Kapitel I – Invasion
„Sie sind da“. Mit diesen einfachen Worten seines Knappen Wulfs schien die Luft in der kleinen Kammer in einem der massiven Türme der Zitadelle von Ersonts Tal zu Eis zu werden. Nicht dass es nicht sowieso schon kalt wäre, der stramme Nordwind trug den Geruch des ersten Schnees genauso wie er die Barbarenhorde brachte, deren Ankunft vor den Toren Wulf gerade verkündet hatte. Die anwesende Streiter verharrten in ihrem Tun, welches hauptsächlich darin bestand ihre Waffen ein letztes mal zu reinigen und ihre Rüstungen zusammen zu suchen. Ein eisig kalter Griff legte sich um Nathaniels Herz, ohne dass er sich dies jedoch anmerken ließ und mit einem knappen Nicken wandte er sich zur Türe um, seinen Helm unter den Arm klemmend. Seine Rüstung schien ihm schwerer als sonst, wobei dies auch die Ahnung einer dunklen Zukunft sein konnte, während er die engen Gänge der Festung in schnellem Schritt hinunter eilte. Die Mauern waren reich dekoriert in farbigen Gobelins und erhellt von zahlreichen Kerzen dort wo die großen Glasfenster nicht genug Licht spenden konnten. Die Zitadelle, wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte war mehr ein Schloss, eingerichtet für Luxus und nicht für Krieg. Niemand hatte damit gerechnet das über 30.000 Nordmannen den Grenzwall überrennen würden und seit Hunderten von Jahren war Ersonts Tal nicht direkt angegriffen worden, was die Grafen mehr und mehr dazu veranlasste die Verteidigungsanlagen als ein Andenken an alte, gefährlichere Tage, abzutun.
Mit schnellen Schritten nahm er eine Treppe, stieß die schwere Eichentüre auf und zuckte einen Moment zusammen als die Kälte des Windes in sein Gesicht blies wie der Hauch Morsans selbst. Er zog seinen gold-gelbenen Umhang mit dem Wappen des Falken darauf um sich und eilte weiter auf die Nordmauer hinaus, welche sich in einem eleganten Bogen um die Stadt schwang und in diesem Moment von den Soldaten der Grafschaft besetzt war, welche sich Schulter an Schulter drängten, allerlei Waffen in den Händen. Zu Nathaniels Missmut waren die meisten dieser Streiter bestenfalls Stadtwachen, kaum ausgebildet im Kampf gegen einen richtigen Feind. Ihre Ausrüstung war ebenfalls in bedauernswertem Zustand und neben Schwertern die vermutlich schon vor 50 Jahren in irgendeinem Schrank weggesperrt wurden und Rüstungen die entweder zu eng oder zu weit waren weil sie dem Großvater des jetzigen Trägers gehört hatten, sah er auch viel zu wenige Bögen und Armbrüste. Als die Nachricht der Invasion und der unglaublichen Schnelle mit welcher die Nordmannen sich nach Süden bewegten die Stadt erreicht hatte, war keine Zeit geblieben noch einen ausreichenden Vorrat an Munition für die Belagerung bereit zu stellen und so hatte nur jeder zehnte der Anwesenden eine Fernkampfwaffe. Die Nordmannen würden kein Problem haben die Mauern zu erreichen mit solch magerer Gegenwehr.
Leise Worte des Grußes mit dem einen oder anderen Verteidiger wechselnd und ein ermutigendes Nicken spendend so oft er konnte suchte er seinen Weg zum Nordtor, welches von der Garde des Grafen selbst verteidigt wurde und wo er eingeteilt war, seine Waffe im Kampf zu führen. Als er die letzten Stufen hinauf zu den zwei mächtigen Türmen des Torhauses nahm konnte er nicht anders als Mitleid für den Grafen selbst zu fühlen. Gunther von Ersont war weit über 50 Morsan alt und nie ein großer Krieger gewesen. Die Schmiede hatten seine Familienrüstung in einer eiligen Aktion etwas ausweiten müssen damit die gesamte Breite des Grafen überhaupt einen Raum darin fand und seine kurzfingrigen Hände konnten höchstens ein Buttermesser führen, aber keine Klinge wie sie nun an seiner Seite hing. Schweiß stand auf der kahlköpfigen Glatze des Grafen, dessen gerötetes Gesicht tiefe Augenringe aufwies und eine Resignation die deutlich auf seine umgebenden Soldaten abfärbte.
