Eingekesselt
Mondstag, der 21. Sekar, im Jahre 16 nach Hilgorad
"Zacharias, ich weiss nicht ob das so eine gute Idee war hier her zu kommen. Ein Tee in der Taverne hätts als Beschäftigung doch auch getan." Jeder berstene Knochen unter seinen unsicheren Schritten liess ihn zusammenfahren und Knochen gab es hier mehr denn zuhauf. "Willst du ein Bonbon?" Nur zu gern nahm er die süsse, ablenkende Honignascherei entgegen, um einiges angenehmer denn der Geruch verwesten Fleisches und geronnen Blutes. Er hatte ob all der Qual schon gar nicht mehr hingesehen, war bemüht darum einen klaren, wohligen Gedanken zu fassen.
Das Knacken unter seinen Schritten, nichts weiter denn brechendes, dürres Geäst auf einem weichen, mit Laub bedeckten Waldboden. Der erste Schnee legte sich wie Puderzucker über einen Kuchen auf die kargen Baumkronen und nimmt ihren imposanten, gen' Himmel gereckten Armen jegliche Bedrohlichkeit. Der tiefe Schlaf der Natur.
Ein Ruck zerrte ihn aus seinen Tagträumen, seine rechte Hand, gelegt auf die Schulter seines Bruders lässt ihn selbem durch ein schimmerndes Tor, Riss im Raum des Seins, folgen. Tosend bricht der Kampf der auf der anderen Seite dieser merkwürdigen Tür tobt über ihn hernieder. Das Klirren der geschmiedeten Klingen mischt sich mit dem unmenschlichen Lauten von Wesen, derer Abscheu er sich nicht mal in den schlimmsten seiner Alpträume hätte vorstellen können. Surrend, sich drehend braust die Axt eines Zwergen an Sams Kopf vorbei, zerschellt, wie ihr Besitzer einige Augenblicke später an der kalten Steinmauer des Höhlentraktes. Furcht kroch in seine Knochen während er angewurzelt inmitten des Raumes, des Kriegsgetümmels stehen bleibt. Die Diener der Götter recken ehrfürchtig ihre Bücher und Klingen gegen die Ungetüme und werden jener und ihrer Gliedmassen beraubt, als nehme ein Metzgersmann gerade einen Hasen in seine Mangel. Des Ritters Rüstung schimmert im Schein der Fackel und geht kurz darauf unter in einem Wirrwarr an Schlägen, Gebrüll und dicht aneinander gedrängten Leibern. "Bruder?" Hektisch streift sein Blick über die Szenerie, verschwommene Bilder, den Herzschlag pulsierend in den Schläfen. Seine Hand greift ins Leere. Er hatte ihn verloren und so liess er sich vom Strom der Kampfwütigen mitziehen, weiter in die Untiefen der Katakomben. Die herrischen Befehle aus rauer Kehle änderten nichts daran, dass die Mutigen Mann um Mann fielen und sich die Reihen lichteten. Sam blieb bei den Magiern, stets in der Nähe der Berobten, so hatte er es Zacharias versprochen. "..dort bist du sicher, weit hinten." Es schürte seine Angst als auch der erste von ihnen auf den blutverschmierten Boden lag. Etwas war hier ganz und gar nicht richtig, die Ruder schon längst verloren und das Boot auf dem unruhigen Gewässer bei voller Fahrt, unaufhaltsam die Wellen durchbrechend. Die Rauchfahnen der Feuergebilde, mit welchen die Arkanen um sich schmetterten verdunsteten und noch ehe sich der junge Waldläufer versah stand er allein in einem der dunklen Grottengängen.
So irrte er durch die Verwinkelungen der Wege und Kreuzungen, sein Schleichen wurde zum Gehen, das Gehen zum Rennen. Der bittere wenn auch belebende Hauch reinster Panik kroch seinen Rücken herauf und drohte sich dort wie ein lastendes Alb nieder zu lassen. Er rutscht aus. Dumpf schlägt er seitlich mit Körper und Gesicht auf dem Boden auf, schliddert noch einige Meter weit in Laufrichtung über einen tiefroten See aus klebrigem, geronnen Blut. "Kann ich euch helfen?" Die unpassend freundliche Frage lässt seinen Blick vom mittig gebrochenen Bogen, seinem Schutz und dem letzten Fünkchen Sicherheit, empor wandern. Eine der beiden Heilerinnen und einige Männer, welche ihrem Aussehen nach dem Einen höchtspersönlich in den gierenden Rachen geschaut haben. Eine kleine Gruppe der fünf Seelen und doch ein Anblick, welcher dem Jüngling die Tränen der Erleichterung in die Augen trieb. Das Grollen der Untiere wächst zu beiden Seiten des engen Ganges weiter an, dort in der Dunkelheit wo das Licht der einzigen Fackel nicht mehr hindurchzudringen vermag. "Wir kommen hier nicht mehr raus, sie sind überall.. Überall." Ein klägliches Lächeln der Heilersfrau und einige Worte der Aufmunterung: "Das schaffen wir schon, schon bald.." Und noch bevor er etwas hätte erwidern können, prescht aus den Schatten ein geflügeltes Wesen von zweifacher Mannhöhe heraus, entreisst die Gutmütige aus Sams Blickfeld um sie gegen die nächste Wand zu schmettern. Ein Brennen durchzieht seine Magengegend und noch bevor er sich der Fleischwunde über seinem gesamten Bauch gewahr wurde, umhüllt ihn Dunkelheit.
