Teil II
"Nicht einmal meines Vaters Schwert"
... Etwa zeitgleich in dem Gesindehaus eines morthumer Gutshofes...
" Beruhigt euch, junger Herr!" flehte der treue grauhaarige Knecht den jungen Blonden Mann an, "Beruhigt euch! Er ist doch euer Bruder..."
" Mein Bruder? Mein Bruder!" schnaubte der hochgewachsene junge Mann verächtlich, " Was ist das für ein Bruder, der sein eigenes Blut so behandelt? Ich arbeite nicht nur wie ein Knecht, ich speise und schlafe auch bei den Knechten! Was bin ich für ihn?! Wohl kein Bruder!"
" Es ist sicher nicht von Dauer, junger Herr Siegfried." raunte der Knecht beruhigend, während er versuchte ihm beruhigend die Hand auf die vor Wut bebenden Schultern zu legen.
" Es geht schon seit Jahren so! Seit Mutter gestorben ist. Er erbte unseres Vaters Hab und Gut, doch was erbte ich? Nur seinen Namen und die Verachtung meines Bruders! Ich habe ihm nichts getan, Rüdiger! Nichts! Warum tut er mir das an?" wuchtig schlug der junge Mann seine kräftige Faust gegen die einfache Lehmwand.
" Junger Herr, ihr habt vielmehr geerbt als nur eures Vaters Namen... In Euch steckt seine Tatkraft, sein Mut, seine Größe... Das ist, was euch euer Bruder neidet. Wenn wir Knechte euch sehen, sehen wir euren Vater. Einige von uns wollten euren Bruder schon vom Hof jagen, damit ihr euer Erbe erhaltet." die Stimme des Knechts nahm bei der Erwähnung des Vaters wehleidige Züge an, " Wäre er nicht in Khalandra gefallen, er hätte das sicher nicht zugelassen. Er liebte euch."
" ... Und doch hat Gunnar alles geerbt. Er gibt mir nicht einmal Vaters Schwert. Nichteinmal genug Dukaten um mir eine einfache Rüste zu kaufen, damit ich mich für den Kriegsdienst anbieten könnte. Onkel Iswald hat mich ausgebildet, er wäre mich los! Er will mich entweder in Armut sterben oder hier versauern sehen.." wütend schüttelte er das Haupt mit der blonden Mähne, " Nicht einmal meines Vaters Schwert! Es steht mir zu! Er hätte es so gewollt! Und seiner Frau?! Dieser fetten Vettel! Ihr kauft er Juwelen!"
" Mein Herr... Wir Knechte würden euch geben, was wir könnten.. Eurem lieben Vater zu Ehren, doch ihr kennt unser Elend ja zu gut. Sagt es, dann werden wir euren Bruder vom Hofe jagen. Ihn erschlagen! Ihn aufknüpfen, wenn ihr es nur sagt!" untertänigst flehend umpackte der Knecht die Hand des jungen Herrn.
" Und dann...? Dann wäre ich ein Brudermörder und euch würden sie hinrichten lassen, oder schlimmer: in die Minen schicken. Vor Bellum wären wir entehrt. Das wäre nicht das, was mein Vater wollen würde. Wenn Onkel Iswald erst einmal wieder aus cortanischer Gefangenschaft frei kommt, dann wird er mich holen... Dann werde ich endlich für den König kämpfen.." schwermütig wendete sich der Blick des jungen Mannes aus dem Fenster; "Wie Lothar von Steinacker, mein Vater..."
Mit einem Ruck riss sich der junge Blondschopf von der Fensterbank los, drückte sich an dem breitschultrigen Knecht vorbei und eilte aus dem einstöckigen Gesindehaus. Er eilte über den schlammigen Weg zum Herrenhaus herüber, vorbei an den unbestellten Feldern, dem in der Kälte dampfenden Misthaufen und den blöckenden Tieren auf dem Feld. Vor dem Haus waren einige pockennarbige Knechte damit beschäftigt schwere Holzstämme von dem Ochsenkarren zu laden, welcher im tiefen Schlamm stecken geblieben war. Typisches Tauwetter in Morthum - Nass und schlammig. Die Knechte blickten auf, setzten an ihren Herrn zu grüßen, doch der eilte bereits weiter. Mit schlammigen Stiefeln trat er zur Eingangstür zu, zielstrebig auf die dort stehende Person zueilend. Der Mann der dort stand, etwas untersetzt und mit Bauchansatz, mit lockigem Haar und speckigem Mondgesicht, blickte auf und hob sofort abwehrend die Hand an.
"Nein Nein! Du hast hier nichts zu suchen! Du gehörst hier gar nicht her! Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?" schnautze der dickliche Mann und winkte Siegfried sogleich weg, "Geh Weg, Siegfried!"
"Gib mir Vaters Schwert und genug Dukaten von Vaters Erbe, dass ich mir wenigstens eine Rüste kaufen kann. Dann siehst du mich nie wieder, Bruder." erwiederte Siegfried mit fordernder Stimme.
" Weder das Schwert, noch auch nur eine müde Dukate werde ich dir geben! Undankbarer Hund! Denkst du, dass du auch nur eine Dukate verdienst?! Ich habe mich um den Hof gekümmert. Als Vater seines dummen Traumes wegen uns im Stich ließ, habe ich mich um Alles gekümmert. Und als du dich von Onkel Iswald hast ausbilden lassen, habe ich die Ernte eingefahren. Also sag mir, warum sollte dir auch nur mehr als eine Dukate gehören?!" schnaubte Gunnar und stemmte die Hände in die Seiten, " Du bist ein Träumer. Sei froh, dass ich dich von Rechtswegen her nicht vom Hof jagen kann. Aber wenn du gehen willst, dann geh doch!"
" Du hast dich gekümmert? Rüdiger hat sich um den Hof gekümmert! Die Knechte bestellen das Feld, nicht du! Wer verkauft das Korn nach der Ernte? Das ist ebenso der treue Rüdiger. Also wag es nicht zu behaupten, dass du irgendetwas leisten würdest! Und Vater habe sich nicht gekümmert? Er zog los, damit das Reich geeint und wir in Frieden sind! Vater kämpfte auch für dich! Du solltest dich schämen!", wütend ballten sich Siegfrieds Hände zu Fäusten.
" Und was hat es ihm gebracht? Ein Barbar hat ihm den Schädel zertrümmert. Was hat es Onkel Iswald gebracht? Er sitzt in einer muffigen cortanischen Zelle, wenn er überhaupt noch lebt. Und du? Du hast deine Zeit vergeudet, dich am Hofe irgendwelcher Taugenichtse mit anderen Taugenichtsen zu prügeln. Hättest du lieber etwas anständiges gelernt! Dann wärst du auch besser zu gebrauchen und müsstest nicht mir auf der Tasche liegen!" Gunnar schnaubte verächtlich, das Doppelkinn bebte vor Zorn. " Knechte! Knechte schafft meinen Bruder fort! Er ist mal wieder von Sinnen!"
"Von Sinnen?!" der stattliche Jüngling hob wütend die Faust, " Du bist von Sinnen, wenn du glaubst, dass die Viere dir deine Taten ungestraft durchgehen ließen!"
Da lachte Gunnar grunzend auf und winkte die Knechte heran, welche widerwillig folgend die strammen Arme des jüngeren Bruders umpackten und ihn den schlammigen Pfad zurück zum Gesindehaus zogen.
_________________ „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ – David Ben-Gurion
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