Vor nicht allzuvielen Jahren, an einem kalten aber sonnigen Mittag
Gegen Mittag des Tages streifte ein komplett in Grau gekleideter Mann durch die Wälder vor den Toren der Stadt. Sein Gewand war weit geschnitten und es wehte wie ein Banner im Wind, als er sich dem Wachturm am Nordtor näherte. Und obwohl er durch den knietiefen Schnee lief, so waren seine Schritte kaum zu hören, als ob der laub- aber keineswegs leblose Wald seine Anwesenheit zu verbergen versuchte. Ein leises Zischen, einem Windstoss durch die kahlen Baumkronen gleich, sprach er zu seinem Gefährten "Schatten, komm!"
Der grau-weiße Wolf sprang mit einem weiten Satz aus einer Vertiefung hervor, das dichte Fell von Schnee besetzt. Man könnte meinen, der Wolf würde mehr Lärm verursachen, doch sobald dieser hinter einem Baum verschwand erstarb das sanfte, stobende Geräusch und auf einmal, völlig lautlos, kam der Wolf hinter dem Mann zum Vorschein. Zögernd sah sich der Mann um und ging dann in die Hocke, die eine Hand am Boden, die andere Hand die Kapuze zurück schiebend. Das lange blonde Haar wehte im Wind, als er den Kopf in den Nacken legte und mit geschlossenen Augen die Umgebung in sich aufzusaugen schien.
Für einige Sekunden schien er zu erstarren ehe er jedoch explosionsartig rückwärts an einen nahe stehenden Baum sprang, noch im selben Augenblick den Bogen von seiner Halterung am Rücken lösend und mit der Hand nach vorn riss. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung erfasste er den Bogen mit seinen Zähnen um kurz darauf mit den Händen einen großen Ast an dem Baum zu greifen und sich an diesem nach nur wenigen Schwüngen hochzuziehen. Als er einen festen Stand auf dem Ast erreicht hatte drückte sich erneut kraftvoll ab und mit flatterndem Umhang, vom Geräusch her einem flatterndem Vogel gleich, hielt er sich dann an der Halterung für das Bannertuch fest. Nach weiteren kurzen Schwüngen konnte er schließlich den Rand des Daches greifen und dieses dann erklimmen. Oben angekommen blickte er kurz zurück auf den Wolf, der noch immer am Fuße des Baumes verharrte. Dieser schüttelte sich gerade den Schnee vom Fell, der wohl von dem Baum herabfiel, den der Mann als Zwischenstation bei der Erklimmung des Wachturmes nutzte. Für die Dauer eines Wimpernschlages schien sich ein Lächeln auf seinen Lippen abzuzeichnen, jedoch verfinsterte sich seine Miene sofort wieder und mit kühlem, berechnendem Blick wandte er sich seinem eigentlichen Ziel zu, dem Zentrum der Stadt.
Auf den Bogen, den er inzwischen aus dem festen Griff seiner Zähne entnommen hatte, legte er einen Pfeil auf und spannte ihn langsam durch. Immer stärker bog sich dieser bis ein leises Knarzen einsetzte, als ob der Bogen jeden Augenblick bersten könnte. Er war gut, das wusste er. Man hatte ihm alle Techniken für diese Art der Jagd beigebracht. Mearon wäre stolz auf ihn. Die Art und Weise, wie er sich bewegte, stets im Schatten der Gesellschaft, wie er mit der Umgebung zu verschmelzen schien - das alles brachte ihm immer den Vorteil und den Vorsprung, den er benötigte um nach dem finalen Schuss unerkannt und ohne Aufsehen zu erregen verschwinden zu können. Aber heute war viel los auf dem Marktplatz denn es sollte ein öffentlicher Appell stattfinden. Wieder durchbrach ein leises Zischen die Stille auf dem nördlichen Wachturm. "Nunja, ohne Herausforderungen wäre das Leben nicht lebenswert." Er schien sein Ziel jetzt gefunden zu haben. Langsam und tief einatmend legte er auf den Punkt an, in dem der Pfeil schließlich einschlagen sollte. "Hab ich dich!" zischte es erneut hinter seinen Zähnen hervor. Dann kehrte wieder Stille ein. Sekunden wurden zu Stunden, so kam es ihm vor. Und dann, ein Pfeifen, laut und bedrohlich, für die Hundertschaft von Soldaten nicht zu überhören. Die Spannung entlud sich. Und der Pfeil flog davon.