Keine Bäume.. Viel zuwenig Leben. Kein Laub das Schatten spenden könnte. Wie töricht in ein Land aufzubrechen in dem keine Äste den Firmamentenlaib kitzeln konnten. Nur Asche und Staub. Asche und Staub.
Er schlägt die Lider auf, Schmerz flutet seinen Körper. Doch trotz aller Widrigkeiten rollt er sich zu Seite, seine Hand rutscht ab, lässt sein Gesicht erneut in die süssliche, rote Brühe klatschen. Der Waldläufer rafft sich auf, zieht sich an den Unregelmässigkeiten des Mauerwerks auf seine Beine zurück, rutscht, stolpert, zieht sich dem Verlauf des Gemäuers nach. Jene der kleinen Gruppe welche eben noch auf ihren Beinen standen waren verschwunden oder lagen unkenntlich im schmalen Gang verteilt. Der Bogen gebrochen greift Sam in die kleine Halterung welche an seinen Stiefel angebracht wurde und zieht einen schäbigen Dolch hervor. Nie hätte er gedacht, dass er ihn zu etwas anderem denn dem trennen von Strauch und Beere oder Baum und Geäst brauchen würde. Seine zitternde Hand verkrampft sich um die kleine, bei klarem Verstand, nutzlose Waffe. Doch vermittelte sie ihm ebenso viel Sicherheit wie die Menschenansammlung auf die er kurze Zeit später stösst. Seine benebelten Sinne liessen es nicht zu zu erkennen weshalb die geschundenen Krieger und Magier in einem Halbkreis ausharrten, doch erkannte er sehrwohl die junge blonde Heilersfrau zu seiner Rechten. Kraftlos lässt er sich zu Boden sitzen und lehnt sich gegen ihre Seite. Sam wusste nicht weshalb, doch brauchte er mehr denn Arznei und frischen Verbänden, Sicherheit und aufbauende Worte. Und sie ging darauf ein, gab ihm nachdem er verlangte und war vielleicht gar froh darum.
"Wir müssen weg hier!" Leben erfüllte mit einem Male die Ansammlung der Harrenden vor ihnen und liess ihn, getrieben von Furcht und Vorahnung, seine Kräfte mobilisieren. Denn von der kahlen Höhlendecke zuckten, als hätte Ventus sie aus seinem eigenen Köcher entwendet, grelle Blitze zu Boden. Wieder sanken die Tapferen um ihn herum zu Boden, Rüstungen, Körper sprangen unter der Wucht der Lichtpfeile entzwei und er, den es so sehr nach Halt sehnte, legt seine Hand auf die Schulter der Heilerin, wie er es zuvor schon bei seinem verlorenen Bruder zu tun pflegte. Schritt für Schritt eilen die Überlebenden über das Blut ihrer Kameraden und wieder verwandelte sich vor seinen Augen, unter dem dumpfen Pochen des Schmerzes, alles zu verwaschenen, farbigen Schemen, die an ihm vorbei ziehen. Erst als sich die Düsternis dem Tageslicht weicht lässt er von der wegweisenden Schulter ab und lässt sich zu Boden fallen. Gras. Gras und die wohlbekannte Stimme seines Bruders, der sich sogleich an die notdürftige Versorgung seiner Wunde machte. "Zacharias? Danke.." "Für was denn, dafür dass ich dich im Stich gelassen habe?" "Danke für das Bonbon." Sam streckt seine Zunge heraus auf welcher gerade der kleine Überrest des Honigtalers vergeht. Er lässt seinen Kopf ins weiche Grün gleiten, den Blick in die Krone eines Baumes gerichtet, dessen Laub sich wogend dem Hauch des Windes beugt. Und während um ihn herum die Verwundeten ihre Schmerzesschreie ins tote Land hinaus brüllen, sich die Überlebenden durch das gusseiserne Tor ins Freie schleppen, entschläft der Waldläufer und gibt sich seiner Erschöpfung hin. Den blutigen Dolch noch immer fest umklammernd.