Noch im fahlem Rechteck, das der schwächer werdende Mond durch die Öffnung der Türe in den Wehrgang der Stadtmauer warf, entzündet er die Handlaterne und warf die Türe dröhnend ins Schloss. Das Licht der Flamme erhellte den Gang nur spärlich, doch weit genug, daß er den Stapel Holzes erkennen konnte.
Er nahm ein paar Pfähle, legte sie aus und warf ein Stück Fell darüber, so das er nicht auf der Kälte des Bodens zu harren brauchte.
Dann liess er sich nieder, mit schwerer Bewegung und stellte die Laterne neben sich. Einen Moment lauschte er, doch seine Ohren vernahmen nur Stille. Er war allein.
Seine Augen fuhren über die Laterne, und so unstet wie das Flackern der kleinen Flamme darin, so unstet waren seine Gedanken. Sein Herz jedoch brannte heisser als jedes Feuer und drohte ihn schier zu verzehren.
Der Tag war unbeschwert gewesen, zum erstenmal seit langer Zeit ein Gefühl, doch nicht so einsam zu sein.
Und als SIE dann die Taverne betrat, fiel ihm ein Gutteil seiner Worte des versoffenen Vorabends wieder ein, und es trieb ihn an ihren Tisch, wollte er doch nur ein Wort des Bedauerns über sein unschickliches Verhalten ausbringen. Doch wie es manchmal geht, die Dinge schlugen einen anderen Pfad ein, einen Pfad, vor dem er sich nun fürchtete.
Am Tische, dies ward ihm schnell gewiss, saß SIE nicht nur, weil sie ihren Kummer im Trunke ersticken wollte, nicht nur, weil sie eines Kameraden Stimme im Troste brauchte, nein.
Er schlug sich heftig vor die Stirn. Wäre ihm doch nur ganz zu Beginn ihrer Unterhaltung eine Ahnung gekommen, ER hätte es von sich ferne halten können, ja BEIDE hätten weiter in Kameradschaft ihrer Wege ziehen können. Sie tranken gemeinsam, lachten im Gleichklange, doch sie... sie weinte alleine . Und dies hielt ihn gefesselt, ihre Tränen, die sie weniger ihrer ob kürzlichen Trennung vergoss, weniger ob ihres unwiederbringlichen Verlustes in vergangenen Tagen. Ihre Tränen ...waren Gegenwart. DIES hatte er gespürt!
Ein Fluch entfuhr ihm. Seine verdammte Neugierde hatte ihn weiter bohren lassen, doch konnt er dies nun nicht mehr wenden. Und als SIE aufsprang, als DIE ANDERE an den Tisch trat, als IHRE Gefühle endgültig den Mantel wohlgeübter Selbstbeherrschung durchbrachen, und sie dann die Taverne floh, da gab es auch für IHN kein Halten mehr, denn nun war es offenbar.
Draussen dann, als sie trunken und verloren in den Gassen stand, nicht mehr die Kraft, fortzulaufen vor IHM, legte er ihr die Rechte auf die Schulter. Die Worte waren ihm wie eingebrannt.
„Sagt mir ...“ und noch jetzt spürte er die Enge in der Kehle, die ihn schier Ersticken wollte „...sag mir ...kenne ich jenen Mann nur allzu gut?“
Ein stummer Selbstvorwurf durchtränkte seine Erinnerung an jenen entscheidenden Moment, als sie sich ihm zuwandte und gradezu ängstlich flehend erwiderte: „Sieh in einen Spiegel"
Dann brach sie vor seinen Augen zusammen. Er tat, was er für jedermann getan hätte, und als Sie unruhig in flachen Schlaf fiel, verliess er die Burg eilig, wohlwissend, das er diese Dunkelheit woanders zubringen musste.
Und nun saß er hier, in Kälte und dem Schein eines kleinen Kerzleins, und fragte sich ... „WARUM“?
Warum, warum grad ICH? Er kannte sie kaum, nur ein paar Worte in der Vergangenheit. Warum nur fiel ihres Herzens Verlangen grade auf ihn?
Stöhnend legte er den Kopf in den Nacken, und die Nebelschwaden seines Atems verloren sich einsam in der Dunkelheit des Gangs.
Noch etwas harrte einer Antwort, einer Antwort, die wohl unwägbare Folgen zeitigen mochte.
Denn er wusste nicht, wie SEIN Herz sprach ... , und SIE hatte erkannt, das er noch nicht völlig frei war ... .
Und die Einflüsterungen begannen.
Die eine Stimme sagte in spöttischer Galanterie zu ihm: „ Was dauerst du dich, du Narr, sie ist ein Weib und du ein Mann. Fühle den Drang deiner Lenden, lasse deinen Kummer bei IHR ...“
Und die andere Stimme antwortete in tadelnder Hohlheit: „Bedenke deine Ehre und beflecke jenes Weib ja nicht, bedenke, wen SIE erst gestern verliess ...“
So ging es hin und her, und die Stimmen nannten jeden Aspekt SEINES Zweifels, bis er schliesslich aufsprang und in die Stille des Ganges brüllte „ GENUG...“
Der Holzstapel fiel klappernd in sich zusammmen, und der Schrei des Mannes hallte in den kahlen Mauern des Wehrgangs wie endgültig wieder. Achtlos hob er das Stück Fell auf und stopfte es wieder in seinen Tornister.
Da die ersten Strahlen eines neuen Hellzyklus sich ihren Weg durch die Ritzen des Türrahmens bahnten, verlöschte er auch die Laterne.
Schliesslich fuhr seine Rechte wie von Selbst auf die Klinge und ließ sie sirrend aus der Scheide rasen, bis daß die gekreuzte Griffstange vor seinem Munde lag. Ein kurzer Kuss darauf, den Blick enttschlossen zur Türe.
„Fortes Fortuna adiuvat..., Kameradin, Gefährtin und ...“ Sein Blick ging zu Boden, des letzte Wort verschluckend.
Als er in das Licht des Tages trat, vermeinte er für die Dauer eines Atemzuges das Gesicht einer anmutigen Dame zu sehen, deren Blick allein auf ihn gerichtet war.
|