"Wir versuchen, nur noch Ihn zu spüren."
Es war keine leichte Übung, nicht nur die Wahrhaftigkeit und Heiligkeit jener Worten in seinem Innersten zu fühlen, sondern diesen auch tatsächlich in seiner Seele Bestand zu geben, während seine Augen auf ihrer meditativ knienden Gestalt ruhten. An Gefühlen, diesem kostbaren und doch in seiner jetzigen Ausprägung so hinderlichem Gut, mangelte es im Moment keineswegs.
Lediglich die Ruhe, jene dabei herauszufiltern, welche ihm tatsächlich von Ihm gesandt waren, um Seinen Willen kundzutun und Seine Pläne für Tare in die Tat umzusetzen - dies war Seine heutige Prüfung an ihn, und es war eine der schwersten, die Er ihm je hatte zukommen lassen.
"Was nichts kostet, ist nichts wert."
Keinen Moment lang zweifelte er auch die Wahrhaftigkeit jener Worte an, denn diese Lektion hatte er sich selbst teuer erkaufen müssen. Altruismus war ein Begriff, mehr nicht - ein Konzept, welches nicht gelebt wurde, am Allerwenigsten von jenen, welche sich in ihrer zelebrierten Selbstlosigkeit suhlten. Alles hatte seinen Gegenwert, und wer etwas nach außen hin kostenlos anzubieten schien, der neigte nur dazu, letztendlich den höchsten Preis dafür einzufordern.
Wenn es danach ginge, dann war dies hier wohl nicht nur eine der schwersten, sondern zugleich eine der wichtigsten Prüfungen seines Daseins, denn der Preis war nicht weniger denn seine Seele - und vielleicht sogar ihr Leben.
Sein Atem ging ruhig, und trotz der wachhabenden Stellung in der südwestlichen Ecke des Raumes waren seine Muskeln entspannt und völlig frei. Lediglich dem Blick gestattete er diesmal nicht, sich meditativ im Nichts zu verlieren, denn er würde sich diese Aufgabe nicht erleichtern, indem er mit ihrem Anblick die quälende Erinnerung an ihre Situation ausblendete.
Der Feind verstand es einfach nicht.
Sie warfen ihm vor, unterwürfig und abhängig von ihr zu sein, ohne zu begreifen, welche Hintergründe dies hatte - daß seine Reaktionen nicht anders ausgefallen wären, hätte einer ihrer Brüder die Zelle mit Seiner Präsenz erfüllt, daß er im Gegenteil sein Verhalten in eine demütigere Richtung hätte angepaßt, wie es die Etikette vorsah.
Sie beleidigten sie - nicht ihn selbst - mit ihren Aussagen, sie hätte ihn von sich abhängig gemacht, sein Glaube hinge nur an ihrer Gegenwart. Neuerlich spürte er erst Unzufriedenheit, dann kalten Zorn in sich aufwallen ob dieser unverhohlenen Respektlosigkeit ihren Lektionen gegenüber, doch diesmal leitete er das Gefühl wieder kühl durch seine Adern hindurch, nahm es als neue Kraft in sich auf, ohne der Empfindung an sich nachzugeben.
"Ich war vor Euch auf diesem Weg und ich werde es nach Euch sein," hatte er die Worte gesprochen, deren tatsächliche Tragweite und zugrundeliegende Wahrheit nur sie selbst wirklich erfassen konnte. Er war durch das Leben gestolpert, zumeist blind und führungslos, hatte sich lediglich hilflos über Wasser gehalten und verbissen ums Überleben gekämpft wie in jener letzten Schachpartie mit Hochwürden.
Er hatte sich selbt gehaßt, an sich selbst gezweifelt, sich selbst mehr denn einmal beinahe aufgegeben. Doch niemals, in all der Zeit, hatte er je an seinem Glauben gezweifelt, nicht ein einziges Mal in Frage gestellt, daß dem Valkai Vandria bis in den Tod und darüber hinaus zu folgen der einzige Weg für ihn sein konnte. Für seinen Glauben war vollkommen bedeutungslos, was mit ihr geschah.
Nicht aber für seinen Weg.
Tief atmete er ein, ließ die kühle Luft seine Lungen bis zur Grenze ihrer Kapazitäten füllen, um dann all seine Gedanken bedächtig zwischen den Lippen aus seinem Inneren hinaus zu atmen. Zurück blieben nur die Emotionen, welche er zu sortieren hatte.
Welche waren die seinen, nach all den Jahren der Einengung und Unterdrückung durch seinen Geist nun hervorgebrochen, überwältigend, verzehrend, kraftvoll und doch destruktiv? Welche waren die SEINEN, leitend, führen, ihn mit Stärke füllend und ihm eine Richtung aufzeigend?
Er nahm das tiefe Schuldgefühl, und befreite sich davon. Es war nicht an ihm selbst, über seine Fehltritte zu richten, und seine Gedanken durften nicht durch die quälenden Schmerzen getrübt sein, welche ihn vor wenigen Tagesläufen der Luft zum Atmen beraubt hatten.
Er nahm die nagende Sorge um sie, und befreite sich davon. Es war nicht von Bedeutung, was mit ihr als Person geschah, und es war nicht seine Bestimmung, sie um ihretwegen zu beschützen, sich von den Gedanken an ihr mögliches Schicksal vom Weg ablenken zu lassen, welcher vor ihm lag.
Er nahm die erdrückende Verzweiflung, und befreite sich davon. Es war nicht seine Entscheidung, was zu geschehen hatte und was nicht. Der Weg war vor ihm ausgebreitet, und er würde seinen Eid nicht brechen durch unbedachte Bauchentscheidungen.
Er nahm seine kalte Entschlossenheit, und...
Nein, er konnte sich nicht davon befreien. Ob nun, weil er sich schlicht von seiner Schwäche der Sturheit noch nicht lösen konnte, oder weil es Sein Wille war, das würde sich noch zeigen.
Keineswegs maßte er sich an, dies beurteilen zu können, ihm blieb nur der Glaube daran, daß nichts ohne Grund geschah und er sich weiterhin genau dort befand, wo Er ihn haben wollte. Daß Er seine Handlungen führte, und er genau das tun würde, was er tun mußte.
Doch bis dahin... mußte er erst noch überleben.
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I'll keep my sights on a waking dream I gave my life to the vile beneath I am but one of a dying breed Hope drains this world, but it won't drain me
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