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 Betreff des Beitrags: [Mitmach-Thread] Nächte in Gefangenschaft
BeitragVerfasst: 23.08.11, 10:31 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 10.08.11, 02:14
Beiträge: 14
Sie konnte unmöglich sagen, welcher Zyklus angebrochen war. Durch die schwere Metalltür drang kein Licht. Nur die kleine Kerze, die ihr gestern die Frau zurücklief brannte noch auf dem Tisch, so konnte sie wenigstens etwas in dem Raum sehen. Sie hatte damals in Rothenbucht die Zellen gesehen, schmutzig und eiskalt. Hier war es hingegen erträglich. Ein Korb mit frischem Obst, Wasser, einer kleiner Tisch, ein Stuhl und ein Bett.

Sie blickte hinüber zu dem Tisch, zu dem Korb mit Obst und seufzte. Ihr war der Appetit sichtlich vergangen. Sie verstand es nicht, warum sie hier war, aber andererseits war sie froh, dass sie in der Zelle war. Noch wandelte sie unter den Lebenden. Wie lange würde das wohl andauern? Und was war überhaupt geschehen? Sie hatte es nie verstanden, es stimmte etwas nicht mit ihr, ihre Erinnerungen verblassten immer wieder vor ihrem geistigen Auge und sie fühlte sich noch unwohler dabei. Die erste Nacht hatte sie, trotz Dunkelheit nicht schlafen können und selbst jetzt schaffte sie es nicht, die Augen zu schliessen. Zu groß die Angst, nicht mehr zu sich zu komen.

Es war immer öfters über sie gekommen, damals am Festland, in Rothenbucht. Sie erinnerte sich an nur wenige Fetzen, an Ausrisse aus ihrem Leben. Sie hatte im Waisenhaus gelebt, sie hatte angefangen auf dem Schloss zu arbeiten, zwischen all den Dienstmägden war sie nie etwas besonderes gewesen, nur gewöhnlich. Sie erinnerte sich, an die verhängnisvolle Nacht, die ihr Leben und die Hoffnung auf eine Familie zu nichte gemacht hatte. Sie öffnete die Augen und versuchte, nicht mehr an den Moment zu denken, als der junge Mann sie in seine Kammer zerrte, als sie sich gegen ihren Willen auf dem Bett wieder fand. Alles schreien, alles wehren hatte nicht geholfen, er war stärker gewesen. Und er hatte die Oberhand gehalten. Auch als sich Tornala für sie eingesetzt hatte, als der einzigen Person, die sich jemals für sie eingesetzt hatte, brutal das Leben genommen wurde, hatte sie stillschweigend zugesehen, was hätte sie auch tun können? Und dann? Sie hatte sich abgefunden, nicht mehr die Herrin über ihren Körper zu sein, verloren in den Gedanken an bessere Zeiten hatte sie es über sich ergehen lassen, sich bespucken und benutzen lassen. Irgendwann würden bessere Zeiten kommen, das hatte sie gewusst.

All das, was ihre Eltern ihr beigebracht hatten, in der wenigen Zeit, die sie miteinander hatten, verlernt. Sie mochte inzwischen nichtmal mehr Buchstaben richtig entziffern oder deuten. Wie eine Hülle kam sie sich vor. Und dann tauchten diese Stimmen auf in ihrem Kopf, immer und immer wieder. Voller Angst, was sie tun sollte, war sie vermummt in den Tempel, auf der Suche nach Hilfe. Weggejagt hatte man sie, hinaus in die kalte Welt, noch unwissender als vorher. Was danach passierte, für sie war es nur noch schmenhaft vor Augen gewesen. Sie erinnerte sich an die Nacht in der Kammer, sie hörte immer mehr Stimmen, danach hatte sie nur noch Fetzen vor Augen, spürte ihren Körper nicht mehr, fast wie im Traum sah sie, wie der Mann unter ihren Händen starb, wie seine Gedärme hervorquollen, wie sie sein pulsierendes Herz in den Händen hielt. Danach wurde es schwarz, sie fiel in einen tiefen Schlaf, erinnerte sich an nichts mehr. Die letzten Erinnerungen, die sie hatte, war ein schwarzgekleideter Mann, vermummt. Das lange Gewand fiel glatt an ihm hinab und sie, nackt und missbraucht im Dreck liegend, um sie herum Leichen, die Hände voller Blut.

Schwarz.