„ Mein Graf“, sprach Nathaniel leise und deutete eine Verneigung an ehe er den ersten genaueren Blick nach Norden wagte und sogleich wünschte es nicht getan zu haben. Die Ebene vor der Stadt war schwarz mit Kriegern des Norlandes, ein jeder mindestens zwei Köpfe größer als Nathaniel selbst und mehr Soldaten näherten sich in dicken Kolonnen auf der Straße die zum Grenzwall führte. Und im Zentrum der Armee, so gerade ausser Reichweite eines guten Elfenbogens wehte das Bannes des Bären, der auf zwei Hinterbeinen stehend die Stadt zu beäugen schien. Unter dem Banner standen die Berserkergarden des Norlandes, Krieger deren Ruf weit nach Süden gedrungen war und die selbst Nathaniel, der immerhin sein ganzes Leben darauf gearbeitet hatte ein guter Soldat zu sein, in nichts nachstanden. Inmitten der Garde stand Halgir, selbst auf diese Entfernung einfach auszumachen da er die anderen Nortraven nochmals überragte wie ein Fleisch gewordener Avatar Bellums.. oder Thjareks, wie die Nortraven ihren Kriegsgott nannten. Er hatte zwei mächtige Äxte geschultert und über seinem feuerroten Bart und Haar ruhte der mächtige Kopf eines Polarbären, aus dem die Kopfbedeckung des Hetmanns gemacht war.
„Keine Belagerungsmaschinen“, vermerkte der Hauptmann der Stadtwache, welcher seinen unnötig verzierten Helm auf einer der Zinnen abgelegt hatte und die versammelte Armee musterte. „So werden sie an unsere Mauern branden wie die ungeschlachten Barbaren die sie sind und hier werden sie verenden“, kam die Antwort des Grafen, dessen unsichere Aussprache den ersten Verdacht gab, den der Geruch seines Atmens nur bestätigte. Wein, und nicht gerade wenig davon. Nathaniel vermied es zu erwähnen dass auch der Grenzwall den Nordmannen nicht stand gehalten hatte und warf statt dessen einen Blick über die Anwesenden. Neben dem Baron und dessen Hauptmann waren eine Reihe von Offizieren der Stadtwache und gräflichen Garde anwesend, sowie ein Vertreter des Ordo Bellums und der lokale Stadtverwalter. Keiner der Magier war anwesend, was Nathaniel einerseits beruhigte und andererseits verwunderte. Er mochte keine Magie in Schlachten, ein Kampf sollte ehrenhaft gewonnen werden ohne die Hilfe übernatürlicher Kräfte und keinem Krieger konnte man zumuten in das arkane Feuer der Graumagier zu stürmen. Andererseits wäre dies vielleicht genau die richtige Methode um die Nordmänner zurück zu werfen. Er beschloss der Sache nachzugehen.
„Mein Graf, darf man nach dem Verbleib der Magister fragen?“. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen konnte er spüren wie die Stimmung säuerlich wurde, als hätte er einen wunden Punkt angesprochen und die sowieso nicht sonderlich gute Moral sackte spürbar weiter ab. Der Graf schwieg nur verbissen und es war an der Stadtverwalterin, eine ergraute Frau hohen Alters die Antwort zu geben. „Tot. Die gesamte Akademie“.
