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 Betreff des Beitrags: Seelenjäger
BeitragVerfasst: 13.12.01, 18:50 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 9.12.01, 15:52
Beiträge: 40
Der Schnee fiel in dicken, weichen Flocken vom Himmel. Alles schien in diesen Tagen eingehüllt von einer weißen Schicht aus Schnee und Eis. Die Geräusche im Wald wirkten gedämpft, als fiele nicht Schnee sondern Watte, und als verliehe der Schnee nicht nur allem eine weiche, weiße Decke sondern als dämpfe er auch jedes Geräusch und jeden Laut. Keine Blätter raschelten im Wind. Schwarze, kahle Äste ragten in den wintergrauen Himmel empor, hier und da mit Flecken aus Weiß bedeckt oder mit filigranen, wie hingehaucht wirkenden, kleinen Kunstwerken aus Eis.
Am Rande des Waldes, eingezwängt zwischen zwei mächtige Eichenstämme, stand eine kleine Holzhütte, aus deren Schornstein sich dünn eine Rauchfahne kräuselte. Durch die Ritzen in den Fensterläden konnte man warmes, goldenes Licht sehen, das vom flackernden Kaminfeuer im Inneren herrühren musste.
In der Hütte saß eine junge Frau auf einem Holzschemel neben dem Bett ihres Mannes. Ihre Haare waren pechschwarz und streng nach hinten gekämmt. Die Kleidung, die sie trug, war einfach und schlicht, aber sauber und sorgfältig genäht. Im Moment allerdings schien sie für diese Dinge kein Auge zu haben. Auf ihren Knien balancierte sie eine hölzerne Schale, aus der es dampfte. Der Geruch von Kräutern, Minze und Fenchel, füllte den Raum. Behutsam tunkte sie einen hölzernen Löffel in den Brei aus der Schale und führte ihn vorsichtig zu dem Mund des Mannes, der auf dem Bett neben ihr lag. Sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig. Immer wieder wurde er von bösen Hustenkrämpfen geschüttelt, die in heiseres Krächzen und erschöpftes Luftholen übergingen. Hastig zog die Frau den Löffel zurück, als er sich auf seinem Bett krümmte, geschüttelt vom Husten. Ein dünner Faden Speichel und Blut rann aus seinem Mundwinkel.
Der Mann schien kräftig und stark. Gewaltige Muskeln und die Schwielen an den Händen zeichneten ihn als hart arbeitenden Mann aus. Der dichte, buschige Bart hatte noch nicht ein graues Haar und sein wettergegerbtes Gesicht wirkte trotz allem noch jung. Dennoch, gerade jetzt, zwischen Husten und seinem pfeifenden, erschöpften Atmen, wirkte er blass und schwach. Besorgt tupfte die Frau an seiner Seite das Blut mit einem Tuch von seinen Lippen. Tränen standen ihr in den Augen, vermischt mit der Liebe, die sie für ihren Mann empfand.

Die Hütte um die beiden war ärmlich eingerichtet. Neben dem breiten Ehebett, einem Esstisch und der Feuerstelle am Kamin, die auch gleichzeitig zum Kochen dienen musste, standen nur ein hölzerner Schrank im Raum und einige Regale hingen an den Wänden. Das wohl kostbarste, was die Hütte zu bieten hatte, waren die Arbeitswerkzeuge des Mannes: eine mächtige Holzfälleraxt, Schnitzwerkzeug und ein paar Sägen. Das kostbarste natürlich außer dem Leben der beiden Menschen, die in der Hütte wohnten. Und um eben jenes, so schien es, kämpfte der Holzfäller gerade erbittert.
Schon seit dem Herbst war es ihm nicht gut gegangen. Die feuchte Kälte der Herbststürme hatte sich in seinen Knochen festgebissen und ihn nicht wieder losgelassen. Jetzt, mit Schnee und Eis, hatte ihn ein Husten gepackt, der ihn nicht wieder losließ. Seit über zwei Wochen lag er nun schon in seinem Bett und jeden Tag schien es ihm ein bisschen schlechter zu gehen, trotz der teuren Medizin, die sich die beiden eigentlich nicht hatten leisten können.
