Die Dunkelheit hatte sich über Brandenstein wie ein graues Tuch ausgebreitet und kein Mensch, geschweige denn Elf oder Zwerg, ging durch die sonst in den Strahlen Felas so belebten Gassen. Lediglich die Spuren im schmutzigen Schneematsch zeugten davon, dass noch vor einem halben Zyklus die Stadt voller Leben war.
Leise, geradezu wie auf Samtpfoten, huschte eine eher kleine, weibliche Gestalt an den Häusern vorbei. Für einen raschen Moment glühten im Dunkeln ihre Augen katzenhaft und bernsteinfarben auf und sie sah sich kurz um, ehe sie ihren Weg weiter fortsetzte. Aus ihrer Fellkapuze hatten sich wenige schwarze Haarsträhnen gelöst und sie zog ihren Fellumhang als Schutz vor der Morsanskälte fest um sich.
Neben dem Eingang des Hospizes blieb sie stehen, schaute sich erneut um und lauschte den wenigen nächtlichen Geräuschen, dann hockte sie sich hin und zog aus einem kleinen Beutel, der an ihrem Gürtel hing, ein Stück weiße Kreide.
Kurz glitt der Blick aus ihren dunklen Augen am Gebäude entlang, dann jedoch wisperte sie leise:
Erde unten, Himmel oben, lasst mich Eure Liebe loben,
Urnatur und Kraft der Erde, helft mir, daß ich mächtig werde,
Wasserläufe, Frühlingsregen, gebt mir Euren sanften Segen,
Sommerfeuer, Flammenlicht, ohne Euch gedeih' ich nicht,
Wind des Herbstes, Atemluft, zeigt mir Euren reinen Duft,
Kreis ringsum und Licht in mir, uns're Kraft vereint sich hier.
Nachdenklich begann sie einen senkrechten Strich auf einen der Steine im Gemäuer mit der Kreide zu zeichnen, dachte dabei an die Rune, die sie nun aufzeichnen würde. 'Sie sieht aus wie... wie etwas, was sich schützend über einen legt.'
Ein zweiter senkrechter Strich, etwas kürzer als der andere, folgte.
'Etwas, was einem Geborgenheit vermittelt, wo man sich wohl und behütet fühlt. Wo man genesen kann.' Sie sah auf das Zeichen für einen Moment, schloss dann die Augen und ging dem Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit nach und wie jenes es schafft, einen von innen heraus zu wärmen, zu helfen und zu leiten auf so einen steinigen Weg, wie dem einer schweren Krankheit. Dann zeichnete sie den letzten, leicht schrägen Strich, der die beiden senkrechten miteinander verband - die Rune war vollendet und mit ihr auch die Kraft, die sie in sich spürte, auf ihrem Höhepunkt.
Erneut sprach sie leise Worte, ihre Augen noch geschlossen und sich auf ihre Kraft in sich konzentrierend:
Mutter, Vater, ich ruf euch hier
ich bitte euch um euer Gehör.
Vertreibt den Hauch der Pest hier aus
und legt einen Segen über dieses Haus.
Stärkt die Kranken mit eurer Macht
darum allein bitte ich euch in dieser Nacht.
Dann öffnete sie die Augen, sah einen Moment lang noch auf die Rune, ehe sie sich flink erhob und wieder in den Schatten der Gassen verschwand