Pilgerreise - Rückblende, Tag 1Er kniete am Rand des kleinen Teichs und tauchte einen seiner ausgeleierten Trinkschläuche in das kalte Naß, während ein Stück weiter seine gefiederter Begleiterin freudig im frischen Quellwasser plantschte.
Eine letzte Vorbereitung vor seinem endgültigen Aufbruch, war er doch kopflos genug direkt vom Schrein aus in den Wald marschiert, ohne sich vorher zumindest mit rudimentären Vorräten oder passender Ausrüstung auszustatten. So ganz war er sich noch nicht sicher - hatte er es plötzlich derart eilig gehabt, weil ihn der Vorschlag des Priesters sofort uneingeschränkt begeistern konnte ...
... oder hatte er einfach nur Angst gehabt, den Mut zu verlieren, wenn er nicht sofort ins kalte Wasser sprang?
Ein eisiger Schauer lief ihm bei diesem Gedanken über den Rücken - nicht nur wegen des Sinnbildes, welches ihn viel zu sehr an seinen wiederkehrenden Alptraum erinnerte, sondern vor allem, weil ihm eben jene Angst weiterhin tief in den Knochen steckte. Angst zu versagen, Angst den falschen Weg einzuschlagen, Angst seine Schutzherrin mit der Dreistigkeit zu verärgern, sich Ihrem Dienst gewachsen zu fühlen.
Die Sanfte mochte Ihrem Namen als mildeste der En'hor ja zumeist treu bleiben, aber am Ende war auch Sie eine Naturgewalt, welche sich mit unerbittlicher Macht allem entgegenstellte, das sich gegen die natürliche Ordnung aufzulehnen wagte. Siomon hatte ihn gewarnt, daß die Diener der En'hor oft ein hohes Lehrgeld zu zahlen hatten, und wie konnte er allen Ernstes erwarten, mit seinen aktuell stark eingeschränkten geistigen Kapazitäten nicht von einem Fehler in den nächsten zu stolpern.
Eiskaltes Teichwasser spritzte ihm ins Gesicht, als ihn Kvir Odal mit einer Reihe kräftiger Flügelschläge aus den Gedanken riß. Das dazugehörige Gackern klang mehr als vorwurfsvoll, als sein 'magisches' Huhn mal wieder ganz genau zu wissen schien, wann er in selbstmitleidiges Grübeln abrutschte.
Entsprechen wenig Ernsthaftigkeit lag in seiner Reaktion: "H...h...hey!" protestierte und ließ die Handkante auf das vor ihm liegende Wasser aufprallen, um mit dem Handrücken einen Schwall eiskalter Revanche in Richtung des Geflügeltiers zu lenken.
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Sie hatten den größten Teil des Tages damit zugebracht, jene Teile der Wälder nördlich von Brandenstein zu erkunden, welche ihm in den vergangenen Wochenläufen nicht ohnehin schon in Fleisch und Blut übergegangen waren. Da hatte sich schon der ein oder andere interessante Ort gefunden, aber nichts, das ihm jetzt als heiliger Ort ins Auge gesprungen wäre.
Gut, auf der anderen Seite verfluchte er sich mittlerweile selbst, sich nicht bei Siomon erkundigt zu haben, wonach genau er überhaupt Ausschau halten sollte. Tevras Wirken war schließlich allgegenwärtig hier auf Tare, von daher hätte man ja beinahe schon jeden Stein und jeden Baum als Geschenk der Erdenmutter und damit als heilige Verbindung zu Ihr werten können.
Aber einen solchen Ort zu erkennen war wohl mindestens ebenso Teil der Selbstfindung wie die Beharrlichkeit zu zeigen, diese Reise bis zu ihrem Ende durchzuziehen.
Es hatte schon zu dämmern begonnen, als sie letztlich die Brücke nach Greifenwald überquert und damit begonnen hatten, die Wälder zwischen Dunquell und Seeberg abzugrasen. Er hatte die Gerüchte über ungewöhnlich aggressive Wölfe und endophalische Lager mitbekommen, konnte aber keinerlei Anzeichen dafür erkennen. Keines der von ihm aufgesuchten Lager ließ auf einen kürzlich stattgefundenen Kampf schließen - aber möglicherweise war die Kirche der Sahor auch einfach nur wieder recht gründlich beim Abtransport diverser lebloser Körper gewesen.
Als ihn die Müdigkeit dann irgendwann zu übermannen gedroht hatte, hatten sich die beiden ungleichen Weggefährten an einer alten Feuerstelle niedergelassen, um dort in seinem geliebten Luth-Chalid-Gedenktopf eine schmackhafte Wurzelsuppe vor sich hinköcheln zu lassen.
Es war ein langer Tag gewesen, und bezüglich seiner persönlichen Queste vollkommen ergebnislos - dennoch breitete sich ein gewissen Gefühl der Zufriedenheit in ihm aus, als sie sich an den Flammen des Lagerfeuers die Hände/Flügel wärmten. So fernab der Zivilisation hatte er das Gefühl, wesentlich öfters klare Momente zu haben, sich seltener in geistigen Aussetzern zu verlieren.
Oder vielleicht war es einfach, daß sich die Pflanzen und Tiere des Waldes herzlich wenig daran störten, wenn er einige Momente lang schlicht in die Ferne starrte?
"H...hier ..." kommentierte er das Ausstreuen einer Handvoll Körner für seine gefiederte Begleiterin, ehe er sich selbst mit einer Schüssel herzhafter Suppe von innen her aufwärmte.
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Just like the seed
I don't know where to go
Through dirt and shadow I grow
I'm reaching light through the struggle