Rückblick: 7. Oner, zum 8. Zyklus Blauer Himmel zum letzten Hellzyklus des Tages täuschte über die klirrende Kälte hinweg. Der Schneematsch an den Straßenrändern Falkensees war zu Eisflächen gefroren auf denen die Passanten unfreiwillig entlang schlitterten, und nur die höheren Schneewehen die sich immer wieder auftürmten verhinderten schlimmere Ausgänge der Stürze, die sich regelmäßig ereigneten. Versonnen betrachtete Pharalis das Spiel des Lichts in den Bleiglasscheiben der Fenster des Handwerkshauses, im Hintergrund das leise Plätschern und Murmeln das mit dem Hantieren mit Farben und Farbbottich einherging - Johann Taivas, seines Zeichens Liegenschaftsverwalter zu Brandenstein und ein guter Freund von ihr, hatte einen Stoß neuer Kleidung erstanden die es zu färben galt. "Was hältst du hiervon?", fragte er wenig überzeugt und hielt eine noch feuchte Cotte in die Höhe, deren Farbe Pharalis selbst mit viel gutem Willen nicht bezeichnen konnte. Sie entgegnete ein höfliches "Mhm", schwieg dann aber vielsagend bevor sie mit entschuldigendem Lächeln fragte: "Soll ich mal versuchen?" Johann nickte ergeben, trat zurück und beobachtete, wie sie schwungvoll mit einer neuen Ladung Farbpigmenten hantierte. Ein kalter Windstoß fuhr durch den Raum als die Tür sich öffnete und eine mit obskuren Zeichen und Papierstreifen übersäten, blass weinrote Robe - samt Besitzer - offenbarte. Pharalis sah kurz über die Schulter. Der Mann mittleren Alters der in der fraglichen Robe steckte, und den Pharalis noch nie ohne seinen Strohhut gesehen hatte, war irgendein Magier, dessen Gesicht Pharalis sich nur gemerkt hatte, weil er sie einst mit einem zutiefst übertrieben weitergegebenen Alarm beim Banner blamiert hatte. "Ehre der Krone," murmelte sie desinteressiert auf den knappen Gruß des Magiers - Utrich hieß er, meinte sie sich zu erinnern - und rührte noch einmal im Farbbottich. "So in der Art?" fragte sie Johann, der seine Cotte nach kurzer Überlegung im Bottich versenkte. "Ich möchte auch etwas färben," stellte Utrich mit einem Blick auf den Arbeitstisch fest. Pharalis widmete ihm einen zweiten Blick. "Wartet, bis wir fertig sind, es dauert nicht mehr lange." Sie lächelte höflich und wandte sich wieder dem Farbbottich zu, in dem die Cotte mittlerweile einen kräftigen Grünton annahm. "Ihr habt doch gerade die Farbe, die ich brauche!" erwiderte Utrich, trat heran, zog ein kleines hölzernes Etwas aus den Tiefen einer Tasche, drängte sich zwischen Johann und Pharalis und tauchte den Gegenstand in den Farbbottich. "He!" ließ sich Pharalis ärgerlich vernehmen und wehrte den Magier mit dem Arm ab, als er auch noch ein zweites Holzstück aus der Tasche zog. "Drängeln gibt es nicht, wartet bitte, bis wir fertig sind!" Wenn sie eines nicht leiden konnte, dann waren das unhöfliche, dreiste Leute. "Na sowas." Utrichs Ton war ungerührt, fast als amüsiere er sich über die Zurechtweisung - aber immerhin trat er zurück. Kopfschüttelnd drehte sich Pharalis wieder dem Farbbottich zu, in welchem Johann mit Hilfe eines Stöckchens das Kleidungsstück in der Farbe hin und her drehte, als sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie der Magier etwas aus der Tasche zog, das ein diffuses Leuchten verbreitete. "Wenn Ihr meint..." sprach er vage in den Raum und entkorkte eine von innen leuchtende Flasche in seinen Händen. In dem Moment, in dem Pharalis Utrich den Kopf zu wandte, streckte dieser den Arm aus. Der Inhalt der Flasche benetzte Pharalis' Nacken und Schultern und lief ihr unter Kettenhemd und Hemd den Rücken hinab. Im nächsten Moment stand alles in Flammen.
