Der Dvärg behandelte sie wie die anderen seines Volkes gut und anständig, auch wenn sie alle etwas eigenbrötlerisch schienen und so eigenartige Laute in ihrer noch eigenartigeren Sprache verwendeten, dass einem ganz schwindelig im Kopf werden konnte. Umgehend nachdem sie sich mit dem Bartträger getroffen hatte um ihre zusätzlichen Vorräte loszuwerden, kehrte sie für ein letztes Mal zu dem Haus am See zurück.
Es war nicht schweren Herzens, als sie ihre alte Bleibe verließ und ihr weniges Hab und Gut zusammenpackte. Das Haus am See südlich der Steinstadt mit den dunkelhäutigen, wortkargen Wachen war zwar bequem und trocken, jedoch sprachen die unverschlossenen Türen eine Einladung für jede Person aus, welche unverhofft über diesen Ort stolpern würde. Ein Glück, dass sie einen neuen Ort gefunden hatte, an dem sie sich nun zurückziehen konnte - wobei "gefunden" nicht ganz der Wahrheit entsprach. Jemand hatte ihr dieses neue Heim gezeigt und vorrübergehend zur Verfügung gestellt.
Der alte Kerl überraschte sie vor einigen Tagesläufen bei der Jagd. Im Windschatten eines Baumes, jederzeit bereit die Flucht zu ergreifen oder einen möglichen Angriff abzuwehren, wechselten sie erst einige Worte miteinander. Im Fackelschein ihres Gegenübers musterte sie aufmerksam sein Gesicht, ehe ihr Blick über seine Gewandung und das galadonische Langschwert an seinem Gürtel glitt. Wieviele ihrer Brüder und Schwestern hatte der betagte Streiter wohl damit erschlagen? Als er erwähnt hatte, an der "Befriedung" ihres Heimatlandes teilgenommen zu haben, bestätigte dies zwar ihr Misstrauen, schürte jedoch keinen Zorn in ihrem Inneren. Kein Verlangen, einen Pfeil durch seine Kehle zu jagen oder bei dem Versuch zu sterben. Anfangs war ihr nicht ganz klar weshalb, im Laufe ihres Gesprächs verstand sie allerdings. Als ihr der alte Veteran einen ihrer verschossenen Pfeile darbot, mit einem Stück Schinken darauf aufgespießt, erkannte sie, dass dieser Mann eine durchtriebene, bewegende Vergangenheit hinter sich haben musste - und nun eine andere Person war als damals, als er Befehlen anderer folgen musste und Schlachten schlug, welche nicht zwingend seine persönlichen gewesen waren. Seiner Ausstrahlung hing stets ein Schleier von Melancholie nach, und Aervild vermutete, dass die Geister der Vergangenheit den rüstigen Kämpfer von Zeit zu Zeit heimsuchten, um ihn mit seinen Taten, Erlegbnissen und Ängsten zu konfrontieren. Doch selbst mit jener, ihr unbekannten Last auf seinen Schultern und allen Widrigkeiten zum Trotze, bestritt er sein Leben nach wie vor unbeirrt. Und das imponierte ihr.
Als Rodrik ihr davon erzählte, alleine einen Feldzug gegen die Piraten zu führen, war sie beeindruckt, fühlte sie wohl, dass er die Wahrheit sprach. Doch als er sie zu seiner Einsiedelei führte, und die Khalandrierin Zeugin dessen wurde, wie der ergraute Soldat eine Harpyie nach der anderen erschlug, wähnte sie sich den leibhaftigen Harjazan persönlich vor ihren eigenen Augen zu haben. Neben seiner Einsiedelei machte er sie auch mit einigen guten Jagdplätzen und einer Hütte in einem der dichteren Wäldchen der Insel bekannt. Letztere stellte er ihr auch bereitwillig für den nahenden Frost zur Verfügung. Anfangs wusste sie nicht recht, wie sie mit dieser Selbstlosigkeit umgehen sollte, denn Dankbarkeit und Demut waren nich unbedingt Eigenschaften, die jeder Khalandrier von Haus aus im Blute trug. Schließlich traf sie jedoch eine Entscheidung, mit der sie leben konnte: Rodrik war würdig genug, dass Aervild ihm gegenüber Wertschätzung und Dankbarkeit zeigen konnte. Immerhin hatte er damals das Wüten der Berserker und Thursen ihres Volkes überlebt. Wenn allein dieser Umstand nicht Respekt verdient hatte, was dann?