III. Kapitel - Großkapitel
Erzählt von einer wundersamen Traumbegebenheit.
I. Caput
Prolog.
Kann ein einzelner Mann die Welt verändern? Wohl kaum, es sei denn, er ist König. Wenn der gemeine Mann mit solch einem illusorischen Ziel lebt, dann richtet er in der Regel mehr Schaden an, als er Nutzen bringt. Dies zeigt sich wiederum vorzüglich an Hali, wie er versucht, eiserne Ideale durch eine effiziente und geregelte Verwaltung der Fünfmannarmee des Ordens durchzusetzen, um damit die Welt vom Übel zu befreien. Unter Umständen so löblich wie der Versuch, allen Menschen Moral zu lehren – und mindestens genauso aussichtsvoll. Aber über solche Dinge nachzudenken war jetzt keine Zeit, zunächst musste er eine kleine und geheime Unterredung mit Cendaric führen. Der Orden schien von Inkompetenz, persönlichen Eitelkeiten und Eigensinnigkeit sowie Werteverfall unterwandert. Zu allem Überfluss taten sich auch noch andere Verdachte auf. Danach, gerade im dem Glauben, diesen Tag ohne größere Verletzungen physischer oder psychischer Art überstanden zu haben, donnerte Akora ihm die schwere Kellertür mit vollem Schwunge gegen die Nase, als er gerade nach der Klinke greifen wollte. Potz Blitz! Ist es Schicksal? Sie jedenfalls hatte Verdacht geschöpft, dass irgendetwas besprochen wurde, das sie nichts angehen sollte und verschwand mit Cen nach oben, sicherlich, um ihn auszuquetschen. Hali zog sich dagegen gepeinigt zu seiner Arbeit zurück. Der Schmerz war widerlich, die Augen tränten ihm noch immer von der Erschütterung seines Nasenbeines. Den Göttern sei Dank hatte seine Stirn etwas von der Wucht abgefangen. In der Einsamkeit des Kellers nun gedachte er, weiter die Wappen des Ordens auf die nagelneuen Waffenröcke zu nähen, doch merke: Lässt du einen großen Haufen Stoff in einem stockfinsteren Gewölbe liegen, dann merke dir wo. Sonst stolperst du und stößt dich unglücklich an der Kante der eisernen Vermögenstruhe. So wie Hali.
II. Caput
Delirium.
Als er wieder erwachte, befand er sich in einem dunklen Raum (wie verwunderlich). Vor ihm stand ein Spiegel und seltsamerweise konnte er sich darin sehen, obwohl es völlig finster war. Aber dann verblasste das Bild im Spiegel. Fahles Licht stellte sich ein und schien aus dem Spiegel zu kommen. Hali fasste nach der Oberfläche, doch da war keine. Es schien nun eher ein Durchgang, ein Portal in einen identischen Nebenraum. Er stieg hinein und wie er das tat, stand er auf einem Berg in luftiger Höhe. Der Wind wehte ihm fauchend um die Ohren und der Stoff seines Umhanges flatterte raschelnd und peitschend im Wind. Vor ihm führte ein Pfad in das Tal hinab und war in seinem Beginn einladend, weich und gerade, in der ferne schien er hie und da in dunklen Senken zu verschwinden und dann wieder aufzutauchen. Er führte in ein flaches, dunkles Tal. Eine unnahbare Unveränderbarkeit und Schwere lag über jenem Weg, aber war es der einzige und so folgte Hali ihm zunächst.
