Ein gebrochenes Versprechen
Ein eiskalter Griff um ihr Herz – namenloses Entsetzen. Mit durchdringendem, entsetzen Schrei reisst sie die Augen auf.
"Nein!"
Er ist fort – das Lager neben ihr, wo er ruhen sollte, kalt und verlassen. So kalt wie die Verzweiflung, die sie umfangen hält. Sie weiß nicht, was geschehen ist – doch die Kälte in ihr, das würgende, panische Entsetzen lässt keinen Zweifel: wieder ist er in Gefahr, wieder fort – wieder sind Dinge geschehen, von denen sie gehofft hatte, sie hätten ein für alle Mal ein Ende gefunden.
"Ich würde dich finden... und wenn ich dir bis ans Ende Tares folgen müsste." "So weit werde ich niemals wieder von dir entfernt sein, meine Liebste."
Worte hallen in ihr nach, kaum ist sie sich dessen bewusst. Nur ein einziger, alles beherrschender Gedanke – ein Gedanke? Denkt sie noch? Entscheidet sie noch selbst? Eine Macht, die sie führt, die sie leitet – ihre Liebe? Das Wirken der Götter?
"Ich werde ihn finden und retten – und wenn es das letzte ist, was ich auf Tare tun werde."
Getrieben von Pein, von qualvoller, bitterer Angst, zerrissen von Sorge und Qual – hinfort, gen Osten, wo er zuletzt gesehen ward. Die Angst um ihn treibt sie voran, weiter, immer weiter, Erschöpfung, Schmerz zerrt an ihr, und doch alles nur ein dumpfer Schleier, nur verschwommen nimmt sie wahr, was um sie her geschieht. Alles verblasst gegen die unaussprechliche Qual.
"Wollt Ihr, dass er dereinst vor Morsans Hallen steht und keinen Einlass findet?"
Wer – nein: was war es, das versuchte, sie aufzuhalten? Sie selbst – von finsteren Mächten getäuscht? Wollte die Freundin - nein: die Fremde helfen oder war sie die Dienerin der Finsternis, die sie von ihrem Weg abbringen wollte? Verstand sie wirklich nicht, oder waren ihre Worte nur tückische Hinterlist? Wer war Freund, wer war Feind?
"Ich werde ihn finden – und Ihr werdet mich nicht aufhalten!"
Dunkelheit umfängt sie. Ihr Weg zu Ende. Wohin nun? Kein Zeichen, kein Lichtschimmer, der ihr den Weg weisen würde, nur endlose, leere Finsternis vor ihr. Blutige Hände graben sich in den aufgewühlten Morast, verzweifelt flehendes Schuchzen dringt über die Lippen.
"Vitama, schütze und behüte ihn – verlass ihn nicht– weise mir den Weg, leite mich!"
Licht. Sanftes Schimmern. Wärme. Von ganz fern, wie aus einer anderen Zeit, von einem weit entfernten, lang vergessenen Ort – oder war es erst gestern? – scheinen Worte zu ihr hin zu dringen.
"Es gibt immer Hoffnung."
Die Stimme – eine reale, eine wirkliche Stimme, ein wirkliches Licht. Wirkliche Wärme, sanfte Hände, die sie führen, Zuspruch... Trost... Zuversicht?
"Er wird auf Euch warten, wenn wir zurückkommen." "Ich weiß, dass Ihr mich anlügt."
Die Wärme – sie ist da, umgibt sie, und dringt doch nicht zu ihr. Eine andere Stimme – oder immer noch die gleiche? – durchschneidet die Stille, dringt wie eiskalter Stahl in ihr Herz. Endgültig, ohne Illusion, ohne Hoffnung.
"Es gibt keinen Weg dorthin."
Alles verloren. Alles umsonst. Ihr Versprechen nicht gehalten. Sie hat versagt.
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