Trägen Schrittes tritt eine sehr kräftige Gestalt auf die Kirche der Vier in Falkensee zu. Die Haut der Gestalt ist leichenblass. Der Mann trägt am Körper nichts als ein paar alte Schuhe, ein Stück Pergament in der Hand, ein altes Buch und eine Robe, die sich noch ein Stück an seinen Körper anlegt, als wär der Körper etwas feucht. Der Mann zittert am ganzen Körper, die Augen wirken müde. In den Haaren ist etwas Eis angefroren. Er schreitet auf die schweren Türen zu und trotz seiner kräftigen Statur fällt es ihm offenbar schwer die Türen aufzuziehen, um dann hineinzutreten. Beim ersten Schritt kann man merken, dass der zitternde Mann seine Nackenmuskulatur anspannt und den Blick tief senkt. Er geht trägen Schrittes weiter in Richtung des Altars, verharrt an den hinteren Bänken einen Moment und berautet, sich. Jeder darauf folgende Schritt scheint langsamer und kräftezährend. Als er am Altar angelangt ist legt er das Pergament auf eben diesen und sinkt schlaff auf die Knie. Nun verharrt er in dieser Haltung. Es ist schwer einzuschätzen, ob der Mann den Kopf nur hängen lässt oder ihn wirklich gesenkt hält. In den ersten Minuten schmilzt das Eis in seinen Haaren und einige Tropfen laufen erst seinem Gesicht, dann seinem Hals herunter, worauf er eine kleine Gänsehaut bekommt. Er verharrt aber weiter auf dem Boden, mit dem Blick tief gesenkt.
Einige Zeit, die er in der Haltung verbringt passiert nichts. Dann greift er nach dem alten Buch und schlägt es auf. Er sucht nicht lange, dann erklingen aus seinem Mund leise Worte, ein Gebet:
"Ihr Vier erhoert mich! Astrael, ich trage meine Last vor dich, hilf mir damit! Morsan, ich trage meine Schuld vor dich, erlass sie mir! Bellum, ich trage meine Suenden vor dich, vergieb sie mir! Vitama, ich trage meine Schwaeche vor dich, staerke mich! All dies trage ich vor euch! Ich bitte euch um Hilfe, Erlassung der Schuld, Vergebung der Suenden und Staerke Ihr Vier erhoert mich!"
Die schwache und heisere Stimme der Gestalt senkt sich, als er das Gebet das erste Male gesprochen hat. Jedes Wort scheint an seinen Kräften zu zähren. Doch mit einem Mal ist es nicht gut. Er wiederholt das Gebet immer langsamer und mit schwächerer Stimme, Mal um Mal. Wie, als würde es die seine Torturen untermalen zeichnet sich nach einiger Zeit Schweiß auf der bleichen Stirn ab, das Zittern hat nach einiger Zeit ausgesetzt. Das Buch verharrt während der gesamten Zeit in seinen Händen, obwohl der Mann nach einiger Zeit gar nicht mehr zu lesen braucht, um das Gebet zu sprechen.
Nach einer langen Zeit lässt er das Buch aus den Händen gleiten und greift in einer überaus langsamen Bewegung nach dem Pergament auf dem Altar, um es in die Position des Buches zuvor zu bringen. Die müden und glasigen Augen starren herab auf das Pergament und nach einiger Zeit beginnt er die Worte auf dem Pergament, die in geschwungen höfischer Schrift gefasst sind vor sich hin zu raunen. Nicht wie bei dem Gebet wiederholend; nur ein mal:
"Mein Name ist Famir al Dun, Zweitgeborener des Fürsten von Dun in Ma'ahn. Ich schreibe zu den Vieren, die es als einzige vermögen meine Sünden zu verzeihen und als Zeichen, dass ich die Grausamkeiten dieser Zeit hinter mir lassen will, werde ich das Pergament, welches diese Worte trägt in dieser Nacht verbrennen.
Es fällt mir schwer über meine Verbrechen in der Vergangenheit zu schreiben. Die schlimmsten Verbrechen waren es, die Taten meines Vaters gutzuheißen und nicht einzugreifen. Ich sah zu, wie ein ganzes Dorf in einer Scheune niedergebrannt wurde, mit Frauen und Kindern und ich verzog keine Miene. Ich ergözte mich in dieser Zeit sogar an dieser vermeindlichen Macht. Ich erschaudere jede Nacht, von diesen Bildern."
Der Mann muss kurz absetzen und schließt die Augen, eine Träne rinnt seiner entstellten Wange herab, dann hebt er wieder die Stimme um fortzufahren. In den folgenden Worten beschreibt er weitere Schrecken, die er begangen hat. Die Worte sind voll Reue und jeder Satz kostet ihn extrem viel Kraft. Die Tränen versiegen nicht. Nach den schrecklichen Berichten folgt dann:
"Doch ich wurde andere Dinge gelehrt. Ich lernte die Liebe der Mutter, sie schenkte mir meine Liebste. Ich lernte die Weitsicht des Einäugigen, er ließ mich im wichtigen Moment gerecht handeln. Ich lernte die Tapferkeit und den Mut Bellums, im Beisein meiner Kamerand und mag meine Zeit gekommen sein, dann soll mich der Hirte holen lassen. Aber ich flehe Euch Viere an mir eine zweite Gelegenheit zu geben, um für meine Taten zu sühnen und in Eure frohe Kunde in Tare zu tragen. Und deswegen sollen diese Zeilen brennen, damit ich diese schrecklichen Dinge hinter mir lassen kann. Doch Vergessen kann ich nie. Vergebt mir!"
Die Stimme kommt schon vor dem letzten Wort auf dem Pergament fast zum erlöschen. Sie klingt kraftlos, genau wie der Rest des Mannes. Die Gesichtszüge haben sich oft während der vorgelesenen Schrift unter Schmerzen verzogen.
Nach einer weiteren Zeit der Stille, in der der Mann ruhig vor dem Altar kniet drückt er sich unter einem leisen Stöhnen auf und tritt vor eine der Schalen, in der die Glut gehalten wird und lässt den Zettel auflodern, bis zum kleinsten Fetzen. Dabei verbrennt er sich die Finger, zeigt aber darauf nicht den kleinsten Deut von Schmerz. Der Blick bleibt noch kurz in die Flamme gerichtet, mit traurigem Blick, die Gesichtsmuskeln sind verspannt. Dann begibt sich der Mann wieder in die andächtige kniende Haltung vor dem Altar. Kreuzt die Arme vor dem Brustkorb und verharrt so.
Noch viele Male in dieser Nacht mag man ein Bußgebet durch die Kirche der Viere flüstern hören ...
_________________ "If we don't believe in freedom of expression for people we despise, we don't believe in it at all", Noam Chomsky
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