Nichts mehr. Als sie wieder zu sich kam, wankte der Boden unter ihr. Sie hatte ihren Blick zu Boden gerichtet, die Holzplanken unter ihr schaukelten hin und her. Auf einem Schiff? Was war geschehen? Warum hatte sie dieses Kleid an, warum war sie nicht mehr in Rothenbucht? Bestürzt blickte sie sich auf dem Schiff um, ein großer Drei-Master, die Matrosen zerrten gerade das Segel hinauf. Panik überkam sie. Es war ein warmer Tag, sie erinnerte sich zuletzt an Bellum, die Sonne brannte förmlich, als ob es schon Astrael war. Der Wind hatte ihr durch die Haare geweht, das schwarze Haar verdeckte ihre Augen kurz. Noch mehr Panik überkam sie, die Hand griff nach dem Haar, führte es vor ihre Augen und sie erstarrte. Dort, wo einst ihre blonde Pracht gewesen war, ihr ganzer stolz, befand sich nun pechschwarzes Haar. Zitternd riss sie sich eine Strähne aus dem Haar: Nichts. Kein Ansatz vom Blond. Düster, schwarz. Sie blickte sich verwirrt auf dem Schiff um, das Blut verließ augenblicklich ihren Kopf, sie schluckte schwer, als sie immer blasser wurde.

Aber in ihrem Kopf... da war Stille eingekehrt. Keine Stimmen mehr, kein Aufschreien in ihren Gedanken. Es war durch und durch ruhig geworden, niemand flüsterte ihr mehr grausige Sachen zu.

Torkelnd machte sie sich auf, hinab in den Bauch des Schiffes, sie polterte in irgendeine Kabine, ein kleiner Spiegel stand auf dem Tisch. Die Neugierdige überwog der Furch, als sie sich vor diesen kauerte. Das Gesicht blass, die Augen ebenfalls düster, das lange schwarze Haar fiel in Wellen hinab. Eigentlich hätte sie jetzt das Gesicht sehen sollen, anfang der 20 Astrael, voller Lebensfreude, oder zumindest das, was nach all dem übrig war. Aber nichts, dort war eine ältere Frau zu sehen. Sie war gealtert, ohne teil davon gewesen zu sein, vollkommen überfordert sackte sie vor dem Spiegel zusammen.

Schwarz.

Da stand sie nun, in Falkensee. Falkensee? Hieß so diese Stadt? Eigentlich erinnerte sie sich an wenig, aber daran erinnerte sie sich. Menschen grüßten sie auf der Straße, es war ein geschäftiges Treiben. Sie durchkramte ihre Beutel, ein kleiner Schlüssel. Zu einer Kammer? Ein Holzanhänger, eingebrannt ein paar Zeichen. Sie kannte diese Zeichen, es waren Buchstaben. Eiligst fragte sie einen Gardisten, der ihr zwar stirnrunzelnd, aber freundlich half. Als sie das Haus erreichte und betrat, stellte sie fest, dass es der Schlafsaal war. Und im oberen Stockwerk befand sich die Kammer. Das Herz bis zum Hals pochend schloss sie die Tür auf und ging hinein. Ein Bett, ein Tisch, beschriebenes Pergament. Wer lebte hier? Es kam ihr so vertraut vor. Leise schloss sie die Tür und verriegelte sie von innen, durchsuchte das Zimmer. Nichts. Frauenkleider, scheinbar alle in ihrer Größe. Auf dem Tisch erblickte sie einen kleinen Spiegel. Erneut ein Blick? Wollte sie dies riskieren? Sie musste es tun. Ruhig setzte sie sich vor den Spiegel, gefasst auf alles. Kleine Falten. Sie verzog das Gesicht augenblicklich. Krähenfüße. Wieviele Astrael waren vergangen, als sie sich zuletzt erinnern konnte? Sie blätterte durch das Papier, konnte aber nichts lesen. Wie konnte man Lesen nur verlernen? Sie ärgerte sich, sie wüsste gerne, was auf dem Pergament gestanden hätte.

Es war ihr Zimmer. 'Mein Zimmer?' - Ja, dein Zimmer.' Sie zuckte auf, als sie die Stimme in ihrem Kopf ihr antwortete, voller Furcht drehte sie sich herum, schloss die Tür auf und verschwand. Versuchte irgendwo zu sich zu kommen und nicht wieder in Ohnmacht zu fallen. Völlig unverhofft prallte sie mit einem Kistenstapel auf dem Marktplatz zusammen. Wem konnte sie davon erzählen? Wer würde ihr das alles glauben? Zwei Männer halfen ihr auf, einer von beiden hieß Janus. Er... war nett gewesen zu ihr. Sie hatte versucht so normal wie möglich zu sein, doch in ihrem Kopf kreisten die Gedanken immer noch. Wer bin ich?

