|
II. Ritual
Wieder das Plateau, was sie schon längst zu schätzen gelernt hatte, krochen sonst wohl nur selten einmal Personen hier hinauf und selbst wenn sich ein Paar hierher verirrte, so hatte sie sie mit ihrem 'Geistertheater' rasch wieder vertrieben.
Erneut war sie in einer Robe gehüllt, doch dieses Mal hatte sie eine aus nachtblauen Stoff gewählt, denn sie war sich nicht sicher, ob gewisse Wesenheiten nicht ein wenig wählerisch reagieren könnten. Sie hatte einfach zu wenig Erfahrungen mit jenen, die sie heute anzurufen gedachte, doch gerade diese mochten sich wohl als nützlich erweisen für das, was sie vorhatte.
Ein Bündel legte sie ab, öffnete es und breitete vor sich ein Tuch aus, auf dem sie einige der Dinge aus dem Bündel in aller Ruhe abstellte. Fela versank mit den letzten rotgoldenen Strahlen im Westen und noch war keiner der Monde am Himmel zu sehen.
Ein Glas Honig stellte sie ab, dazu einen gefüllten Trinkschlauch aus Leder, eine Holzschatulle und einen Strauss Herbstblumen sowie einige Kerzen auf hölzernen Haltern und ihre Räucherschale mitsamt einem kleinen Beutel Räucherkohle sowie einem Beutel in dem sich einige Brocken eines Duftharzes befanden.
Sie schüttelte den Kopf und besah sich noch einmal die Utensilien. Unweigerlich musste sie daran denken, wie sie einst ihren schattenhaften Begleiter gerufen hatte - gewiss, Kerzen waren auch ein Paraphernalium gewesen, aber ebenso auch einige Stengel Nachtschatten, den sie während der damaligen Anrufung tief inhaliert hatte, um sich in einen tranceartigen Zustand zu bringen, dazu das Blut einer Ziege sowie ihr eigenes für den Beschwörungskreis.
Doch gewisse Geister konnte man mit Blut kaum locken.
Sie zog noch einen Glaskrug hervor und öffnete dann den Trinkschlauch, füllte aus diesem die Milch in den Krug und griff sich dann das Glas Honig sowie einen breiten Holzlöffel, den sie in das Glas tunkte. Einige Male füllte sie so je einen Löffel voll Honig in den Krug, mischte beides gründlich und griff dann zu der Holzschatulle, öffnete sie und der Duft getrockneter Rosenblätter zog wie eine sanfte Brise zu ihr hinüber.
Im Grunde fand sie es etwas lächerlich und arg lieblich - mit Honig und Milch Geister locken. Aber anders wusste sie sich bei dem Wind hier auf der Insel nicht zu helfen, denn würde sie ihren Beschwörungskreis mit den trockenen Blüten ausstreuen, wären sie rasch wieder verweht. Es musste also etwas her, was sie am Boden hielten, was regelrecht klebte und dennoch passend war zu dieser Sorte von Geistern. Milch und Honig eben.
Sie kippte den Inhalt des Kästchens nach und nach in die Honigmilch im Krug, rührte erneut, nun aber wesentlich behutsamer, um, bis sich die Blüten in der schmackhaften Mischung gut verteilt hatten.
Sie stellte den Krug ab und hob ihren Blick empor zum Himmel, der sich allmählich verdunkelte und auf dessen nachtblauen Gewand man nun die Sterne wie kleine, helle Perlen ausmachen konnte. Zwischen ihnen prangte ihr Ziel für diese Nacht milchig und verschwommen hinter seinen Wolken und doch schien beständig sein güldenes Licht zart hinab - der Vitamalin.
Sie erinnerte sich an die damaligen, ersten Sitzungen mit ihrem Mentor, anfangs, als sie noch nicht die Kraft hatte, jeden schwachen Moment von ihm effektiv ausnutzen zu können, um ihn zu demütigen und zu zeigen, dass sie bald soweit sein werde, um ihn zu schlagen und selber zum Meister aufzusteigen. Sie erinnerte sich der Worte, die er zu ihr gesprochen hatte und was für eine Art Geister vom Vitamalin abstammen würden - Geister, Feenwesen gleich, die meist besonders nützlich waren, wenn es um Liebesdinge ging. Nicht ohne Grund starrten verliebte Paare oftmals wie hypnotisiert auf zu diesem Mond in lauen Sommernächten, ehe...
