und waren kurz davor, den Bürgern der Stadt die Hoffnung endgültig auszubrennen.

Den geplagten Seelen konnten die Männer der Litheth nicht helfen, aber in den folgenden Zyklen wurde die mitgebrachte Nahrung ausgegeben. Scheffelweise wurden trockene Linsen, allerlei Getreide und Kohlköpfe an die andrängende Menschenmasse ausgegeben. Fässer mit Trinkwasser wurden aufgestellt, an denen man sich mit Krug und Becher bedienen konnte, um den gröbsten Durst zu löschen. Die Briefe, eingesammelt in Venturia und Linnhafen, wurden geradezu aus den Händen gerissen, versprachen sie doch lange nicht gehörte Kunde von den Liebsten in der Ferne oder ausstehenden Geschäften. Das Gerangel und die Aufregung waren groß und hielten noch für viele weitere Zyklen an, denn das Schiff würde so bald nicht mehr auslaufen können. Die cortanischen Schiffe hatten einen engen Kreis um die Ausfahrt des Hafens gezogen und hielten sie nun von der See her in einem umso festeren Würgegriff, gereizt durch die Niederlage. Mit der Zeit würden sie ganz sicher ihre Rache bekommen, denn die Seemänner teilten jetzt das Schicksal der schon beinahe verlorenen, unausweichlich verdammten Stadt, die mit jedem Tag weiter ausblutete und kaum noch wagen konnte, auf Rettung von außen zu hoffen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Dualismus der Monarchie
BeitragVerfasst: 14.11.15, 14:39 
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“Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige."

― Lucius Annaeus Seneca

Rothenbucht.
(Abgesprochen mit Hammerfels)

Der Erntemond, Vitamalin, war umkränzt von einem Flaus aus schwarzen Sturmeswolken und der Silbermond, Astreyon, hatte sich hinter ebensolchen Wolkenbergen verborgen, als wollte er nicht mit ansehen müssen, was dieser Dunkelzyklus bringen würde. Weiter unten lag Rothenbucht im rötlich flackernden Schein der rasend um sich greifenden Feuersbrunst, die im Stadtteil nahe der Bresche ausgebrochen war. Das Prasseln und Lodern der Ignispracht vermochte beinah, die Schreie des Entsetzens und der blinden Panik zu dämpfen. In einer grauenhaften Kakophonie schrien sie durcheinander, in der Hoffnung auf Hilfe bei der Bekämpfung des Brandes, auf der Suche nach totgeglaubten Geliebten oder in einem Klagegebet an Morsan. Dann kam der unnachgiebige Klang im Gleichschritt marschierender Stiefel hinzu, und das Scheppern metallischer Wehr und Waffen. Nach andauernden Straßenkämpfen war die Bresche in der Stadtmauer gänzlich gefallen, sodass sich nun die Regimenter in die Straßen ergießen konnten und in einem Handstreich das stolze Rothenbucht an sich rissen. Das gekrönte Dreieck, Zeichen des Anspruchs der Cortaner auf die Herrschaft über das Reich, wehte auf Wappenröcken, prangte auf Schilden und hing auf wallenden Bannern aus den Fenstern der Residenz des Statthalters und von den Wehrtürmen der trutzigen Mauer. Bald würde es mit heißem Eisen in das Fell von erbeutetem Vieh und die Haut der Kriegsgefangenen eingebrannt werden. Ein einzelner Matrose, der auf seinem Landgang unmittelbarer Zeuge der Niederlage geworden war, entkam jedoch und rannte zum Hafen, als wäre ihm der leibhaftige Eine auf den Fersen.

- - -


Das Herz des Kapitäns protestierte und drängte ihn dazu, so viele der Flüchtenden mit an Bord zu nehmen, wie seine "Litheth" nur tragen könnte. Er war gekommen, um die Hungersnot zu lindern und den verlassenen Rothenbuchtern dringend benötigten Trost zu spenden. Da könnte er sie schlecht zurücklassen in den Fängen der Hochverräter, die just in diesem Moment die Stadt plünderten, brandschatzten und besetzten. Sein Verstand jedoch veranlasste ihn, den Befehl zu geben, keinen der Hilfesuchenden an Bord zu lassen. War die Stadt doch gefallen und die Verluste immens, so drohte der Bevölkerung kein größeres Leid, als sie es nicht schon unter der Belagerung zu spüren bekamen. Fügten sie sich ihren neuen Herren, so würde ihr Hunger gestillt werden und das Blutvergießen hätte womöglich ein Ende. Schlugen sie sich jedoch auf die Seite eines Königstreuen, würde sie ein vielfaches Maß an Strafe treffen. All diese Überlegungen jedoch konnten den Schmerz in der Brust nicht lindern, den er empfand, als sein Blick den einer Mutter und ihrer Buben traf. Die stumme Anklage, der welkende Spross enttäuschter Hoffnung, konnte er nicht ertragen. Er musste sich abwenden und die Ferne suchen.

In Brandenstein würden sie dazu kommen, ihre Wunden zu lecken und das Erlebte zu verarbeiten. Harter Rum und eherne Kameradschaft hatten sie schon durch schlimmere Nöte gebracht. Auf dem kleinen Eiland am Ende Tares würden sie überwintern können, bis die eiskalten und unberechenbaren Morsanswinde wieder der Jahreszeit der Vitama weichen würden. Ein Hindernis bot sich zuvor noch: der eng gezogene Ring aus cortanischen Schiffen, die von der See her das verlorene Rothenbucht unentwegt im Würgegriff hielten. Seit der Ankunft der "Litheth" hatten sie sich geradezu in ihrer lauernden Position verbissen und harrten der Gelegenheit, die Schmach mit Stahl und Blut heimzahlen zu können. Er würd's noch einmal wagen müssen.

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