Dumpfe Stille umgab Pharalis, eine zähe, kriechende, fast unerträgliche Stille. Die Dunkelheit die damit einher ging wurde nur hier und da unterbrochen von etwas, das wie schwache Lichtstrahlen wirkte. Pharalis tat einen Schritt vorwärts in scheinbar leeren Raum. Dimensionslos reihten sich die fahlen Lichtbahnen in verworrenen, labyrinthischen Zusammenhängen wie Pfade aneinander. Das erste Zögern überwindend lief sie los, wahllos Abzweigungen einschlagend, den Blick krampfhaft voraus gerichtet, um nicht in das gähnende Nichts unter und über ihr sehen zu müssen. Die Stille verfolgte sie, selbst ihre Schritten wurden durch den fehlenden Wiederhall bestandslos, und irgendwann begann sie daran zu zweifeln, dass sie sich wirklich fortbewegte. Als ein hilfesuchender Ruf nach anderen Anwesenden ihrer Kehle entflüchten wollte, vermeinte sie für einen Moment ein leises Seufzen zu können, ein langgezogenes "Ohhhh...", doch hing es derart wesenlos über der Stille bis es von dieser verschluckt wurde, dass Pharalis sich nur wenige Schritte später nicht mehr sicher war, es je gehört oder geäußert zu haben. Ob Minuten vergangen waren, Stunden oder Tage war nicht zu sagen, als in scheinbar weiter Ferne ein kleines Licht kaum merklich heller schimmerte, als die anderen. Je weiter sie sich bewegte, desto näher rückte es, und als sie es erreichte versank alles neuerlich in tiefer Schwärze.
Die lastende Schwere ihres Kettenhemdes, die in sich immer weiter steigernde Schmerzen ausuferte, war das erste, das durch die Dunkelheit wieder in ihr Bewusstsein vordrang. Brandgeruch lag in der Luft, eine Mischung aus verbranntem Holz und verbranntem Fleisch. Ein heiseres Stöhnen drang an ihr Ohr, und es dauerte einige Momente, bis ihr klar wurde, dass es aus ihrer eigenen Kehle stammte. Stimmen und eilige Schritte, irgendwo wurde etwas zur Seite gerückt, ein Tisch oder ein Stuhl. Jemand, der sich erschreckend wie Johann anhörte, brachte einen Schmerzenslaut hervor. "Pharalis!" Eine Stimme rief wiederholt ihren Namen, und doch dauerte es, bis sie durch den Schleier aus Schmerzen und den Ausläufern von Bewusstlosigkeit hindurch drang, und noch länger, bis Pharalis sie als die Stimme ihres Waffenbruders Isaah Ewyngard identifizieren konnte. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, sich aufzurichten und zu sagen, dass es ihr gut ginge und man sich keine Sorgen machen müsse, doch alleine die Augen zu öffnen stellte sich als große Anstrengung heraus, und als sie sich aufsetzen wollte, jagte eine derart gewaltige Welle aus Schmerzen über sie hinweg, dass sie alle Bemühungen in diese Richtung aufgab. "Pharalis, bleib liegen," sprach Isaahs Stimme neuerlich. Verschwommen nahm sie seine blonden Haare und die Löwenuniform wahr. Es dauerte eine Weile bis sie begriff, warum sie auf dem Boden lag und er bei ihr kniete, warum mehrere Leute in der Nähe standen, die sie noch nie im Leben gesehen hatte, warum irgendjemand Johann wegtrug und warum Schmerzen wie Wellen über ihren Oberkörper und ihre Arme brandeten. Irgendwo fielen die Worte "Handschuhe", "Kettenhemd" und "heiß". Dass Isaah sie hoch hob und aus dem Handwerkshaus trug ging in weiterer Dunkelheit unter.
