Event-Teamleiter |
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Registriert: 6.04.08, 20:14 Beiträge: 2882 Wohnort: USA
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Träge rann der Waltran durch die Rinne, gelblich-zäh und übelriechend, und suchte sich seinen Weg von dem Spundloch des Fasses hin zu dem kupfernen Rohr. Als die ersten öligen Tropfen an der Spitze dann Feuer fingen, zeigte sich der Lohn seiner Mühen: Wo zuvor das Leuchtfeuer von Holz zehren musste, sorgte der neue Brennstoff für eine ungleich hellere und stete Flamme.
Erschöpft ob der Anstrengung, aber sichtlich zufrieden ob des eigenen Werkes setzte sich der alte Mann nieder und wischt die ölverschmierten Hände an einem Tuch sauber. Erst als das geschehen war, nahm er ein schmales Büchlein zur Hand, die handschriftlichen Seiten darin selbst geschrieben und doch viel gelesen. Wie zu einem Kind erzählte er dem prasselnden Feuer eine seiner liebsten Geschichten daraus:
Nicht von allen Geisterschiffen geht eine Gefahr aus. Das beste Beispiel hierfür ist der “Morthumer” – der tatsächliche Schiffsname ist längst in den Wirren der Geschichte verloren gegangen. Morthum war schon immer ein vom Schicksal gezeichnetes Lehen: Armut, Krieg und Pestilenz waren tägliche Begleiter seiner Bewohner. Und wie oben bereits beschrieben, ergaben sich hieraus Verbrechen. So erzählt man sich von einem Wächter eines Leuchtturms, dessen wegweisendes Signalfeuer den vorbeiziehenden Schiffen ein sicheres Fahrwasser zeigen sollte. In seiner Armut aber wuchs der Neid auf die wertvolle Fracht, die er tagtäglich an sich vorbeiziehen sah: Dschunken voller Seide und Gewürze aus dem Süden, goldschwere Koggen aus dem Norden. Er entschied sich zu einer frevlerischen Tat: Einmal im Mond, am Fünften, richtete er das Signalfeuer so aus, dass ein Schiff auf die trügerischen Riffe gelockt wurde. So konnte er am folgenden Tag die Leichen fleddern und die nun herrenlose Fracht ungestraft bergen.
Vor dem Gesetz und vor Xan aber kann es kaum eine größere Sünde geben. So erhob sich eines dieser Schiffe wieder aus den Fluten: Die Masten entzweigebrochen wie bloße Zweige, die Segel in Fetzen und losen Stücken, den ganzen Kiel entzweigerissen wie eine klaffende Bauchwunde. Während die gesamte Mannschaft schon zu Morsan gerufen wurde, verrichtet der Morthumer unbemannt und einsam eine hehre Pflicht. Jeden fünften Tag im Mond sieht man ihn vor jenen Riffen, die einst seinen Untergang bedeuteten. Sein geisterhafter Glanz und das schauderliche Knarzen seines morschen Holzes bringen ein jedes Schiff dazu, dieses gefährliche Gewässer zu meiden – und den Leuchtturmwärter brachte es um den Verstand. Konfrontiert mit seiner Schuld stürzte er sich selbst hinab auf die unbarmherzigen Steine.“
Die Geschichte endete, das Büchlein beließ er aber noch offen auf seinem Schoß. Friedlichen Gemüts besah er die tanzenden Flammen und erfreute sich an der Wärme, die die klamme Kälte und Steifigkeit aus seinen müden Gliedern vertrieb. Vielleicht, wenn ihm einst der Ruhestand vergönnt sei, würde er selbst einmal Leuchtturmwärter werden. Jeden seiner Tage würde er in dieser abgeschiedenen Ruhe verbringen, und dieser einfachen Pflicht nachgehen. Kenntlich nur an dem strahlenden Schein des wegweisenden Feuers.
Ob dieser Geschichte konnte er aber auch nicht anders, als an den Untergang zu denken – wie er dem Geisterschiff in der Mär vorbestimmt gewesen war. Er dachte an vergangene Zeiten zurück, die Fahrten mit der Namikleris und der Ente, die jeweils ein ganz ähnliches Ende finden mussten. Und als sein Blick in die Ferne ging, hin zu den nächtlich erhellten Fenstern des nahen Brandensteins, überkam ein quälender Kummer sein Herz. Die Gewissheit, dass einst alles ein Ende finden wird. Sein Schiff, sein Heimathafen, und sein eigener Kurs durch das Leben.
Er löste seinen Gebetsanhänger vom Hals: den blauen Halbmond, geschnitzt aus dem Treibholz seines ersten Schiffes. Er nahm ihn in die schwieligen Hände und richtete seinen bittenden Blick hinauf zum himmlischen Firmament – dort oben der kalte Glanz der Sterne, hier unten die nahe Wärme des Feuers. Mit leiser Stimme sprach er sein Gebet:
„Ignis, der du uns durch deine Gaben sowohl Wärme als auch Licht spendest. Deine Zeit des Jahres ist vorbei – heute feiern wir die Xanfelawende, den kürzesten Tag des Götterlaufs. Aber versage uns in diesen kalten und einsamen Monden nicht deine Gnade: Nähre unser Herdfeuer, wärme unsere Stuben, und erfülle unsere Herzen mit der Zuversicht auf das kommende neue Jahr. Lass uns nicht allein, wenn das Dunkel kommt.“
„Ventus, der du mit kluger Hand und weitem Blick die Sterne über die Himmelsbahn führst. Dieser Feiertag gehört dir, der du Rilamnors Schwingen mit deiner himmlischen Pracht zierst. Ob an felahellen Tagen oder in finsterer und kalter Nacht, du bist stets an unserer Seite. Als Wind warst du stets an meiner Seite, in meinem Rücken, und in meinen Segeln. Wie du es mit den Sternen, Vögeln und Wolken tust, so hast du auch mich durch meine Lebensbahn geführt. Verlass mich nicht, wenn auch mein Körper schwach und alt wird, und mein Mut nachlässt.“
In den übrigen Stunden wird man den alten Seemann noch rastlos umherwandern sehen. Von den einsamen Stränden, bis hinauf zu den verlassenen Wehrgängen der Stadtmauern von Brandenstein. Auf der Suche.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..." Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον
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