"Wenn es so ist, dann töte mich hier und jetzt," hauchte ihre Stimme, bebend, nur einen Moment lang wankend darin, die Unsicherheit und Aufgewühltheit in ihrem Inneren zu verbergen.
"Wenn du wirklich nichts fühlst... dann wird es dir auch keine Probleme bereiten mir das Leben zu nehmen," zerteilten die leisen Worte die ansonsten so bleierne Stille, die die dunkle Höhle umgab, in der nur vereinzelt Licht von oben hinabfiel, die Szenerie auf eine geradezu gespenstische Art und Weise diffus beleuchteten. Leise, klagend heulte der Wind am Eingang, unheilvoll die Tragödie untermalend, die sich anzubahnen drohte.
Er wich ihren flehenden, feuchtglänzenden Augen aus, deren Blick sich in seine Seele zu bohren versuchten, dort ein Zeichen suchend, während sich seine rechte Hand in die Falten seiner Robe schob, einen langen Dolch hervorzog, ihn erhebend, hinauf bis zu ihrem Rücken, wo er die Spitze auf die Höhe ihres rascher pulsierenden, noch einmal im Leben aufbäumenden Herzens absetzte.
"Ich weiss, dass ich dich liebe," murmelte sie leise, hielt ihren Blick fest hinabgerichtet auf seine Augen, ihre Haltung erhabener, das Kinn langsam hochreckend - lediglich die angespannt sich im Stoff des Lagers festkrallenden Hände sowie das rasende Herz verrieten ihre Anspannung.
Sie war bereit für ihr Schicksal.
Sie fühlte, wie die Spitze fester gegen ihre Haut drückte.
Ein Ruck ging durch seinen rechten Arm...
***
Dicht an ihm gedrängt stapfte sie knirschend durch den hohen, im letzten Licht des Hellzyklus glitzernden Schnee, in dem sich nur vereinzelt Spuren von Tiere ausmachen liessen. Sie genoss die Wärme seiner Nähe, seinen starken Arm um ihre Taille.
Bald kamen sie an eine Höhle im Boden an, die weit hinabreichte in den Leib Tares und neugierig stiegen sie hinunter, wo sich ihnen ein wie von Götterhand geschaffenes Bild vor ihren staunenden Augen ausbreitete - hohe Farne, bunte Blumen, Ranken an den felsigen Wänden, Gras und Moose am Boden, ein kleiner, glucksender Teich und in der Mitte, eigenartig sakral anmutend in dem spärlichen Licht der Höhle, ein gewaltiger Baum, der weit seine Äste ausbreitete, schützend und Geborgenheit vermittelnd.
Hier liessen sie sich nieder, küssten und liebkosten sich. Sie legte ihre Kleider ab, bis auf einen weitschwingenden Rock sowie einem Oberteil, was ihren Bauch freiliess. Sie zog ihr Tambourin hervor, lockte ihn mit ihren Worten neckend, wie sie es schon so oft in den letzten Tagen mit ihm getan hatte.. mit ihm.. mit anderen.. mit so vielen, für sie selten mehr empfand, als eine gewisse Zufriedenheit, wenn sie mit einem letzten Atemhauch ihr Leben entliessen oder sie ihr das gaben, was sie haben wollte.
Warum dann bei ihm, wenn er nicht mal ein Auftrag war?
Sie war sich selber nicht sicher, warum sie bei ihm so schwach wurde, denn hier gab es keine Schattentänzer, keine Aufträge, keine Herren und vor allem keine 'Mutter', die über ihnen alle standen und ihr sagte, wessen Schicksal sich nun dank ihren geschickten Händen erfüllen würde.
Doch sie wischte die Gedanken beiseite und begann ihren zuerst lasziven Tanz, langsam, wiegend, lockend und barfuss auf den mit Moosen bedeckten Höhlenboden. Mit zunehmender Schnelligkeit ihres Tanzes erregte sie auch ihn, sah, wie er auf Knien eine Hand nach ihr ausstreckte, begehrlich und flehend ihren Namen ausstiess. Doch sie tanzte, steigerte sich weiter hinein, ehe sie in einem letzten dramatischen Dreher in sich zusammenklappte und am Boden verharrte, während er nach ihr griff, sie zu und auf sich zog.
Das übliche, huschte nur kurz ein Gedanken durch ihren Kopf, als sie seine Hände dort spürte, wo auch unweigerlich entsprechende Gegenreaktionen auftraten, aber sie wollte nicht.. nicht schon wieder.. dieses Gefühl, nur eine von vielen zu sein.
Warum aber?