Angenehme Ruhe lag über dem Schrein Vitamas, und mit verschleiertem Verstand bemerkte Pharalis, dass die Schmerzen wie die Umgebung mit ihren Geräuschen und Eindrücken seltsam distanziert schien. Ein Geweihter, dessen Gesicht sie mit dem Namen Sanduros in Verbindung brachte, hantierte mit einigen kleinen Fläschchen sowie einer Anzahl Tücher und Bandagen, und sprach irgendetwas zu einer Novizin Vitamas und einem Pharalis unbekannten Pagen mit blondem Haar, der sich aus irgendeinem Grund ebenfalls im Schrein aufhielt. Durch den halb zurück geschobenen Vorhang, der den Schrein vom Korridor davor abgrenzte, erkannte sie Isaah, der mit besorgter Miene hinein spähte bis Sanduros den Vorhang schloss. Aus halb geschlossenen Augen beobachtete sie, wie die Novizin sich Johann zuwandte, während der Page unentschlossen in der Mitte des Schreins verharrte und Sanduros an ihre Pritsche trat. Er winkte den Pagen heran, fasste prüfend an das Kettenhemd, das sie noch immer trug und richtete sie dann in eine sitzende Position auf. "Das Kettenhemd muss runter, haltet sie," befahl er in ruhigem Ton, zupfte prüfend am Ausschnitt des besagten Rüststückes und entlockte Pharalis ein schmerzliches Keuchen. Er verzog das Gesicht. "Irgendwo klebt es fest." Der Geweihte musterte sie prüfend, griff dann in eine Tasche seiner Robe und förderte etwas zu Tage, das wie ein zusammengerolltes Pflanzenblatt aussah. "Kaut darauf." Das unwirkliche Gefühl weiter Distanz zum Geschehen bemächtigte sich erneut ihrer, als Pharalis wie geheißen auf dem Blatt kaute. Als Sanduros sie die Reste des Blattes in eine kleine Schüssel spucken lies, schob er ihr einen kurzen, von Leder umschlossenen Stab zwischen die Zähne. Die Schmerzen hielten sich dank der gnädigen Dosis an schmerzlindernden Drogen in Grenzen als Sanduros ihr das Kettenhemd problemlos zur Hälfte über den Kopf zog und ihre Arme aus den Ärmeln löste. Nur auf ihren Schultern, wo das unter dem Kettenzeug getragene, ärmellose wattierte Hemd aufhöre, saßen die Kettenringe fest auf der verbrannten Haut. Selbst als der Page sie auf einen Wink des Geweihten hin an den feuerroten, von Brandblasen übersäten Armen festhielt, schienen ihr die verbleibenden Schmerzen weit entfernt, fast als gehörten sie gar nicht zu ihr. "Vitama hilf!" murmelte Sanduros leise und zog mit einem Ruck am Kettenhemd. Pharalis kniff entsetzt die Augen zusammen und biss krampfhaft auf das Beißholz zwischen ihren Zähnen.
Magie war etwas Unheimliches. Sie kam aus dem Nichts, unsichtbar bis eine magiebegabte Person sie heraufbeschwor, und nahm Form an einfach weil ein Magier es wollte. Magier waren nicht minder unheimlich als die Magie selbst. Es war erschreckend zu beobachten, wie ein Zauber der Leben spenden, Heilung bringen oder sonst etwas Positives erwirken sollte, den Beteiligten aberwitzige Anstrengungen abverlangte, ein Zauber der Vernichtung und Zerstörung brachte aber kaum einen Wink mit der Hand oder ein knapp gesprochenes Wort erforderte. Scheinbar konnte man sie sogar in Flaschen füllen. Die Auswirkungen dieser zerstörerischen Art von Magie am eigenen Leibe zu erfahren, grundlos, ohne es herausgefordert zu haben, entsetzte Pharalis zutiefst. Aus weiter Ferne nahm sie wahr, dass Sanduros die Verbrennungen mit einer kühlen Flüssigkeit betupfte und schließlich Verbände anlegte. Irgendwann beugte Isaah sich über sie und sprach leise mit ihr. Sie hörte sich antworten, konnte sich aber nur Momente später kaum mehr daran erinnern. Als Isaah wieder ging, sandte Morsan ihr tiefen Schlaf, aus dem sie bis zum Ende des nächsten Tages nichts weckte.