In nebensächlichem Gespräch hatte sie erörtert, dass sie eine Stelle suchte. Suchte sie eine? Wahrlich? Oder hatte sie eine? Und was geschah mit ihr, wenn sie nicht bei vollem Bewusstsein war? Er half ihr einen Aushang zu schreiben. Das war gut, irgendwie. Sie hatte Kuchen dabei und fing an zu plaudern, die Worte entglitten ihrem Mund fast automatisch. Was tat sie hier? Ein normales Gespräch? Ihr fehlten ganze Astraelläufe in den Gedanken und sie plauderte? Vielleicht würde sie so etwas mehr Herrin ihres Geistes.

Zyklenlang war sie danach wach geblieben, bloß nicht einschlafen, bloß wach bleiben, nichts tun. Zu spät. Doch als sie wieder zu sich kam, erwachte sie immer noch in ihrem Bett. Ein beruhigendes Gefühl. So ging es mehrere Zyklen, immer war sie klar, ihr Leben zurück, sie wusste nicht, warum sie auf Siebenwind war. Aber hier war es angenehm. Immer wieder erkundigte sie sich, ob es irgendwo eine Anstellung gab. Nichts hörte sie. Vielleicht gab es in Seeberg neues. Doch auf den Weg dorthin geschah es wieder... sie taumelte auf der Brücke, es wurde schwarz vor Augen, dann zuckten Blitze, das sah sie noch, es donnerte um sie herum, sie wollte laufen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht.

Schwarz.

Sie kam zu sich, taumelnd auf den Weg hinein nach Falkensee. Der Name hatte sich in ihren Kopf gebrannt. Sie kannte die Menschen, die sie sah. Ein vertrautes Gefühl, aber auch ein vollkommen unbekanntes machte sich in ihr breit. Und warum schmerzte ihr Arm so? Blut. Alles voller Blut. Ihr Arm blutete wie verrückt, ihr Kleid ebenfalls, voller Blut. Sie torkelte die Gasse entlang, auf den Marktplatz. Jemand hatte sie angegriffen, sie erinnerte sich. Eine Person, es war so schnell gegangen, irgendetwas auf der Brücke.

Angst, immer mehr Angst hatte sie. Man versorgte sie, man behütete sie, aber sie selber verlor die Kontrolle. Die Kontrolle über ihren Geist, immer wieder sinnierte sie, über die verlorene Zeit und versuchte zu ergründen, was mit ihr geschah. Jemanden davon erzählen? Niemals, die würden sie für verrückt erklären oder für eine Dienerin des Einen. Sie kannte dies schon aus Rothenbucht.

Schwarz.

Und dann war es wieder geschehen nur kam sie diesmal nicht zu sich in irgendeiner Kammer, auf einer Bank oder auf einem Schiff. Sie befand sich in einer Zelle, voll mit Blut, es roch streng nach Urin. Ihr Mund schmeckte nach Blut, ihr Gesicht schmerzte überall. Die Beine, beide Fußgelenke weggeknickt wie Streichhölzer, die Kleidung blutverschmiert, der Kopf dröhnte. Sie begann zu weinen, an die Tür zu hämmern. Sie verstand Tare nicht mehr. Was ist hier nur los? Warum hatte man sie so behandelt? Und was war das für ein Metallkragen? Er schmerzte so fürchterlich, das Metall, an den Kanten scheinbar nicht sauber entgratet, schnitt ihr in den Hals, hinterließ kleine blutigen Strähnen. Es war ein unerträgliches Gefühl.

Noch weniger verstand sie, als Gardisten die Tür aufzerrten, sie packten und fesselten. Grimmig blickten alle zu ihr, selbst Gardisten, die sie vor kurzem kennengelernt hatte, schienen sie voller Wut und Hass anzustarren. Viele Menschen standen dort, mit großen Stäben in den Händen, komischen Hüten auf den Kopf auch ein paar Geweihte waren dort, alle musterten sie mit abfälligen Blicken. Tränen füllten sich in ihren Augen, ihr Gesicht brannte wie feuer. Die Beine hingen leblos hinab. Immer wieder hörte sie Getuschel, das Wort Ketzer viel zu häufig, als dass sie es verkraften könnte.

