Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 16.06.25, 21:11

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 2 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Ein Löwe auf der Flucht
BeitragVerfasst: 17.02.07, 02:22 
Ehrenbürger
Ehrenbürger
Benutzeravatar

Registriert: 15.11.06, 19:44
Beiträge: 836
Wohnort: NRW
Es war ein Alptraum.
Es musste einer sein, denn die Vorstellung, dass es keiner war, machte alles noch schlimmer.

Zettel! In der ganzen verdammten Stadt hatten diese Zettel gehangen, und jeder zweite den sie kannte sprach sie darauf an, eines der fraglichen Schriftstücke in der Hand schwenkend. "Namhafter Magier der Insel vor wenigen Tagen angefallen und schwerst verletzt. Das Opfer, das einen Laden in Brandenstein unterhält, ist nur knapp dem Tode entronnen. In gefährlichem Kampfe konnte er den Täter magisch niederstrecken, und konnte ihn als Mitglied des Schlägerordens, Trophäenjägerordens, Loewenordens identifizieren. Man spricht von einem Anschlag aus Rache. Es fiel der Name "Farraliss". Täter oder Auftraggeber? MOERDER allemal! Nehmt ihn fest!
Das Opfer schweigt aus Angst."
- 'Namhafter Magier der Insel', mit Laden in Brandenstein. Wer sollte das schon sein, wenn nicht dieser unselige Utrich Rothnag, derjenige, der vor gar nicht allzu langer Zeit...
Pharalis ballte die von Brandnarben gezeichneten Hände zu Fäusten und versetze dem Kadaver eines Goblins auf der Zugbrücke des Walles einen harten Tritt in den Abgrund. Dass Akora Utrich, der noch quietschfidel durch Falkensee lief, unbesehen glaubte, dass überhaupt ein Anschlag auf ihn verübt wurde, lag jenseits jeglichen Verständnisses, das Pharalis aufbringen konnte. Dass Akora ihm darüber hinaus noch abkaufte, dass es sich bei dem vermeintlichen Attentäter um ein Mitglied des Löwenordens handelte... Fassungslos schüttelte Pharalis den Kopf und stapfte zurück ins Torhaus.
Eigentlich war klar, dass man sie verdächtigte, und wüsste sie es nicht besser würde sie sich vielleicht selbst verdächtigen, denn ein Motiv hatte sie allemal. Der höflicher Feldmeister des Lehensbanners der sich am Vorabend am Wall gemeldet hatte, scheinbar, um sie festzunehmen, war also kaum verwunderlich.
Eine eisige Windböe fuhr aus dem Ödland in das Torhaus und wirbelte den wollenen Umhang im Blau des Löwenordens auf. Um diese Zeit wollte niemand mehr den Wall passieren, und selbst Orken und die Schergen des Einen pflegten gemeinhin um diese Zeit den Wall zu meiden. Pharalis entschied sich, den Wall Wall sein zu lassen und vor dem Schlafengehen noch schnell nach Falkensee zu reiten. Wenn Hartwine Hilamos wie üblich noch in einen ihrer merkwürdigen Romane vertieft war, dann würde sie wohl noch etwas aus Pharalis' Fach herausgeben, der späten, oder eher frühen Stunde zum Trotz.

Die Straßen und Gassen Falkensees lagen still da, als Pharalis ihr Pferd in den Stall vor den Toren der Stadt gebracht hatte und die Hauptstraße entlang ging, misstrauisch die Nachrichtenbretter nach verdächtigen Schriftstücken absuchend. Nur auf dem Markt hatten sich einige späte Passanten versammelt. Aus den Augenwinkeln nahm Pharalis einen von ihnen wahr, einen Mann mittleren Alters mit einem Strohhut auf dem Kopf, der ihn auf den ersten Blick nett und unbedenklich wirken ließ. Woran sie ihn allerdings erkannte war die Robe, deren rötlicher Stoff voll von sonderbaren Zeichen war. An einigen Stellen waren Papierstreifen angebracht, die dem Ganzen einen merkwürdigen Anblick verliehen.
Pharalis presste die Lippen zusammen, sah starr geradeaus, eilte über den Markt hinweg und flüchtete in die Bank. Hartwine Hilamos sah kaum von ihrer momentanen Lektüre auf, als Pharalis eintrat. "Grüße Frau Hilamos, ich hätte gerne..." - Die Tür öffnete sich erneut und ein Zipfel der von mit Zeichen und Papierstreifen übersäten Robe schob sich, gefolgt vom Rest des Kleidungsstückes samt Besitzer, in den Raum. Einen Moment lang starrte Pharalis Utrich fassungslos an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um, quetschte sich am Magier vorbei und eilte, wahllos eine der vom Marktplatz abzweigenden Straßen einschlagend, davon. Ein hastiger Blick über die Schulter bewies, dass der Magier ihr in ebenso eiligem Tempo folgte. Pharalis beschleunigte ihre Schritte weiter. Wollte dieser Verrückte neuerlich wahllos Leute anzünden und hatte sie ein zweites Mal zu seinem Opfer auserkoren oder wollte er noch mehr Spott loswerden?
Utrichs und ihre eigenen Schritte schienen unnatürlich laut in den Straßen zu hallen, nur hin und wieder unterbrochen von entferntem Gelächter aus einem Gebäude und dem Bellen eines Hundes. Der Magier folgte ihr schweigend, was Pharalis noch mehr beunruhigte, als wüste Drohungen es hätten tun können; und jeden Moment rechnete sie damit plötzlich wieder in einem Meer aus Flammen zu stehen.

