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 Betreff des Beitrags: XIII.
BeitragVerfasst: 26.11.23, 04:46 
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Träge rann der Waltran durch die Rinne, gelblich-zäh und übelriechend, und suchte sich seinen Weg von dem Spundloch des Fasses hin zu dem kupfernen Rohr. Als die ersten öligen Tropfen an der Spitze dann Feuer fingen, zeigte sich der Lohn seiner Mühen: Wo zuvor das Leuchtfeuer von Holz zehren musste, sorgte der neue Brennstoff für eine ungleich hellere und stete Flamme.

Erschöpft ob der Anstrengung, aber sichtlich zufrieden ob des eigenen Werkes setzte sich der alte Mann nieder und wischt die ölverschmierten Hände an einem Tuch sauber. Erst als das geschehen war, nahm er ein schmales Büchlein zur Hand, die handschriftlichen Seiten darin selbst geschrieben und doch viel gelesen. Wie zu einem Kind erzählte er dem prasselnden Feuer eine seiner liebsten Geschichten daraus:

Nicht von allen Geisterschiffen geht eine Gefahr aus. Das beste Beispiel hierfür ist der “Morthumer” – der tatsächliche Schiffsname ist längst in den Wirren der Geschichte verloren gegangen. Morthum war schon immer ein vom Schicksal gezeichnetes Lehen: Armut, Krieg und Pestilenz waren tägliche Begleiter seiner Bewohner. Und wie oben bereits beschrieben, ergaben sich hieraus Verbrechen. So erzählt man sich von einem Wächter eines Leuchtturms, dessen wegweisendes Signalfeuer den vorbeiziehenden Schiffen ein sicheres Fahrwasser zeigen sollte. In seiner Armut aber wuchs der Neid auf die wertvolle Fracht, die er tagtäglich an sich vorbeiziehen sah: Dschunken voller Seide und Gewürze aus dem Süden, goldschwere Koggen aus dem Norden. Er entschied sich zu einer frevlerischen Tat: Einmal im Mond, am Fünften, richtete er das Signalfeuer so aus, dass ein Schiff auf die trügerischen Riffe gelockt wurde. So konnte er am folgenden Tag die Leichen fleddern und die nun herrenlose Fracht ungestraft bergen.

Vor dem Gesetz und vor Xan aber kann es kaum eine größere Sünde geben. So erhob sich eines dieser Schiffe wieder aus den Fluten: Die Masten entzweigebrochen wie bloße Zweige, die Segel in Fetzen und losen Stücken, den ganzen Kiel entzweigerissen wie eine klaffende Bauchwunde. Während die gesamte Mannschaft schon zu Morsan gerufen wurde, verrichtet der Morthumer unbemannt und einsam eine hehre Pflicht. Jeden fünften Tag im Mond sieht man ihn vor jenen Riffen, die einst seinen Untergang bedeuteten. Sein geisterhafter Glanz und das schauderliche Knarzen seines morschen Holzes bringen ein jedes Schiff dazu, dieses gefährliche Gewässer zu meiden – und den Leuchtturmwärter brachte es um den Verstand. Konfrontiert mit seiner Schuld stürzte er sich selbst hinab auf die unbarmherzigen Steine.“


Die Geschichte endete, das Büchlein beließ er aber noch offen auf seinem Schoß. Friedlichen Gemüts besah er die tanzenden Flammen und erfreute sich an der Wärme, die die klamme Kälte und Steifigkeit aus seinen müden Gliedern vertrieb. Vielleicht, wenn ihm einst der Ruhestand vergönnt sei, würde er selbst einmal Leuchtturmwärter werden. Jeden seiner Tage würde er in dieser abgeschiedenen Ruhe verbringen, und dieser einfachen Pflicht nachgehen. Kenntlich nur an dem strahlenden Schein des wegweisenden Feuers.

Ob dieser Geschichte konnte er aber auch nicht anders, als an den Untergang zu denken – wie er dem Geisterschiff in der Mär vorbestimmt gewesen war. Er dachte an vergangene Zeiten zurück, die Fahrten mit der Namikleris und der Ente, die jeweils ein ganz ähnliches Ende finden mussten. Und als sein Blick in die Ferne ging, hin zu den nächtlich erhellten Fenstern des nahen Brandensteins, überkam ein quälender Kummer sein Herz. Die Gewissheit, dass einst alles ein Ende finden wird. Sein Schiff, sein Heimathafen, und sein eigener Kurs durch das Leben.

Er löste seinen Gebetsanhänger vom Hals: den blauen Halbmond, geschnitzt aus dem Treibholz seines ersten Schiffes. Er nahm ihn in die schwieligen Hände und richtete seinen bittenden Blick hinauf zum himmlischen Firmament – dort oben der kalte Glanz der Sterne, hier unten die nahe Wärme des Feuers. Mit leiser Stimme sprach er sein Gebet:

„Ignis, der du uns durch deine Gaben sowohl Wärme als auch Licht spendest. Deine Zeit des Jahres ist vorbei – heute feiern wir die Xanfelawende, den kürzesten Tag des Götterlaufs. Aber versage uns in diesen kalten und einsamen Monden nicht deine Gnade: Nähre unser Herdfeuer, wärme unsere Stuben, und erfülle unsere Herzen mit der Zuversicht auf das kommende neue Jahr. Lass uns nicht allein, wenn das Dunkel kommt.“

„Ventus, der du mit kluger Hand und weitem Blick die Sterne über die Himmelsbahn führst. Dieser Feiertag gehört dir, der du Rilamnors Schwingen mit deiner himmlischen Pracht zierst. Ob an felahellen Tagen oder in finsterer und kalter Nacht, du bist stets an unserer Seite. Als Wind warst du stets an meiner Seite, in meinem Rücken, und in meinen Segeln. Wie du es mit den Sternen, Vögeln und Wolken tust, so hast du auch mich durch meine Lebensbahn geführt. Verlass mich nicht, wenn auch mein Körper schwach und alt wird, und mein Mut nachlässt.“


In den übrigen Stunden wird man den alten Seemann noch rastlos umherwandern sehen. Von den einsamen Stränden, bis hinauf zu den verlassenen Wehrgängen der Stadtmauern von Brandenstein. Auf der Suche.

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 Betreff des Beitrags: Re: XIII.
BeitragVerfasst: 30.11.23, 05:14 
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The sea beheld her love
Shining bright from on high
She bade him come down
From his palace in the sky
Her love would not be swayed
So she took a piece into her heart
And all who saw her grief that day
Sleep in her bosom still

♫♫

Flink wie Quecksilber floss das glutrote Metall aus dem Stichloch in die Form, füllte die Konturen zur Gänze und nahm ihre Gestalt an. In der kalten Luft dampfte es seine Wärme aus, und verbreitete seinen beißenden Geruch. Er klopfte die Figur aus der Form, feilte die Unreinheiten zurecht und stelle sie zu den anderen. Zinnsoldaten, nebeneinander aufgereiht. Jeder kaum mehr als einen Finger groß zählten sie fast ein Dutzend an der Zahl – jeder einzelne eine Last auf seiner Seele.

Kaum streifte er einen der Soldaten, fühlte er sich wieder an den Moment des Verlustes zurückversetzt. Keiner schlief auf dieser Insel je friedlich im Schlafe ein – das Ende der Geschichte war immer voller Gewalt und Qual. Ein Makel in den sonst so freudvollen Momenten, die er stattdessen lieber mit ihnen verbinden würde. Stattdessen blieben ihm als letzter Eindruck der Gefallenen ihre entstellten Körper, die blutenden Wunden, die angsterfüllten Blicke.

Mit größter Behutsamkeit stellte er die Figur wieder ab, und ärgerte sich über das Zittern seiner Finger dabei. Er musste sich eingestehen, dass er diese entsetzlichen Augenblicke und den damit verbundenen Verlust nie verarbeiten konnte. Seine Erinnerungen begleiteten ihn wie dunkle Sorgenschatten: Mahnende Abbilder dessen, was sein könnte. Eine trübe Linse, die sonst lichten Momenten die Farbe und Freude raubte.

Vielleicht war es diese bleierne Freudlosigkeit, die ihn zu so später Stunde wieder an den Hafen trieb. Zu einer Zeit, in der ihm auf den nächtlichen Straßen nicht eine einzige Seele mehr begegnete. Wenn er sich Stunden schon im Bett gewälzt hatte, linderte wenigstens die frische Seeluft für einen Augenblick nur sein tristes Gemüt.

Heute aber war er nicht nur dafür hier. Er ließ sich langsam auf die Knie nieder, und beugte seinen Oberkörper tief genug herab, bis er sein Gesicht in den kalten Wassern des Xanschreins waschen konnte. Als sein Antlitz und die Hände rein waren, nahm er einen der Soldaten zur Hand und sprach sein leises, zutrauliches Gebet: „Xan. Ich bete für all jene, die am Grunde deiner Tiefen bei dir ruhen. Die Opfer von Krieg und Gewalt, von Schiffbruch und Seenot, von allem Unglück und Unheil. Ich bete auch für all jene, die wir dir aus freien Stücken dir anvertraut haben. Lass sie, bedeckt von deinen Fluten, ihren verdienten Frieden finden.“

Mit den Worten nahm er der Reihe nach die Figuren zur Hand, und ließ sie in den Wassern des Schreins versenken. Noch glänzte das Metall wasserschillernd im Mondenlicht von Astreyon und Vitamalin, dann war es in der Tiefe nicht mehr zu sehen. Er sprach dazu: „Glätte die Wogen unseres Gemüts und schenke uns die ruhige Gelassenheit deines Elements. Die Gewissheit, dass sie bei dir und Morsan den Frieden gefunden haben, der ihnen zu Lebzeiten nicht vergönnt war.“

Als auch der letzte Zinnsoldat versunken war, tauchte er beide Hände in die wohltuenden Wasser ein und sprach mit bebender Stimme: „Xan, ich… ich bitte dich. Erbarme dich meiner Kameraden, und all der lieben Leute von Brandenstein. Wenn die dunklen Tage kommen und uns Tod und Untergang droht, verlass uns nicht. Lass uns, lass mich nicht allein.“

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