„Alle Magier?“, er konnte den Unglauben in seiner Stimme nicht unterdrücken. Nicht dass die Akademie in Ersont besonders groß gewesen wäre, vielleicht ein halbes Dutzend Magister und zwei Dutzend Schüler und Adepten, aber dennoch, fast dreißig Magier. Die Stadtverwalterin warf ihm nur einen mürrischen Blick zu, sprach jedoch nicht weiter. Sie wäre sowieso nicht dazu gekommen viel zu erörtern denn nur einen Augenblick später erklang in der Ferne ein mächtiges Horn, gefolgt von einem Schlachtschrei aus dreißig Tausend Kehlen zugleich, welcher gegen die Mauern der Stadt brandete und jedes Gespräch zum Verstummen brachte. Und dann setzte sich der Feind in Bewegung, Halgir vorne weg, gefolgt von seiner Garde und direkt hinter ihm der Rest der Armee, die wie eine gewaltige Welle auf die Stadt zuflutete. Nathaniel riss seinen Blick nur von der Armee weg als er den Grafen keuchen hörte „Keine Verhandlungen? Diese... Barbaren“, stieß er hervor und wankte für einen Moment unter dem Dunst des Weines der seine Sinne vernebelte. Nathaniel wandte sich vom Grafen ab und stieg eilig die Treppen hinunter zum Platz direkt hinter dem Tor, wo die etwas erfahreneren Krieger versammelt waren. Das Trommeln zahlloser Füße auf der Ebene ließ ein sanftes Beben durch die Erde gehen noch während Wulf heran eilte und Nathaniel seinen Schild brachtet, welchen er auch an dessen linkem Arm befestigte. Nathaniel setzte mit der andere Hand den Helm auf und stierte durch das stark eingeschränkte Sichtfeld auf die Soldaten. Mit einer ruhigen und kalkulierten Bewegung zog er seine Klinge, diese gen Himmel richten. „Für den König und für Bellum“ schrie er über den Lärm der nahenden Nortraven und wandte sich dem Tor zu. Von den Mauern erklang das Sirren der ersten Pfeilsehnen die ihre tödliche Last hinunter in die Angreifer trugen, doch war klar dass dies den Ansturm nicht einmal verlangsamen konnte. Das Tor, fünf Schritte hoch und drei Schritte breit, erbebte unter einem Hieb den Nathaniel förmlich in den Knochen fühlen konnte und das Krachen von Holz war deutlich zu hören. Über dem Tor war ein kleiner Raum von etwa zwei Schritten bevor die Decke des Torbogens begann, und genau dort erschien in diesem Moment der Kopf eines Polarbären dessen Anblick die versammelten Soldaten zurückweichen ließ. Im selben Moment schwang sich Halgir über das Holz, in jeder Hand eine gewaltige Axt von denen Nathaniel vermutlich nichtmal eine hätte führen können, und landete krachend auf den Füßen direkt vor der Gruppe der Verteidiger die sich enger zusammen drückten wie eine Herde erschrockener Schafe. Weitere Berserker folgten nur wenige Augenblicke hinter Halgir, alle eine Bärenmaske tragend und die meisten davon ohne Rüstung, doch dafür beschmiert mit Blut und mit einem wilden Ausdruck in den Augen. Noch bevor der Erste davon den Boden berührte stürmte der Hetmann voran mit einer Geschwindigkeit die Nathaniel einem Mann seiner Statur nicht zugetraut hätte und eine der Äxte krachte mit knochenbrechender Macht in den gerade noch rechtzeitig hochgerissenen Schild des Falkenritters und schleuderte diesen drei Schritte nach hinten durch die Reihen seiner Krieger. Er spürte wie sein Arm unter dem Aufprall brach, die Knochen an zahlreichen Stellen barsten und wie Dunkelheit des Schmerzes seinen Geist zu umschließen drohte noch während der zweite Schwung des Hetmannes zwei seiner Soldaten auf der Stelle fällte. Im gleichen Moment brach der Schock der Verteidiger und mit einem, zugegebenermaßen etwas laschem, Kriegsschrei stürzten sie sich voran und auf die Angreifer während im gleichen Moment aus den Straßen um den Platz weitere Soldaten quollen und sich auf den Hetmann und seine Elite warfen. Nathaniel indessen war kaum bei Bewußtsein als sein Knappe neben ihm auftauchte und ihn weg vom Kampf zog, dabei die Überreste des zerschmetterten Schildes zurück lassend. Mühsam und nur mit Hilfe von Wulf kämpfte er sich auf die Beine, nur um zu sehen wie das Tor langsam nach innen schwang und einen Schwall weiterer Nortravenkrieger auf den Platz entließ welche mächtige Äxte und überdurchschnittlich lange Schwerter schwangen und mit dieser vergrößerten Reichweite die Soldaten des Reiches niedermachten ohne selbst große Verluste zu nehmen. Halgir war nirgends zu sehen, und der Lärm der Kämpfenden füllte den Platz während die Schreie der Verwundeten und Sterbenden darin erstickt wurde wie ihr Leben im Kampf ausgelöscht wurde. Ihm wurde klar dass die Stadt verloren war. Das Tor war gefallen und im Nahkampf hatten die schlecht ausgebildeten und kaum ausgerüsteten Verteidiger keine Chance gegen die Horde der Nordmänner, wobei die Leichtigkeit mit welcher Halgir das Tor überwunden hatte Nathaniel mit Erstaunen und Panik versetzte.