Wieder versuchte die Frau, ihren Mann mit etwas von dem Kräuterbrei zu füttern, aber es gelang ihr nicht. Der Hustenkrampf hielt ihn gepackt und schüttelte ihn wie der Sturm einen jungen Baum schüttelt.
Die Frau selbst war selbst müde und erschöpft. Nacht um Nacht hatte sie am Lager ihres Mannes gewacht, auf jedes kleinste Zeichen der Besserung gehofft. Sie hatte gebetet, zu Vitama und zu allen Göttern, die ihr einfielen, aber nichts änderte sich am Zustand ihres Mannes und daran, dass er mit jedem Tag an Kraft verlor. Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Gesicht. Es war nicht die Zeit zum Weinen.

Das Feuer im Kamin war beinahe schon heruntergebrannt und langsam kroch die Kälte in die Hütte. Seufzend stellte die Frau die Schale neben dem Bett ab und stand auf. Sie legte den festen, wollenen Mantel um und zog ihn sich eng um die Schultern. Draußen war noch eine menge Feuerholz gelagert. Wenn man sich als Frau eines Holzfäller um eines keine Gedanken machen musste, dann war es Feuerholz. Das leichte Lächeln, das ihr bei diesem Gedanken über das Gesicht huschte, wurde langsam bitter. Noch musste sie sich keine Gedanken machen, noch nicht. Verbissen kämpfte sie ihre Zweifel und Sorgen nieder. Sie würde sich auch in Zukunft keine Gedanken machen müssen. Er würde bald gesund werden.
Entschlossen trat sie aus der Hütte und schloss hastig die Tür hinter sich. Das Holz lagerte an der Wand zu dem kleinen Stall mit den Ziegen, hinter der Hütte. Gebeugt ging die Frau gegen Wind und Schnee an. Irgendetwas ließ sie plötzlich innehalten. Ein Geräusch? Nein, der Winterwald blieb stumm. Eine kurze Bewegung, dicht am Waldrand – oder war es einfach nur ein Streich, den ihr ihre Müdigkeit und das Spiel der Schneeflocken spielten?
Hastig schlug sie das Zeichen der Vier vor der Brust und ging weiter. Der Stall, halb eingeschneit, hatte etwas tröstlich sicheres an sich gegen die weiße Kälte des Waldes. Eilig schlug die Frau die alten Tücher beiseite, die das aufgestapelte Feuerholz vor dem Gröbsten an Schnee und Eis schützen sollten, und lud sich die Arme voll damit. Das Tuch fiel von alleine wieder herunter und sie wandte sich, schwankend unter ihrer Last, wieder zum Gehen.

Da war es wieder! Oder doch nicht? Zögernd blieb sie stehen und blinzelte in das Schneetreiben hinaus. Nein, da war nichts außer ihr, dem Eis und den schwarzen, starren Bäumen. Langsam ging sie weiter, aber sie konnte den Blick nicht mehr ganz vom Waldrand lösen. War es schon so kalt, dass die Wölfe aus den Wäldern kamen, so nah zu den Menschen? Die Geschichten von ausgehungerten Wölfen im Rudel, die sie in ihrer Heimat, fern von Siebenwind, gehört hatte, fielen ihr plötzlich wieder ein. Sie kam vom Festland, aber aus einem Landstrich, in dem die Menschen längst die Wölfe und die Wildnis zurückgetrieben hatten. Hier, auf Siebenwind, gab es beides noch im Überfluss. Einzig die Liebe zu ihrem Mann hatte es sie hier aushalten lassen, zwischen all den fremden Menschen oder noch fremderen Völkern, am Waldrand nahe des im Vergleich zu den Städten ihrer Heimat kleinen Ortes Schieferbruch. Unwillkürlich erschauerte sie. Die gespenstische Stille, in die der Winterwald gehüllt war, die weiße, gemächliche Ruhe, mit der die Schneeflocken zu Boden trudelten, das alles hatte nichts friedliches mehr an sich für sie. Die Kälte war es, die ihren Mann hatte so krank werden lassen. Was sollte nur aus ihnen werden? Die Kälte war es, die vielleicht Wölfe in die Nähe getrieben hatte. Wer sollte sie verteidigen?
