“Heute sind wir Maat und Steuermann, Kaptein und Admiral.
Doch ein jeder legt noch heimlich an
in dem Hafen »Es war einmal«,
Wirft die Anker aus dort im Kinderland,
Träumt wie damals sich wieder klein,
Gäb' gerne Heuer, Rang und Stand
Wieder ein Kind zu sein."
Es war niedere Arbeit. Er kniete vornüber gebeugt auf dem Welldeck, in den Händen eine Wurzelbürste. Das selbe Schicksal teilten zwei weitere Matrosen zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Der Bootsmann hingegen stand vor ihnen und schüttete im Wechsel einen Schwall seifigen Wassers, dann eine Handvoll Sand auf die Planken. Die Arbeit war hart, die Finger bald klamm und kalt. Aber zumindest konnte er mit seinem Nebenmann einige Worte wechseln: „Hab’ schon auf Kriegsschiffen gedient, auf denen’s gesitteter zuging.“ – „Mhm“, erwiderte Bernd, dem es maßgeblich sowohl an einem Bart, als auch an Silben mangelte.
Zur Mittagszeit saß man wieder beieinander. Gerade hatte er eine ausgefranste Leine mit seinem Messer gestutzt und mit der stumpfen Seite von Teer und gröberen Verschmutzungen befreit. Nun nahm er den Marlspieker zur Hand, einen eisernen Dorn, mit dem er die einzelnen Seilstränge, die Kardeelen, auseinandertrennen konnte. „Bernd?“ „Mhm.“ „Ich frag’ mich, wie weit’s nun noch nach Venturia sein wird. Wie nah, meinst’e, rückte die Insel denn an Falandrien ran?“ „Schon’n Stück“, war die lapidare Antwort. In stiller Arbeit machte man sich daran die Kardeelen zweier Leinen zu verbinden, also zu spleißen. Kaum war man damit fertig, ging das fertige Tauwerk durch die prüfenden Hände von Hynjolf, dem Bootsmann.
Wie im Flug neigte sich der erste Tag auf hoher See bereits dem Ende zu. Während Fela sich müde dem Horizont zuneigte, warfen die zwei Masten des Schiffs immer länger werdende Schatten. Aus dem Niedergang drang der warme Schein der Laternen, und mit ihm der lockende Duft einer Mahlzeit. Die Glocke signalisierte den Wachwechsel, und erlöste sie endlich von ihren Posten. Und wie sie herabströmten, den Möwen gleich schnurstracks hin zum Futter. Zum Abendbrot gab es eine Schüssel mit Haferkleie, verfeinert mit Salz und einigen zerkochten Stücken Fisch. Man saß auf dem Boden des Zwischendecks, unter den hochgespannten Hängematten, und unterhielt sich in kleinen Grüppchen (nach Wache und Stellung an Bord getrennt). „Gut’n, Bernd. Einen Tag näher dran an uns’rem Ziel, und der nächsten Heuer. Hast du irgen’was vor, wenn wir Venturia erreicht haben?“ „Zurückfahren“.
Während sie speisten, nahm er sich einen Moment, um seinen Kumpanen zu betrachten. Vom bärtigen, buschig überwucherten Gesicht, über die zerschlissene Kluft bis hinab zu den löchrigen Stiefeln. Gegerbte, gebräunte Haut, flächig von maritimen Tätowierungen variierender Kunstfertigkeit bedeckt. Da saß jemand, der sich Zeit seines Lebens nie zu schade war, stets genau die selbe Strecke zu befahren. Vom Fährhafen Venturias nach Siebenwind, und wieder zurück. Und stets die selbe Fracht, obendrein! Junge Frauen und Männer kühnen Gemüts, die mit Frische und Eifer ein neues Leben auf der Insel des Schicksals suchten. Auf dem Rückweg waren es zumeist desillusionierte, ermüdete Gestalten, die mit eingekniffenem Schwanz zurück in ihre Heimat flohen. Für sie alle hatte es mit der Überfahrt begonnen, ermöglicht durch die einfachen Fährschiffer.
"Nimm mich mit, Kapitän, aus der Ferne,
bis nach Venturia, da steige ich aus.
In der Heimat, da glüh'n meine Sterne,
in der Heimat bei Muttern zu Haus,
in der Heimat, da glüh'n uns're Sterne,
nimm mich mit, Kapitän, nach Haus."
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..."
Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον