11. Duler 14 nH
Erst ein paar Tage ist es her, da mir die Ehre zu Teil wurde mich Tardukai nennen zu dürfen. Mein Leben steht nunmehr gänzlich in seinem Dienste und nichts wird mich davon aufhalten, sein Wort zu verkünden und die Verblendeten sehend zu machen.
Alles ist noch neu für mich und irgendwie habe ich das Gefühl, meiner Rolle als Geweihte noch nicht wirklich gewachsen zu sein. Die lange Zeit der Novizenschaft hat ihre Spuren bei mir hinter lassen, Spuren die ich nicht einfach so auslöschen kann und auch gar nicht möchte. Erst während der Ausbildung lernte ich wahre Demut und Gehorsam. Ich wurde ruhiger und besonnener, so dass ich heute sagen kann, dass ich erst nachdenke, ehe ich handle.
Der einzige Mensch, der mich wirklich noch aus der Ruhe bringen kann ist Varg. Varg... mein Liebster... Wie sehr hatte es mich doch verletzt als ich ihn das letzte Mal sah in der Taverne. Mein Verstand wusste, dass da nichts sein konnte und doch meinte mein Herz in diesem Moment zerspringen zu müssen.
Ich glaubte ihm, als er mir versicherte, dass er mich lieben würde, wie sollte ich auch nicht. Es ist trotz allem so unsagbar schwer zu vergessen wenn man in seinem tiefsten Inneren verletzt worden ist.
Erst jetzt, Tage später, scheint wieder alles gut zu werden und ich komme langsam wieder zur Ruhe. Es ist so wichtig im Einklang mit sich und allem anderen zu sein, denn Zweifel machen mich verwundbar. Wenn ich auf den Verband an meinem linken Arm absehe, wird mir bewusst, wie verwundbar ich wirklich bin.
Ich habe mir diese Wunde selbst mit dem Dolch zugefügt, welches meinen Zweifel nunmehr sichtbar macht. Schmerz um Schmerz zu bekämpfen, in diesem Moment da ich meinen Dolch gezogen hatte und mir tief in das Fleisch schnitt, war ich davon überzeugt, dass es das richtige war, doch ich irrte mich. Niemals kann Schmerz, welcher aus dem Zweifel heraus geboren wird, richtig sein.
Nie wieder will ich an ihm Zweifeln, so schwöre ich, hier und jetzt.
14. Duler 14 nH
Manches mal wünsche ich mir ein „einfacher Mensch“ zu sein und all die Erfahrungen, die mein Leben so sehr geprägt haben, nicht gemacht zu haben. Ich wäre ein anderer Mensch und wäre wohl auf eine andere Art und Weise glücklich. Glücklich.. bin ich das überhaupt? Ich bin stolz erreicht zu haben was ich erreicht habe, ich liebe Varg und meinen Sohn, doch bin ich wirklich glücklich?
Hin und wieder, wenn ich auf das dunkle Wasser sehe scheint es mir, als würde mich die Dunkelheit verschlingen und nichts von meinem Selbst zurücklassen, bis auf den Hass und die Verachtung, die ich seit Jahren in meinem Herzen trage.
Das alles um mich herum ermüdet mich. Von Tag zu Tag scheint es mir schwerer zu fallen die Augen des Morgens zu öffnen und aufzustehen. Wenn ich daran denke, was ich mir vor ein paar Tagen zugefügt habe... Wie sehr hatte ich es immer gehasst, wenn Varg sich diese Schnittwunden zugefügt hatte und nun tue ich es selbst. Es ist, als hätte mich der Schmerz welchen ich dabei empfand wieder zurück ins Leben gebracht, mir bewusst gemacht, dass ich wirklich noch lebe, noch existiere.
Mein Tun scheint mich zu verfolgen, jedes Mal wenn ich auf meinen Arm absehe, kann ich in der Schnittwunde meinen Zweifel erneut erkennen. Zweifel... ein Tardukai darf niemals zweifeln, denn das wäre sein Tod.
