Zitat:
In einem Haus irgendwo in Brandensteins erhebt sich ein ergrauter Mann aus seinem Bett und kneift, beim Blick durch das Fenster, die Augen zusammen.
Die Hand wandert an seine Schläfe während man im Raum nur ein Gemurmel von einer Horde wütender Zwerge in seinem Kopf hört.
Nach einem langgezogenen Seufzer richtet er sich auf und öffnet den Kleiderschrank um eine kleine Sammlung aus verschiedensten Gewändern, Hemden und Tuniken zu Tage zu fördern, alle vereint durch einen einzigen Farbton: Dunkelgrau.
Abschätzig fährt sein Finger von einem einfachen Holzbügel zum nächsten, nur um schließlich bei der schlichtesten Robe hängen zu bleiben, während sich Erynnion ächzend die Robe und das darunter liegende Gewand anlegt, schweift sein Blick neuerlich hinaus in den Felaschein und mit Ihm gleiten seine Gedanken fort …
… hin zu jenem gestrigen Abend. Er fühlte sich als hätte der Kampf zwischen Bellum und dessen Sohn leibhaftig in seinem Kopf stattgefunden und bei Astrael das hatte er verdient. Einen Abkömmling des Drachengeschlechts, eine Kreatur des Feuers, einen Anhänger des Elements des Herrn Ignis einzufrieren. Ferames und die anderen Patronen der Pfade seien ihm gnädig. Nun … worüber machte er sich Gedanken ... es hatte funktioniert. Dieses Mal. Jetzt galt es das Bestmögliche aus der Situation zu gewinnen. Hoffentlich hatte Alfred bereits alles Nötige vorbereitet. Gewiss hatte er das. Alfred war in solchen Dingen sehr zuverlässig. Zumeist. …
… vollständig angekleidet und gestärkt trat er in den Eingangsbereich des Hauses und betrachtete sich im Spiegel.
Ein alter ergrauter Mann … das war aus dem einst schneidigen Alumni des grauen Hochturms geworden. In einem selbstironischen Anflug von Heiterkeit zuckt ein Mundwinkel kurz nach oben, ehe die schlichte Robe glattgestrichen wird und er langsam die Haustüre öffnet um hinaus zu treten. Auf dem Weg zum Portal der Akademie betrachtete er die Bewohner Brandensteins, wie sie ungestört ihrer Arbeit nachgingen. Gewiss, manche Uniformen wiesen Brandspuren auf, der ein oder andere Eimer wurde noch immer gereicht um die letzte Glut zu ersticken, aber jenseits dieser kleinen Anzeichen wirkte die Stadt unbekümmert. Beinahe so als hätte am Abend zuvor keine riesige fliegende Echse den Hafen verheert, und wäre in den Straßen Brandensteins unter Aufbietung aller Kräfte erlegt worden.
Als er an einem kleinen Mädchen vorbeiging, das zwischen den Markständen herum schlenderte, entfleuchte dem sonst so ausdrucklosen Gesicht ein weiteres kaum merkliches Lächeln. All dies hatte sich am Ende doch gelohnt und wenn der Lohn nur darin besteht, diese Illusion von Sicherheit und Beständigkeit zu bieten, nach welcher sich das galadonische Volk seit so vielen Jahrhunderten verzerrt. Zu Schützen und zu bewahren, dies war ebenso eine der Aufgaben der arkanen Gesellschaft. Eine seiner Aufgaben.
Gänzlich in Gedanken versunken passierte er das Portal und fand sich just vor den Flügeltüren zum Akademiegelände wieder. Schwerfällig werden jene aufgedrückt, nur um den Blick auf die bläulich leuchtende Barriere am anderen Ende des Innenhofs freizugeben.
Auf halbem Weg hob der Magus bereits die Hand an und kaum hatte er die Barriere berührt, leuchteten die innen liegenden Runen kurz auf um den Weg freizugeben und sich hinter dem Mann wieder zu schließen. Während er die Treppe hinunter wandert, reckt der Galadonier bereits den Hals um auf den Garten hinab zu blicken. Zunächst sah man nur den gewaltigen Leichnam des roten Drachen, ehe sich nach und nach zwei Tische und zwei hölzerne Hocker auftun. Auf einem saß, über einem großen Stück Pergament brütend und mit einem Kohlestift in der Hand, Alfred, der getreue Wegbegleiter und Hausdiener der Familie Comari.
Als er immer näher kam, blickte die kleine grüne Kreatur auf und setzte an zu sprechen „Meisters, ihr sehens blass aus! Spaß gesterns zu viel geworden für alten Meisters?“…
… ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken, geht er am grünen Männlein vorbei und betrachtet das Blatt Pergament auf welcher sich eine genaue Skizze des Körpers des Drachlings vorfindet. Sorgsam wurde scheinbar in minuziöser Arbeit über mehrere Zyklen hinweg jedes kleinste Detail verzeichnet. „Gut. Du bist deinem Zweck gerecht geworden.“ spricht er mit leicht kratziger Stimme und betrachtet die diversen kleinen Messer, Sägen und andere Instrumentarien auf dem zweiten Tisch.
