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 Betreff des Beitrags: Vorsichtige Schritte auf den Stufen
BeitragVerfasst: 8.06.19, 17:18 
Festlandbewohner
Festlandbewohner
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Registriert: 2.06.19, 12:19
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Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Hermann Hesse


Es war noch ein wenig kühl am Morgen und ihre Kleider fühlten sich nach der Nacht im Stroh ein wenig klamm an, doch das würden die Sonne und die Arbeit bald vergessen machen – dessen war sie sich sicher. Ihre ersten Schritte des Tages führten sie wie jeden Morgen zum Brunnen, wo sie die verirrten Strohhalme aus ihrem Haar und von ihren Kleidern klaubte und sich wusch. Um diese Zeit war es tatsächlich noch sehr ruhig in der Stadt – dabei begann gerade bereits der dritte Zyklus.

Früher hatten zu dieser Zeit der Tages schon die Feuer im Haus ihres Vaters entzündet, der erste Kessel mit Wasser aufgesetzt und das Frühstück bereitet sein müssen. Damals hatte sie nie genug Zeit gehabt um sich zurecht zu machen und den Schlaf wirklich abzuschütteln ehe die Arbeit losging. Zu dieser Zeit lag die ganze Verantwortung des Haushaltes auf ihren Schultern – und so war es gewesen, so lange sie sich bewusst erinnern konnte.
Sie wusste, früher war es anders... früher, als ihre Mutter noch gelebt hatte und sich um sie und ihren Bruder Tjalf gekümmert hatte. Aber Jula konnte sich im Grunde gar nicht mehr daran erinnern – nur zwei oder drei vage Bilder und ein Geruch. Sie war kaum 4 Jahre alt gewesen, als ihre Mutter starb. Vater hatte nie darüber geredet und sie wusste bis heute nicht, was der Grund für den frühen Tod ihrer Mutter gewesen war.
Danach waren immer wieder andere Frauen im Haus gewesen – Frauen, die darauf hofften eine gute Partie mit ihrem Vater zu machen. Manche von ihnen kümmerten sich auch liebevoll um die beiden Kinder, doch die meisten nur aus Kalkül... zumindest kam es ihr heute im Rückblick so vor. Keine der Frauen blieb lange. Heute wusste ohne ahnte sie zumindest wieso. Und als Jula schließlich alt genug war, hatte sie all die Aufgaben übernommen,

Sie besah sich ihr Spiegelbild im ruhigen Wasser des Brunnens. Ihre Haut wirkte blass, wie beinahe immer, und ihr Haar hatte sich bereits wieder aus dem Zopf gelöst. Sie seufzte leise und löste die langen Flechten, so dass ihr Haar in Wellen über ihren Rücken herabfiel. Das Band, mit welchem sie sie normalerweise zusammenhielt, war schon ein wenig fadenscheinig, aber es würde erstmal noch reichen.
Sie ließ den Blick über den Marktplatz wandern, während sie ihr langes Haar wieder bändigte, und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie an diesem Ort bleiben würde. Seit ein paar Monden war ihr Leben unstet und noch hatte sie nicht das Gefühl irgendwo wirklich angekommen zu sein.

Wie viel war der Ruf eines Menschen wert? Und wie sehr schadet ein beschädigter Ruf – ob berechtigt oder nicht – auch den Menschen in dessen Umgebung? Sie hatte es auf schmerzhafte Weise selbst erfahren müssen. Wie viele Jahre hatte sie ihren Vater angefleht ins Geschäft einsteigen zu dürfen. Sie wollte nicht nur im Haus leben und kaum einen Menschen sehen. Sie wollte im Verkauf arbeiten, wollte sich um die Waren oder zumindest um die Buchhaltung kümmern. Sie liebte Bücher, sie schrieb gern und ihre Schrift war bei weitem sauberer als die ihres Vaters oder ihres Bruders. Aber ihr Vater hatte sie stets brüsk zurückgewiesen. Tjalf sollte das Geschäft irgendwann übernehmen – nicht sie. Ja, heute wusste sie wieso.

Nachdem sie sich durch einen Blick ins Wasser versichert hatte, dass sie herzeigbar war, trat sie ihren Weg zum Tempel an. Sie war froh im Moment an einem Ort zu leben, der ihr die Möglichkeit gab den Tag mit einem Besuch im Tempel zu beginnen um sich zu sammeln und vor allem um der Viere zu gedenken. Es half ihr Ordnung in ihren Kopf zu bringen – und das war nötig. So bitternötig.
Sie sank vor dem Altar auf die Knie herab und senkte das Haupt zum stillen Gebet. Lange Momente, in denen sie langsam zur Ruhe kam und sich auf die vor ihr liegenden Aufgaben besann. Eigentlich war keine Zeit um sich mit wehmütigen Gedanken an ihr Elternhaus zu erinnern. Sie hatte sich vorgenommen heute Morgen das Hospital einer Grundreinigung zu unterziehen – zumindest die frei zugänglichen Räume. Im Stillen legte sie sich schon einen Plan zurecht, wie sie vorgehen würde. Es würde einige Stunden dauern, aber es würde sie beschäftigt halten. Sie konnte nicht jeden Tag nur in der Bibliothek sitzen und schmökern – sie musste etwas tun – und diese Aufgabe war genau das Richtige. In einem Hospital konnte es nie sauber genug sein und danach würde sie auch wissen wo alles stand und was alles vorhanden war.

So begann ihr Tag und während sie noch Pläne für den Hausputz machte, stahl sich ein Lächeln auf ihre Züge – heute Abend würde sie sich für die Arbeit belohnen, indem sie zum Unterricht ging. Dann hatte sie es sich verdient.


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