Jeder Atemzug scheint mir immer schwerer zu fallen. Ich drohe fast zu ersticken, doch dann, wenn ich meine es wäre soweit, wenn ich meine, ich wäre gänzlich verloren, legt sich eine Hand auf meine Schulter und leise wispernd dringt eine Stimme an mein Ohr, welche mir sagt, dass ich nicht allein bin.
Drehe ich den Kopf zurück, so steht Varg hinter mir und in seinem Blick liegt tiefe Zuneigung und Liebe. Er ist es, welcher mir in dieser Zeit die nötige Kraft gibt. Ich Zweifle nicht mehr an ihm, ich höre nur noch auf mein Herz. Ich liebe ihn.
21. Duler 14 nH
Schon seit einigen Tagen bin ich nun nicht mehr in Brandenstein gewesen. Die Zeit scheint nicht vergehen zu wollen, doch habe ich auch nicht die geringste Lust zurück in die Stadt zu gehen. Ich könnte, ebenso wenig wie die Abgeschiedenheit hier, derzeit die Menschenmassen ertragen. Es gibt eigentlich im Moment nur zwei Personen die ich gerne um mich hätte, Varg und meinen Sohn.
Tag ein Tag aus stehe ich am Wasser und blicke hinaus, mittlerweile erscheint es mir selbst schon fast so, als würde ich da draußen etwas suchen, auf etwas warten, was nicht kommt. Vielleicht ist es, so dumm es auch erscheinen mag, Heimweh, welches mich immer wieder über das Wasser zum Horizont sehen lässt. Es ist schon so viele Jahre her, dass ich das letzte Mal einen Fuß in meine Heimatstadt gesetzt habe und doch scheint die Erinnerung in letzter Zeit wieder mehr aufzublühen.
Ich frage mich, ob meine Eltern nach all den Jahren wohl noch leben und ob es ihnen gut geht. Es ist irgendwie seltsam über die Vergangenheit nachzudenken, denn dann wird mit bewusst, dass ich wohl für alle die ich damals kannte, schon längst als tot gelte. Tot, bin ich das nicht in Wirklichkeit auch? Zumindest die Sahra von damals, wandelt schon lange nicht mehr unter den Lebenden, sie starb an dem Tag als auch ihre erste Liebe starb.
Meine Gedanken drehen sich immer häufiger um diese Dinge ohne dass ich es steuern könnte, ich will es noch nicht einmal, aber ich habe keine Kraft die Erinnerungen abzuwenden. Ich sollte vielleicht doch nach Brandenstein und dort Zerstreuung suchen, vielleicht würde Varg mich ja auch begleiten. Vielleicht könnte ich Alun wieder sehen, ich habe Sehnsucht nach ihm. Vielleicht sollte ich mich auch einfach nur hinlegen und schlafen, denn ich bin müde.
26. Duler 14 nH
Ich habe mich wieder verletzt, wieder schnitt ich mir in das Fleisch meines Armes und wieder genoss ich den aufsteigenden Schmerz, nahm ihn mit Hingabe auf. Ich verstehe nicht warum ich es tue und doch scheint es zu so etwas wie einem Drang geworden zu sein. Mir schwirrt der Kopf. Ich weiß nicht was mit mir geschieht und warum. Verliere ich meinen Glauben? Doch dass kann, darf nicht sein. So lange Zeit habe ich darauf hingearbeitet Tardukai zu werden und jetzt Zweifle ich?
Für einen Tardukai darf es keinen Zweifel geben. Was ist es was meine Gedanken so sehr einnimmt? Warum kann ich es nicht fassen? Warum nicht einmal ansatzweise erkennen? Der Zweifel, welcher in mir gehrt, muss einen Grund haben, einen Grund den ich so schnell als möglich herausfinden und beseitigen muss. Nichts darf der Erfüllung meines Schicksals im Wege stehen. Das Unbekannte greift nach mir und lässt mich nicht mehr aus seinen Fängen. Ich darf mir nichts anmerken lassen.
Ich muss wieder Herr meiner Sinne, meiner selbst werden, doch wer bin ich? Definiere ich mein Selbst nicht fast ausschließlich durch Varg? Warum ist er nicht da um mich erneut aus diesem tiefen Dunkel zu befreien?
