Es war das gewohnte Bild. Der Burghof voller Menschen, dazwischen der ein oder andere Hochelf. Alle gerüstet und zum Kampf bereit, das Regiment und die Wache in Reihe, alle anderen mehr oder weniger locker nach Gruppen sortiert. Es war die gewohnte Mischung aus Emotionen. Trockener Galgenhumor trotz oder gerade wegen der ernsten Situation, bei manchen genau die Mischung aus Angst und Verantwortungsgefühl, die einfache Menschen zu Helden macht, bei anderen genau die Mischung aus Übereifer und Selbstüberschätzung, die in der Schlacht so schnell so gefährlich wird...
Wie immer hatte es entweder keine wirkliche Planung gegeben, oder sie war auf dem Weg in die unteren Ränge verloren gegangen. Und wie immer wurde erneut der Versuch gemacht, die verschiedenen, unabhängigen Truppen unter einer Führung zu vereinen. Ein herzlich sinnloser Versuch. Selbst wenn alle Kämpfer sich wirklich auf einen Anführer einigen könnten, den alle respektieren und der dieser Aufgabe auch noch gewachsen ist, wäre eine sinnvolle Koordination im Kampf unmöglich. Zu unübersichtlich wäre das Schlachtfeld, zu lange würden Befehle brauchen, um empfangen und umgesetzt zu werden. Dies hier war keine Armee, sondern ein bunter Haufen von Milizen und freien Kämpfern, und die wenigen echten Soldaten hatten vermutlich kaum echte Schlachterfahrung. Ganz im Gegensatz zu dem Feind, gegen den es zu ziehen galt. Erinnerungen vermischen sich in der leeren Wartezeit mit der Gegenwart...
Ein anderer Burghof, eine anderer zusammengewürfelter Trupp von Milizen und Freiwilligen... alle mehr oder weniger in ähnlich gefärbter Kleidung, mit dem an Waffen, was gerade greifbar war und alle mit einer Schärpe mit dem vandrischen Wappen. Auch hier diese seltsame Mischung aus Übermut, Angst und trotzigem Stolz, der das Zeichen von unerfahrenen Truppen vor der ersten Schlacht ist. Nur vereinzelt ein paar Ritter dazwischen oder Armee-Veteranen, aber auch von diesen haben die meisten keine echte Schlachterfahrung und manch einer mag in seinem Übermut oder seiner Ruhmessucht für die Truppe gefährlicher sein, als der Feind. Eine flammende Rede, dann bricht die gemischte Gruppe auf - die eilig ausgehobene Miliz der PRovinz Weteka auf dem Weg, ihre Heimat und Familien vor den ketzerischen Eindringlingen zu beschützen, die angeblich den Süden Vandriens überrant haben sollten...
Der Ruf zum Aufbruch zerreißt die Erinnerungen. Auch auf den Burghof der Feste Finianswacht kommt Bewegung. Die Katapulte sind verladen und die Truppe strömt aus der Burg. Ein Irrsinn, die Katapulte erst jetzt in Stellung zu bringen, trotz der Gefahr, der sie vielleicht ausgesetzt worden wären. So litt nicht nur die Moral der zusammengewürfelten Truppe unter der Verzögerung, die ganze Truppe wurde zudem so unbeweglich, dass es die reinste Einladung zu kurzen Zermürbungsangriffen war. Dies war keine Fehde zwischen zwei Rittergütern, die sich aus Ehrgefühl und Höflichkeit gegenseitig die Gelegenheit gaben, ihre Truppen in aller Ruhe in Stellung zu bringen. Dies war ein Kampf gegen einen Gegner, der schon oft bewiesen hatte, jegliches Mittel von offener Kampfkraft bis zu eingeschleusten Verrätern und Bündnissen mit namenlosen Mächten zu nutzen, um den Sieg zu erringen. Aber sich Befehlen zu widersetzen würde nur noch mehr Unordnung in die sowieso schon eher chaotischen eigenen Reihen bringen, selbst wenn diese Befehle von Personen kamen, denen ganz offenbar jede praktische militärische Erfahrung fehlte...