Sie dachte, sie hätte sich damit abgefunden, schon in dem Moment, als sie sah, wie jene Schwarzhaarige verärgert und enttäuscht ihre Wut auf dem Markt über ihn herausgelassen hatte. Sie wusste, worauf sie sich eingelassen hatte und es war doch eigentlich nichts Neues.
War sie nicht selber eine von den Menschen, die festere Bindungen vermieden?
Zugegeben, ihre Art von "Profession" liess nichts anderes zu. Sie raubte das Leben anderer, manchmal spionierte sie es auch nur aus. Gewiss, sie war keine kaltblütige Mörderin - sie unterlag einem gewissen Kodex, der ein Töten aus persönlichen Gründen unterband, nach ihrem ersten Mord hatte sie sich zitternd und weinend verkrochen, auch wenn sie erst Härte und Stärke vorgetäuscht hatte und auch nach wiederholtem Fragen behauptete, es ginge ihr gut... ehe sie allein jegliche Angst, jegliches Unverständnis in Tränen und unter Schluchzen hinausgelassen hatte - der Moment, als ihre Jugend abrupt und mit dem Beigeschmack von Gift auf den Lippen eines Opfers endete.
Kein Leben, wo Platz für einen treusorgenden Ehemann und vor allem Kinder blieb. Nur Platz für kurze Vergnügen und Zerstreuung in den Bordellen Luth-Mahids, wo sie ihr Geld bei schönen Männern liess, umschwärmt und vergöttert wurde. Doch all das hatte auch stets den bitteren Geschmack der Falschheit getragen.
Seine Nähe jedoch schmeckte anders, verheissungsvoller und sie war nun, nachdem sie die Schattentänzer Luth-Mahids verlassen musste, frei... frei vom Töten. Somit auch vielleicht frei für eine neue Zukunft. Ausgerechnet da tauchte er auf, hauchte ihr süsse Worte ins Ohr und verwöhnte ihren hungrigen Leib mit seiner Nähe.
Doch was fühlte er?
War sie nur wieder eine von vielen?
Sie bohrte, drängte mit ihren Worten, erzählte ihm nun endlich die Wahrheit über ihre Vergangenheit, in der Hoffnung, ihre Ehrlichkeit würde ihn erweichen, die ersehnten Worte über seine Lippen kommen lassen, doch ihre Berechnung schlug fehl. Er sperrte sich, erzählte von seiner Zeit in der Armee und mehr und mehr wich der galante Kavalier und zurück blieb ein Mann voller abweisender Härte und Kälte.
Sie hatte den hellen, lichten Schleier, den er vor sich trug, beiseite geschoben und das, was sich dahinter befand, erschreckte sie, doch sie wollte nicht von ihm lassen - auch an ihren Händen klebe Blut, sprach sie auf ihn ein. Halt wollte sie ihm geben, ihm helfen, seine Zukunft werden - doch er wies sie ab. Schatten, ewige Nacht und einen Abgrund prophezeite er ihr.
Doch war da nicht etwas in seinem Blick, ein letztes Glimmen, ein letzter Rest vom Feuer?
Eindringlicher fragte sie ihn, was er für sie fühle, doch stets blieb die Antwort die gleiche - nichts.
Sie war unsicher, doch was hatte sie - heimatlos, familienlos, ehrlos als Mörderin - noch zu verlieren?
Sie beugte sich hinab, nah an eines seiner Ohren, während ihr restlicher Körper noch auf seinem hockte, zu beiden Seiten seines Leibes knieend, und hauchte leise: "Wenn es so ist, dann töte mich hier und jetzt."
***
Sie hielt seinem Blick stand.
Rasch rasten Bilder ihrer Vergangenheit vorbei - die Kindheit mit der kranken Mutter, dem versoffenen Vater, der ganzen Kinderschar, die liebevolle Grossmutter mit ihren Talismanen und Erzählungen, den zukunftsdeutenden Teesatz, die Armenviertel Luth-Mahids, die Schattentänzer, die ihr eine neue Zukunft boten, die Zeit der harten Ausbildung, ihre Aufträge, die seichten Vergnügungen und Ablenkungen, ihre Flucht, Siebenwind...
Ein Ruck ging durch seinen rechten Arm, sie glaubte den Rausch der Ewigkeit zu fühlen - sie war bereit.
Ihr Ra solle sich nun erfüllen....
.... und es erfüllte sich, als der Dolch klappernd zu Boden fiel, mit ihm der Arm, kraftlos, dazu die Worte des Mannes: "Ich... ich kann... nicht."
Tränen, zitternd schmiegten sich die Körper aneinander, leise sprach er ihren Namen, während der letzte, dunkle Schleier zerriss.
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Zuletzt geändert von Sachmet: 19.12.06, 05:14, insgesamt 1-mal geändert.
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