Lächelnd schweifte Brands Blick zur Seite. "Wie schön sie doch ist", dachte er, als er zu Erin sah, die neben ihm herlief, in ihrer üblichen Lederkleidung und einer wunderschönen, roten Blume hinter dem rechten Ohr. Einer Erinnerung an den schönen Abend den sie in den Wäldern verbracht hatten. Kurz biss sich Brand auf die Unterlippe und sah wieder von ihr weg. Diesen Gedanken würde er wohl niemals wirklich frei aussprechen dürfen. Sie kannten sich schon lange, sie war eine der ersten Personen, denen er damals, vor beinahe fünf Monden begegnet war, als junger Wanderer, der eben neu die Insel betreten hatte. Aber sie war vergeben.. Verlobt mit Roald Spitzbart und er musste sich innerlich mehr als beherrschen nicht eifersüchtig zu werden. "Wir könnten ja bloß Freunde sein.", diesen Gedanken wiederholte er immer und immer wieder, um sich zu beruhigen und von seinen melancholischen Gedanken abzulenken. Endlich verließ er an ihrer Seite den wuchernden Wald bei Südfall. Was sie dort gesehen hatte, würde unter ihnen bleiben, das war sicher, aber jetzt war er froh dem ganzen Gestrüpp entkommen zu sein und den rauen Boden des Weges unter seinen nackten Fußsohlen zu spüren. Im Gehen unterhielten sie sich noch, dabei der Straße nach Norden folgend, um alsbald wieder in die Stadt zurückzukehren. Vielleicht würden sie noch nachsehen, ob der Seiltänzer oder der Draconis offen hatten und zusammen auf die schönen Stunden anstoßen. Derart in nun schöne Gedanken vertieft und sich angeregt mit ihr unterhaltend, merkte Brand erst nicht, was im Vitamalinviertel passiert war. Erst als er die Orkenfratzen in der dämmerigen Gasse vor sich sah, wurde ihm bewusst, dass sie beide in Gefahr schwebten. Noch schlimmer.. Erin war in Gefahr. Sofort ergriff ihn ein unbändiger Fluchtreflex und er packte Erin, um mit ihr loszulaufen. Sie folgten der Straße rennend gen Süden, schneller als die Orken ihnen folgen konnten. Hinter sich hörte er sie laut ihre grunzenden Befehle ausstoßen. Etwas ruckte an seiner Hand, als Erin nach links weg von der Straße zog und sie sich hinter einem halbverfallenen Wall, nahe am Geschehen verbargen. Sein Atem ging keuchend, als er nah an Erin gedrängt über die Wallkante sah und das Werk der Orken sah. Es schien als hätten sie mit dem Armenviertel gemeinsame Sache gemacht. Brand erkannte Samina wieder, ebenso wie den kleinen Unruhestifter vom großen Tanzball. Was ihn merklich mehr erschreckte, war, dass es viele Orken waren. Es sah fast so aus, als wäre der ganze Stamm geschlossen aufgetreten, angeführt von ihrem Cho mit dem schwarzen Helm, der Befehle brüllend umherging und ihre Reihen ordnete. Neben sich hörte er Erin leise etwas flüstern, nah an seinem Ohr. "Wir müssen uns an der Wand direkt entlangbewegen, dann könnten wir in die Stadt gelangen." Er nickte. In Falkensee wären sie sicher, besser noch, im Ordenshaus. Hinter einer Tür aus massivem Gußeisen. Langsam erhoben sich die beiden hinter der Ruine des halbeingestürzten Hauses und huschten im Schatten der Nacht und der engen Häusergassen zu dem großen, gemauerten Quartiergebäude, grade, als einer der Orken es aus der anderen Tür hinaus verließ, huschten sie leise hinein und sahen sich um. Ein Mann lag bewusstlos auf dem Boden, am Herd kauerte ein junges endophalisches Mädchen und hatte sich verkrochen. Brand seufzte tief, teilweise auch erleichtert. Wenigstens hatten sich diese Tiere nicht an einem wehrlosen, kleinen Mädchen vergriffen. Hinter sich hörte er erneut Erin etwas sagen.. "Ich werde Hilfe holen gehen, kümmer du dich um das Mädchen und den Mann." Erneut nickte er, kurz sah er über seine Schulter als sie das Gebäude wieder verließ und die Tür klackend ins Schloß fiel. Er beugte sich etwas hinab, milde lächelnd begann er beruhigend auf das Mädchen einzureden. Er hatte wohl Erfolg, langsam fasste das kleine Ding Vertrauen und kam etwas weiter hervor. "Du brauchst keine Angst zu haben, ich passe auf dich auf. Sie sind weg." meinte er mit einfühlsamer Stimme.