Es war schon immer viel los zur Mittagszeit, doch das anwesende Heer trieb das sonst schon geschäftige Treiben auf die Spitze. Überall rannen Soldaten hin und her, suchten ihre Einheiten, stellten sich auf, verschoben sich. Es dauerte eine Weile, bis endlich Ordnung herrschte und es nach einem sauberen Antreten aussah. Es waren vier große Kompanien, zwei bildeten die Front, und jeweils eine Kompanie bildeten links und rechts eingeschlagen die Flanke. In der Mitte der Front, zwischen den zwei Kompanien stand der Ehrenzugmit dem Stadtwappen und dem Banner der Truppen. Gut drei Meter war es hoch, mit einem gewaltigen Stoffbanner dessen goldene Kordeln am unteren Ende sich mit der Nase des Standartenträgers vergnügten und diese im Wind liebkoste. Dieser fand das freilich weniger erfreulich und so versuchte er es ständig aus seinem Gesicht zu pusten. Nach einigen Minuten dann schien die Aufstellung ihre endgültige Position gefunden zu haben.
Mit grimmiger Miene trat der Leutnant vor seine Männer. Der ganze Platz war gefüllt mit Soldaten, alle in sauberen Uniformen, die Sonne spiegelte sich in den polierten Schwertern, Schilden und Rüstungen dass man hätte erblinden können. Er ging die Front ab, begutachtet die Männer, erteilte Lob für besonders schön herausgeputzte und Tadel für negativ auffallende Soldaten. Dann drehte er sich von den Männern weg und hielt nach dem Hauptmann Ausschau. Es war windig an diesem Tag, doch jetzt schien selbst der sich vor den angetretenen Männern ehrfürchtig zu trollen, nur von Norden her war ein leises Pfeifen zu vernehmen. Doch dieses Pfeifen war nicht der Wind, wie er über die Zinnen strich und an den Mauern der Stadt seine Melodie spielte, es klang unnatürlich, bedrohlich.
Wie ein Blitz schlug der Pfeil in dem Querkreuz am oberen Ende der Bannerstandarte ein. Augenblicklich lösten sich die Reihen auf, zerstoben in alle Himmelsrichtungen. Gellende Schreie, wie Harpyien, die sich zum Angriff erhoben, vereinzelte Befehle die jedoch in dem Gekreische der Menge untergingen. Das Chaos obsiegte erneut der Ordnung, einzig allein der Leutnant schien einen kühlen Kopf zu bewahren. Instinktiv schaute er nach Norden, wo er dann etwas zu erkennen meinte. "Da, im Norden, auf dem Wachturm!" brüllte er, doch die anderen Soldaten waren viel zu sehr damit beschäftigt ihrer eigenen Furcht Herr zu werden. Zornesröte zeichnete sich in dem Gesicht des Offiziers ab, als die Gestalt auf dem Turm sich bewegte. Erneut schien der Wind aufzuheulen und der Leutnant trat einen Schritt zurück, bevor nur einen Wimpernschlag später ein weiterer Pfeil an jener Stelle einschlug, an der er kurz zuvor stand. Er schaute kurz zu Boden auf den Pfeil, der schräg im gefrorenen Boden des Marktplatzes steckte. Mit einer schwarzen Schnur war ein Zettel um den Pfeil befestigt worden und der Leutnant beugte sich herab um den Pfeil herauszuziehen. Ehe er den Pfeilschaft jedoch greifen konnte, schlug nur eine Handbreit daneben ein weiterer Pfeil ein. Erschrocken wich er zurück und blickte wieder nach Norden um die Gestalt zu suchen. Doch an der Stelle, wo der vermeintliche Schütze vorher stand malte sich nur noch der blaue Horizont an den Umrissen der Stadtmauer ab. Fluchend zog der Leutnant den Pfeil mit dem Papier aus dem Boden, löste die Schnur und rollte den Pergamentfetzen auseinander. Mehrmals las er in Gedanken die Nachricht:
Der Wolf weiß Bescheid über deinen Frevel. Deine Strafe wird an deinen Taten gemessen. Dir bleiben zwei Wochen, dich zu stellen. Sonst reißt dich das Rudel!
Für eine Weile starrte er auf den Zettel, ehe er ihn zerknüllte und in eine Tasche seiner Uniform schob. Ein letztes Mal schaute er zu seinen Männern, die noch immer ziellos über den Platz rannten. Er knurrte einem Soldaten dann einen Befehl zu und ging dann schließlich zornig fluchend in Richtung Burg.
_________________ Nur Idioten rasen - Kuenstler driften!
Zuletzt geändert von Shadow: 20.02.07, 02:15, insgesamt 1-mal geändert.
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