*glup*
Mit einer seitwärts drehenden Handbewegung wendete er die Flasche in seiner Rechten bis das frische Quellwasser aus ihr von einem Leinentuch in seiner linken aufgefangen wurde. Nur ein Schluck, ein bisschen, nicht zu viel, schien seiner Ansicht nach die richtige Menge zu sein. Es plätscherte als er die Flasche wieder in ihre aufrechte Position drehte und sie auf dem Fensterbrett vor sich abstellte. Eine gewisse Ernsthaftigkeit hätte man in seinem falten durchzogenen Gesicht erkennen können, aber draußen vor dem Schaufenster seines Ladens schien um diese Zeit des Tages keine Seele vorbeizugehen. Behutsam wischte er mit dem befeuchteten Tuch über die Blätter seiner Pflanzen, befreite sie von Staub und sorgte dafür das es ihnen an nichts fehlen würde. Penibel wirkten seine Entscheidungen mit der kleinen Schere als er unliebsame Entwicklungen an den Trieben korrigierte und das Wachstum der Kräuter so seinem Empfinden nach formte.
*Knips*
Ein kleiner Zweig, an dem sich der Ansatz einer Knospe befand, löste sich unter dem Einfluss des Werkzeuges. Wie abgestorben fiel er, prallte auf dem Rand des Blumentopfes um von dort nur noch weiter in die Tiefen zu stürzen. Regungslos lag er nun neben der Flasche mit dem Quellwasser auf der Fensterbank. Die Knospe starrte auf den Schänder mit der Schere, so wirkte es beinahe Vorwurfsvoll als der Alte Mann sie schweigend und Nachdenklich ansah.
*klack*
Er legte die Schere nieder und atmete hörbar ruhig aus. Welch unbedeutender Akt, dachte er sich, doch hatte diese schier belanglose Entscheidung doch Konsequenzen. Was wenn dieser eine kleine Zweig nicht das Gesamtbild zerstört hätte? Was wenn er sogar wunderschön erblüht wäre? Hatte er zu vorschnell gehandelt? War sein Urteil einfach nur ...falsch? Sein Kopf hob sich und er schaute durch das Schaufenster auf die Straßen. Eine Frau mit beinahe gänzlich grauem, weit über die Schulter reichendem Haar kreuzte seinen Blick. An ihrem Arm hängend ein Korb, den sie wohl nach Hause trug. Ein letztes Schnäppchen vom Markt der bereits vor einem halben Zyklus sein Ende gefunden haben sollte. Der Alte blickte ihr nach, bis sie gänzlich seinem Sichtfeld entweichen konnte. Er senkte seine Augen und richtete sie auf den zuvor abgeschnittenen Zweig, der noch immer vorwurfsvoll zu starren schien. Ruhig nahm er ihn in die Hand und hielt ihn vor sich in das Licht, drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und brachte so die zierliche Knospe daran zum tanzen.
„..Alena..“
Leise und beinahe entschuldigend brachte er den Namen aus seiner Kehle hervor. Wieder atmete er hörbar aus, weniger ruhig doch vielleicht mit einer Spur von Seufzen untermalt. „Eine Entscheidung kann man nicht Rückgängig machen und die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. So sind wir wer wir sind...“ Er hatte Gründe, oder waren es Vorurteile? Berechtigt waren sie ...oder etwa nicht? Nachdenklich, beinahe hypnotisch betrachtete er die zwirbelnden Bewegungen die seine Finger verursachten, drehte weiterhin die Knospe vor sich im Licht bis er sich unterbrach. Er schaute einmal wieder nach draußen und erneut kreuzte eine Person seinen Blick. Es war die gleiche Frau wie zuvor, die nun aus der anderen Richtung kam und anstatt zu gehen, eiligen Schrittes, beinahe am laufen war. Vielleicht hatte sie noch etwas vergessen, vielleicht erhoffte sie sich noch etwas am Markt zu bekommen der doch eigentlich schon unlängst geschlossen und abgebaut war. Falsche Hoffnung oder Vertrauen darauf das sie ein weiteres mal den Händler zu fassen bekam? Er drehte den kleinen Zweig abermals zwischen seinen Fingerspitzen dieses mal jedoch deutete sich ein Lächeln irgendwo zwischen seinen Falten durchzogenen Mundwinkeln an.
„Was sind wir Menschen für seltsame Geschöpfe.. stets ringen wir mit den Geistern unserer Vergangenheit.“
Ja, er hatte zu früh geurteilt, das war ihm durchaus klar. Aber er hatte sich dafür rechtfertigen können, oder etwa nicht? Hatte er ihr nicht gesagt das es ihm leid tat? Und dennoch wurde er Opfer eines Betrugs, was ihm viel gekostet hat, vielleicht sogar mehr als nur Münzen und Gold. Hatte sie ihn Verraten und ausgetrickst oder war da ein Fünkchen Wahrheit in ihrem Tun? War er nur die Marionette dieser scheinbar doch interessanten Frau? Mit dem Zweig in der Hand drehte er sich zu seinem Labor auf dem die Phiole lag die sie ihm gab und ging mit den schwermütigen Schritten des Alters darauf zu. Gefüllt mit dem „Harz vom Baum des Lebens“, so waren ihre Worte und auch wenn er ihre Glaubwürdigkeit immer noch in Frage stellte so wollte er dennoch glauben das es kein weiterer Schwindel war. Schweigend betrachtete er die Phiole die still schlummernd vor ihm lag und nach einer Zeit legte er den kleinen Zweig, mit der zierlichen Knospe daran, daneben. Selbst wenn, dachte er, selbst wenn es ein weiterer Betrug war, so hätte Alena doch eine weitere Chance verdient.
Zweifel oder doch Sehnsucht, was immer es war, es schien ihn zu beschäftigen. Doch all dieses Gedankenspiel zerrte an seiner Kraft, etwas Ruhe würde ihm gut tun und mit müden Schritten begab er sich zum Treppenaufgang. Hinter ihm, für ihn nicht zu erkennen, ging ein weiteres mal die bekannte Frau am Fenster entlang. Mit einem zufriedenem Ausdruck im Gesicht, als hätte sie bekommen weswegen sie noch einmal zurückgeeilt ist.
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Die Mandragora – Tränke und Tinkturen