Hastig stapfte sie weiter durch den Schnee, aber eine plötzliche Bewegung am Waldrand ließ sie umfahren. Zwei Gestalten standen dort, schwarze Umhänge und Kutten vor schneeweißem Hintergrund. Erschrocken zuckte die Frau zusammen, beinahe ließ sie die Hölzer fallen. Die Gerüchte über die neuen Anhänger Angamons, über Schwarzmagier in den Landen und über Dämonenpriester schossen durch ihre Gedanken. Unwillkürlich wich sie einige Schritte zurück, bis sie plötzlich, kalt und unerbittlich hart, die Hauswand im Rücken spürte.
Für einen kurzen Augenblick ließ der Fall der Schneeflocken etwas nach. Ein kurzer, leichter Windstoß zerrte an den schwarzen Umhängen. Gelblichweiß wie Knochen blitzte es darunter auf. Die Frau musste blinzeln. Da vorn, am Waldrand, standen keine schwarzen Magier, keine finsteren Banditen und sicher keine Wölfe. Zwei Gestalten in schwarzen Umhängen mit Gesichtern so weiß, als wären sie tot, standen dort. Ihre Augen, bleich wie Maden in totem Fleisch, blickten starr zu der Frau herüber.
Fast war es, als flüsterte der Wind etwas, als liege ein seltsames, leises Zischen in der Luft. Die beiden rührten sich nicht.
Mit einem spitzen Schrei ließ die Frau das Feuerholz fallen und presste sich gegen die Wand. Sie wusste, wer dort stand. Seelenjäger, Grabeslichter, Todesbringer, die Namen für diese Wesen waren so zahlreich wie das, was sie taten, gewiss war. Sie raubten Seelen und nahmen sie mit sich.
Die Frau ahnte, wessen Seele die beiden angelockt haben mochte, wie warmes, süßes Blut im Schnee hungrige Wölfe auf die Fährte lockte.
„Nein!“, schrie sie entsetzt. „Ihr dürft ihn nicht haben! Ihr könnt ihn nicht bekommen! Verflucht seid ihr! Verflucht!“
Ihr Schrei gellte hell und verzweifelt durch den stummen Wald, aber die Gestalten rührten sich nicht. Starr hielten sie ihren Blick auf die kleine Hütte gerichtet und wieder lag dieses seltsame Zischen in der Luft, das keinen Ursprung hatte und doch in den Gedanken hallte und von dem man nicht weghören konnte.
Fahrig und mit weit aufgerissenen Augen griff die Frau nach einem der Holzscheite am Boden, hob ihn auf und warf. Er verfehlte weit sein Ziel, schlug einige Meter neben den knochenbleichen Gestalten in ihren schwarzen Umhängen auf dem Boden auf. Gefühllose, kalte, unerbittliche Blicke richteten sich auf die Frau. Zitternd hielt sie inne und schluchzte.
„Ihr dürft ihn nicht haben... Bitte, ich bitte euch...“ Das Schluchzen der Frau wurde zu einem lautlosen Weinen. Ungehört verhallte ihre Verzweiflung und Angst im Wald.
Die beiden Gestalten wandten sich langsam um. Stumm und lautlos wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Ihnen schien die Kälte nichts auszumachen. Beinahe war es, als entstammten sie ihr oder sogar einer weit größeren, endgültigeren Kälte.
Die Frau blieb alleine und schluchzend an der Hütte zurück. Später, als sie ihren Weg hinein gefunden hatte, bedurfte es keines zweiten Blickes, um festzustellen, dass ihr Mann tot war.
Leer und blicklos starrten seine gebrochenen Augen an die Decke. Seine Beine und Hände waren schon etwas steif geworden von der Kälte, die sich gegen das erlöschende Kaminfeuer im Inneren ausgebreitet hatte.


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