Er war nicht lange gegangen, da ging plötzlich ein Abbild seiner selbst aus ihm heraus, losgelöst wie ein Geist, mit dem Unterschied, dass Hali selbst eher der Geist geworden war, denn sein Abbild allein schien von der Umwelt wahrgenommen zu werden. So beobachtete Hali nun die Szenerien, die sich vor seinen Augen abspielten. Sein Doppelgänger ging den Weg weiter, während er selbst zu einem materielosen Beobachter wurde. Plötzlich wandelte sich die Welt und Halis Gegenbild lief eine Pflasterstraße entlang. Es sah nun älter aus, erfahrener, von den Jahren gezeichnet. Ohne Zweifel, sie befanden sich jetzt in Falkensee, die Straße vorüber an dem kleinen Garten zum Tempel der Sahor hin. Im Rücken das Ordenshaus. Es war nun prachtvoll, majestätisch, ehrfurchtgebietend und überlegen. Ein Sinnbild von erlangter Macht. Jede Bewegung war langsam und pathetisch, Felas Licht bohrte sich durch die Gewitterwolken und ein jeder Gläubige neigte sein Haupt, wenn Hali in seiner prunkvollen Uniform an ihnen vorbeistapfte. Ein Bote oder dergleichen kam herbeigeeilt. „Herr, der Häretiker ist wie von Euch verordnet auf das Schafott geführt worden, um für seine blasphemische Anmaßung, über den Orden gelästert zu haben, die gerechte Strafe zu erhalten!“ Er verbeugte sich und tippelte voran, Hali schritt hintendrein. Und da war an den Pfahl um das Feuerholz gebunden irgendein vertrautes Gesicht, doch es war nicht zuzuordnen. Hali erhob des Wort: „So soll dieser Verbrecher nun nach den Geboten der wahren Götter seine Buße erfahren. So steht es geschrieben, und so soll es sein.“ – Letztere Worte leiser, bedächtiger gesprochen. Dann nahm er die Fackel aus der Hand des Henkers und war sie ins trockene Stroh; und alles ging lichterloh in gleißenden Flammen auf.
Vor dem Beobachter Hali zerfiel alles zu grauer Asche und ein neues Bild erstand. Ein schlammiger Feldweg, in der Ferne ein unbedeutendes Kuhdorf. Plätschernd und klatschend schlurfte eine eher schäbige Gestalt entlang. Auch dies war Hali, und auch dieser Abguss sah älter aus, trug aber trotzdem den alten braunen Umhang (den er eigentlich vor ein paar Monden in Endophal eingebüßt hatte). Seine Haare und sein Bart waren taubenetzt, sein Gesicht verbittert und ausgezehrt. Das Geldsäckchen schien leer und baumelte ohne Gewicht wild am Gürtel herum. Er kam in das Dorf, ohne Dukaten und Essen. Allerdings wirkten die Menschen dort keineswegs viel reicher und schon gar nicht freigiebig, sodass Hali heimlich den Schweinen das Futter aus den Trögen stahl, um es am Waldrand gierig zu verspeisen. Und dann ging die Reise weiter, rastlos, friedlos, trostlos. Der Verlauf des Weges war schwer zu Erahnen, das Land in der weiten Ferne unnahbar.
III. Caput
Exitus.
Der Blick verlor sich. Hali stand auf einer weitläufigen Ebene. Zu seiner Rechten verlief eine schnurgerade, steinerne Straße, von großen, reichen Häusern gesäumt. Zu seiner Linken ergoss sich der Feldweg in Morast, Natur, Ungewissheit und Freiheit. Aber dazwischen, hinter ihm und bisweilen unbemerkt, da wand sich noch ein Weg in fadenscheinige Landschaften. Ein scheinbar neuer, unbekannter. Doch bevor irgendein Geist ihn probehalber beschreiten konnte, fühlte Hali sich irgendwie unwohl, ganz so, als läge er unbequem, obwohl er doch stand.
Auf einmal war ihm nun, als hätte er seine Augen geschlossen. Er blinzelte. Mit geöffneten Augen sah er nicht viel mehr – außer den dreckigen Kellerboden und ein paar Bahnen Blut in den Fliesenfugen. Seine Beine hingen noch auf dem mit einer grauen Wolldecke bedeckten Kleiderhaufen. Sicherlich ein ziemlich bizarrer Anblick, sofern etwas Klares erkennbar gewesen wäre. Hali rappelte sich auf und rieb sich den Schädel, wobei er seine Hände mit Blut beschmierte. „Verdammte Scheiße.“ Wahrlich, ein merkwürdiger Traum. Bloß: Nicht mehr, als ein Hirngespinst ob einer Schädelprellung mit kurzweiliger Bewusstlosigkeit (wer weiß, wie lange er da gelegen hatte), oder doch eine bedeutende Eingebung mit Lehreffekt, wie man sie aus alten Geschichten kennt? In jedem Falle hatte Hali nun Durst. Und einen ramponierten Scheitel.
_________________ Gespräch unter Fischen:
Zuletzt geändert von Hali: 13.08.06, 13:12, insgesamt 1-mal geändert.
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