Überraschenderweise verlief der Weg zu den Zwergen ohne Zwischenfälle, und fast noch erstaunlicher die Tatsache, dass dort nicht erneut eine halber Zyklus mit Warten verbracht sondern fast sofort der Weitermarsch befohlen wurde. Vor den Pallisaden des Passes dann der Versuch einer Aufstellung. Die Heiler zusammen nach hinten, die Nahkämpfer in einer Reihe nach vorne, dahinter Bogenschützen und Magier... tatsächlich der Versuch einer echten Schlachtordnung, aber wieder so langsam. Selbst nach einem halben Dunkel sind die Reihen nicht ansatzweise geordnet, keine Späher sind ausgeschickt, um den Feind zu beobachten, niemand weis, wo die Orken eigentich sind und was in deren Lager passiert... Himaelin, der Kundschafter der Garde, späht auf eigene Faust den Süden aus, in Richtung Orklager. Die Ritter sind entweder an den Katapulten oder stehen selbst weitgehend orientierungslos herum. Keine klaren Befehle bringen Struktur in den Haufen... nicht dass ernsthaft zu erwarten wäre, dass diese befolgt würden, wenn es sie denn gäbe. Noch immer trägt ein großteil der Truppe nicht einmal eine Behelfsuniform, so dass spätestens bei Beginn der Kämpfe die eigenen Leute nicht mehr von Überläufern zu den Orken unterscheidbar sein werden. Und das auch diesmal wieder Menschen auf deren Seite kämpfen werden ist so voraussehbar wie der Lauf des Vitamalin. Wieder steigen ungewollt Erinnerungen auf, an eine ähnliche Situation vor vielen Jahren...
Wieder ein anderer Ort, eine Flussaue, Wiesen mit vereinzelten Buschinseln, vielleicht huntert Schritt breit, ein Bach in der Mitte. Rechts und links dicht bewaldete Hänge, die im Nebel verschwinden, der schon seit Tagen ein ständiger Begleiter ist. Nass, klamm und irgendwie feindseelig war er zermürbender für die Truppe als die ewigen Märsche, die ungewisse Zukunft und der Proviantmangel. Seit Wochen schon begleitet uns das heulen von Wölfen und vorgestern ist ein kompletter Kundschaftertrupp verschwunden. Alles was wir von ihnen fanden war aufgewühlter Boden, zerfetzte Ausrüstung und Spuren von gewaltigen Klauen, viel zu groß für normale Wölfe. Seit dem bleiben die Kundschafter in Sichtweite der Truppe und die nächtlichen Wachen wurden nochmals verdoppelt. Der hohe Ritter lässt sammeln, wir alle wissen warum. Am Ende dieses Tals, vielleicht noch eine Stunde zu marschieren, sollen wir auf den Feind treffen. Die Befehle werden ausgegeben und langsam nimmt die Truppe etwas wie eine Schlachtordnung ein. Aber wärend die Ritter und Veteranen diese rasch umsetzen merkt man der weit zahlmäßigeren Miliz sofort an, dass sie nicht aus Soldaten besteht. Ein wildes Durcheinander entsteht.
Dann sind sie plötzlich da. Soldaten in pechschwarzer Uniform und Rüstung stürmen die Hänge hinab, aber sie sind nicht das eigentlich erschreckende. Begleitet werden sie von unheiligen Kreaturen, Perversionen von Wölfen, manche so groß wie Kühe und völlig entstellt. Gemeinsam schlagen sie wie eine Woge über das unsortierte Heer herein und lösen in Sekunden jegliche Ordnung auf. Befehle werden gebrüllt, die keiner mehr versteht oder die nicht mehr zu befolgen sind, jeder kämpft für sich alleine, vielleicht noch Rücken an Rücken mit einem Kameraden in einer brandenden Flut aus Waffen, Klauen, Blut und Schreien... kaum die Hälfte des mehrere hundert Mann starken Milizheeres sollten noch leben, nachdem die Angreifer sich ebenso spurlos zurückzogen wie sie aufgetaucht waren... nichts zurücklassend als Chaos, Leid, Tod und zwei Tote in schwarzer Rüstung und Uniform...