Augenblicke später erklang ein spitzer Schrei vom Wehrgang des Torhauses und der Kopf des Grafen, das Entsetzen noch immer auf seinen Zügen geschrieben, flog über die Zinnen empor wie ein grotesker Ball in einem noch groteskeren Spiel und landete vor den Füßen seiner Soldaten während der massive Oberkörper von Halgir lachend über den Zinnen erschien, seine lederne Rüstung blutbesudelt wie die Ausgeburt Mandors selbst.
Fela sank langsam dem Horizont entgegen als Nathaniel, an der Spitze eines Trosses der geschlagenen nach Süden ritt, sein Pferd mit der Rechten lenkend während sein linker Arm in einer Schlinge lag. Die Stadt war gefallen, der Graf und alle seine Offiziere tot und erschlagen von den Nordmannen und doch, entgegen aller seiner Erwartung hatte Halgir ihm, als letztem Ritter der Stadt, erlaubt die besiegten Truppen und alle Einwohner die nicht verbleiben wollten nach Süden zu führen, noch während seine Beserker im Hintergrund die Reliquien der Schreine auf einen Haufen warfen und anzündeten.
„ Du hast gekämpft und verloren, doch es ist nicht an mir dein Leben zu nehmen. Thjarek beschloss das du meinen Hieb überstehst, somit hat er vielleicht noch Pläne für dich, Ritter. Du kannst deine... Krieger nehmen und gehen“ hatte der Hühne in schwer akzentuiertem Galad zu ihm gesagt während die Flammen des brennenden Tempels hinter ihm empor loderten wie eine unheilvolle Aura. Die letzten Verteidiger, wenige Hunderte nur von Tausenden welche die Mauern besetzt hatten, standen hinter Nathaniel. Allesamt geschlagen, viele verwundet und mancher der den nächsten Tag nicht sehen würde. „Doch seid gewarnt. Thjarek gibt euch die Gunst des Lebens nur einmal, das nächste mal wird es keine geben“, rief Halgir den Soldaten zu und wandte sich einfach ab, als wären die letzten Verteidiger seiner Aufmerksamkeit nicht weiter wert.
Im Nachhinein musste er sich eine gewisse Bewunderung für den Nordmann zugestehen. Auch wenn seine Motive verblendet waren, denn sicherlich gab es keinen Thjarek, so waren seine Handlungen eines Ritters des Reiches würdig und an seinem Mut konnte ebenso kein Zweifel bestehen. Und so schlängelten sich die Überreste von Ersonts Tal, gefolgt von einer kleinen Kolonne der Adeligen jener Stadt, welche nicht hatten zurückbleiben wollen unter nortravischer Herrschaft, nach Süden, wohl wissend, dass der Krieg ihnen folgen würde.
_________________ Tarlas: Angamons Segen dispellt keine Meteorregen!
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