Sie blinzelte, schüttelte ihren Kopf, als wolle sie jeglichen Gedanken daran abschütteln. Die Zeit war nun reif, denn die Nacht war perfekt. Der Wind schwieg, kaum Wolken verdunkelten den Himmel und somit blieb auch der Regen ausnahmsweise aus.
Sie stieg hoppsend aus ihren Stiefeln raus, legte ihren Schmuck sowie Umhang und ihr Tuch vom Kopf ab, um dann barfüssig zu der Mitte des Plateaus zu schlendern. Es war etwas kühl an den Zehen, aber sie wollte verhindern, dass irgendetwas an ihrem Körper zuviel war und so das Ritual behindern könnte.
In der Mitte atmete sie durch ihre Nase tief und hörbar die frische Bergluft ein, legte den Kopf leicht in den Nacken, schloss ihre Augen und streckte ihre Arme zu den Seiten aus. Ihre Sinne griffen hinaus, schärften sich für ihre Umwelt, für das, was sich unsichtbar hier verbergen mochte und langsam drehte sie sich, konzentriert und ruhig, während ihre Hände leicht fortscheuchende Bewegungen vollführten - weg, nur weg mit jeglichem Geist - sei er noch so klein und schwach - der hier nun nichts mehr suchen hatte und sie stören könnte. Fort mit den Resten eigenwilliger Gebilde, die ihr geistiges Schamanenauge als eigenständige Wesenheiten interpretierte, Reste von ehemaligen, arkanen Entladungen. Dann hielt sie inne, erforschte noch ein letztes Mal ihre Umgebung, doch diese schien nun rein.
Sie liess die Arme sinken, öffnete die Augen und leise pfeifend schlenderte sie zurück zu ihren Utensilien, griff sich die Kerzen, stopfte sie in eine der Robentaschen, füllte noch die Räucherschale mit Kohle auf, die sie mit Hilfe einiger kleiner Flammen, die sie scheinbar aus dem Handgelenk zu schütteln schien, in Brand setzte und hob diese dann ebenso wie den Blumenstrauss auf und stellte alles in der Mitte des Plateaus ab, ehe sie erneut zurückschlenderte. Ein Griff zum Glaskrug, dann kehrte sie auch schon wieder eigenartig beschwingt um.
Schon seltsam, bemerkte sie im Stillen, wie ungewohnt zufrieden, ja, direkt fröhlich sie sich fühlte. Doch ehe sie sich den Kopf darüber unnötig zerbrach, goss sie schon die ersten Tropfen ihres Honig-Milch-Rosenblüten-Gemischs auf den Boden aus und schlenderte langsam weiter, während sie Worte raunte, von einer ungewohnten Weichheit in ihrer Stimme begleitet, denn dabei rief sie sich ein Bild in ihren Sinn - ihr Liebster, wie sie ihn heute morgen, als sie wieder nach einem unruhigen Traum erwacht war, betrachtet hatte und wie er mit friedlicher, sanfter Miene, das blonde Haar rund um sein Gesicht und aufs Kopfkissen fliessend, dalag. Es war ein friedvoller Anblick gewesen, voller Wärme, wie sie es früher nie kennenlernen durfte. Ein Bild, was ihre Worte immer weicher werden liess, während sie die Linien des Pentagramms ablief: "Vitamalin, höre mich an und öffne dich mir. Geister des Vitamalin, fern von Tare weilend, steht mir bei im Schutz für meinen Liebsten."
Wieder und wieder sprach sie die Worte, dabei immer weiter in leisen Singsang verfallend, während sie das Pentagramm auf den Boden weiterhin aus Milch, Honig und Rosenblüten zeichnete und am Ende die Spitzen mittels eines Kreises aus den Resten verband, um dann den Krug ausserhalb des Kreises abzustellen. Dabei bemühte sie sich stets, im Kreis zu verharren und trat dann vorsichtig in die Mitte, ihre Robe gerafft haltend und achtete auf die Linien, die im Schein des Vitamalin leicht glänzten und einen ausgesprochen appetitlichen Duft aussandten.