Als das mächtige Gebäude des Tempels vor ihr in die Höhe wuchs atmete Pharalis erleichtert auf, fest davon überzeugt hier sicher zu sein. Eilig erklomm sie die Stufen zum Portal des Tempels, zog ihr Barett vom Kopf, und stieß die schweren Tempeltüren auf.
"Halt!" erklang Utrichs Stimme dicht hinter ihr.
"Lasst mich in Ruhe!" presste Pharalis hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, berautete sich knapp und schritt hastig durch den Mittelgang um sich auf eine der vorderen Bänke niederzulassen. Ihre Hoffnung, der Tempel würde Utrich abschrecken, wurde zunichte gemacht als er sich neben sie setzte.
Starr sah Pharalis zum Altar vor. "Wenn Ihr mich im Tempel angreift," brachte sie leise hervor ohne den Blick vom Altar abzuwenden, "tut Ihr mir damit einen großen Gefallen, denn dann werdet Ihr doch noch verbrannt, als Ketzer."
"Keine Sorge," gab der Mann neben ihr ungerührt zurück. "Ich bin nicht hier, um Euch anzugreifen. Ihr seid die berühmte Pharalis, nicht?"
"Ja, wie man unschwer erkennen kann," grollte sie und deutete knapp auf die Brandnarben, die von ihren Händen an, verdeckt durch ihre Rüstung, die Arme und den Oberkörper prägten, schließlich an Hals und Nacken wieder sichtbar wurden und sich in der linken Gesichtshälfte bis zum Ohr hinaufzogen. "Und Ihr seid der berühmte 'Magier mit Laden in Brandenstein'." Pharalis förderte ein zerknülltes Pergament aus ihrer Gürteltasche, entknitterte es und drückte es Utrich ohne ihn anzusehen in die Hand bevor sie spöttisch die Mundwinkel hob. "Allerdings habt Ihr Euch verschrieben, ich heiße nicht "Farraliss" sondern Pharalis. Pharalis Avistur, um genau zu sein."
"Dieses Pergament stammt nicht aus meiner Feder."
Der unbeeindruckte, emotionslose Tonfall Utrichs ließ Pharalis schaudern. Wie mächtig musste ein Schwarzmagier sein, um derart ungerührt und offen seine Gesinnung auf Marktplätzen und in Tavernen kund zu tun, Menschen grundlos anzugreifen und fast zu töten, und dann auch noch die Ruhe zu haben, vollkommen entspannt neben ihnen zu sitzen, im Tempel der Viere. Aber wahrscheinlich lachte Utrich im Stillen über die Ritterschaft, das Gericht, die Kirche und die ganze Insel, die ihn wiederholt laufen ließen um ihn weiterhin seinen dunklen - und Pharalis war überzeugt davon, dass sie dunkel waren - Machenschaften frönen zu lassen.
Pharalis lächelte bitter. "Wenn nicht von Euch, dann von Euren Freunden."
Utrich schüttelte leicht den Kopf. "Keiner meiner Freunde hat solcherlei geschrieben." Er reichte die Schmähschrift zurück. Mit versteinerter Miene steckte Pharalis das Pergament wieder ein. "Und nun entschuldigt mich." Sie berautete sich neuerlich und machte Anstalten sich zu erheben.
"Ich möchte mit Euch sprechen!"
"Aber ich nicht mit Euch." Den Blick noch immer von ihm abgewandt stand Pharalis von der Bank auf um den Tempel fast fluchtartig zu verlassen.