In der Zelle hatte man sie versorgt, sie verbunden. Aber fast alle waren auf Distanz gewesen zu ihr, sie hatte nicht ganz verstanden, was geschehen war. Sie solle Skelette auf die Gardisten gehetzt haben? Warum? Sie? Was tat sie hier nur?

Ihr Blick ruhte auf der Tür, immer noch kein Appetit oder Durst. Die Haare noch verklebt von Blut, das Hemd zwar sauber, doch darunter eingetrocknet das Blut auf ihrem Oberkörper. Ob man sie baden lassen würde? Und was hatte es mit diesem Kragen auf sich, der so schwer auf ihren Oberkörper drückte? Sie wollte Fela sehen, in der Sonne sitzen. Und gerne nicht in dem Zyklus, in dem man sie zum Galgen führte. Sie musste die Leute überzeugen, dass sie nichts böses im Schilde führte. War dem so? Sie konnte nur für ihren kleinen Teil sprechen, aber irgendwie spürte sie, dass in ihr noch ein anderer Teil schlummerte. Und der war gefährlicher, als sie es sich wahrscheinlich ausmalen konnte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Nächte in Gefangenschaft
BeitragVerfasst: 23.08.11, 11:43 
Einsiedler
Einsiedler

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Wie ein Parasit, verfolgte sie die Gedanken aus einer Ecke im Kopf der jungen Frau. Es war alles aufgegangen, es hatte sich sogar noch besser entwickelt, als sie es sich erhofft hatte. Man würde ihr Fahrlässigkeit vorwerfen, aber alles hatte funktioniert. Sie konnte beruhigt zusehen, wie der naive Teil in ihr um ihr Leben kämpfen würde, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehend.

Sie hatte sich in Falkensee hineingeschmuggelt, in einer ruhigen Ecke ihr Ritual vollführt, fernab von den wachsamen Augen der Gardisten. Diese Tölpel hätten es nicht voraussehen können, was passiert. Mit der Horde in Schlepptau war sie auf den Marktplatz gestürmt, hatte die untoten Diener auf die Gardisten losgelassen. Sie hätte abhauen können, sie hatte die Runen im Kopf, einfach verschwinden. Aber das hätte nicht den gleichen Effekt gehabt, wie sich fangen zu lassen.

Es war ein guter Schuss des Gardistens gewesen, der sie von ihrem Pferd geworfen hat. Sie hatte das Bewusstsein verloren, aber sie wusste: Diese Dirnen der Vier konnten sie nicht töten, nicht sofort. Und irgendwer würde sich erweichen. Es war ein, so gut sie es mit ihren Verletzungen erkennen konnte, regelrechtes Getümmel auf dem Marktplatz gewesen. Sie hatte sie bekommen, die Aufmerksamkeit, die sie benötigt hatte. Abgeführt von den Gardisten, gut sichtbar für jeden. Man hatte sie in das Loch geworfen. Dort war es zwischenzeitlich schwierig gewesen. Der Kragen war zu einer regelrechten Last geworden, keine Chance sich zu regenerieren. Sie hatten sie an allem gehindert, auf dem Weg sie zu foltern. Kurz hatte sie versucht, Mitleid zu erregen, aber es war nicht möglich gewesen.

Es war ein Spaß gewesen, Gorem zu triezen. Trotz all der Schmerzen, die sie verspürt hatte, ihn noch weiter zu reizen und herauszufördern. Sie hatte es aus Geschichten gehört, dass er ein empfindliches Gemüt hatte, leicht reizbar. Umso einfacher war es gewesen, ihn herauszufordern. Sie war sich bewusst gewesen, dass er sie hätte töten können, aber solange der Geweihte im Raum war, war sie sicher. Der Satz hatte nicht seine Wirkung verfehlt, ihn imt seinem Sohn zu ködern. Dann war er auf sie losgegangen, wie ein Irrer, hatte sie geschlagen, getreten und auf den Boden geworfen. Als sie das Bewusstsein zurück erlangte, war ihr Körper gebrochen, alles hinüber. Und keiner der einfältigen Gläubigen konnte ihr helfen. Es war schon immer so gewesen, ihr Körper und ihre Seele waren immun für solche Art der Magie, es war fast wie eine Qual für sie gewesen.

Es war ein Segen gewesen, als man ihr den Kragen abgenommen hatte, zumindest konnte sie so die lebensbedrohlichen Verletzungen heilen, jedoch nicht ihr Gesicht. Zwar musste sie sich den Magiern offenbaren, aber ganz ehrlich: Sie hingen mit den Nasen in ihren Büchern. Von Praxis haten DIE doch gar keine Ahnung.