Alfred wiederum blickt den Alten erfreut an „Meisters seiens zufrieden?“. „Alfred“, erklingt es nun doch im strengen Tonfall eines Lehrers, „was genau ist deine Aufgabe wenn der Kopf des Meisters schmerzt?“
„Alfred sollen arbeiten und Mundwerk geschlossen haltens?“, „Exakt.“ ein zufriedenes Nicken folgt auf die knappe Aussage „Nimm ein weiteres Stück Pergament zur Hand und notiere die von mir ermittelten Ergebnisse. – Schweigend!“ …
… die Ärmel der Robe werden gerafft, ehe er zu einem Maßband greift und damit beginnt von der Länge und Anzahl der Krallen, über den Durchmesser der Hörner bis über den gesamten Umfang des Brustkorbs und die Ausmaße des Schwanzes unzählige Fingerbreiten, Schritte und Mengenangaben anzusagen, die vom eifrigen Diener sorgsam notiert und auf der Skizze entsprechend verzeichnet werden. Nachdem dieser Arbeitsschritt getan war, rafft er sich wieder auf und wandert hinüber zum Tisch mit den übrigen Feinwerkzeugen. Einen Moment lang richtet er seinen Blick zum Ventusgefilde …
… Ein so schöner Hellzyklus, beinahe zu schön um ein solch blutiges Werk zu verrichten und doch musste es getan werden. „Alfred, während ich die Kreatur häute, wirst du zwei weitere Skizzen anfertigen. Je eine die, die exakte Struktur des Muskelgewebes und der Sehnen aufzeigt und eine weitere welche sich mit dem Skelett und der Position der inneren Organe beschäftigt. Verstanden?“, der Imp setzt bereits dazu an seinen Mund zu öffnen „Alfred?!“ und schließt ihn sogleich wieder um nur artig zu nicken. „Sehr schön.“
Und so greift er nun mehr zu einem kleinen skalpellartigen Häutungsmesser, dessen Schneide – ähnlich wie die Pfeilspitzen der Drachenfall-Projektile – aus hauchdünn geschliffenem Diamant zu bestehen scheint und beginnt von der Einstichstelle eben jenes Pfeils langsam, Stück für Stück die Haut mit den daran befindlichen Schuppen abzutragen. Zu Beginn deutlich weniger geschickt aber mit der Geduld und der Detailbesessenheit eines Menschen der seit Jahrzehnten mit hochempfindlichen Gerätschaften und instabilen Substanzen hantiert arbeitet er sich langsam von Extremität zu Extremität. Dabei werden immer wieder verschiedene Eigenschaften über Dicke und Beschaffenheit der einzelnen Hautschichten laut vor sich her gesprochen und vom zeichnenden Grünling kurzer Hand notiert.
Erst als Fela das zweite Mal seit dem Betreten der Akademie hinter ihren silbernen Weggefährten verschwindet und das Licht der Fackeln den Akademiehof zu erhellen scheint, liegt das Schuppenkleid mehr oder minder sauber vom Körper getrennt und in jeweils zwei Schritt lange Streifen geteilt sowie zu einem Stapel aufgehäuft neben dem Leichnam. Schwerfällig richtet er sich auf und greift sich ein Leinentuch vom Tisch um die Schweißperlen von der Stirn zu wischen, ehe er sich langsam auf dem zweiten Hocker niederlässt und den fortweilend skizzierenden Diener wie gleichsam auch sein Werk mustert. Als er so die verschiedenen Muskelstränge und Sehnen betrachtet zieht es seinen Geist neuerlich in die Ferne …
… Beim fehlenden Auge des Allwissenden ... diese Kopfschmerzen … zuletzt war er zu Zeiten Cortans derart gefordert worden. Zunächst als Magus und Konstrukteur diverser arkaner Apparaturen und schließlich als Kanzler. Bei letzterem hatte er kläglich versagt. Zusammengefasst würde man wohl behaupten, er hätte bei allem versagt, das nicht ansatzweise mit dem Arkanen oder der dazugehörigen Säule des Reiches zusammenhängt und so hatte er mit dem Alter erkannt, dass dies Berufung, Fluch und Segen zugleich war. Dieses Mal würde er nicht weichen, nicht verschwinden, sich nicht zurückziehen. Es gab nun mehr wieder einen Bereich in dem sein Wissen und seine Fähigkeiten von Nutzen waren … und dieses Mal würde er die Stadt durch seine Abwesenheit nicht dem Feuer anheim geben. Brandenstein würde kein zweites Falkensee werden …
… mit diesem Gedanken richtete er sich auf und griff zu einem anderen Werkzeug das in Größe und Form wohl am ehesten einem kleinen Fleischerbeil ähneln mag. Die kommenden beiden Zyklen verbrachte er damit, das Fleisch von den Knochen der Kreatur abzutrennen, die Sehnen und Muskeln zu zerteilen, in die Länge zu ziehen und dabei neuerlich einige Daten für sein kleines Helferlein laut auszusprechen. Nach und nach Schälte er sich so Muskelpartie um Muskelpartie vor. Indes saugte sich seine Robe immer mehr mit Blut und anderen Körpersäften voll und es offenbarte sich dabei ein weiterer Vorteil des Dunkelgrau, ein Vorteil welcher seit der Zeit der Gründung des Grauen Pfades bekannt ist.