"Habt Ihr den Attentäter geschickt?" rief Utrich ihr hinterher und folgte ihr als sie die Tempelstufen herabeilte und sich das Barett wieder auf den Kopf setzte. Pharalis schnaubte verächtlich. "Erstens seht Ihr nicht tot aus und zweitens, nein, ich bin ja nicht wie Ihr!" Hastigen Schrittes setzte sie ihren Weg fort, in der Hoffnung, der Magier verlöre das Interesse an ihr. Sie überquerte den Tempelplatz und schlug nach einem hilfesuchenden Blick die leere Hauptstraße entlang den Weg Richtung Burg ein. Einen Moment lang erschien ihr der Gedanke albern, Schutz hinter den Mauern Finianswachts zu suchen, doch als Utrich keine Anstalten machte von ihr abzulassen, fiel ihr kein anderer Ausweg ein ihn abzuschütteln.
"Ich schicke keine Attentäter!" rief Utrich fünf Schritt hinter ihr.
"Nein, Ihr verrichtet die Arbeit selbst!"
An den verwundert dreinblickenden Burgwachen vorbeistürmend betrat Pharalis den Burghof, der um diese späte Stunde fast still da lag. Gehetzt sah sie sich um und traf nur auf den gelangweilten Blick Anissa Merdens, die an der Treppe zur Lehenskanzlei wachte. Es schien sie nicht weiter zu beeindrucken, dass jemand vom bekannten Magier Utrich verfolgt wurde. Pharalis atmete tief durch und schritt durch das winzige Gärtchen des Burghofs auf die Seitentür zu, hinter der der kleine Raum lag, in dem sie sich hin und wieder zu Unterredungen mit Yves Rondragon aufgehalten hatte. Wahrscheinlich machte sie sich vollends lächerlich, indem sie anklopfte. Was wollte sie sagen? 'Hilfe, ich werde von Utrich Rothnag verfolgt'? - Rondragon, oder wer auch immer auf das Klopfen reagierte, würde sich köstlich amüsieren.
Zögernd hob Pharalis die Hand und klopfte an. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Utrich sich ihr einen weiteren Schritt näherte. Pharalis fuhr herum. "Verschwindet, Utrich!"
"Habt Ihr eben geklopft?"
Abgelenkt sah Pharalis zum Garteneingang, an dem ein Mann in Robe und grünem Umhang aufgetaucht war.
"Ja, die Dame hier klopfte," bestätigte Utrich und deutete auf Pharalis.
Der neu Hinzugekommene schien wenig beeindruckt. "Worum geht es denn?"
"Sie versucht vor mir zu flüchten." stellte Utrich mit spöttischem Unterton fest. Pharalis ballte die Hände zu Fäusten. "Dieser Magier hier, derselbe, der mich vor nicht allzu langer Zeit verbrannte, verfolgt mich!"
"Ich denke, wir haben einiges zu bereden, ist dem nicht so?" fragte Utrich sie ungerührt.
"Ich habe mit Euch nichts zu bereden!" Die Mischung aus Ärger und Furcht vor dem Magier vor sich ließ Pharalis' Stimme schärfer werden. Ihr Herz schlug unnormal schnell, und einen Moment lang hatte sie das Gefühl, als zitterten ihr die Hände. Ein Löwe zeigt keine Angst! versuchte sie sich selbst einzureden, doch ohne Erfolg.
"Also ich kann wohl nicht helfen, ich weiß ja nicht, worum es geht." murmelte der fremde Mann.
"Sie scheint überzeugt, dass ich ihr nach dem Leben trachte, aber wäre sie noch am leben, wenn ich das täte?"
"Warum sonst hätte er mich unlängst fast umgebracht?"
Ein merkwürdiger Blick traf sie. "Nun, das lag daran, dass Ihr sehr frech zu mir wart. Aber ich vergebe Euch."
In diesem Moment hatte Pharalis das Gefühl als gäbe es irgendwo in ihrem Kopf ein leises 'Klick'. Fassungslos starrte sie Utrich an, und die Furcht vor ihrem Gegenüber wurde fortgeschwemmt von Zorn und Hass. "Ihr wagt es von Frechheit zu sprechen, weil ich Euch nicht an einem verdammten Farbbottich vordrängeln ließ?" schleuderte sie Utrich zusammen mit einem hasserfüllten Blick entgegen. "Ihr zündet meinen Begleiter und mich an, und habt noch den Mut zu sagen, Ihr hättet mir vergeben?!"
"Klärt das doch untereinander," hörte sie den fremden Berobten im Weggehen resigniert sagen, und Utrichs emotionslose Antwort, "Leider rennt sie immer weg."
Fassungslos schüttelte Pharalis den Kopf als ihr Zorn schlicht von Utrich abprallte, in ihr neuerlich Angst und den übermächtig starken Wunsch, einfach zu verschwinden, zurück lassend. Was war auf dieser Insel los? Jedem schien es vollkommen egal, dass dieser Utrich Rothnag eine Gefahr für die Allgemeinheit war und es auch noch offen zugab. Kaum jemand kümmerte sich darum, jeder ließ ihn machen, die Kirche, die Ritter, wer auch immer.
Die gegen Utrich ausgesetzte Strafe - er wurde auf dem Scheiterhaufen "angebrannt" - schien ihn nicht im Mindesten beeindruckt zu haben, noch im selben Zyklus, so hatte man berichtet, war er wieder zu einem Kampf fähig gewesen, und nicht eine Brandnarbe war auf der Haut des Mannes zu sehen. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen!
Mit zitterndem Atem und geballten Fäusten stand Pharalis da, den Rücken zur kalten Eisentür, krampfhaft vermeidend Utrich anzusehen.

Der kalte Morsanwind fuhr in Böen in den Burghof, fegte vereinzelte gefrorene Blätter mit sich, rauschte in den kahlen Zweigen der Bäume im Garten und riss an den Papierstreifen auf Utrichs zeichenübersäter Robe. Dort wo der fremde Berobte verschwunden war, tauchten plötzlich Althea Daena und der Knappe Yves Rondragon auf.
"Was gibt es hier für ein Problem?" fragte Rondragon in seiner gewohnten Art als sei er schon längst Ritter, während er sich hinter Utrich aufbaute und fragend in die Runde sah.
"Sie will nicht darüber reden wie es kommt, dass ein Attentäter mich verfolgt," erklärte Utrich und deutete schuldzuweisend auf Pharalis. "Utrich verfolgt mich!" stellte Pharalis hilflos ihre eigene Erklärung entgegen.
Es war lächerlich. Hier stand sie nun, eine Kriegerin, eine Löwin noch dazu, eng an die Tür in ihrem Rücken gedrängt und hilflos diesem verfluchten Magier ausgeliefert. Fast wollte sie sich selbst auslachen. Ein Löwe läuft nicht weg, ein Löwe kämpft. Doch dies hier war Utrich, und sie zweifelte nicht daran, dass auch sein "Reden" früher oder später so enden würde wie ihre letzte Begegnung mit ihm, in der er vollkommen grundlos und ohne jegliche Vorwarnung... Pharalis unterbrach diesen Gedankengang. "Ich habe nichts mit Eurem Attentäter zu tun, falls er nicht nur eingebildet ist, und wenn Ihr mir nicht glaubt, so bringt die Sache vor Gericht!"
Althea sah nachdenklich zu Utrich. "Vielleicht, Herr Rothnag, habt Ihr Euch wirklich zu viele Feinde gemacht und..." - "Der Attentäter nannte sie beim Namen!" unterbrach der Magier, "Und sagte, dass er es für sie tut!"
"Warum sollte ein von ihr engagierter Auftragsmörder ihren Namen nennen?" warf Rondragon sachlich ein und musterte Utrich kritisch. Althea nickte. "Hört sich nach Verleumdung an."
Pharalis schloss einen Moment lang die Augen, während Utrich und Rondragon in eine wirre Diskussion zu Attentätern und Mordmotiven ausbrachen.