Sie schnappte sich nun die Kerzen und stellte sie auf die jeweiligen Spitzen des Pentagramms, deutete jeweils auf den Docht und entzündete ihn rasch, ehe sie sich wieder vorsichtig herumwand und nun den Herbststrauss öffnete und in der Mitte des Sternes verteilte, darauf die Schale mit den nun allmählich gut durchgeglühten Kohlen darin plazierte und sich ebenso auf die Blumen niederhockte. Sie griff zu einem kleinen Beutel, öffnete ihn, zog einige Klumpen des Duftharzes hinaus und streute diese mit einer ruhigen, lockeren Bewegung über die Kohlen, ein feines Lächeln lag dabei unweigerlich auf ihren Zügen und zarter Rauch, vornehmlich duftend nach einer zarten Rosensorte, wie man sie hauptsächlich im Wallenburgischen zog, wallte kräuselnd auf. Tief inhalierte sie den Duft, schloss dabei ihre Augen und ein leiser, versonnener Seufzer entfleuchte ihren Lippen, doch dann riss sie sich zusammen.
Ein letztes Mal griff sie in ihre Robentasche, zog aus dieser eine Kette aus rotbemalten Holzperlen sowie einen klaren Rubin hervor, die sie vor sich neben der Schale legte. Einen Moment fixierte sie beides, dann aber schloss sie ihre Augen, wedelte sich erneut mit ihren Händen den Duft des Harzes zu, der weiterhin aufstieg und sprach leise, sanft aus: "Hört mich an, ihr lieblichen Geister des güldenen Feenmondes, hört meine Bitte an und gewährt mir euren Schutz...."
Mehr und mehr hüllte sie ein exquisites Duftgemisch, bestehend aus dem Parfüm blütenschwerer Rosen aller Art, trutzigen, kleinen Herbstblumen, der letzte Gruss Riens und Vitamas, ehe die Zeit Morsans anbrechen würde, zähflüssiger, süsser, goldglänzender Honig, duftiger, schmackhaft-weicher Milch und heimelig, wärmenden Kerzenschein sie ein, während die Welt sich um sie herum zu drehen schien, schneller und schneller, ehe leises, glockenhelles Lachen erklang...
Wohlige Wärme umgab sie, eine angenehme Schwere lag auf ihren Gliedern, während sie satt von den Düften zufrieden schmatzte. Irgendwoher erklang das schmelzende Lied einer Nachtigall und sie wagte es kaum die Augen aufzuschlagen, denn wenn es nur ein Traum wäre, so wollte sie nicht mehr erwachen. Leise hauchte eine warme, wohlbekannte Stimme nahe an eines ihrer Ohren, säuselte liebevoll ihren Namen und ein Schmunzeln zog sich über ihre Lippen, während sie leise seinen Namen raunte. Sie spürte so dann eine seiner Hände, weich und zart, wohlgepflegt wie immer, an eine ihrer Wangen streicheln, ehe er leise neckend nun sprach: "Wach auf, meine kleine Wildkatze."
Ein Lächeln lag noch auf ihren Zügen, während sie die Augen langsam aufschlug, erhoffte sie doch sein Antlitz zu sehen, wurde aber jäh enttäuscht, denn ein flackerndes Licht, in Form und Farbe gleich einer Kerze tanzte vor ihr in der Luft und entfernte sich ein Stück von ihr. Langsam setzte sie sich auf, sah sich dabei flüchtig aus ihren Augenwinkeln um - statt des Plateaus fand sie sich auf eine nächtliche Wiese wieder, beschienen von einer grossen, sanft-goldenen Scheibe am Himmel, von der sich immer und immer wieder kleine Lichtpunkte lösten, um dann Glühwürmchen gleich, über die Wiese zu tanzen. Einige alte, hohe, herbstliche Bäume standen um sie herum und aus einem von diesen Bäumen drang auch das Lied der Nachtigall zu ihr heran.
"Ich hätte nie erwartet, dass du uns um etwas bitten würdest", sprach der tanzende Kerzenschein vor ihr, die ersten Worte noch mit der vertrauten Stimme, ehe sie sich leicht in höhere Tonlagen verlegte. Jegliches angenehmes Gefühl fiel von ihr langsam ab und sie verzog ihre Miene etwas. Sie war wahrlich kein Kind des Feenmondes und wenn sie an ihren dunklen Begleiter dachte, so war sie doch eigentlich falsch hier... eigentlich.
