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Aves
Letzter Tag
Ist der Kröten Kleid wahrhaftig grün, so man es mit den Augen einer Hoffnungslosen betrachtet?
Langsam tragen sie ihre dünnen Beine durch die engen Gassen. Schwebendes Gleiten. Eingekesselt von mehr oder weniger sauber verarbeitetem Mauerwerk. Moos, über die Jahre angesetzt, frisst sich in den harten Stein. Unnachgiebig an ihm nagend. Ein Gefängnis? Doch nein, es öffnet sich vor ihr jener Pfad, gibt einen Platz frei, weit und mit gepflastertem Boden. Wellen aus Geräuschen, Gerüchen und Schatten brechen über ihr zusammen. Sie ertrinkt nicht. Klammert sich fest an jenen hölzernen Pfahl, gehörend zu einem Verkaufsstand, wie sie hier noch zu dutzenden aufgestellt sind. „Kauft meinen Fisch, der einzig Frische auf diesem Markte!“ Sie geht leicht in die Knie, den Blick auf die vorbeihuschenden Gestalten gerichtet. Emsiges Treiben. Farben. Stoffe. „Werter Herr, wie viel mag dieser Umhang kosten?“ Zögerlich löst sich ihr Griff. Schreitet voran und streckt ihre Hand aus. Lässt sie wandern über die Menschen. Berührt die edle Dame, gekleidet in zartes Rosa, feilschend um jede Münze und den Sacke voller Gold in der Hand. Lässt ihre Fingerkuppen wandern über den Herrn in eisernen Rüste, stramm stehend und seinen Dienste im Namen einer gesichtslosen Organisation verrichtend, ohne Frage zu stellen, ohne Zweifel zu hegen. Ertastet des Diebes krummen Rücken, gebückt um den Nichtbetuchten ihr letztes Säcklein aus der Tasche zu ziehen. Wird begleitet von ungläubigen Blicken, empörtem Gemurmel, uneinsichtigem Kopfschütteln. „Der Bote! Frisch gedruckt. Der Bote!“
„Schon oft war ich hier. Habe gekauft. Habe verkauft. Wurde verkauft. Doch, so ich nun in die Gesichter jener schaue, welche Tag ein, Tag aus meinen Weg kreuzten so erblicke ich sie doch erst jetzt. Weshalb haben sie sich verloren? Verloren im Ganzen. Untergegangen in der Menge. Mögen auch sie es sehen, jene Meute wilder Tiere, sich kämpfend von Stand zu Stand, sich lügend von Angebot zu Angebot. Gebrochenes Lächeln aufgesetzt. Zähne gefletscht. Gebrochenes Lächeln abgenommen. Friedlich kauend. Doch ich werde es mitnehmen, dieses Bild, und es bewahren.“
Ihre Griff umschliesst die kunstvoll geschwungenen, gusseisernen Klinke, vereinzelt verziert mit kleinen Blumen. Wie kalt sie doch ist, obwohl sie vom Aufgang der Sonne, bis zum Erglühen der Sterne durch tausende von Händen geht. Sie öffnet die Tür. Stimmen, hohe, tiefe, kratzende, wohlklingende, sich beschwerende, anzweifelnde, übertreibende, lautlose. „Noch ein Bier bitte.“ Freundlich wird sie empfangen von jener jungen Frau Lächeln, in dem ihrigen Alter und stehend hinter einem langen Tresen, sich quer durch den ganzen Raum ziehend. Doch ward es von ihr nicht gesehen. Langsam schwebt sie von Tisch zu Tisch, liebevoll gedeckt mit roten Tüchern, flackernden Kerzen und duftenden Mahlzeiten. „Hast du das neuste Gerücht schon gehört?“ Steckt ihren Finger in die dampfende Suppe. Kostet. Beisst ab vom knusprigen Brot. Kostet. Trinkt aus dem halbvollen Weinglas. Und kostet. Nimmt sich Zeit, lässt ein jeden Gaumenschmaus auf ihrer Zunge vergehen. „Darf man ihnen noch etwas bringen?“ Schliesst die Augen und findet sich wieder auf selbigem Platze, die herrische Stimme der Tavernenwirtin im Nacken. Das Lächeln verflogen, eine finstere Miene an seinen Platze getreten. Was einem auch einfalle. Kein Anstand. Mit wetternden Sätzen schmeisst sie um sich, doch werden diese weder gehört noch wahrgenommen.
„Und ihre Lippen hängen an ihren Gläsern, ebenso wie ihre Gedanken dem Vergangenen, Verpassten und Unerfüllten nachhängen. Ersäufen ihr Leid. Trinken ihre Gegenwart schön und merken nicht wie sie an ihnen vorbeizieht, wie sie vergeht, wie sie sie verpassen und sie unerfüllt zur Vergangenheit wird. So hoffe ich, wachen sie auf. Doch ich werde es mitnehmen, dieses Bild, und es bewahren.“
Sie geht. Verlässt die Menschen. Verlässt die Stadt. Lässt sie hinter sich, die Mauern, die Türen und kommt zu jenem Orte der Stille. Von der Nacht umschlungen stehen sie, die Weiden, ihre Äste weit gen Boden geneigt. Ihn streichelnd. Und hinter ihnen liegt der Teich, ruhige Wellen und das Licht des Mondes auf seiner Oberfläche tragend. Schon am Morgen hatte sie es sich vorgenommen. Sachte hebt sie ihr langes, weisses Kleid an und taucht ihre Füsse ins Wasser ein. Kühl und doch wärmer als vieles, was sie heute und ihr ganzes klägliches Leben lang erlebt hatte. Unverstanden. Ungeliebt. Sie hatte sie gesehen, die Welt. Sie nimmt sie mit, die Bilder, und bewahrt sie auf. Ewig. Schritt für Schritt. Das Wasser schwappt, in kaum merklichen Wellen von ihr weg, umschliesst sie. Schwebend auf dem schwarzen Teppich, ihr Kleid. Während sie untergeht.
Denn am Rande des Teiches, zwischen Farnen und Halmen sitzt eine Kröte mit einem, im Mondeschein, silbern schimmerndem Kleid.
Zuletzt geändert von Illis: 30.10.04, 22:47, insgesamt 1-mal geändert.
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