Fernab von all dem kniete eine junge Frau, das Schwert, ihr Schwert, Waffe und Zeichen, fest umklammert, ein Anker, der sie an diese Welt band. Sie wußte nichts von der Schlacht gegen die Nortraven. Trotzdem ließen sie die Bilder dieses Tages nicht los.
Sie dachte an Kaspar, ihren Hauptmann. Cyria, die ihr einst eine Schwester sein wollte und sie an diesem Tag verraten hatte. Sie dachte an Alek und all die anderen, die ihr einst Kameraden gewesen waren. Nun waren sie Gegner. Nein, eigentlich schon immer. Sie schützten das, was sie, Selina, zerstören wollte. Sie schützten die Männer und Frauen, die ihr nicht nur Gegner, sondern Feinde waren, Männer und Frauen, denen nichts, aber auch gar nichts an dieser Welt gelegen war. Verzerrte Gestalten dessen, was mal ein Mensch hätte sein können, nun reine Werkzeuge der Zerstörung und des Tötens. Keinen von ihnen kümmerte das Leid, das sie verbreiteten. Krieg, Tod, Hunger und Seuche waren ihre Elemente, sie verbreiteten sie wann immer sie konnten, was sie berührten mußte verderben. Erneut dachte sie an die Geweihten, die predigten, sich bedingungslos gegen jeden Feind zu werfen. Ihre Götter würden ihnen schon beistehen. Selina haßte es, gegen sie kämpfen zu müssen. Sie haßte den Ausdruck in den Augen ihrer Gegner, wenn sie am Boden lagen, verwirrt ob ihrer Niederlage, den Todesstoß erwartend und eine Frage auf den Lippen. "Warum ihr Götter habt ihr mich verlassen?"
Arme vom Licht geblendete Seelen, kleine Bauern, bedenkenlos der Gier ihrer Herren geopfert. Für sie waren sie bereit zu kämpfen. Für sie waren sie bereit zu sterben. Nur wofür? Wie wenige stellten sich diese Frage?
Geweihte und Ritter, dafür starben sie, für Herren, denen sie weniger als nichts bedeuteten, Herren, denen nur an ihrem eigenen Wohl gelegen war. Sie erschufen nichts, sie zerstörten nur, wie Vampire saugten sie das Leben aus der Welt und den Kreaturen, die sie bevölkerten. Jeder sah, was die Unlebendigen für eine Zerstörung angerichtet hatten. Aber kaum jemand wagte zu sehen, wieviel Leid sie sich selbst zufügten. Kaum jemand wollte es sehen. Gestern nicht, heute nicht und wohl auch nicht morgen.
Tief atmete Selina durch, sog die kalte Nachtluft in sich hinein, das leichte Stechen in der Lunge genießend. Dann begannen ihre Lippen leise Worte zu formen.
"Herr, erster und einzig wahrer Herr, Gottkönig Tares, Gebieter der Sphären, Herrscher über Gedeih und Verfall, Erretter unserer Seelen, als Dienerin knie ich vor Dir, zu danken für den neuen Tag, den Du uns beschert, Deine Güte, die Du uns gewährst, die Geschwister, die Du uns geschenkt. Ich bete für die Seelen Deiner Gegner, sei gnädig mit ihnen, denn nicht Du bist, gegen den sie kämpfen, sich selbst der größte Feind, sich Dir entfernend und Deiner Liebe entziehend. Ich bitte Dich, zeige Mitleid mit den Blinden und lasse sie Dein Licht erblicken, lasse sie Anteil haben an Deiner Weisheit und Güte, denn Du bist die Liebe, die uns geschenkt, die Kraft, die unsere Seelen beflügelt der Mut, der uns über uns selbst erhebt, die Ehre, die uns am Leben erhält, die Aufrichtigkeit, die unsere Taten lenkt, das Opfer, das uns dar gebracht, die Weisheit, die sich uns offenbart, das Mitgefühl, das uns Mensch sein läßt, die Verheißung, die die Welt mit Leben füllt, das Wort, das Blut in unseren Adern. Gepriesen sei Dein Name. Vjera Angamon."
Langsam führte sie den Schwertknauf an die Lippen und küßte ihn. Nur langsam öffnete Selina die Augen und sah sich um. Stille und die Schatten der Nacht umgaben sie wie einen Umhang, der bleiern auf ihren Schultern lastete. Müdigkeit drohte sich ihrer zu bemannen. Hier, allein mit sich selbst und dem Herren, wußte sie, daß sie die Bilder nicht los werden würde bis zu dem Tag an dem der Herr sie zu sich rufen würde. All das Elend der Welt, das die Verblendeten verbreiteten, eingebrannt in ihre Augen, ihren Verstand und ihre Seele. Der Gedanke um all das Leid der Welt ließ sie weinen, eine einzelne Träne, vergossen für Tare, nicht die erste und auch nicht die letzte. Sie fühlte sich hilflos. Und sie wußte, daß sie es auch war.
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PO Selina Leskadon PO Shayana Mondlicht
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