…Sein Blick ruhte auf der Vermummten Gestalt und mit jedem Schritt den diese auf die Tür zuging, wurde das Bild vor seinen Augen schwammiger bis nur noch die blasse Silhouette für ihn auszumachen war. Mit einer flinken Bewegung schob die Person den Vorhang zur Seite und öffnete die Tür um sich nach draußen, in Felas Licht zu begeben und in Unschuld zu Baden. Der dunkle Vorhang fiel wieder zurück und unterbrach in seiner behäbigen Bewegung den matten Blick des alten Mannes.
Eine kühle Brise zwängte sich noch mit letzter Kraft vorbei, ehe der schwere Stoff die Grenzen zwischen der Stille des Ladens und dem regen Treiben der Stadt klar und deutlicher denn je definierte. Sie wirbelte verspielt durch den Vorraum, schnellte auf den alten Mann zu und zerbrach an seinem Gehstock, an dem sich die knochigen Hände mutig klammerten, als wäre es die Klippe zwischen dieser und Morsans Sphäre. Er verharrte noch eine ganze Weile in der Mitte des Raumes, seines Ladens in dem er sich eigentlich sicher und geborgen fühlen sollte, doch einmal mehr lernte er wie kurzweilig ein jeder Moment sein mag und wie schnell sich das Blatt zu wenden scheint.
Vielleicht merkte er es nicht einmal das sich seine rechte Hand vom hölzernen Griff löste und plötzlich an der Stelle seiner linken Brust ruhte um den schnellen aber schwachen Herzschlag aufzunehmen. Doch war es vielleicht ebendieser ungewöhnliche Rhythmus der ihn bei Sinnen hielt um nicht auf der Stelle zu zerbrechen.
Zögernd drehte er seinen Kopf zum hinteren Bereich seines Ladens und seine braunen Augen folgten beinahe widerwillig einen Wimpernschlag später. Er humpelte träge und still auf den Wasserbottich zu in dessen hölzernem Bauch das Abschiedsgeschenk seines letzten Besuchers steckte. Er begann den Bolzen zu entfernen, das Loch mit Wachs und Knorrholz zu flicken und auch das ausgelaufene Wasser am Boden aufwischen und so verging ein gar nicht enden wollender Moment. Eine farb- und lautlose Szenerie in der nur er allein vorkam, als hätte Timanor selbst eine seiner mächtigen Schwinge über ihn gelegt und ein Vakuum erschaffen, in dem die Zeit selbst an Bedeutung verlor. Ein Raum in dem er sich, gedankenverloren wie er schien, nicht einmal selbst jammern oder wimmern hörte als er schmerzhaft auf seinen alten kaputten Knien hockend und mit aufgeweichten Händen die nassen Tücher in den Eimer legte.
Zitat:
„...ich gebe dir nun eine Chance.. ich lass dir 'ne Woche Zeit, dann komm ich wieder...“
Noch immer im grauen Sog seiner Gedanken gefangen, stand er auf und begab sich zur Tür.
Zitat:
„...wenn du mir dann nicht **** bieten kannst...“
Die schwere Tür schnappte in das Schloss ein und mit einer leichten Bewegung seiner Hand drehte er den Schlüssel.
Zitat:
„...dann sorg' ich dafür das du hier wen brauchst der deinen Laden übernimmt...“
Er stand in der Mitte seines Ladens und formte beide Handflächen so, als würde er sich vorstellen das er etwas fangen müsste.
Zitat:
„...da is' alles drin was du brauchst...“
Erfolglos blickte er auf seine leeren Hände, legte sie auf den gläsernen Deckel seiner Vitrine und starrte auf sein erbärmliches Spiegelbild das sich ihm dort zur Schau stellte. Die klanglosen Worte seines aufdringlichen Kunden schienen um seinen Kopf zu kreisen wie Aasgeier am Himmel, die ihre verrottete Beute ausgemacht haben und nur darauf warteten sich endlich an ihr zu laben, ungeachtet dessen wie widerwärtig es auch sein mag. Doch so klanglos wie die Worte waren, so laut und weit schien ihr bedrohliches Echo zu hallen.
Es vergingen Minuten die er in seinem Gedankenhaus verbrachte haben musste bis der trostlose Blick des alten Mannes stückchenweise, erst kaum erkennbar, doch nach und nach mehr einem Ausdruck des Trotzes weichen musste. Als würde eine Fassade erst bröckeln, dann reißen und schließlich brechen, um den Blick auf das was dahinter zu warten scheint, freizugeben. Seine Pupillen weiteten sich und verdrängten das Braun seiner Augen um ein gutes Maß. Sie fixierten sich auf die mystische Pflanze die bislang vom Spiegel gleichen Abbild seines Ichs verdeckt war doch nun sah er es, klar und deutlich wie nur Astrael es konnte.
Sein beängstigend schwächlicher Gang führte ihn in seinen Keller und erst vor seinem Nachttisch hielt er wankend an. Geschlossen und somit einladend wie auch verlockend, ruhte dort ein altes und stark mitgenommenes Buch. Dem äußeren abgenutzten Ledereinband und den vielen bereits vergilbten Seiten nach musste es unzählige Götterläufe überstanden haben und mindestens so alt sein wie der Besitzer selbst.
Der Ärmel der dunklen Robe bewegte sich, erhob sich, unter Führung der knochigen Hand ihres Trägers. Die blassen Finger regten sich, streckten sich aus wie verkümmerte Fühler, bemüht das matte Leder des Buches zu ertasten, doch hielten sie Inne in ihrem Tun. Der Alte in seiner gebückten Haltung kräuselte seine trockenen Lippen und nur seine Augen wirkten feucht, viel zu feucht in einem Gesicht das ein beispielloses Bildnis für Verachtung darbot, wie nur selten es in von diesem Menschen erwartet werden konnte. Seine Fingerspitzen zuckten, er zögerte und doch wollte er es. Die fahle, papierdünne Haut an seinen Gelenken zuckte abermals, doch dieses mal bewegten sich die Knochen unter ihr sichtbar. Wie die Tentakeln eines Kraken griffen sie nach dem Buch, umschlungen den trockenen Einband und zerrten diesen in die tiefen Abgründe seiner Umarmung. Mit geröteten Augen las er den stark verblassten Titel und hielt es fest, so fest wie schon lange nicht mehr:
Gifte und ihre Wirkung – von Siegfried Reinbach