|
Sie schritt durch den Wald und sie war alleine, aber sie war nicht einsam. In der Ferne heulten die Wölfe, ein angsteinflößendes und bis ins tiefste Mark dringende Gejaule kaltblütiger Jäger, die ihre Schnauzen und Augen zum Monde richteten. Kalt war es um sie herum, die Nebel nahmen ihr die Sicht, umgaben sie wie weiße Wände, die flüchtig waren, wallend wie die Wellen des Meeres und doch undurchdringlich und von hinten nur schwach beschienen von dem fahlen Licht des vollen Mondes. Wie Schleier aus einer undeutbaren, unbekannten Anderswelt schienen sie- die weißen Gewänder der winterlichen Natur.
Unter ihren Stiefeln knirschte der Schnee- sie sah nicht hin, aber sie wußte, daß sie tiefe Furchen hinterließen, Spuren, die ihren Wege zeichneten. An ihren Hüften spürte sie ihr Schwerte auf der einen, den Dolche auf der anderen Seite- auf dem Rücken die Armbrust. Wo war ihr Stab? Sie hatte keinen, nicht diesmal, nicht auf diesem Wege. Welchen Wege? Wo ging sie hin? Sie wußte es nicht, sie spürte nur, wie sie etwas tiefer in die Nebel zog. Die Gedanken waren ungeordnet, flüchtig, wie der Nebel, sie konnte sie nicht halten, als würden sie ihr immer wieder aus dem Geiste gerissen, sobald ihr Bewußtsein eines Gedankens ansichtig wurde. Sie lief weiter, den Kopf gesenkt, die Arme um den Körper geschlungen, um ihren Mantel zu halten, an welchem der Wind zerrte- und sie lief hinfort in das Unbekannte. Ein erschauderndes, seltsames Gefühl begleitete sie dabei, das Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden.
Die Nebel fielen- nicht langsam, sie verflüchtigten sich nicht- sie fielen wie ein schweres Tuch hinab, von einem Wimpernschlag auf den nächsten war die Nacht um sie herum klar, die Wälder lagen vor ihr, die Landschaft erstreckte sich weithin bis zum Horizonte. Sie stand auf der Anhöhe eines Hügels, von Bäumen umgeben, die wie finstere Türme hinauf in den fast sternenlosen Himmel ragten. Ein eisiger Schauer packte sie... als würde jemand von hinten mit kalter Hand über ihren Rücken streicheln. Sie schreckte herum und drehte sich, mit der Schnelligkeit einer Raubkatze, um jenen Unsichtbaren zu erspähen. Doch war dort niemand. Nur die dunklen Wälder waren zu sehen und das Heulen der Wölfe in der Ferne zu hören. Ein kurzes Auffunkeln traf ihre Augen- dann verschwamm die Szenerie, nur einen Wimpernschlag, ehe sie etwas anderes erblickte.
Sie sah sich selbst- wie sie war, mit ihrem Mantel, mit dem Umhang aus schwarzem Leder, dem offen getragenen Dolche und dem Schwerte an ihrer Hüfte. Eine dunkle Kapuze hüllte ihr Haupte ein, welches von makelloser und zarter Haut überzogen wurde und dessen Augen wie blaue Sterne funkelten. Eine geheimnisvolle Schönheit war sie. Aber sie sah sich nicht nur einmal- sondern hundertfach: tausend Gesichter aus tausend Spiegeln umgaben sie, blickten sie an. Sie drehte sich, langsam und bedächtig, und tausend Gestalten drehten sich mit ihr. Wo war sie? Unwichtig... die Antwort kam nicht von ihr- aber sie war in ihrem Geiste, wie der Gedanke eines anderen. Sie drehte sich weiter, sie spürte etwas, etwas, das kommen würde. Sie sah es nicht- sie hörte es nur- ein erstickter, grauenvoller Schrei... rasch drehte sie sich um ihre eigene Achse- und 999 Spiegelbilder drehten sich mit ihr- nur eines war keines mehr. Die Gestalt im Spiegel brach zusammen, die Hände um den Halse verkrampft: ein Bolzen ragte aus diesem heraus, vom Nacken bis nach vorne zu der Vorderseite des Halses, wo die blutgetränkte Spitze die Haut durchbohrte- sie sank zu Boden. Blut sickerte über diesen, Blut aus dem Halse, aus der Wunde- was passierte hier?
Die Augen waren schreckgeweitet, doch sie hatte keine Zeit, sich zu erholen- aus ihren Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Sie drehte sich rasch herum, die Hand legte sich auf den Schwertknauf und zog ihr Kurzschwert. Doch war da niemand: nur ein Spiegelbild, hinter dem kurz eine schwarze Gestalt auftauchte und ihr die Kehle durchschnitt- ein ersticktes Röcheln, dann sank sie zu Boden, tot.