Als hinter ihm die Holztür aufkrachte. Binnen weniger Sekunden standen vier oder fünf stattliche, gepanzerte Orken im Innenraum des Quartiersaals und sahen auf ihn und das Mädchen herab. Etwas unsanft drückte er das Mädchen wieder zurück und baute sich vor ihm auf und versuchte es zu beschützen, gleichzeitig aber wusste er, dass er ein großes Problem hatte. Einen Orken hätte er vielleicht noch überwältigen können, aber fünf.. Nein, das nicht. Umso eindrucksvoller wurde es ihm klar, als sie begonnen auf ihn einzuschlagen und ihm schließlich mit dem gepanzerten Stiefel ein Ork ins Gesicht trat. Deutlich hörte er seine Nase knacken, als sie anknackste. Selbst in dieser Situation konnte er sich einen Gedanken nicht verkneifen: "Silaja wirds freuen. Jetzt ist die Nase schon wieder kaputt." Wenige Sekunden später dachte er nichts mehr, als er in gnädige Umnachtung fiel. Er sackte auf den Fliesen des Quartiergebäudes zusammen.
Kurze Zeit später erwachte er wieder, dieses mal jedoch äußerst unsanft und ganz und gar nicht angenehm. Er schlug seine Augen wieder auf, als er plötzlich am ganzen Körper kaltes Wasser verspürte. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass er gefesselt worden war. Vor Schreck, wohl auch, weil er keine Zeit gehabt hatte, Luft zu schnappen, entwischten ihm einige Luftblasen, die aufstiegen. Panisch sah er sich um, er sah nichts ausser den massiven Bohlen eines Wasserfasses und begann sich, so kopfüber dort steckend, hin und her zu bewegen, um das Fass zu kippen. In seiner Lunge derweil begann die Luft sich zu verhalten wie ein wildes Tierchen, das eingesperrt wurde und versuchte zu entkommen. Schließlich konnte er es nicht mehr ertragen und öffnete den Mund, vor seinen Augen tanzen Sterne und weißliche Schlieren, und Wasser strömte ihm in den Mund. Genau da wurde er wieder herausgerissen und vor dem Fass zu Boden geworfen. Wasser ausspuckend und tief geschockt, dem Tod noch einmal entkommen zu sein, blieb er dort gefesselt liegen. Die nächsten Geschehnisse sah und er hörte er wie durch einen Kokon aus Watte. Feuer brach in den Reihen der Kämpfenden aus, die Hochelfen griffen an, unter ihnen sein Bruder, Schild Elodril. Die Orken ließen ihn alleine dort liegen und er kam allmählich zur Ruhe, als seine Körperglieder schwer wurden und er vom Geschehen erschöpft beinahe eingeschlafen wäre. Beinahe, denn unter dem dreckigen Lachen der Orken wurde er zum Stall geschleift, der direkt an der Blutigen Ratte war. Aus den Augenwinkeln sah er Schneehaar, Erins Pferd, dort stehen. Nun begann wohl ein Martyrium für Brand, als einzige Geisel der Orken, die inzwischen Deckung vor den Pfeilen der Wallschützen genommen hatten. Der kleine Mann mit dem roten Kopftuch ging umher und verkaufte den Orken Nachtschattenstengel, mit dem Versprechen, sie würden dadurch noch viel besser kämpfen. Aber einer dieser Stengel wurde auch Brand in den Mund geschoben und als er ihn angewidert wieder ausspucken wollte, hielt ihm ein Ork Mund und Nase zu, sodass er gezwungen war das Kraut hinunterzuwürgen. Kurz danach geschah dies noch einmal mit ihm und vom Nachtschatten berauscht und mehrfach mit der stumpfen Seite einer Axt auf den Kopf geschlagen würde er sich am nächsten Morgen nicht mehr an das folgende erinnern.
Seine Gefühle wechselten sich ab wie ein unberechenbarer Sturm im Ventus, mal weinte er jämmerlich, doch immer mehr keimte auch eine Wut in ihm auf. Selbst kaum noch bei Sinnen begann ein regelrechter Spuk um ihn herum. Die Fesseln um seine Handgelenke wurden von kleinen, haarnadeldünnen Blitzen beleckt und der Geruch von Verbranntem stieg auf. Als der Ork ihm schließlich erneut eine überziehen wollte mit der stumpfen Seite der Axt fuhr sie durch ihn hindurch, als wäre er Luft. Zwischen seinen Haaren begannen sich kleine statische Entladungen hin und her zu entladen. Aber auch dies endete, als er nun erfolgreich zusammengeschlagen wurde von dem Orken, der ihn bewachte. Er wurde an einen der Pflöcke gefesselt und die Orken zogen ab. Schließlich kam auch Adept Tiberias mit Eleron und band ihn los, um ihn ins Ordenshaus zu bringen. Brand merkte davon schon nicht mehr viel, sein Atem roch deutlich nach Nachtschatten und auch seine unterschiedlich großen Pupillen zeugten von einem heftigen Rausch. So fiel er schließlich ins Bett, bis Erin kam und sie sich noch lange unterhielten. Eins aber wusste Brand.. Eines Tages würde er sich rächen. Eines Tages.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..." Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον
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