Johann war vor ihr erwacht. Gehüllt in eine schlichte Robe aus deren Ärmeln und Kragen saubere Verbände ragten, saß er mit düsterer Miene auf der Kante seiner Pritsche. "Man hat uns ein sehr effektives Mittel gegen die Schmerzen gegeben." stellte er fest als er bemerkte, dass Pharalis aufgewacht war. In der Tat musste sie zugeben, sich weitaus besser zu fühlen als sie es unter den gegebenen Umständen erwartet hatte. Statt einer Antwort brachte sie ein trockenes Husten hervor, setzte sich mühevoll auf und musterte Johann kritisch, der sie seinerseits einer Musterung unterzog. Stille breitete sich aus, in der keiner der beiden wusste, was er sagen sollte, noch sonderlich motiviert war, überhaupt etwas zu sagen. Die Bilder des gestrigen Tages liefen wieder und wieder durch Pharalis' Gedächtnis, bis sie sie gewaltsam verdrängte. Dann kam es ihr einen Moment lang vor, als sei nie etwas geschehen. Das Mittel gegen die Schmerzen zeigte, solange sie bewegungslos da saß, eine beachtliche Wirkung, und wenn sie die Verbände ignorierte und sich etwas Mühe gab, konnte sie sich auch einbilden, gestern sei ein schlechter Traum gewesen, in dem ein Wahnsinniger willkürlich zwei Leute angezündet hatte. Pharalis schauderte und schüttelte fassungslos den Kopf. Angezündet.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als der Vorhang des Vitamaschreins ein Stück zur Seite geschoben wurde und Leutnant Letalis Ultio vom Lehensbanner im Durchgang erschien. Mit dienstlichem Blick erfasste sie, dass die beiden Personen, die sie suchte, wach waren, und trat vollends in den Schrein. "Ehre der Krone!" grüßte sie und zog ein kleines Notizbuch wie einen Stift aus der Uniformtasche. "Ich hörte von Eurem Ordensbruder Isaah Ewyngard, dass es am gestrigen Tage im Handwerkshaus zu einem... Zwischenfall kam?" fragte sie und betrachtete Pharalis kritisch. Diese verwies an Johann, dessen Miene fast umgehend einen bürokratisch-unbewegte Ausdruck angenommen hatte, und der nun in einer sachlichen Knappheit, die Pharalis wahrscheinlich aus Empörung und Schrecken nicht möglich gewesen wäre, das Geschehen für Letalis Ultio wiederholte. Die Banneristin nickte hin und wieder mit immer ernster werdender Miene und notierte in ihr Büchlein. "Ein Magier also, mit Hut und rötlicher Robe?" fragte sie schließlich. Johann setzte zu einem schlichten Nicken an als Pharalis sich mit versteinerter Miene einmischte. "Nicht irgendein Magier. Utrich!" Letalis warf ihr einen perplexen Blick zu. "Utrich Rothnag?" Sie schüttelte den Kopf. "Man ist ja einiges von ihm gewöhnt, aber sowas? Und Ihr seid Euch sicher, dass er es war?" Auf Pharalis bestätigendes Nicken hin machte sie eine finale Notiz und klappte das Buch zu. "Wir werden uns darum kümmern," versicherte sie ernst. "Euch solange gute Besserung. Lang lebe der König!"