Die Schreie, das Waffengeklirr und die Panik klingen echt wie damals, viel zu Echt für eine Erinnerung... diesmal fällt es schwer, die Erinnerung abzuschütteln, und die Gegenwart die sie enthüllt ist ihr so ähnlich. Die sich eben noch sortierenden Truppen sind zerschlagen, die meisten liegen verletzt oder sterbend im Gras, zwischen ihnen Orken, Trolle und ihre Verbündeten. Die Orken mussten von Norden gekommen sein, in den Rücken der sich formierenden Armee, und in einem Überraschungsangriff jegliche organisierte Gegenwehr zerschlagen haben. Mühsam schüttele ich die letzten Reste der Benommenheit ab und versuche, mir einen Überblick zu verschaffen. Die Truppe versprengt, das Heilerlager wohl überrannt, zwischen mir und den noch kämpfenden Überlebenden an der Pallisade die feindliche Linie. Keine Möglichkeit für einen Feldscher, dort durchzubrechen. Dann wird einer der Orken auf mich aufmerksam und nimmt mir die Entscheidung ab. Zynisch überlege ich mir, wie lange er wohl damit prahlin wird, einen Rittergardisten wie einen Hasen vor sich her gejagt zu haben... ohne je zu erfahren, dass dieser Gardist nie mehr Kämpfen gelernt hat, als nötig ist, um auf dem Schlachtfeld zu überleben und die Verwundeten zu bergen. Auf halbem Weg zum Orkfort gibt der Verfolger auf, sei es, weil ihm die Puste ausgeht oder weil er sich wegen eines einzelnen fliehenden Menschen nicht das "Gesnätz" entgehen lassen will...
Resigniert stolpere ich weiter, versuche, mich am Fort vorbei zu schleichen und über den Wall zurückzukehren, um zumindest bei der Verteidigung des Passes helfen zu kommen, da schälen sich ein halbes Dutzend schwarz vermummter Gestalten aus dem Dunkel der Nacht, begleitet von vielleicht eben so vielen gigantischen Spinnen. Myten! Müde frage ich mich, auf welcher Seite sie wohl stehen mögen... sind sie die letzte Hoffnung für ein Siebenwind, in dem noch ein Rest von Recht und Ordnung herrscht, oder werden sie dieser Ordnung den Todesstoß geben, und die Herrschaft von Raub und Gewalt über die Insel endgültig besiegeln? Ich weis es nicht, und wie es auch sein mag, ich kann nichts daran ändern. Dankbar stelle ich fest, dass ich ihnen offenbar zu unwichtig bin, um sich mit mir zu befassen, und sie kommentarlos weiterziehen...
Unterwegs treffe ich Himaelin. Zwar hatte er als einer der wenigen daran gedacht, den Aufmarsch als Späher abzusichern.. doch hat auch er den Angriff aus der falschen Richtung erwartet und wurde danach genau wie ich durch den Angriff von der Truppe getrennt. Gemeinsam kehren wir ins Grünland zurück, durch den Geheimgang, wer weis, wer zur Zeit den Wall hält... es wäre nicht das erste mal, dass die Grünhäute ihn im Siegesrausch überrennen. Bei den Zwergen treffe ich Vater Benion, Vitama hat ihre Schützende Hand über ihn gehalten, so dass er die vielen Verwundeten dort versorgen kann. Ich helfe ihm so gut ich vermag, wärend er mir von der Katastrophe berichtet. Die Truppen überrollt, er als einziger Heiler von einem halbe Dutzend nicht niedergeschlagen oder vermisst, die Lage an den Pallisaden...