"Ich bin hier, da ich eure Hilfe als Schutz für jemanden erbitte, der mir sehr wichtig ist", sprach sie leise und ernster nun. Ein leises Lachen war von ein paar der herumirrenden Lichtpunkte zu vernehmen. "Einen Liebsten hast du also, der dein Herz allmählich mehr zu beherrschen scheint, als dein Geist dich." Sie runzelte ihre Stirn, nickte dann aber langsam. "Das ist schön zu hören, kleine Wildkatze", sprach der tanzende Kerzenschein, etwas neckend klang es, während eine sanft Windbrise von ihm zu ihr wehte, zärtlich durch ihr Haar strich. "Damit hast du auch schon eine Antwort auf eine andere Frage, die du dir schon längst tief in deinem Inneren gestellt hast." Fragend ihr Blick nun. "Du weisst es selber genau - eines gibt es, was dich belastet, was dich immer wieder aus deinen Träumen schrecken lässt, etwas was dir Kopfzerbrechen bereitet und doch hast du einen ersten Schritt getan, um diesen Alpträumen ein Ende zu bereiten. Aber deswegen bist du nicht hier."
Ein leises, helles Lachen des Lichtes, dann sah sie hinab ins Gras vor sich, wo ein kurzes Aufblitzen eines Steines ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie griff mit einem Nicken zu dem Rubin und hob ihn etwas an zu dem Licht. "Ich bitte dich - lass einen Schutz vor meinem Geist in diesen Stein fliessen. Er soll ihn tragen und so sicher sein, sollte mein Schatten irgendwann wieder Besitz von mir ergreifen. Er hasst ihn und will mich wieder für ich alleine." Tänzelnd schwebte das Licht um den Rubin herum. "Ein schönes Rot dieser Stein hat. Rot wie die Liebe, wie Leidenschaft, wie das Feuer, was sie in dir brennen lässt, kleine Wildkatze. Aber was bietest du mir dafür an?" Sie stutzte und presste ihre Lippen aufeinander. Irgendwie war das Geistervolk doch immer gleich - wollte man etwas, verlangte es ebenso etwas und wenn man Pech hatte, kam man wieder mal vom Regen in die Traufe.
Tief und seufzend atmete sie ein und hob ihre Schultern an. "Was kann ich euch denn bieten?" "Och, so unkreativ? Bei deinem ersten Ritual mit dem Geist des Düstermondes hattest du doch sicher sehr viel rascher ein Angebot zur Hand, nicht wahr?" Irrte sie sich oder klang die Stimme etwas schärfer? "Ich äh...", stockte sie nun, "ich kann euch wohl kaum das geben, was ich ihm gab. So leid es mir tut - ich bin schon in der Hinsicht vergeben." Ein Kichern rings um sie her, sie verdrehte kurz ihre Augen. "Ach, so ein Unsinn", sprach das kleine Licht vor ihr, "was will ich denn mit dir? Nein, hör mir zu..." Es schwebte näher an eines ihrer Ohren, leise wurden Worte geraunt, melodisch und weich, während die Menschenfrau die Augen leicht weitete, einen Moment starr im Gras verharrte, wie vom Donner gerührt, dann aber langsam nickte und leise sprach: "So sei es." "Dann nimm mich mit", flötete der kleine, tanzende Kerzenschein ihr zu und näherte sich dem Rubin, sprang über in jenen. Aus jeder Facette trat nun ein helles, grelles und doch warmes Licht hervor, sie kniff ihre Augen zusammen und erneut hatte sie das Gefühl, als würde die Welt sich drehen, immer rascher werdend, wobei das Lied der Nachtigall wieder leiser wurde...
... während das Geräusch scharf pfeifenden Windes durch Felsklüfte, vorbei an rauhen Gestein und durch das Geäst karger Bäume zunahm. Jäh pustete er die Kerzen aus, riss mit sich den Duft von Milch, Honig, Rosen und Kerzen, Blüten wirbelten dabei um sie herum, während sie fest den Rubin in ihren Händen klammerte, starr auf die grösste Holzperle der Kette in ihren Händen sah, den Stein in die Aussparung presste und ein leichtes Glimmen ihn umzog.
Er brannte sich für einen Moment förmlich hinein, dann jedoch zog sich das Glimmen zurück in den Rubin, verblieb dort und matt liess sie sich auf die Reste der Herbstblumen fallen, während ihr müder Blick hinaufschweifte zum Himmelszelt, an dessen Ränder silbrige Streifen vom Morgen kündeten und der Vitamalin allmählich verblasste.
Leise nur fauchte eine Stimme in ihrem Inneren.
Den Verrat wirst du mir büßen!
Zuletzt geändert von Schattenkind: 21.10.06, 00:42, insgesamt 1-mal geändert.
|