Nur noch eine Kerze brannte in dem Raum, in denen mehrere – meist leere Betten – standen. Die meisten anderen dort schliefen schon und nur Asrai war noch mit ihrem Büchlein beschäftigt, in dem sie noch mal alles Revue passieren ließ, was heute geschehen war.
Sie war einem Barbaren über den Weg gelaufen, der sie prompt bat, ihr die Stadt zu zeigen. Und das tat sie auch, zumindest zeigte sie ihm das, was sie in den wenigen Tagen, die sie schon hier war, bereits kannte.
Als sie diese paar Orte in Falkensee besucht hatten, fragte er sie, ob er ihr nun einen besonderen Ort in den Bergen zeigen sollte. Kurz war Asrai etwas unschlüssig gewesen, willigte dann jedoch ein. Es fehlte ihr bisher an Spontaneität, und das wollte sie ändern.
Es war zwar kein langer weg bis zu den Bergen, doch stellte sich der Aufstieg als schwieriger raus, als Asrai gedacht hatte. Der Barbar – der sich mittlerweile als Zayn Lagrah vorgestellt hatte – bot ihr zwar an, sich zu tragen, doch das wollte sie nun wirklich nicht. Sie zog sich ihre dicke, warme Robe aus und war mit den leichten Sachen, die sie darunter trug, um einiges gewandter. Die beiden sicherten sich noch mit einer dicken Liane ab und begannen dann mit dem Aufstieg. Alles klappte auch soweit ganz gut, doch auf den letzten Metern versagten ihre Kräfte, sie rutschte ab und konnte sich nur mit Mühe halten. Doch Zayn hatte sie an der Liane gesichert und half ihr das letzte Stück hinauf. Der Schreck steckte ihr in den Glieder, doch was sie dort auf der Spitze des Berges erwartete, hatte sie nicht zu träumen gewagt… Der Wind wehte hier beständig und kalt, fegte über den Schnee und blies ihn umher. Doch an einer Stelle schien er sich zu sammeln und in einer Böe in den Himmel aufzusteigen. Neben diesem Wirbel waren zwei Statuen aufgestellt, die beide einen Adler darstellten. Vor dieser Aufstellung befand sich ein kleiner hüfthöher Felsen, in dem drei Sternensaphire eingearbeitet waren… mehr brauchte Asrai nicht um zu erkennen, wem dieser Ort geweiht war und wessen Geist hier gegenwärtig war…
Tief verneigte sie sich vor der dem Luftwirbel und den Statuen und wich ehrfürchtig einige Schritte zurück, bevor sie ihr Haupt wieder erhob. Der Barbar hatte das Geschehen unschlüssig beobachtet und Asrai erklärte ihm, was das hier war. Ein Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gelegt. Nie zuvor war sie an einem solchen Ort gewesen. Die Kälte um sie herum, der Schnee sowie der eisige Wind, der ihr ins Gesicht fegte, das alles nahm sie nicht mehr war… oder war er vielleicht gar nicht mehr da gewesen…?
Gründlich und fein säuberlich hatte sie diesen Ort in ihrem Büchlein festgehalten und skizziert, ebenso wie den Weg hierher. Sie würde sicherlich noch oft hierher gehen…
Nach dem Abstieg hatte Zayn ihr noch einige andere Orte gezeigt, die sie bisher nicht auf dieser Insel gesehen hatte und sie mit Staunen und Begeisterung erfüllten. In den wenigen Tagen, in dem auch der Barbar hier auf der Insel war, hatte dieser scheinbar schon mehr gesehen und erlebt als sie.
Später trafen sie noch Johan und Thyrian, mit denen sie sich in die trockene Wärme der Taverne „Zum Seiltänzer“ zurückzogen. Auch wenn ihr der Ort – oder vielmehr die Besitzerin – noch immer nicht geheuer waren, war sie doch froh im Warmen zu sein und sich der schweren Robe wieder entledigen zu können.
Lange hatte sie sich an jenem Abend mit Thyrian unterhalten… und es brachte sie zum Nachdenken.
Lange hatte sie sich später auch mit Zayn unterhalten… und es brachte sie noch mehr zum Nachdenken.
Es waren Dinge, über die sie bisher gar nicht nachgedacht hatte, die für sie bisher keiner Rolle gespielt hatten… doch niemand wusste, wie lange sie noch auf dieser Insel verweilen würde… und dann würde es sicherlich früher oder später eine Rolle spielen…
Asrai blickte von ihrem Büchlein auf als die Kerze kurz in einem Luftzug flackerte. Doch die Fenster waren alle zu ebenso wie die Tür. Was bedeutete das…? Sie sah zur Kerze, doch geschah nichts mehr.
Als sie ihren Blick zurück zum Büchlein wandte, sah sie, wo ihr Stift angesetzt hatte… und das verwirrte sie noch mehr. War dies ein Zeichen? Ein Zeichen Ventus'?
Erschöpft und müde strich sich Asrai mit einer Hand über das Gesicht, bevor sie das Buch zurück in ihre Tasche legte und die Kerze auspustete, um zu schlafen.
Dennoch ließen ihr die Gedanken keine Ruhe und es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie eingeschlafen war.
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