Elfenjagd
oder
was wäre, wenn die Amulettkriege anders ausgegangen wären.
Eigentlich konnte Jario seinen Vater noch nie leiden, was vielleicht darin begründet war, dass Jario einer derjenigen Menschen war, die durch rein körperliche Fortpflanzung entstanden waren; darum war er schon immer von der Dorfgemeinde stets argwöhnisch betrachtet worden war. Es war nicht so, dass er selbst einen signifikanten Unterschied wahrgenommen hätte zwischen sich und jenen, welche in den Tempeln und den Mondentürmen gezeugt wurden, die man so nannte, weil ihre Spitzen aus einem Splitter des Ska'Dorrayon geschaffen waren und ein roter Blutsfaden, der in der Luft schwebte, von ihrer Spitze stets den Weg zum Mond wies, wenn die einfachen Gläubigen ihn am Himmel nicht erspähen konnten.
Er lastete es seinem Vater schwer an, dass er sich damals verdorben hatte und mit seiner Mutter, die in den frühen Jahren seines Lebens auf irgendeine Weise umgebracht worden war, ihn geschaffen hatte. Wann immer man ihn verhöhnt hatte ob seiner liederlichen Herkunft, hatte er in seinem Vater und in dem Gift, das sie Veneneum-Vier nannten und das eines der Geschenke der Faran war, wenn die Opfergaben zufriedenstellend waren, den Grund dafür gesehen. Er verabscheute ihn dann doch einigermaßen.
Nun lag er auf der Lauer. Vor drei Tagen hatte der Roan'Rai, höchster Priester der
Sakralen und berühmt dafür, dass er sich eigenhändig anstatt durch Handlanger in das Amt gemeuchelt hatte, die formelle Kriegserklärung an das Volk der Elfen ausgesprochen; eigentlich war dies recht lächerlich, denn die Elfen waren seit dem dritten Jahrtausend offiziell der Versklavung anheimgefallen. Seit den
Kriegen hatte man immer wieder Seperatistengruppen entdeckt, die zumeist von Elfen geführt worden waren, die sich der neuen Herrschaft nicht beugen wollten und in kleinen Gefechten und Attentaten immer wieder bemüht waren, die wiederhergestellte Ordnung zu stürzen. So hatte man schließlich das Volk der Elfen im Gemeinen zur Verdammnis gerufen und sie in einer Art mittelfristigem, mittelfreiwilligem Arbeitsverhältnis auf die Äcker und Wiesen verbannt, das man die
Feyanthia ("Rattenelf") nannte; denn die Elfen waren die einzigen, die das Wissen um die Ausbeutung der Wildnis noch besaßen und in diesen Zeiten in der Lage waren, aus dem verdorrten Boden noch Nahrhaftes zu erpressen. Zudem waren die Elfen eine lohnende Investition, denn ein solcher Sklave konnte zehn und mehr Generationen überdauern, wenn er angemessen
gepflegt wurde.
Seit der
Feyanthia war es zum Brauch geworden, dass jedes dritte Jahr die Kriegserklärung an die Elfen neu ausgesprochen wurde, und in den folgenden Tagen war es an den
Karandai, den jungen Anwärtern auf das Amt des Roan'Dor - des Unterpriesters -, ein jeder einen Elfen in der Wildnis aufzuspüren und ihn zum Tode zu bringen. Nicht selten zog dies eine kapitale Rache des Besitzers nach sich, welcher weniger Verständnis für den Brauch hatte, der seine Sklaven das Leben kostete; doch sein Vater war ihm zu feindlich gesonnen, um für ihn zu lügen, und so musste er ihn zum Zeugen werden lassen, wie er seine Aufgabe erfüllte.
Jario ergriff einen der spitzen Steine und spähte zu dem Feld, auf dem eine Schar jener aschblonden Gestalten die Sehnen schwang. Sicherlich waren sie im Bilde, dass sie in diesen Tagen gefährlich lebten, und umso enger hielten sie sich beisammen. Lediglich eines der Mädchen schien unaufmerksam, ihr Haar war noch von leuchtender Kraft und ihre Augen noch ohne den grauen Schleier, den sie mit den vierzig, fünfzig Jahren dann beinahe alle besaßen. Sie war hübsch, wie man es in den altertümlichen Gedichten aus der Zeit vor den
Kriegen lesen konnte, über alle Maßen, wenngleich dies für Jario nicht das Maß an Heiligkeit und Bewunderung bedeutete, wie es einstmals üblich gewesen war; eher weckte es in ihm eine urtümliche und recht abgestumpfte, beinahe bösartige Begierde. Nichtsdestotrotz wies sie schon die Narben und Brandungen auf, die sich für ein Sklavenkind ziemten.
Jario hatte sein Opfer auserkoren.