"Genug jetzt!" blaffte Rondragon schließlich ungehalten voran. "Herr Rothnag, wenn Ihr nicht alsbald entschwindet, dann wird nicht nur ein Attentäter Euren Kopf wollen, sondern auch jedweder Streiter der Krone! Ich bin diese Faselei satt!"
"Ich hatte einen Attentäter in meinem Laden und ich will sichergehen, dass das nicht noch mal vorkommt. Ebenso will ich nicht weiter verleumdet werden!"
"Ihr müsst gerade von Verleumdung sprechen!" warf Pharalis mit zitternder Stimme ein, "Nach den ganzen Zetteln, die in der Stadt verteil wurden!"
Utrich wandte sich wieder ihr zu. "Diese Zettel waren nicht von mir."
"Und der Attentäter war nicht von mir!"
"Ihr habt aber ein Motiv, mich tot sehen zu wollen. Ihr hasst mich, weil ich Euer freches Verhalten bestrafte! Aber ich sage Euch, passt auf, und wagt es nicht, von mir als Ketzer oder Schwarzmagier zu sprechen. Denn wer die Entscheidung des Protektors anzweifelt, der ist ein Ketzer, das sollte man sich immer vor Augen führen." Als Utrich sich endlich zum Gehen wandte gab er Pharalis neuerlich das Gefühl, dass er wusste, dass er sich alles herausnehmen konnte, ohne dass ihn jemand hindern würde. Nicht nur, dass sie nichts gegen ihn tun konnte, sie war ihm auch schutzlos ausgeliefert, so er sich in den Kopf setzte, irgendetwas anzustellen.

"Alles in Ordnung bei Euch?"
Pharalis fiel aus ihrer Starre und sah auf. Von Utrich war keine Spur mehr zu sehen. Nach einem weiteren Moment des Schweigens nickte sie. "Verzeiht... die späte Störung," brachte sie hervor und warf einen misstrauischen Blick auf den Burghof um zu sehen, ob nicht doch irgendwo ein Zipfel der obskuren Robe des Magiers hervorlugte.
Rondragon winkte ab. "Schon gut. - Wollt Ihr im Speisesaal nächtigen?"
Einen Moment lang war Pharalis versucht, das Angebot dankend anzunehmen, fürchtete sie doch, gleich außerhalb des Burgtores wieder auf Utrich zu stoßen. Dann jedoch überwog ihr Stolz, und sie schüttelte den Kopf. "Danke nein. Der Schutz des Walles reicht mir schon." Sie verzog das Gesicht, und fügte ein leises 'Wenn ich bis dahin komme' an. Der Knappe nickte. "Wie Ihr meint. Dann mögen die Viere mit Euch sein." Die Hände hinter dem Rücken verschränkt wandte er sich um und stapfte zurück in die Burg. Auch Althea nickte ihr knapp zu und verschwand.
"Bei den Vieren..." Tief durchatmend schloss Pharalis für einen Moment die Augen. Dann gab sie sich einen Ruck, verließ den Garten, überquerte den Burghof und ignorierte Anissas Blicke so gut wie möglich. Im Schutze des Torhauses spähte sie aufmerksam die Straße hinauf, und obwohl alles ruhig schien, leistete sie dem Torwächter Diago noch eine Weile Gesellschaft, ehe sie sich traute, den Weg zurück zum Wall anzutreten.
Löwen laufen nicht weg! flüsterte eine Stimme in ihrem Inneren. Feigling!

_________________
Bild
"Meine Mittelmäßigkeit erkennen. Nicht in geißelnder Selbstverachtung, nicht in Bekennerhochmut, aber als eine Gefahr für die Integrität des Handelns, wenn ich sie aus den Augen lasse."
- Hammarskjöld


Zuletzt geändert von i.like.toads: 29.11.08, 01:49, insgesamt 3-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags: Rückblick: 7. Oner, zum 8. Zyklus
BeitragVerfasst: 6.03.07, 20:38 
Ehrenbürger
Ehrenbürger
Benutzeravatar

