...Er hatte schon lange nicht mehr so viel Kundschaft wie an diesem Abend und es warteten noch drei oder vier weitere auf ihn, so wie er es von seiner Seite des Tresens erblicken konnte. Eine Mischung aus vielen bekannten aber auch neuen Gesichtern die seine Dienste in Anspruch nehmen wollten. Für genau solche Momente hatte er einen Lehrling eingestellt dachte er sich als er die Dukaten abzählte. Doch es war genauso typisch für seinen Schützling, sich nicht an so dicht besuchten Tagen im Geschäft zu zeigen, zum Leidwesen seines Meister.
Noch bevor sich das rege Treiben in seinem Verkaufsraum dem Ende näherte, vernahm Sieg aus den Winkeln seiner schwachen Augen eine ihm inzwischen nicht unbekannte Silhouette, die im hinteren Teil des Eingangsbereiches, an einem der Regale stand. Ohne das sie sich umdrehen musste erkannte der Alchemist sie, es war Alena, die Seherin der Gauklertruppe. Wahrscheinlich war es ihr auffallend hellgraues Haar welches sie verraten hattte, denn mit seiner eingeschränkten Sicht hätte er andernfalls Mühe gehabt sie zu erkennen.
Geduldig und irgendwie versucht unauffällig schien sie auf ihn zu warten. Erst als der letzte Kunde den Laden verlassen hatte wandte sie sich dem Alchemisten scheinbar ein erstes mal zu. Ein eigenartiges und beinahe beklemmendes Gefühl lag in der Luft. Wie konnte es auch anders sein nach dem abrupten Wandel des Gesprächsverlaufes am gestrigen Abend.
Sie, Alena, die sich ebenfalls der Kräuterkunde und Tränkemischerei verschrieben hatte und so quasi eine ihm Gleichgesinnte auf dem Wissensweg der niederen Alchemie war. Es bedrückte ihn was er am Vorabend erfahren hatte und ohne weiter auf das Thema eingegangen zu sein hatte er bereits die Geschichten in seinem Kopf weitergesponnen. Alena stand unter Verdacht Hexerei auszuüben. Sie selber hatte es nie direkt gesagt, doch gestand sie ein das sie Verbindungen pflegte zu einer Kräuterhexe die ihr das Wissen über so manche Tinktur beigebracht hatte.
Hexerei, dieses ketzerische anbeten von falschen Göttern. Grund für viele schlaflose Nächte die er in seiner Vergangenheit erdulden musste. Nie kam etwas gutes dabei raus wenn Hexerei im Spiel war. Und dennoch stand sie da, vor ihm und inmitten seines Ladens. Es musste ihr viel abverlangt haben das sie ihn erneut aufsuchte, sagte er sich selbst in einem inneren Monolog während er in ihre Richtung blickte. Andere hätten das Weite gesucht oder schlimmer noch sie hätten ihn verfluchen können. Doch nichts von alledem ist eingetreten. Hier stand sie nun, mutig und entschlossen, doch mit einem Deut von Demut in ihrer Stimme als sie ihn grüßte. Auch an ihr ging der Ausgang des Gesprächs nicht spurlos vorbei. Sie hatte Sieg für aufgeschlossen gehalten, so sagte sie. Vertraute ihm ihr Geheimnis an, einem Menschen den sie nie zuvor gesehen hatte. Sollte er sich geschmeichelt fühlen? War es das was er empfinden sollte? Was wenn es nur ein Trick war sein Vertrauen zu gewinnen? Er fand keine Antwort auf seine Fragen, wusste selber nicht mehr was er glauben oder fühlen sollte. Einmal mehr befand er sich in einer Zwickmühle, eingeklemmt zwischen falsch platziertem Vertrauen und ignorantem Misstrauen, wissend das egal für welche Seite er sich entscheiden würde, den bitteren Preis zahlen müsste.
Als Alena ihm den Vertrag vorlegte und Siegs matte Augen darauf fielen, schien für einen kurzen Moment eine gewisse Klarheit in ihm zu übernehmen. Richtig, der Vertrag, das Lindwurm-Ei, er wusste wieder worum es ihm gehen sollte und worauf es jetzt ankam. Er musste alles andere fallen lassen, ignorieren um sich auf das wesentliche zu konzentrieren, danach wäre immer noch Zeit sich um andere Dinge zu kümmern, ja er würde viel mehr Zeit haben. Und so nahm er den Vertrag vom Tresen.
Es gab nun kein Zurück mehr nur noch ein Voran.
...noch 2 Tage...
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Die Mandragora – Tränke und Tinkturen