Die Spiegelbilder sahen nicht mehr aus wie Spiegelbilder- einige hatten den Dolch gezogen, andere die Armbrust, manche das Schwert. Sie bewegten sich immer asynchroner zueinander. Sie sah sich selbst tausendfach, und in jedem Wimpernschlag starb sie, starb eines ihrer Spiegelbilder qualvoll- ihr Atem rasselte, ging schneller, überschlug sich fast- die Gedanken rasten, das Adrenalin schoß durch ihren Körper. Ein Schwerthieb traf ein Spiegelbild rechts neben ihr, ein Stich durch das Herz- im nächsten Augenblick wurde ein anderes geköpft... ein Gurgeln erscholl hinter ihr- als würde jemand erwürgt werden. Immer schneller drehten sich die Ereignisse um sie, immer öfter, immer schneller starb sie. Sie zitterte, heftig und angsterfüllt, wie von einer kalten Klaue gepackt zog sich ihr Herz zusammen.
Und Ihre geweiteten Augen erblickten noch mehr des Schreckens: die Spiegelbilder griffen einander in der Panik ihres Todes an, als würde dies ihr Leben retten. Die eine Silvina spannte die Armbrust, der Bolzen flog und zerriß die Brust einer anderen- genau an jener Stelle, wo das Herz saß. Schwerter klirrten und Dolche schnitten sich durch die Adern der makellosen und doch bald ersterbenden Körper.
Blut sickerte aus den Spiegeln, wie Wasser, mehr und immer mehr. Es sickerte um ihre Füße und tränkte ihre Stiefel, es war ihr eigen Blut und sie stand in einem Meer aus diesem.
Ihre Lippen öffneten sich, sie drehte sich nun in Panik herum, die Hände hielten das Schwert krampfhaft umschlossen, das Weiß ihrer Knöchel trat hervor. Szenen einer Schlacht taten sich auf, immer mehr Spiegelbilder lagen tot auf dem Boden, sie keuchte, drehte sich schneller... und ein gellender Schrei entrang sich ihren Lippen. Aber der Schrei war stumm- es war nichts zu hören, doch war es, als würde der Schrei durch ihre Gedanken donnern und ihren Geiste zum Erbeben bringen. Die Spiegel bekamen Risse, das Glas knirschte- es kehrte Stille ein, Totenstille, noch nicht einmal die ersterbenden Atemzüge der Getöteten durchbrachen jene Lautlosigkeit. Die Spiegelbilder, die noch auf den Beinen standen, wanden sich herum und blickten nun ihr direkt in die Augen, starrten sie direkt an- für die Dauer eines Wimpernschlages. Kalte blaue Augen stachen in kalte blaue Augen- und schon im nächsten Moment wurden die Waffen auf sie gerichtet. Irreal wirkte es, die Spiegel waren zerrissen, unförmig und wie Mosaiksteinchen und gleichsam zerrissen und unvollständig wirkten deren Gestalten. Der Schrei gellte weiter und die Armbrüste der undeutbaren Spiegelbilder schossen die Bolzen auf sie ab, die Dolche wurden geworfen, die Schwerter auf sie gerichtet. Und noch ehe all dies vollendet werden konnte, zersprangen die Spiegel, zerbarsten in tausend kleine Scherben, die wie in einer Explosion auf sie zuflogen... stobend und laut war der Knall, heftig- sie sank zu Boden und vermeinte, das berstende Glas überall auf der Haut zu spüren, die scharfkantigen Splitter, die sich in sie bohrten, ihre Haut zerfetzten und sie zerfleischten.
Sie schnappte nach Luft und richtete ihren Oberkörper kerzengerade auf. Ihr Herz pochte wie wild und sie preßte die Lippen stark aufeinander. Der Atem Silvinas ging heftig und keuchend und für einige Momente war sie wie betäubt, schwebend zwischen dem verblassenden Traume und der erwachenden Realität. Ihre Hand führte sie langsam an ihre Wange, die sie vorsichtig betastete- behutsam, als habe sie Angst, sie zu verletzen- doch da war nichts, sie fühlte nur die zarte und weiche Haut, die ihre makellose Schönheit ausmachte. Nirgends spürte sie eine Wunde und keinerlei Splitter. Von einem Fenster her fiel das Licht der aufgehenden Sonne in glänzenden Strahlenfächern in den Raume hinein und beschien das Fell, auf welchem sie die Nacht geruht hatte. Es war nur ein Traum. Aber sie wußte nicht mehr, was genau passiert war- nur das Klopfen ihres Herzens erinnerte sie daran und die Müdigkeit, die sie verspürte und die noch wie schweres Blei in ihr lag.
Zuletzt geändert von Silvina: 18.03.06, 05:22, insgesamt 1-mal geändert.
|