Registriert: 15.11.06, 19:44
Beiträge: 836
Wohnort: NRW
Rückblick: 7. Oner, zum 8. Zyklus
Blauer Himmel zum letzten Hellzyklus des Tages täuschte über die klirrende Kälte hinweg. Der Schneematsch an den Straßenrändern Falkensees war zu Eisflächen gefroren auf denen die Passanten unfreiwillig entlang schlitterten, und nur die höheren Schneewehen die sich immer wieder auftürmten verhinderten schlimmere Ausgänge der Stürze, die sich regelmäßig ereigneten.
Versonnen betrachtete Pharalis das Spiel des Lichts in den Bleiglasscheiben der Fenster des Handwerkshauses, im Hintergrund das leise Plätschern und Murmeln das mit dem Hantieren mit Farben und Farbbottich einherging - Johann Taivas, seines Zeichens Liegenschaftsverwalter zu Brandenstein und ein guter Freund von ihr, hatte einen Stoß neuer Kleidung erstanden die es zu färben galt.
"Was hältst du hiervon?", fragte er wenig überzeugt und hielt eine noch feuchte Cotte in die Höhe, deren Farbe Pharalis selbst mit viel gutem Willen nicht bezeichnen konnte. Sie entgegnete ein höfliches "Mhm", schwieg dann aber vielsagend bevor sie mit entschuldigendem Lächeln fragte: "Soll ich mal versuchen?" Johann nickte ergeben, trat zurück und beobachtete, wie sie schwungvoll mit einer neuen Ladung Farbpigmenten hantierte.
Ein kalter Windstoß fuhr durch den Raum als die Tür sich öffnete und eine mit obskuren Zeichen und Papierstreifen übersäten, blass weinrote Robe - samt Besitzer - offenbarte. Pharalis sah kurz über die Schulter. Der Mann mittleren Alters der in der fraglichen Robe steckte, und den Pharalis noch nie ohne seinen Strohhut gesehen hatte, war irgendein Magier, dessen Gesicht Pharalis sich nur gemerkt hatte, weil er sie einst mit einem zutiefst übertrieben weitergegebenen Alarm beim Banner blamiert hatte.
"Ehre der Krone," murmelte sie desinteressiert auf den knappen Gruß des Magiers - Utrich hieß er, meinte sie sich zu erinnern - und rührte noch einmal im Farbbottich. "So in der Art?" fragte sie Johann, der seine Cotte nach kurzer Überlegung im Bottich versenkte.
"Ich möchte auch etwas färben," stellte Utrich mit einem Blick auf den Arbeitstisch fest. Pharalis widmete ihm einen zweiten Blick. "Wartet, bis wir fertig sind, es dauert nicht mehr lange." Sie lächelte höflich und wandte sich wieder dem Farbbottich zu, in dem die Cotte mittlerweile einen kräftigen Grünton annahm.
"Ihr habt doch gerade die Farbe, die ich brauche!" erwiderte Utrich, trat heran, zog ein kleines hölzernes Etwas aus den Tiefen einer Tasche, drängte sich zwischen Johann und Pharalis und tauchte den Gegenstand in den Farbbottich.
"He!" ließ sich Pharalis ärgerlich vernehmen und wehrte den Magier mit dem Arm ab, als er auch noch ein zweites Holzstück aus der Tasche zog. "Drängeln gibt es nicht, wartet bitte, bis wir fertig sind!" Wenn sie eines nicht leiden konnte, dann waren das unhöfliche, dreiste Leute.
"Na sowas." Utrichs Ton war ungerührt, fast als amüsiere er sich über die Zurechtweisung - aber immerhin trat er zurück.
Kopfschüttelnd drehte sich Pharalis wieder dem Farbbottich zu, in welchem Johann mit Hilfe eines Stöckchens das Kleidungsstück in der Farbe hin und her drehte, als sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie der Magier etwas aus der Tasche zog, das ein diffuses Leuchten verbreitete. "Wenn Ihr meint..." sprach er vage in den Raum und entkorkte eine von innen leuchtende Flasche in seinen Händen.
In dem Moment, in dem Pharalis Utrich den Kopf zu wandte, streckte dieser den Arm aus. Der Inhalt der Flasche benetzte Pharalis' Nacken und Schultern und lief ihr unter Kettenhemd und Hemd den Rücken hinab.
Im nächsten Moment stand alles in Flammen.

Dumpfe Stille umgab Pharalis, eine zähe, kriechende, fast unerträgliche Stille. Die Dunkelheit die damit einher ging wurde nur hier und da unterbrochen von etwas, das wie schwache Lichtstrahlen wirkte. Pharalis tat einen Schritt vorwärts in scheinbar leeren Raum. Dimensionslos reihten sich die fahlen Lichtbahnen in verworrenen, labyrinthischen Zusammenhängen wie Pfade aneinander. Das erste Zögern überwindend lief sie los, wahllos Abzweigungen einschlagend, den Blick krampfhaft voraus gerichtet, um nicht in das gähnende Nichts unter und über ihr sehen zu müssen. Die Stille verfolgte sie, selbst ihre Schritten wurden durch den fehlenden Wiederhall bestandslos, und irgendwann begann sie daran zu zweifeln, dass sie sich wirklich fortbewegte. Als ein hilfesuchender Ruf nach anderen Anwesenden ihrer Kehle entflüchten wollte, vermeinte sie für einen Moment ein leises Seufzen zu können, ein langgezogenes "Ohhhh...", doch hing es derart wesenlos über der Stille bis es von dieser verschluckt wurde, dass Pharalis sich nur wenige Schritte später nicht mehr sicher war, es je gehört oder geäußert zu haben.
Ob Minuten vergangen waren, Stunden oder Tage war nicht zu sagen, als in scheinbar weiter Ferne ein kleines Licht kaum merklich heller schimmerte, als die anderen. Je weiter sie sich bewegte, desto näher rückte es, und als sie es erreichte versank alles neuerlich in tiefer Schwärze.

Die lastende Schwere ihres Kettenhemdes, die in sich immer weiter steigernde Schmerzen ausuferte, war das erste, das durch die Dunkelheit wieder in ihr Bewusstsein vordrang. Brandgeruch lag in der Luft, eine Mischung aus verbranntem Holz und verbranntem Fleisch.
Ein heiseres Stöhnen drang an ihr Ohr, und es dauerte einige Momente, bis ihr klar wurde, dass es aus ihrer eigenen Kehle stammte. Stimmen und eilige Schritte, irgendwo wurde etwas zur Seite gerückt, ein Tisch oder ein Stuhl. Jemand, der sich erschreckend wie Johann anhörte, brachte einen Schmerzenslaut hervor.
"Pharalis!" Eine Stimme rief wiederholt ihren Namen, und doch dauerte es, bis sie durch den Schleier aus Schmerzen und den Ausläufern von Bewusstlosigkeit hindurch drang, und noch länger, bis Pharalis sie als die Stimme ihres Waffenbruders Isaah Ewyngard identifizieren konnte.
Sie versuchte, die Augen zu öffnen, sich aufzurichten und zu sagen, dass es ihr gut ginge und man sich keine Sorgen machen müsse, doch alleine die Augen zu öffnen stellte sich als große Anstrengung heraus, und als sie sich aufsetzen wollte, jagte eine derart gewaltige Welle aus Schmerzen über sie hinweg, dass sie alle Bemühungen in diese Richtung aufgab.
"Pharalis, bleib liegen," sprach Isaahs Stimme neuerlich. Verschwommen nahm sie seine blonden Haare und die Löwenuniform wahr. Es dauerte eine Weile bis sie begriff, warum sie auf dem Boden lag und er bei ihr kniete, warum mehrere Leute in der Nähe standen, die sie noch nie im Leben gesehen hatte, warum irgendjemand Johann wegtrug und warum Schmerzen wie Wellen über ihren Oberkörper und ihre Arme brandeten. Irgendwo fielen die Worte "Handschuhe", "Kettenhemd" und "heiß". Dass Isaah sie hoch hob und aus dem Handwerkshaus trug ging in weiterer Dunkelheit unter.