... hoffnungslos. Der Feind ist uns zahlmäßig weit überlegen und scheint weder Furcht noch Müdigkeit zu kennen. Wir sind dazu über gegangen, unsere Gefallenen sofort zu verbrennen, nachdem sich einige wieder erhoben und unsere eigenen Leute angegriffen haben. Wir haben keine Zeit mehr, auf den Entsatz durch das 3. Malthuster zu warten.. wer weis, ob die je eintreffen. Wie viele müssten wir zurücklassen? Ich wende den Blick von dem ebenso resigniert wie verbissen wirkenden Offizier ab und lasse ihn durch das Zelt wandern. Überall sitzen und liegen Verwundete herum, notdürftig versorgt, viele gerade noch so am Leben. Mindestens ein Dutzend hat kaum eine Chance, einen Transport zu überleben, wenn Morsan sie nicht sowieso diese Nacht noch zu sich holt. Aber zurücklassen können wir sie nicht, wer weis, was die Diener des Einen ihnen antun würden, ob tot oder lebendig. Aber wir haben noch zwei Dutzend Pferde, die Überreste des einst stolzen 1. Ersonter Reiterregiments, das vor zwei Monden zu uns gestoßen ist, kurz vor der Schlacht an der Eichenfurt. Wenn die leicht Verwundeten aus den Resten der Zelte Schleifen bauen, könnten wir außer genug Proviant für ein paar Tage auch alle Verletzten mitnehmen.. ob ins Leben oder in den Tod. Der Offizier nickt, er sieht die Lage genauso. Morgen bei Tagesanbruch werden wir aufbrechen, wenn unsere Verteidigung solange durchhält... wer weis, wenn die Viere es geben, dass einer der wenigen Tage ist, an denen Felas Strahlen diesen namenlosen Nebel durchdringen, besteht vielleicht noch Hoffnung... angeblich soll sich das vereinigte Heer nur wenige Tagesmärsche von hier zum Angriff auf den Rabenpass sammeln. Dann wird die nächste Welle Verwundeter ins Lazarett gebracht und alle Überlegungen, die weiter reichen als bis zur Versorgung des nächsten Opfers, treten in den Hintergrund und verblassen...
... bis auch der letzte Verwundete versorgt und in Sicherheit ist. Nach der Evakuierung Kesselklamms inzwischen wieder in Falkensee im Hospiz. Offenbar war die Niederlage doch nicht so katastrophal wie zuerst befürchtet. Die Heiler scheinen alle überlebt zu haben, ebenso einige Ritter und Regimentler. Auch die meisten freien Kämpfer und Zwerge scheinen davon gekommen zu sein, auch wenn fraglich ist, wieviele der freien Kämpfer überhaupt je auf unserer Seite waren. Trotzdem ist die Bilanz schlimm genug. Das Orkfort vernichtet, ja. Aber die Orken sind Nomaden, sie sind es gewohnt, ihre Lager immer wieder neu zu gründen. Ein herzlich sinnloser Erfolg, besonders wenn man den Preis dafür bedenkt. Der Großteil der Ritterschaft in Gefangenschaft, die Moral der Armee zerschlagen, eine Unzahl Verwundete und wer weis wie viele Tote... die Truchsess enthält sich jeglicher Aussage, die Verbliebenen Ritter sind kaum in der Verfassung, das Ruder herum zu reißen und der reformierte Inselrat ist nicht in der Position um neuen Halt zu geben.. sei es aus Unentschlossenheit oder mangelnden Befugnissen. Zurück blieben der eher trotzige Entschluss, trotz aller Wiedrigkeiten weiter für Recht und Sicherheit auf der Insel zu kämpfen, die vage Hoffnung, dass die Sammler oder Diener des Ungenannten die momentane Schwäche nicht ausnutzen und Verbrecher wie Obrigkeit von der Insel fegen und die Gewissheit, dass die Obrigkeit und Ordnung Siebenwinds weitere solche "Demonstrationen galadonischer Stärke" oder "Exempel für alle Verräter" nicht überleben wird... falls sie nicht an dieser schon Zerbricht.
_________________ Rowin Rodeberg
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