Wie die Tage verfliegen und doch so stetig drohend über dem eigenen Geist schweben. Eine weitere Nacht bricht herein, eine von so vielen schlaflosen Dunkelzeiten. Wir haben das Zählen aufgegeben, es macht keinen Sinn dem Haltlosen Halt zu geben. In dem Landhaus brennt noch immer Kerzenlicht, obwohl niemand darin wandelt. Der Blick der Nacht ruht auf dem Wesen, welches dem Wahn nahe, einer Besessenen gleich über einem Holzeimer voller Wasser sitzt und wieder und wieder über die blutverkrusteten Lederstücke reibt, kratzt und schrubbt. Ein Lichthauch hätte Unmengen alten Schlammes, Blutes und Grases in der trüben Brühe entlarvt. Er hätte zudem einen die blutunterlaufenen, dunklen Augen des Wesens erhellt, die starr gebannt ins schwarze Wasser blicken. Doch es ist dunkel, kein Licht dringt hinaus auf den Balkon des Hauses. Es zählt sowenig, wie die vergangenen Tage. Ein Moment, ein Augenblick Verzweiflung – so allgegenwärtig und doch so unbedeutend für den Lauf der Zeit.
Wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, was würden wir sehen? Wagen wir einen Blick auf jene Momente, die dem Wesen selbst so fern und undurchsichtig erscheinen? Dringen wir verbotenerweise in ihren Kopf, dessen Nebel manch anderem eine unüberwindbare Hürde ist? Wir sind der Blick der Nacht. Wir lesen in den ungeschriebenen Chroniken der Zeit.
Ein junger Mann lauert im Unterholz des kleinen Waldes. Im Westen erhebt sich das schwach beleuchtete Landhaus, dessen Bewohner ihm vertraut und nah sind. Sein Blick ruht auf der Holztür des oberen Stockwerkes, welches einem von starken Holzstämmen getragenem Zelt gleicht. Eine Eule verharrt in der Krone des Baumes neben ihm. Ihr Ruf erhallt, als sich plötzlich die Tür mit hartem Schlag öffnet. Ein Zucken. Der Lärm schreckt sie auf – sie flieht gen Himmel. Der Blick des jungen Mannes verharrt auf dem Wesen, welches angespannt die geflochtene Leiter hinab stackst. Er findet keinen Anmut in ihren Bewegungen, keine Geschmeidigkeit in ihren sonst so bedächtig gewählten Schritten. Ist es wirklich sie, die er dort sieht? Der Mensch, die Schwester, die er sonst so nah bei sich wusste, wirkt fremd und fern. Was tut sie? Sie wird jagen gehen. Sie spannt ihren Bogen brachial – Blasphemie für jeden Schnitzer, der so viel Zeit und Liebe in sein Werk gesteckt hatte. Der junge Mann verharrt, er rührt sich nicht. Jede falsche Bewegung könnte seinen Tod bedeuten. Selbst jener Gedanke wirkt makaber – sie würde ihren Bogen nie… und doch fragt er sich still, ob das wirklich seine Freundin ist. Stunden vergehen, während die Monde ihre Bahnen ziehen. Und auch er wartet in seinem Versteck. Seine Augen blicken von Sorge erfüllt in Richtung jener Brücke, von der aus sie zurückkehren wird. Ein Hauch Entsetzen liegt auf seinem Gesicht, Angst spricht aus seinem gedämpften Atem. Er wird sie in wenigen Stunden, noch vor den ersten Sonnenstrahlen sehen. Im Licht der Fackeln wird das frische Blut an ihren Kleidern schimmern. Er wird ihren müden Gang verzeichnen, und das leise Weinen erahnen, welches erklingen mag, sobald die Türe sich wieder schließt.
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