Angenehme Ruhe lag über dem Schrein Vitamas, und mit verschleiertem Verstand bemerkte Pharalis, dass die Schmerzen wie die Umgebung mit ihren Geräuschen und Eindrücken seltsam distanziert schien.
Ein Geweihter, dessen Gesicht sie mit dem Namen Sanduros in Verbindung brachte, hantierte mit einigen kleinen Fläschchen sowie einer Anzahl Tücher und Bandagen, und sprach irgendetwas zu einer Novizin Vitamas und einem Pharalis unbekannten Pagen mit blondem Haar, der sich aus irgendeinem Grund ebenfalls im Schrein aufhielt. Durch den halb zurück geschobenen Vorhang, der den Schrein vom Korridor davor abgrenzte, erkannte sie Isaah, der mit besorgter Miene hinein spähte bis Sanduros den Vorhang schloss.
Aus halb geschlossenen Augen beobachtete sie, wie die Novizin sich Johann zuwandte, während der Page unentschlossen in der Mitte des Schreins verharrte und Sanduros an ihre Pritsche trat. Er winkte den Pagen heran, fasste prüfend an das Kettenhemd, das sie noch immer trug und richtete sie dann in eine sitzende Position auf. "Das Kettenhemd muss runter, haltet sie," befahl er in ruhigem Ton, zupfte prüfend am Ausschnitt des besagten Rüststückes und entlockte Pharalis ein schmerzliches Keuchen. Er verzog das Gesicht. "Irgendwo klebt es fest." Der Geweihte musterte sie prüfend, griff dann in eine Tasche seiner Robe und förderte etwas zu Tage, das wie ein zusammengerolltes Pflanzenblatt aussah. "Kaut darauf."
Das unwirkliche Gefühl weiter Distanz zum Geschehen bemächtigte sich erneut ihrer, als Pharalis wie geheißen auf dem Blatt kaute. Als Sanduros sie die Reste des Blattes in eine kleine Schüssel spucken lies, schob er ihr einen kurzen, von Leder umschlossenen Stab zwischen die Zähne. Die Schmerzen hielten sich dank der gnädigen Dosis an schmerzlindernden Drogen in Grenzen als Sanduros ihr das Kettenhemd problemlos zur Hälfte über den Kopf zog und ihre Arme aus den Ärmeln löste. Nur auf ihren Schultern, wo das unter dem Kettenzeug getragene, ärmellose wattierte Hemd aufhöre, saßen die Kettenringe fest auf der verbrannten Haut. Selbst als der Page sie auf einen Wink des Geweihten hin an den feuerroten, von Brandblasen übersäten Armen festhielt, schienen ihr die verbleibenden Schmerzen weit entfernt, fast als gehörten sie gar nicht zu ihr.
"Vitama hilf!" murmelte Sanduros leise und zog mit einem Ruck am Kettenhemd.
Pharalis kniff entsetzt die Augen zusammen und biss krampfhaft auf das Beißholz zwischen ihren Zähnen.

Magie war etwas Unheimliches. Sie kam aus dem Nichts, unsichtbar bis eine magiebegabte Person sie heraufbeschwor, und nahm Form an einfach weil ein Magier es wollte. Magier waren nicht minder unheimlich als die Magie selbst. Es war erschreckend zu beobachten, wie ein Zauber der Leben spenden, Heilung bringen oder sonst etwas Positives erwirken sollte, den Beteiligten aberwitzige Anstrengungen abverlangte, ein Zauber der Vernichtung und Zerstörung brachte aber kaum einen Wink mit der Hand oder ein knapp gesprochenes Wort erforderte. Scheinbar konnte man sie sogar in Flaschen füllen. Die Auswirkungen dieser zerstörerischen Art von Magie am eigenen Leibe zu erfahren, grundlos, ohne es herausgefordert zu haben, entsetzte Pharalis zutiefst.
Aus weiter Ferne nahm sie wahr, dass Sanduros die Verbrennungen mit einer kühlen Flüssigkeit betupfte und schließlich Verbände anlegte. Irgendwann beugte Isaah sich über sie und sprach leise mit ihr. Sie hörte sich antworten, konnte sich aber nur Momente später kaum mehr daran erinnern. Als Isaah wieder ging, sandte Morsan ihr tiefen Schlaf, aus dem sie bis zum Ende des nächsten Tages nichts weckte.