Aber auch nicht schlecht, eine zusammengeschlagene Frau sah mitleidserregender aus, als ein intaktes Gesicht. Sie hatte gehofft, dass der Geweihte sie in ihre Obhut nimmt, aus Mitleid, um ihre Seele zu reinigen.

Die Seele reinigen, ihr Seele, so verdorben, getrieben von der Gier Schmerzen zu verursachen, würde in diesen Hallen keine Ruhe finden. Erst, wenn das Gemäuer niedergebrannt würde, dann gäbe es Ruhe für sie. Aber hier konnte sie sich entspannen und sie hatte noch mehr vor, sofern sie das Gebäude ohne Kragen verlassen könnte. Alle Aufmerksamkeit lag nun auf ihr, es war sicher schon in aller Munde auf Siebenwind. Ein Überfall auf die Gardisten, durch schwarze Magie. Das lockte Leute an, das war schon immer so. Furcht war eines der Merkmale der Menschen, aber Neugierde zeichnete sie aus, und zwar noch stärker als die Furcht. Das würde reichen. So konnte der Ork alles vorbereiten, sie musste nur so schnell es ging, diese Kammer verlassen. Auch mit Kragen, irgendwie musste sie es schaffen. Ihre Beine waren das Problem, mit gebrochenen Beinen kam sie nicht weit.

Es war gut gewesen, die naive, wehrlose Frau in sich nicht sterben zu lassen. Sie hatte sich vorbereitet, in langen Ritualen sich präpariert. Würden die Magier kommen, würden sie feststellen, dass ihr Geist durch zwei Wesen beherrscht wird. Das Eine, die naive Frau, wehrlos und ohne jegliche Kräfte. Das andere Wesen durchtrieben, blutdürstend und getrieben von dem Einen persönlich. Die Magier würden sich darauf stürzen, um die junge Frau zu befreien, aus den Klauen dieses Dämons, sie zu retten. Es wäre ein Erfolg für sie. Sie würden es sicherlich feiern. Die Welt wäre nun 'sicherer'. Aber was ihnen verborgen bleiben würde, wäre gespaltene Persönlichkeit in der Frau selber.

Es hatte sich gelohnt, die vielen Stunden in der Bibliothek. Sie hatte immer schon gefallen an psychischer Manipulation gehabt und zwar ganz ohne Magie. Ihr Meister hatte ihre Studien in diesem Fachbereich zwar immer nur belächelt, da sie vollkommen ohne Hilfe de schwarzen Pfades einen Geist manipulieren wollte, andererseits hatte er sie in ihren Studien jederzeit unterstützt. Sie war wissbegierig gewesen, wissbegieriger als manch anderer Schüler, dennoch oft zu impulsiv.

Kontrollierte Schizophrenie war das Stichwort gewesen. Eigentlich diente es der Manipulation des Geistes eines Opfers, seinen Geist selber damit zu beeinflussen war gefährlich. Die Grenze zwischen den beiden Geistern war fließend. Die Selbstversuche scheiterten oft daran, dass die Membran zu unsicher war, dass die beiden Geister zu viel austauschten. Es durfte nur eine Diffusion in eine Richtung stattfinden, kein Austausch der Gedanken, zumindest kein unkontrollierter Austausch. Sie hatte es nicht perfektioniert, aber es funktionierte. Immer wieder sickerten Gedanken von ihr hindurch, zur jungen Frau. Aber sie waren nicht von belang, sie waren Kleinigkeiten. Vielleicht würde der eine Teil ihres Geistes es auch einsetzen, um sich befreien zu wollen, aus Panik, was in ihr schlummerte. Es war gefährlich, sie durfte nicht zu lange der Frau die Oberhand geben. Sonst gäbe es kein Zurück mehr und sie verlor die Kontrolle, gefangen in der hintersten Ecke ihres Kopfes, ohne Chance auf Rückkehr in den Körper. Sie hatte schon eine Idee.