27. Duler 14 nH
Wie kalt hallten doch meine Schritte von den Häusern Brandensteins zurück, als ich meinen Weg durch die Gassen der Stadt suchte. Was hatte mich heute überhaupt dazu bewegt die Feste zu verlassen? Ich weiß es nicht mehr, die Überfahrt auf dem kleinen Boot kam mir so unwirklich vor, so als wäre es nur ein Traum gewesen, aber dann Stand ich am Steg des Hafens. In Dunkelheit war Stadt getaucht und nur hier und da brannten einige Laternen in den Straßen. Ich suchte etwas, jemanden.
Ich ging sogar zum Gebäude des Boten, schloss die Tür auf und spähte hinein, doch auch hier herrschte nur Dunkelheit und Leere vor, so dass ich meine Schritte zu dem mir wohl angenehmsten Ort in Brandenstein lenkte, dem Steg in der Nähe des Stadttores. Ich weiß nicht mehr wie lange ich dort stand und auf die dunkle See starrte, aber es müssen wohl Stunden gewesen sein, denn als ich aus meinen Gedanken erwachte, waren meine Glieder von dem kalten Wind fast wie erstarrt. So langsam sollte Morsan wirklich nachgeben und Platz für wärmere Jahreszeiten machen.
Das seltsame ist, ich kann mich nicht mehr erinnern, worüber ich dort am Steg nachgedacht oder was ich getan habe, ich weiß nur, dass eine tiefe Trauer mich erfüllt, noch immer. Ich wage fast nicht mehr zu hoffen, dass es sich noch einmal zum Besseren ändern wird und doch weiß ich, dass ich mich nicht einfach so aufgeben darf.
08. Dular 14 nH
Grau und kalt, noch immer hat sich das Wetter nicht gebessert und auch in meiner Seele sieht es nicht anders aus. Ich bin schon lange innerlich erstarrt. Meine Zweifel fressen mich auf und es macht mir Angst. Ich will und kann meinen Glauben nicht verlieren, denn wenn ich meinen Glauben verliere, so habe ich nichts mehr. Ich darf es nicht zulassen, denn so würde ich auch Varg und meinen Sohn verlieren und das könnte ich nicht ertragen. Niemals soll ein Zweifel sich zwischen uns stellen und so werde ich tun, was ich tun muss.
*Sie saß im Schnee und blickte von ihrem noch neuen und kaum beschriebenen Tagebuch auf. Langsam ließ sie den Stift in den Schnee sinken und legte das Buch daneben. Zwei verschlossene Briefe rutschten an einer Stelle ein wenig aus dem Buch heraus und man konnte auf dem obersten die ersten Buchstaben eines Namens erkennen „Va“. Es waren Briefe an den Mann den sie liebte und ihren Sohn, welche sie kurz zuvor verfasst hatte. Sie hob den Kopf fast schon schwerfällig an und blickte ein letztes Mal auf das Wasser, welches sich ruhig vor ihr ausbreitete. Eine heiße Träne rann über ihre Wange, doch nahm sie sie gar nicht mehr wahr. Sie nahm den kleinen Dolch, welche ihr dereinst ihre Freundin auf dem Festland geschenkt hatte und schnitt tief in ihr Fleisch am Handgelenk und zog den Dolch ein gutes Stück ihren Arm hinauf. Fast sofort quoll ihr rotes, warmes Blut aus der Wunde und rann ihren Arm entlang um dann Tröpfchenweise im Schnee zu versickern und ihn an der Stelle dabei schmelzen zu lassen.
Langsam entschwand mit jedem Tropfen Blut das Leben aus ihrem Körper und die Kälte und Dunkelheit um sie herum verstärkte sich zunehmen. Sie legte sich auf die Seite, den Blick noch immer auf das Meer gerichtet. Ihr Blick wurde nach und nach trübe und fast schon hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen.*
Verzeih mir…
*Ein letztes Flüstern kam über ihre Lippen und dann war da nur noch Stille. Kein Herzschlag, kein Atem, nichts außer dem Rauschen der Wellen, welche sich an der Küste der kleinen Insel brachen.*
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