Johann war vor ihr erwacht. Gehüllt in eine schlichte Robe aus deren Ärmeln und Kragen saubere Verbände ragten, saß er mit düsterer Miene auf der Kante seiner Pritsche. "Man hat uns ein sehr effektives Mittel gegen die Schmerzen gegeben." stellte er fest als er bemerkte, dass Pharalis aufgewacht war. In der Tat musste sie zugeben, sich weitaus besser zu fühlen als sie es unter den gegebenen Umständen erwartet hatte. Statt einer Antwort brachte sie ein trockenes Husten hervor, setzte sich mühevoll auf und musterte Johann kritisch, der sie seinerseits einer Musterung unterzog. Stille breitete sich aus, in der keiner der beiden wusste, was er sagen sollte, noch sonderlich motiviert war, überhaupt etwas zu sagen. Die Bilder des gestrigen Tages liefen wieder und wieder durch Pharalis' Gedächtnis, bis sie sie gewaltsam verdrängte. Dann kam es ihr einen Moment lang vor, als sei nie etwas geschehen. Das Mittel gegen die Schmerzen zeigte, solange sie bewegungslos da saß, eine beachtliche Wirkung, und wenn sie die Verbände ignorierte und sich etwas Mühe gab, konnte sie sich auch einbilden, gestern sei ein schlechter Traum gewesen, in dem ein Wahnsinniger willkürlich zwei Leute angezündet hatte.
Pharalis schauderte und schüttelte fassungslos den Kopf. Angezündet.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als der Vorhang des Vitamaschreins ein Stück zur Seite geschoben wurde und Leutnant Letalis Ultio vom Lehensbanner im Durchgang erschien. Mit dienstlichem Blick erfasste sie, dass die beiden Personen, die sie suchte, wach waren, und trat vollends in den Schrein. "Ehre der Krone!" grüßte sie und zog ein kleines Notizbuch wie einen Stift aus der Uniformtasche. "Ich hörte von Eurem Ordensbruder Isaah Ewyngard, dass es am gestrigen Tage im Handwerkshaus zu einem... Zwischenfall kam?" fragte sie und betrachtete Pharalis kritisch. Diese verwies an Johann, dessen Miene fast umgehend einen bürokratisch-unbewegte Ausdruck angenommen hatte, und der nun in einer sachlichen Knappheit, die Pharalis wahrscheinlich aus Empörung und Schrecken nicht möglich gewesen wäre, das Geschehen für Letalis Ultio wiederholte. Die Banneristin nickte hin und wieder mit immer ernster werdender Miene und notierte in ihr Büchlein. "Ein Magier also, mit Hut und rötlicher Robe?" fragte sie schließlich. Johann setzte zu einem schlichten Nicken an als Pharalis sich mit versteinerter Miene einmischte. "Nicht irgendein Magier. Utrich!"
Letalis warf ihr einen perplexen Blick zu. "Utrich Rothnag?" Sie schüttelte den Kopf. "Man ist ja einiges von ihm gewöhnt, aber sowas? Und Ihr seid Euch sicher, dass er es war?" Auf Pharalis bestätigendes Nicken hin machte sie eine finale Notiz und klappte das Buch zu. "Wir werden uns darum kümmern," versicherte sie ernst. "Euch solange gute Besserung. Lang lebe der König!"

Versunken in die Geschehnisse des letzten Tages, lastete die Stille des Schreins schwer auf Pharalis. Als sie es nicht mehr aushielt, angelte sie umständlich nach ihrer Tasche, die man am Ende der Pritsche platziert hatte, darauf bedacht, so wenig unnötige Bewegungen wie möglich zu machen. Zum langen Hemd, das man ihr irgendwann vorher angezogen hatte, streifte sie die alte, bereits mehrfach geflickte Hose über, die sich am Boden ihrer Ledertasche fand. Ihre Stiefel, die, bis auf ein oder zwei dunkle Stellen, die möglicherweise von gefallenen Funken oder was auch immer verursacht worden waren, fast unversehrt geblieben waren, standen neben der Tasche. "Wenn ich hier länger tatenlos rumsitze, werde ich verrückt," murmelte Pharalis und erhob sich schwankend. Tief durchatmend wischte sie sich mit der verbundenen Hand durch das Gesicht und schnitt eine Grimasse. Einer düsteren Ahnung folgend, durchquerte sie auf unsicheren Beinen den Schrein, ließ sich auf die Kante des geweihten Wasserbeckens sinken und musterte sich in der Oberfläche.
Sie war nie eine Schönheit gewesen und hatte sich fast nie an dieser Tatsache gestört, sondern sich mit ihrem Allerweltsgesicht zufrieden gegeben - das rote Haar, das jetzt wirr und an den Enden ungleichmäßig versengt auf ihre Schultern herabhing, war möglicherweise noch einer ihrer größten Pluspunkte. Trotz dieser verträglichen Einstellung jedoch wünschte sie, die spiegelnde Wasseroberfläche zeige jemanden anderes, nicht sie, als sie die wütend roten Brandblasen betrachtete, die sich, die Verbrennungen am bandagierten Hals fortsetzend, in der linken Gesichtshälfte vom Kinn über die Wange bis hin zum Ohr zogen, und dort eine bleibende Zeichnung versprachen.
"...lass uns nach unten gehen." brachte sie hervor, erhob sich und wandte sich dem Ausgang zu. Warum es sie in die Tempelhalle zog, statt in einem der vier Schreine zu beten, konnte sie nicht sagen. Möglicherweise war es weil sie nicht wusste, an welchen der Viere sie sich wenden sollte. Wenn sie es allerdings recht bedachte, wusste sie nicht einmal, was genau ihr Anliegen war. Der Gedanke jedoch, sich im Gebet zu verlieren, hatte etwas Tröstliches.

Die Tempelhalle lag still und leer da, selbst von Geweihten war keine Spur zu sehen, als Pharalis sich an den Rand einer Bank setzte, sich knapp berautete, den Kopf senkte und die Augen schloss. Sie hörte, dass Johann sich neben sie setzte, und lauschte einen Moment lang den leisen Geräuschen, die gedämpft von draußen in den Tempel drangen.
"Ohne die Hilfe des Tempels hätten wir froh sein können, falls wir überhaupt überlebt hätten," brummte Johann und zupfte hörbar an seinen Verbänden.
Pharalis' Miene verdüsterte sich weiter. Über derlei wollte sie nicht nachdenken. Um genau zu sein wollte sie gar nicht über irgendetwas nachdenken, das den gestrigen Tag betraf. Stattdessen quälte sie der Drang, einfach loszulaufen und irgendwo zu verschwinden, bis sich nicht nur der wahnsinnige Magier sondern auch sämtliche Gedanken an seine Tat in Luft aufgelöst hatten. Aber erstens bezweifelte sie, dass sie sonderlich weit kommen würde, und zweitens konnte sie sich nicht vorstellen, dass Utrich auch nur daran dachte, sich in Luft aufzulösen.
Das geräuschvolle Öffnen eines der Tempelportale ließ sie aus ihrer Grübelei hochschrecken. In der unbegründeten Hoffnung, möglichst unauffällig zu wirken, senkte sie ihren Kopf etwas weiter, bis sie Isaahs Stimme sagen hörte: "Da sind sie!" Eilige Schritte näherten sich ihnen, und schließlich stand Isaah mit besorgter Miene vor ihnen. "Wir sind hergekommen um zu sehen, wie es euch geht. Solltet ihr nicht oben liegen und euch ausruhen?"
Johann murmelte etwas von Schmerzmitteln, während die Schritte zweier weiterer Personen sich näherten. Ein müder Blick zur Seite offenbarte nicht nur Valgon Ranel, einen Anwärter des Ordens, sondern auch Toran Dur, den Ordensleiter selbst. Automatisch bemühte Pharalis sich um ein Mindestmaß an Haltung, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg.
Toran trat heran, fuhr sich mit einer Hand durch seinen Bart und betrachtete zunächst den einen, dann den anderen mit nachdenklicher Miene. Wieder breitete sich betretene Stille aus. "Kommt mit nach oben," wies er schließlich freundlich an. "Wenn Akora gleich eintrifft werden wir sehen, ob wir nicht etwas für euch beiden tun können."