Dunkelgrau verbirgt das Blut in dem man watet.
Während Stundenläufe verrinnen, Fela, Vitamalin und Astreyon ihren ewigen Tanz fortführen und man ein ums andere Mal das Beil niederfahren hört, verbleibt bald nur mehr das Skelett der gewaltigen Echse. Hin und wieder, genauer gesagt, immer dann wenn er auf eines der inneren Organe stößt hört man wieder vereinzelte Ansagen, ehe jenes sorgsam gesäubert, entleert und in ein großes Glas mit gelblicher Flüssigkeit darin eingelegt wird. Bei den Vieren, viel hatte seine Zeit als Spion der Grauen Garde in der schwarzen Akademie Siebenwinds nicht mit sich gebracht, nicht viel aber doch zumindest die nötigen Fähigkeiten um einen Leichnam fachgerecht zu zerteilen und zu konservieren, wofür auch immer. „Alfred, mein Trinkschlauch!“ hört man es am Ende und der Mann lehnt sich erschöpft an einen der Bäume im Innenhof und sinkt daran herab während der Gehilfe einen Trinkschlauch greift und jenen recht ungalant in Richtung des alten Mannes wirft. Dieser fängt mit zittrigen Händen den Wasserschlauch und nimmt einen Schluck daraus.
Die gewaltigen Knochen ins Auge fassend, reifte in dem Mann eine Idee …
… Die kurze Betrachtung im arkanen Gefüge, vor dem eigentlichen Scharmützel, offenbarte enormes arkanes Potential. Er würde im Laufe der Untersuchungen jede einzelne Komponente, seien es nun die Zähne, die Klauen, die Knochen oder das Leder auf etwaige verborgene Eigenschaften untersuchen. Gerade Knochen und anderes Material aus lebendigen Wesenheiten, weisen zumeist eine enorme Leitfähigkeit für arkane Energie auf. Vielleicht ließe sich aus diesen gewaltigen Knochen ein Fokus … ein Stab … fertigen. Ja, das würde er versuchen.
Seit sein Stab damals im Kampf gegen die Winzerin zerstört wurde, sehnte er sich wieder nach einer eigenen Waffe. Vollständig geschaffen durch seine Hand, getränkt mit seiner Aura – seiner Essenz – und einzigartig innerhalb Mandons …
Umso mehr die Idee in ihm Gestalt annahm, umso mehr Kraft schien sie ihm zu spenden und so raffte er sich neuerlich auf, für den vorerst letzten Akt dieser Untersuchung.
Er griff nun mehr zu einer kleineren, ähnlich scharf geschliffenen Säge und begann damit die Knochen an den Gelenken und bei den vorhandenen Knorpeln voneinander zu lösen, um sie nach und nach in einzelne – transportable – Stücke zu verarbeiten. Alfred indes lies den Kohlestift, weiter und weiter über die mittlerweile dritte Skizze gleiten, ehe auch jene ein genaues Abbild der vor ihm aufgereihten Szene abgab. Die detailreiche Zeichnung lässt eines offenbar werden, wo es ihm an Feingefühl, Manieren und Verstand mangelt, wird etwaiges durch seine Fähigkeiten durchaus wett gemacht. Wieder mag Morsan einige Male sein Stundenglas drehen, ehe schließlich in den späten Abendzyklen auch das Skelett zerteilt und alle Bestandteile fein säuberlich in die Katakomben der Glur’Sigilim verbracht wurden. Beinahe … alle.
Das gut zwei Schritt lange und beinahe einen halben Schritt breite Brustbein wird sich wohl am späteren Abend in der Werkstatt des Magus wiederfinden.
Nach getaner Arbeit werden die Katakomben sorgsam verschlossen. Das Werkzeug fortgeräumt und schließlich, müde, erschöpft und mit einem weiteren vollen Maß an Kopfschmerzen tritt der Magus schließlich vor die Barriere.
Er schließt die Augen und spricht in einem tiefen Befehlston „As’e Odal!“ und als er nun die Hand hebt und mit ihr die Barriere berührt, fällt die bläuliche Barriere in sich zusammen. Die Schutzrunen an der Innenseite verglimmen und der Magus tritt den Weg in Lifnas Arme an.
Heute Abend würde er den Adeptus unterweisen und anschließend zurückkehren um die arkane Untersuchung der Komponenten zu beginnen. „Alfred, deine Werke wirst du vervielfältigen und an die Kanzlerin sowie die Tafelrunde weitergeben.“
Wieder setzt Besagter an zu sprechen „Wage es nicht!“ nickt jedoch anschließend wieder nur artig und verschwindet irgendwo innerhalb des Komplexes der königlichen Akademie der arkanen Künste zu Siebenwind …
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Erynnion Comari - Hochmagier des Grauen Pfades