Tief atmete Felis die kühle, feuchte Luft des nebligen Monds Seker ein. Hier oben, auf dem Wall selbst, war es ruhiger, als dort unten mit all den Soldaten des Banners und des Expeditionskorps, den Geweihten und den Zivilisten, die ab und an vorbeischauten. Der weite Himmel zeigte sich in einem einheitlichen Grauton und das Mauerwerk war dunkel vor Feuchtigkeit. Die Luft roch schwer nach feuchten, abgeworfenen Blättern und Pilzen und vor ihr breitete sich der Landstrich aus, den man gemeinhin immer noch das Ödland nannte, auch wenn Teile davon grüner geworden waren. Aber es täuschte nicht über das hinweg, was dort lauerte. Alles atmete Verderben.
Sie musste an die Worte denken, die sie noch kürzlich vor der Schlacht an den Knappen, nun einer ihrer Vorgesetzten, gerichtet hatte. Dieser Wunsch, wenn sie vor Morsan treten sollte und was mit ihr dann geschehen sollte. Den Vieren und den hiesigen Heilern sei Dank war es nicht eingetreten und sie hatte aus dieser Schlacht gelernt, den Tunnelblick in Zukunft möglichst zu vermeiden, um nicht auf der Jagd nach einem Skelett wieder blindlings ins schwarzgerüstete Verderben zu rennen.
Felis musste an Phel - Saraphel, wie er sich nun lieber nannte, da die jungen Frauen Venturias den Namen mochten - denken und dass sie ihm den Kummer ersparen wollte, dass wieder jemand aus seinem Leben schied, der ihm etwas bedeutete. Und sie dachte an ihn, diesen Mann, der ihr Leben so verändert hatte, wie keiner der anderen Männer zuvor. Felis erinnerte sich daran, ihm versprochen zu haben, einen Brief zu schreiben. In Venturia hatte sie es einmal getan, aber viel hatte sie ihm nicht mitteilen können oder wollen. Ihr Leben dort war noch ganz anders und stiller gewesen. Aber mit ihrer Reise hierher auf die Insel, eine Reise, die eigentlich nur dem Handel dienen sollte, ehe sie wieder zurück kehren wollte, hatten sich die Umstände geändert.
Wenig später hatte sich Felis auf dem Wall einen ruhigen Platz gesucht, sich auf ihren mehrfach gefalteten Umhang niedergelassen und ein Stück Brett auf ihren Schoß gelegt, auf dem sie ein Pergament platzierte. Die Feder tunkte sie in das offene Fass Tinte, was neben ihr auf dem Boden stand ein und sie begann, zögerlich eher, den Brief zu schreiben, wobei sie allein schon bei der Anrede unschlüssig war.
Zitat:
Vater,
seit unserer Begegnung hat sich vieles für mich verändert. In Venturia sagten sie, ich wäre ruhiger geworden und rückblickend gebe ich ihnen recht, doch ich wollte erst keine Veränderung zulassen. Das alte Leben, auch wenn es nicht mehr zu passen schien, wirkte doch irgendwie bequemer. Ich dachte, es würde alles beim Alten bleiben, wenn ich zeitweise Siebenwind besuche, etwas Handel betreibe, vielleicht mal einen Bruch begehe und ohne Spuren zurückkehre - mögest du davon halten, was du willst.
Doch nun sitze ich hier, trage die Uniform des Lehensbanners und meine Rüstung, neben mir liegt meine Waffe, die in den letzten Wochen schon viel Blut sah, aber vor allem sehr viel untotes "Leben" beendet hatte. Wir beide sind uns wohl ähnlicher, als ich dachte und hätte mich der Gedanke früher mit Unbehagen erfüllt, so fühle ich mich nun wohler damit. Ich denke recht oft an dich.
Ich weiß nicht, ob ich noch einmal die lange Reise zu dir aufnehmen würde. Vielleicht sehen wir uns nicht mehr wieder, aber *an dieser Stelle ist ein kleiner Tintenklecks, als hätte die Feder einen Moment zu lange über dieser Stelle verharrt* ich wollte dir schreiben, dass ich mich dir nun näher fühle und ein wenig mehr im Reinen mit mir bin, auch wenn es noch immer Dinge gibt, mit denen ich hadere, aber dieser Dienst hier erscheint mir auch wie eine Art von Buße.
Pass gut auf dich.
Felis
Morgen ist der Narrentag, machte Felis' Kopf einen kleinen Gedankensprung, als sie das Pergament mehrmals faltete, nachdem die Tinte getrocknet war. Keine Feier ohne Felis. Sie musste schmunzeln, als sie an ihren alten Spruch dachte. In diesem Fall wohl schon und es störte es sie nicht mal mehr.