Versunken in die Geschehnisse des letzten Tages, lastete die Stille des Schreins schwer auf Pharalis. Als sie es nicht mehr aushielt, angelte sie umständlich nach ihrer Tasche, die man am Ende der Pritsche platziert hatte, darauf bedacht, so wenig unnötige Bewegungen wie möglich zu machen. Zum langen Hemd, das man ihr irgendwann vorher angezogen hatte, streifte sie die alte, bereits mehrfach geflickte Hose über, die sich am Boden ihrer Ledertasche fand. Ihre Stiefel, die, bis auf ein oder zwei dunkle Stellen, die möglicherweise von gefallenen Funken oder was auch immer verursacht worden waren, fast unversehrt geblieben waren, standen neben der Tasche. "Wenn ich hier länger tatenlos rumsitze, werde ich verrückt," murmelte Pharalis und erhob sich schwankend. Tief durchatmend wischte sie sich mit der verbundenen Hand durch das Gesicht und schnitt eine Grimasse. Einer düsteren Ahnung folgend, durchquerte sie auf unsicheren Beinen den Schrein, ließ sich auf die Kante des geweihten Wasserbeckens sinken und musterte sich in der Oberfläche. Sie war nie eine Schönheit gewesen und hatte sich fast nie an dieser Tatsache gestört, sondern sich mit ihrem Allerweltsgesicht zufrieden gegeben - das rote Haar, das jetzt wirr und an den Enden ungleichmäßig versengt auf ihre Schultern herabhing, war möglicherweise noch einer ihrer größten Pluspunkte. Trotz dieser verträglichen Einstellung jedoch wünschte sie, die spiegelnde Wasseroberfläche zeige jemanden anderes, nicht sie, als sie die wütend roten Brandblasen betrachtete, die sich, die Verbrennungen am bandagierten Hals fortsetzend, in der linken Gesichtshälfte vom Kinn über die Wange bis hin zum Ohr zogen, und dort eine bleibende Zeichnung versprachen. "...lass uns nach unten gehen." brachte sie hervor, erhob sich und wandte sich dem Ausgang zu. Warum es sie in die Tempelhalle zog, statt in einem der vier Schreine zu beten, konnte sie nicht sagen. Möglicherweise war es weil sie nicht wusste, an welchen der Viere sie sich wenden sollte. Wenn sie es allerdings recht bedachte, wusste sie nicht einmal, was genau ihr Anliegen war. Der Gedanke jedoch, sich im Gebet zu verlieren, hatte etwas Tröstliches.
Die Tempelhalle lag still und leer da, selbst von Geweihten war keine Spur zu sehen, als Pharalis sich an den Rand einer Bank setzte, sich knapp berautete, den Kopf senkte und die Augen schloss. Sie hörte, dass Johann sich neben sie setzte, und lauschte einen Moment lang den leisen Geräuschen, die gedämpft von draußen in den Tempel drangen. "Ohne die Hilfe des Tempels hätten wir froh sein können, falls wir überhaupt überlebt hätten," brummte Johann und zupfte hörbar an seinen Verbänden. Pharalis' Miene verdüsterte sich weiter. Über derlei wollte sie nicht nachdenken. Um genau zu sein wollte sie gar nicht über irgendetwas nachdenken, das den gestrigen Tag betraf. Stattdessen quälte sie der Drang, einfach loszulaufen und irgendwo zu verschwinden, bis sich nicht nur der wahnsinnige Magier sondern auch sämtliche Gedanken an seine Tat in Luft aufgelöst hatten. Aber erstens bezweifelte sie, dass sie sonderlich weit kommen würde, und zweitens konnte sie sich nicht vorstellen, dass Utrich auch nur daran dachte, sich in Luft aufzulösen. Das geräuschvolle Öffnen eines der Tempelportale ließ sie aus ihrer Grübelei hochschrecken. In der unbegründeten Hoffnung, möglichst unauffällig zu wirken, senkte sie ihren Kopf etwas weiter, bis sie Isaahs Stimme sagen hörte: "Da sind sie!" Eilige Schritte näherten sich ihnen, und schließlich stand Isaah mit besorgter Miene vor ihnen. "Wir sind hergekommen um zu sehen, wie es euch geht. Solltet ihr nicht oben liegen und euch ausruhen?" Johann murmelte etwas von Schmerzmitteln, während die Schritte zweier weiterer Personen sich näherten. Ein müder Blick zur Seite offenbarte nicht nur Valgon Ranel, einen Anwärter des Ordens, sondern auch Toran Dur, den Ordensleiter selbst. Automatisch bemühte Pharalis sich um ein Mindestmaß an Haltung, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg. Toran trat heran, fuhr sich mit einer Hand durch seinen Bart und betrachtete zunächst den einen, dann den anderen mit nachdenklicher Miene. Wieder breitete sich betretene Stille aus. "Kommt mit nach oben," wies er schließlich freundlich an. "Wenn Akora gleich eintrifft werden wir sehen, ob wir nicht etwas für euch beiden tun können."
