MusikEin weiterer Bote war ausgeschickt worden, dann fiel ihr Blick herum auf ihren Liebsten, wie er erschöpft auf dem Bett lag und ruhig schlief. Behutsam ließ sie sich am Bettrand nieder, strich vorsichtig über eine seiner Wangen, betrachtete einen längeren Moment seine Züge, ehe es mit einem Mal hinter ihrer Stirn unangenehm schmerzhaft zog, als würde sich etwas in ihren Schädel förmlich bohren. Scharf die Luft einziehend, legte Sidra eine Hand an das tätowierte, stilisierte, senkrechte Auge auf ihrer Stirn und verzog das Gesicht, die Augen schließend.
"Ist ja gut, ich gehe ja schon", murmelte sie leise auf Endophalisch, griff sich einen Fellumhang, den sie sich überwarf und nahm ein Stück Treibholz aus einem Beutel am Gürtel.
Nur wenig später fand sie sich auf einem Berg der Insel wieder. Kühle Luft umwehte sie, ließ sie schaudern, aber der unangenehme Schmerz hinter ihrer Stirn verschwand so rasch, wie er gekommen war. Ihr Blick schweifte umher, sich absichernd, ehe sie sich auf einem nahen Felsen niederließ, sich an einen anderen lehnte und den Blick zu den Sternen am Nachthimmel hinauf schweifen ließ. Ein ruhiges, dunkles Grollen erklang in ihrem Geiste, ähnlich einem sehr tiefen, beständigen Schnurren.
"Besser? Dann ist gut. Verzeih, dass ich so lang wartete", erklang ihre Stimme wieder auf Endophalisch, erneut ein wisperndes Selbstgespräch, könnte man meinen.
Sie wurde ruhiger und ihre Gesichtszüge entspannten sich.
Die Geschehnisse der letzten Tage zogen vor ihrem geistigen Auge vorüber.
Ein Gespräch in der Dunkelheit - die Giftphiole - feilschen, eine Summe, die ihren Besitzer wechselte.
Ein bekanntes Gesicht in Brandenstein, Sarana - der Dämon, Tendarion und der bewusstlose Jamar - Angst, die mit kalten Klauen nach ihr griff, ihr altes, deutlich weniger ruhiges Ich fast freizurütteln drohte.
Valkun - Pläne - wieder Sarana - gewetzte Klingen, die nach Blut riefen.
Und Valkun, schon wieder.
Sidra wusste - eines Tages in der Zukunft würde sie über diese Zeit den Kopf schütteln. Über die Sorgen, über das, mit dem sie sich beschäftigte. Vielleicht gäbe es etwas, was sie bedauern oder sogar bereuen würde. Vielleicht würde sie aber auch zufrieden sein mit ihren Entscheidungen.
Für mein Volk. Nur für mein Volk.Ein Gedanke, der beständig in ihrem Geiste nachhallte. Freiheit, Sicherheit und bei Bedarf auch Rache.
Ja, Rache. Wenn sie mit Valkun fertig war, war da immer noch Sarana. Eigentümlich, wie sehr diese Sache sie mit Valkun verband. So sehr, dass sie sich am gestrigen Tage fragte, ob ihre Bemühungen, ihm das Leben in Luth Chalid so unbequem wie möglich zu machen, überhaupt sinnvoll waren.
Den Chaladaim ist nicht zu trauen. Egal, ob sie behaupten, sie würden etwas für die Luth tun. Egal, ob sie ein Kind unter ihrem Herzen tragen. Egal, ob sie einen blauen, silberfarbenen, roten oder schwarzen Umhang tragen. Sie sind Chaladaim und können nicht anders, so wie auch ich nicht anders kann.Ein leichtes Stechen war wieder hinter der Stirn zu spüren, wie eine Mahnung.
"Schon gut."
Tief atmete Sidra die kühle, frische Bergluft ein, ließ den Blick schweifen, nahm den schroffen Anblick der Umgebung in sich auf, fühlte den Felsen, lauschte ihrem Herzschlag und schob alles, was sie beschäftigte, doch in keinem Zusammenhang mit der Schönheit der Bergwelt stand, für eine Weile fort von ihr. Dieser Moment gehörte nur ihnen beiden.