Sie musste Gorem noch einmal haben. Die junge Frau würde sich entschuldigen. Für all das, was passiert sei. Er forderte ihren Tod, sie musste ihn wie eine Schachfigur vom Brett nehmen, sodass er, trotz seiner Position, nicht weiter in das Verfahren eingreifen konnte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Nächte in Gefangenschaft
BeitragVerfasst: 24.08.11, 08:57 
Einsiedler
Einsiedler

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Nur nicht einschlafen. Wenn sie einschlief, dann wäre es vorbei. Am liebsten würde sie aufstehen und sich bewegen. Bewegung hatte sie immer schon wach gehalten. Aber sie war zu schwach und die geschienten Beine würden ihr Probleme machen. Sie blickte hinab auf ihre Beine. Inzwischen hatten die Schmerzen nachgelassen, sie waren bei weitem nicht mehr so schlimm, wie in den ersten Zyklen, aber dennoch fiel es ihr immer noch schwer zu atmen. Generell, alles war inzwischen schwer geworden, ihre Schultern, niedergedrückt von dem Kragen. Ihre Augen, belastet von den schlaflosen Zyklen, die sie bereits hinter sich hatte. Wie lange würde sie dies durchhalten? Wann wäre alle dies vorbei?

Ionas hatte ihr gestern sogar Mut zugesprochen, sie solle nicht glauben, dass es vorbei sei. Sie solle nicht aufgeben. Aber welche Chance hatte sie noch auf Rettung? Wer würde ihr all das glauben? Nie hatte irgendjemand ihr dies geglaubt. Einmal hatte sie versucht es zu erzählen, doch sie scheiterte an dem Aberglauben der Menschen. Auf dieser Insel war es irgendwie anders. Lange hatte sie gesern dem Geweihten, dem Elf, wie hieß er noch gleich? Myhrandir. Lange hatte sie ihm erzählt, von ihrem Leben, kein Detail verschwieg sie. Warum auch? Was würde es nutzen, jetzt nicht alles zu erzählen? Zumindest konnte sie es einmal erzählen, fand so die innere Ruhe.

Früher hatte sie sich geschämt, dass sie keine Chance gegen all die Männer gehabt hatte. Sie hatte sich geschämt, dass sie sich nicht wehren konnte. Aber jetzt? Jetzt war es egal. Jedes Detail sprudelte aus ihr heraus, so lange gefangen in ihrem Kopf. Sie hatte sich immer gefragt, ob dies einen Sinn machte, für die Vier. Die Vier in Frage stellen. Sie begann sich zu erinnern, die Augen kurz geschlossen. Damals hatte sie es getan. Wo war die Gerechtigkeit? Wo war die Ehre? Wo war das Wissen? Nichts von dem war ihr geblieben. Sie hatte gebetet, aber das dumpfe Gefühl gehabt, dass man sie nie erhört hatte. Auf ein Wunder hatte sie gehofft, Tag für Tag. Doch das Wunder, die Gerechtigkeit blieb aus. Stattdessen hatte sie immer wieder die Gedärme des Knappens vor sich.

Sie hatte Myhrandir alles erzählt, von dem Zeitpunkt an, als sie sich nicht mehr erinnern konnte, an die kleinen Fetzen, die ihr noch geblieben waren. Er hatte dies in keinster Weise kommentiert, ihr nur still zugehört. Ein jeder hatte dies getan. Bei Vitama, sie waren so freundlich zu ihr und kümmerten sich so gut um sie, dass sie sich schon wieder schämte.

Auch wenn sie es nicht zeigen wollte, sie genoss es, die Aufmerksamkeit der Diener der Viere auf sich zu haben. Früher hatte sie sich immer missverstanden und verlassen gefühlt. Warum sollte sie auf dieser Insel das Glück finden, ja Gehör zu finden für ihr gebrechen? Und warum geschah dies erst kurz bevor Morsan sie heimsuchen würde? Viel Drang nicht von außerhalb zu ihr, aber sie hatte mitbekommen, dass viele ihre Hinrichtung forderten. Auch wenn die Geweihten dies oft verbargen, so war es doch in ihrer Art und Weise, wie sie mit ihr umgingen, wie sie sie anschauten, förmlich ins Gesicht geschrieben. Ob sie ihr gerade das letzte Geleit gaben, den Versuch diese verfluchten Seele doch noch zurück ins Licht der Vier zu holen?

Sie strich sich das inzwischen saubere Hart zurück. Sie hatten sie gewaschen, ihr neue Kleidung gegeben, selbst die Wunden versorgt, von denen sie bisher nichts erzählt hatte. Es war ihr fast schon gespenstisch, dass Caesares ihr so nah war, dass sie ihr oft die Hand auf die Schulter legte, oder nur ihre Hand hielt. Sie wusste, dass Diener Morsans nicht für ihre Nähe zu den Lebenden bekannt waren. War dies ein Zeichen, dass es bald vorbei sein würde? Dass eine Dienerin Morsans ihre Nähe suchte? Sie schloss langsam die Augen, öffnete sie dann aber sogleich und kniff sich selber in den Unterarm. Wach bleiben.