Misstrauisch beobachtete Pharalis, wie Toran vier ansehnliche Edelsteine auf dem Boden des Vitamaschreins anordnete. Akora Dur, die sich kommentarlos dazu gesellt hatte, lehnte unbeteiligt an der Wand. Leise irgend etwas vor sich hinmurmelnd, hantierte der Ordensleiter mit einem weiteren Edelstein anderer Farbe, den er in die Mitte der Zusammenstellung platzierte. Was genau er dann tat, konnte Pharalis nicht verfolgen, doch dass der mittlere Edelstein plötzlich zu schweben begann und darüber hinaus leuchtete, gefiel ihr ganz und gar nicht. Das Leuchten gewann an Kraft, vergrößerte sich, und schuf schließlich ein scheinbar magisches Feld, abgegrenzt von den vier Steinen am Boden. Der Magier winkte Johann und Pharalis heran. "Stellt euch da vorne hin und schließt die Augen." Während Johann ohne zu zögern vortrat, verharrte Pharalis wo sie war. Sie wollte mit Magie nichts zu tun haben. Jetzt mochte sie den Anschein erwecken, unschuldig und positiv zu wirken, aber wer konnte schon sagen, wann die magische Energie ihre Meinung änderte und, aller Kontrolle die Toran über sie haben mochte zum Trotz, wieder in ihre zerstörerische Form zurückfiel? "Akora, bist du soweit?" fragte Toran seine Tochter, die noch immer ungerührt an der Wand lehnte und das Geschehen beobachtete, bevor sein Blick wieder auf Pharalis fiel. "Pharalis?" fragte er freundlich, doch mit einem Unterton, der keinen Widerspruch duldete. Widerstrebend trat die Kriegerin vor. "Die Augen schließen," wiederholte Toran, "und das Feld berühren." Wieder folgte Johann der Anweisung ohne Zögern. Wenig glücklich beobachtete Pharalis, wie seine Hände vom magischen Licht berührt wurden. Sowohl Toran als auch Akora sahen abwartend zu Pharalis. Es kostete sie einige Überwindung, bis sie es Johann schließlich gleichtat. Ein leichtes Kribbeln lief von ihren Händen ausgehend die Arme empor. Was auch immer Akora und Toran nun taten - Pharalis wagte es nicht, die Augen zu öffnen, nicht nur, weil Toran es verboten hatte, sondern auch, weil sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt wissen wollte was genau ein magisches Ritual noch alles beinhaltete - es verlief größtenteils still. Immer wieder lief ein Kribbeln ihren Körper entlang, bei dem sie am liebsten zurück getreten wäre um es unwirsch abzuschütteln, doch sie beherrschte sich, bis Toran vollkommen unspektakulär verkündete: "Ihr könnt die Augen wieder öffnen."
Wütend rote Brandnarben zeigten sich dort, wo nur kurze Zeit vorher verbrannte Haut und rohes Fleisch zu sehen waren. "Die Erstversorgung durch den Tempel zusammen mit der Magie wirkt wahre Wunder," stellte Johann fest und wickelte mit kritischem Blick den Verband um seinen linken Arm ab, die Hand prüfend hin und her schwenkend. "Mhm," gab Pharalis knapp zurück. Schön, die Magie hatte also bewiesen, dass sie die Schäden die sie anrichtete hin und wieder auch heilen konnte. Trotzdem waren die Narben zurück geblieben, ein unverkennbares Zeichen dafür, dass Magie leichter Schlechtes anrichtete als Gutes, und wäre die Magie von vornherein nicht gewesen, wäre die magische Heilung auch nie erforderlich gewesen. In der Region aus der sie stammte wusste man, dass Magie etwas Unberechenbares war, dem man besser aus dem Weg ging, und falls sie jemals Zweifel daran gehegt haben sollte oder versucht war, es als Aberglauben abzutun, so war sie jetzt, nachdem sie die Gewalt der Magie am eigenen Leibe erfahren hatte, eines Besseren belehrt. Mit finsterer Miene griff Pharalis ihren Dolch, fasste ihr angesengtes Haar mit einer Hand zu einem Zopf zusammen, und schnitt es ruppiger als nötig wieder auf eine Länge.
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"Meine Mittelmäßigkeit erkennen. Nicht in geißelnder Selbstverachtung, nicht in Bekennerhochmut, aber als eine Gefahr für die Integrität des Handelns, wenn ich sie aus den Augen lasse." - Hammarskjöld
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