Misstrauisch beobachtete Pharalis, wie Toran vier ansehnliche Edelsteine auf dem Boden des Vitamaschreins anordnete. Akora Dur, die sich kommentarlos dazu gesellt hatte, lehnte unbeteiligt an der Wand. Leise irgend etwas vor sich hinmurmelnd, hantierte der Ordensleiter mit einem weiteren Edelstein anderer Farbe, den er in die Mitte der Zusammenstellung platzierte. Was genau er dann tat, konnte Pharalis nicht verfolgen, doch dass der mittlere Edelstein plötzlich zu schweben begann und darüber hinaus leuchtete, gefiel ihr ganz und gar nicht. Das Leuchten gewann an Kraft, vergrößerte sich, und schuf schließlich ein scheinbar magisches Feld, abgegrenzt von den vier Steinen am Boden. Der Magier winkte Johann und Pharalis heran. "Stellt euch da vorne hin und schließt die Augen."
Während Johann ohne zu zögern vortrat, verharrte Pharalis wo sie war. Sie wollte mit Magie nichts zu tun haben. Jetzt mochte sie den Anschein erwecken, unschuldig und positiv zu wirken, aber wer konnte schon sagen, wann die magische Energie ihre Meinung änderte und, aller Kontrolle die Toran über sie haben mochte zum Trotz, wieder in ihre zerstörerische Form zurückfiel?
"Akora, bist du soweit?" fragte Toran seine Tochter, die noch immer ungerührt an der Wand lehnte und das Geschehen beobachtete, bevor sein Blick wieder auf Pharalis fiel.
"Pharalis?" fragte er freundlich, doch mit einem Unterton, der keinen Widerspruch duldete. Widerstrebend trat die Kriegerin vor.
"Die Augen schließen," wiederholte Toran, "und das Feld berühren."
Wieder folgte Johann der Anweisung ohne Zögern. Wenig glücklich beobachtete Pharalis, wie seine Hände vom magischen Licht berührt wurden. Sowohl Toran als auch Akora sahen abwartend zu Pharalis. Es kostete sie einige Überwindung, bis sie es Johann schließlich gleichtat. Ein leichtes Kribbeln lief von ihren Händen ausgehend die Arme empor.
Was auch immer Akora und Toran nun taten - Pharalis wagte es nicht, die Augen zu öffnen, nicht nur, weil Toran es verboten hatte, sondern auch, weil sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt wissen wollte was genau ein magisches Ritual noch alles beinhaltete - es verlief größtenteils still. Immer wieder lief ein Kribbeln ihren Körper entlang, bei dem sie am liebsten zurück getreten wäre um es unwirsch abzuschütteln, doch sie beherrschte sich, bis Toran vollkommen unspektakulär verkündete: "Ihr könnt die Augen wieder öffnen."

Wütend rote Brandnarben zeigten sich dort, wo nur kurze Zeit vorher verbrannte Haut und rohes Fleisch zu sehen waren. "Die Erstversorgung durch den Tempel zusammen mit der Magie wirkt wahre Wunder," stellte Johann fest und wickelte mit kritischem Blick den Verband um seinen linken Arm ab, die Hand prüfend hin und her schwenkend.
"Mhm," gab Pharalis knapp zurück. Schön, die Magie hatte also bewiesen, dass sie die Schäden die sie anrichtete hin und wieder auch heilen konnte. Trotzdem waren die Narben zurück geblieben, ein unverkennbares Zeichen dafür, dass Magie leichter Schlechtes anrichtete als Gutes, und wäre die Magie von vornherein nicht gewesen, wäre die magische Heilung auch nie erforderlich gewesen.
In der Region aus der sie stammte wusste man, dass Magie etwas Unberechenbares war, dem man besser aus dem Weg ging, und falls sie jemals Zweifel daran gehegt haben sollte oder versucht war, es als Aberglauben abzutun, so war sie jetzt, nachdem sie die Gewalt der Magie am eigenen Leibe erfahren hatte, eines Besseren belehrt.
Mit finsterer Miene griff Pharalis ihren Dolch, fasste ihr angesengtes Haar mit einer Hand zu einem Zopf zusammen, und schnitt es ruppiger als nötig wieder auf eine Länge.

_________________
Bild
"Meine Mittelmäßigkeit erkennen. Nicht in geißelnder Selbstverachtung, nicht in Bekennerhochmut, aber als eine Gefahr für die Integrität des Handelns, wenn ich sie aus den Augen lasse."
- Hammarskjöld


Zuletzt geändert von i.like.toads: 7.03.07, 14:42, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 2 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de