Sie empfand Mitleid, Mitleid mit den Gardisten, die sie wohl überfallen haben musste. Sie dachte an den freundlichen Zwerg, der sich damals auf dem Marktplatz um sie gekümmert hatte. Er hatte wohl einiges abbekommen. Sie dachte an den Riesen, Waibel Gorem hatten sie ihn genannt, wie er sie ebenfalls versorgt hatte, in den wenigen Zyklen, die sie bei klarem Verstand auf der Insel war. All diesen Menschen hatte sie Unrecht getan, hatte sie verletzt. Wieder versuchte sie angestrengt nachzudenken, aber es blieb schwarz.

'Warum kann ich mich nicht erinnern?'

Und dann, noch ehe sie verstand, warum dies geschah, sickerten langsam Erinnerungsfetzen in ihren Kopf, Bilder tauchten auf. Die Person schaute sich um, dann lief sie an den Wachen am Nordtor vorbei, sie trug eine weite Robe und in ihrer Hand einen großen, hölzernen Stab. Sie schritt entlang der Hauptstraße, bog dann ab in eine der kleineren Straßen und beschleunigte ihre Schritte. Immer verwinkelter wurde die Gegend, immer ungemütlicher. Die Häuser so eng aneinander gebaut, schien es so, als würde kein Felastrahl nun den Boden erreichen. Die Person bog ein letztes Mal ab und dann befand sie sich inmitten eines kleinen Hofes. Die Fenster eingeschlagen, die Wände beschmiert. Unmittelbar an der Hauswand lagen Kadaver, aufgehäuft, die Fliegen schwirrten umher. Scheußlich. Was war das für ein Ort? Sie erblickte ein kleines Schild oberhalb einer Tür, konnte es aber nicht entziffern. In einer der Ecke befand sich ein kleiner Brunnen, aus dem, trotz dieser widerwärtigen Anblick kristallklares Wasser sprudelte, sofern sie es richtig erkennen konnte. Insgesamt befanden sich 2 Fenster an den angrenzenden Häusern und eine Tür. Die Tür war mit Holzbrettern verrammelt worden, die Fenster notdürftig mit Ausgaben des Siebenwindboten verschlossen. Plötzlich blickte die Person hinab, eine Ratte kreuzte ihren Weg. Sie bemerkte, wie die Person sich rasch bewegte, dann schnellter der Stab gen Boden. Doch die Ratte schlug einen Haken und verschwand dann wieder in dem stinkenden Haufen von Kadavern.

Was tat die Person hier? Und warum erinnerte sie sich daran? War sie das? Doch noch ehe sie sich Gedanken machen konnte, sprudelten die Erinnerungen weiter munter in ihren Kopf und sie hielt gebannt die Augen geschlossen, was als nächstes vor ihrem geistigen Auge passieren würde. Der Stab wurde beiseite gelegt und ein Beutel abgelegt, er klapperte. Dünne, hölzerne Gegenstände befanden sich darin. Sie streckte ihre Hand aus und zog einen der Gegenstände, der nun deutlich als Knochen zu erkennen war hinaus. An manchen Stellen hingen noch Fleischfetzen, welche angetrieben durch den Wind munter hin und her tanzten. Weitere Knochen wurden aus dem Beutel gezogen und nacheinander in der Mitte des Hofes auf dem Boden verteilt. Zuletzt wurde ein Schädel in die Mitte des Hofes gelegt. Als sie zurücktrat, erkannte sie einen Kreis, geformt aus Knochen. Knochige Arme deuteten auf die Mitte, unmittelbar auf den Schädel.

Es sah abartig aus und je mehr Cecile sah, umso mehr wollte sie, dass es aufhörte. Bloß weg von diesen Erinnerungen, war sie das? Panik überkam sie, das wollte sie nicht wissen, das wollte sie nicht sehen. Aber die Quelle der Erinnerungen überflutete sie mit immer mehr Eindrücken, sie konnte inzwischen sogar den widerwärtigen Geruch von verwestem Fleisch immer deutlicher riechen, aber er verschwand nicht.

Die Person machte einfach weiter, sie umkreiste das Gebilde mehrmals und schien dabei zu reden. Worte, die sie nicht verstand, entweder weil zu leise gesprochen oder weil sie in einer ihr nicht bekannten Sprache erzählt wurden. In gleichmäßigen Abständen berührte der Stab den Boden, immer wieder wurde kurz angehalten, der Stab gen Mitte des Kreises und auf den Totenschädel gedeutet. Dann, unmittelbar vor dem Schädel blieb sie stehen, der Stab auf den Schädel ausgerichtet. Es formten sich kleine, ,schwarze, dünne Fäden, die auf den Totenschädel niedergingen. Immer mehr griffen sie nach den Schädel, umklammerten ihn förmlich. Schlagartig zogen sie sich zurück. Der Schädel lag immer noch unverändert dort. Doch langsam loderte ein rotes Licht unmittelbar in seinen Augenhöhlen auf, der Kiefer machte ein paar scharrende, fast schon testende Bewegungen und dann drehte sich der Kopf.

Direkt danach fing der Boden innerhalb des Kreises sich zu bewegen, Erde schacherte, wurde beiseite gedrückt. Die Person sackte auf den Boden, den Stab gen Kreis gerichtet und schien mit aller Kraft den Stab daran zu hindern, den Boden zu berühren. Es wirkte fast so, als wäre dies für sie eine große Anstrengung. Dann reckte sich die erste, knochige Hand aus dem Kreis in die Höhe, dann die Zweite. Immer mehr Hände tauchten auf, zerrten sich an die Oberfläche, fleischlose Schultern folgten, ebenso wie immer mehr Schädel. Als das erste Skelett es hinauf geschafft hatte, zerrte es an den Händen der anderen, diese nun auch nach oben holend. Immer mehr Skelette kamen hinauf, dabei lag der Schädel wie auf einem Podest in der Mitte des Kreises. Kein Skelett berührte ihn.

Dann sackte die Person nach vorne, der Stab entglitt ihr, schweres Keuchen. Cecile konnte deutlich spüren, wie schwach sie war. Zehrte Zaubern an den Kräften einer Person, also an den körperlichen? Warum stellte sie sich ausgerechnet jetzt diese Frage?

Die Skelette gingen auf die am Boden knieende Person zu, eines der Skelette hielt einen Säbel hoch, Cecile spürte, wie Panik sie überkam. Dann wurde die Person gegriffen, nicht feste. Die Skelette hoben sie fast schon sanft wieder auf die Beine, stützten sie. Eines reichte ihr sogar den Stab. Ein kurzes Nicken gen der Skelette. Ein Dank? Gab es sowas wie eine soziale Bindung zwischen der Person und diesen Untoten, eine Rangfolge? Dann wandte sie sich herum, noch leicht torkelnd ging die Person auf den Brunnen zu. Dort angekommen klammerte sie sich an den Rand.

Ceciles Herz klopfte schneller, sie erblickte das kristallklare Wasser. Würde sie das Gesicht sehen? Wollte sie das überhaupt? Eine Vorahnung überkam sie. Sie würde ihr eigenes Gesicht sehen, streubte sich immer weiter gegen die Erinnerungen, aber sie ließen nicht nach. Die Person beugte sich über den Brunnen, die Kapuze verdeckte ihr Gesicht. Dann wurde diese mit einem Ruck nach hinten geworfen. Cecile wandt sich immer weiter gegen die Gedanken in ihren Kopf, aber sie ließen sie nicht in Ruhe.

Das war sie. Das war ihr Gesicht. Die Augen gerötet, vor lauter Anstrengung. Schweißperlen auf ihrer Stirn, schwer atmend. Das war sie. Cecile. Dann tauchte sie in der Erinnerung den Kopf in das eiskalte Wasser, gleichzeitig schrie Cecile in der Kammer auf, die Erinnerungen ließen sie frei, sie riss die Augen auf und befand sich durchgeschwitzt auf ihrem Bett. Sie rang nach Luft, dann ein kurzes Würgen. Verzweifelt kämpfte sie gegen den Reflex in ihrem Rachen an, schaffte es aber nicht. Sie rutschte ans Bettende und gab nun dem Reflex nach. Es kam nicht viel, nur etwas Magensäure fand den Weg auf den Boden und hinterließ einen unangenehm riechenden Fleck. Cecile selber kauerte sich ans Bettende, presste die Augen zusammen.

Es sollte aufhören. Sie war doch nur eine Magd. Jetzt versuchte sie zu schlafen, weg von all dem, weg von diesen Erinnerungen. Doch die glühenden Augen des Totenschädels hatten sich bereits in ihren Kopf gebrannt.


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