Die Zauberharfe
Ein klassisches Märchen, das mein Charakter vor kurzem einer Person erzählt hat, die ihm sehr am Herzen liegt.
Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Bäcker in einem Dorf irgendwo zwischen Hier und Da. Der Bäcker hatte einen Sohn, der wie sein Vater, dessen Großvater, der Vater des Großvaters und sein Großvater auch den Bäckerberuf erlernte. Und wie es Brauch in der Familie war, so kam auch für den Bäckersohn die Zeit, in der er durch das Land ziehen sollte um von anderen Bäckern zu lernen. Am Tag des Abschieds hatte sich die ganze Familie versammelt. Küsse und Umarmungen wurden ausgetauscht, Glückwünsche ausgesprochen und Ratschläge verteilt. Da nahm der Vater seinen Sohn beiseite und gab ihm eine Harfe. „Mein Sohn“, sagte er, „nimm diese Harfe. Wenn du einmal nicht weiterweißt, dann schlage ihre Saiten und alles wird gut werden.“ Der Sohn nahm die Harfe, bedankte sich höflich und verstaute sie dann in den Tiefen seines Rucksacks. Was sein Vater für merkwürdige Gedanken habe, wunderte er sich. Schließlich wolle er doch Bäcker werden und nicht Musikant! Dann nahm er seinen Wanderstock, schulterte den Rucksack und machte sich auf den Weg. Die ersten Tage vergingen wie im Flug und er kam gut voran. Zwar hatte er schon bald vom vielen Laufen Blasen an den Füßen, doch er nahm es hin. Ab und zu traf er einen freundlichen Bauern, der ihn ein Stück weit auf seinem Karren mit nahm. So kam er einige Tage später nach Geizburg. Er beschloss dort Halt zu machen und nach einem Meister zu suchen. Schnell aber musste er erkennen, dass die Bäcker der Stadt bereits Lehrlinge hatten. Immer wieder wurde er abgewiesen. Schließlich, er hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, ging er zum letzten noch verbleibenden Bäcker der Stadt. Dieser war zunächst nicht sehr begeistert, ließ sich dann allerdings doch erwärmen den Bäckersohn als Lehrling aufzunehmen. Als Unterkunft bekam er eine kleine Kammer direkt unter dem Dach der Bäckerei. Ein großes Loch zierte das Dach, doch da es gerade Sommer war, störte sich der Bäckersohn daran nicht weiter. Schließlich, so sagte er sich, seien Lehrjahre keine Herrenjahre. Gleich am nächsten Morgen begann er mit seiner Arbeit. Er fand sich schnell zurecht und half dem Meister wo er nur konnte. So vergingen die Wochen. Nur etwas neues lernte der Lehrling nicht. Zwar war sein Meister ein begnadeter Kuchenbäcker, doch immer wenn es daran ging einen solchen zu backen, wurde er hinaus geschickt. Und auch mit dem Lohn zauderte er. Der Meister meinte, der Lehrling müsse schließlich für Speis und Unterkunft aufkommen und zog beides vom Lohn ab. So blieb dem Bäckersohn nicht viel übrig. Ein weiterer Monat ging ins Land und er wurde langsam ungeduldig. Schließlich hatte er all diese Strapazen nur deshalb auf sich genommen, um etwas neues zu lernen. Als der Meister ihn das nächste Mal hinaus schickte, weil er vor hatte einen Kuchen zu backen, da schlich er sich heimlich wieder zurück in die Backstube. Doch – oh schreck! – der Meister bemerkte ihn, packte ihm am Kragen und warf ihn hinaus. Dem armen Bäckersohn blieb gerade noch genügend Zeit seine sieben Sachen zu packen. So stand er nun da, hatte nichts neues gelernte und kaum noch Geld in seiner Tasche. Wie sollte es jetzt nur weiter gehen? Da erinnerte er sich an die Worte seines Vaters und holte die Harfe hervor, der er bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Erst zögerte er, aber dann entschloss er sich es zu wagen und schlug die Saiten. Kaum hatte er das getan, brauste ein Windstoß heran, in die Bäckerei seines alten Meisters hinein und oben zum Fenster wieder heraus, im Schlepptau eine Seite aus dem Rezeptbuch seines Meisters. Der Windstoß blies das Blatt direkt in die Hände des Jungen, der wie verdattert darauf blickte. Als er erkannte, dass es das Rezept für den berühmten Apfelkuchen des Meisters war, packte er es schnell in seinen Rucksack und nahm die Füße in die Hand. So war er wieder auf Wanderschaft. Wo immer er hin kam, buk er den Apfelkuchen und verdiente sich damit seinen Lebensunterhalt. Jeden Abend kramte er die Harfe hervor und schlug die Saiten, doch es geschah nichts mehr, was eine normale Harfe nicht auch bewirken würde. So eignete er sich nach und nach das Harfenspiel an. Schließlich kam er nach Eitelstein. In der kleinen Stadt gab es nur einen einzigen Bäcker, der berühmt war für seine Pralinen und Süßigkeiten. Der Bäckersohn sprach bei ihm vor und der Bäcker willigte freudig ein. Er versprach dem Lehrling einen guten Lohn und sogar ein eigenes kleines Zimmer. Der Meister drängte seinem neuen Schüler geradezu neue Rezepte auf und der Bäckersohn lernte jeden Tag neues dazu. Es schien als hätte er endlich das gefunden, nach dem er gesucht hatte. Einzig gelingen wollten ihm seine Pralinen, Schokostückchen und Kekse noch nicht so recht. Ihnen wohnte allen ein merkwürdiger Geschmack inne. Es müsse wohl an etwas liegen, was der Meister anders mache als er, dachte er sich und probierte eine der Kreationen seines Meisters. Doch sie schmeckte nicht anders als seine eigenen Versuche. Das wunderte den Lehrling, doch er schob es auf seinen Geschmack. Schließlich konnte sich so ein begnadeter Meister doch nicht irren, oder? Einige Zeit später fand in der nahe gelegenen größeren Stadt ein Bäckerwettbewerb statt. Der Meister ermutigte seinen Lehrling gemeinsam mit ihm daran teilzunehmen und schlug ihm sogar eine seiner Kreationen vor, was der Bäckersohn dankbar annahm. Gleich machte er sich daran sie auszuprobieren, doch zufrieden war er nicht. Der Geschmack störte ihn und so probierte er lange hin und her, bis er eine passende Zutat gefunden hatte. Am Tag des Wettbewerbs packten sie schon früh alles nötige auf einen Karren und brachen auf. Der Wettbewerb fand draußen vor den Toren der Stadt auf einer großen Wiese statt. Überall duftete es nach frischem Brot, Kuchen und Keksen. Der Meister und sein Lehrling bauten jeder für sich einen Tisch auf und machten sich daran ihre Wettbewerbsbeiträge anzurichten. Als die Juroren zum Tisch des Meisters kamen, probierten sie von den frischen Pralinen und verzogen das Gesicht. Furchtbar schmeckte es, so sagten sie. Der Meister erzürnte darauf sehr und sagte ihnen, dass sie wohl keine Ahnung von gutem Geschmack hätten. Doch die Juroren ließen sich davon nicht beeindrucken und kamen als nächstes zum Tisch des Lehrlings. Als sie seine Kreationen probierten, waren sie begeistert und kürten ihn sogleich zum Gewinner des Wettbewerbs. Das versetzte den Meister noch mehr in Zorn. Er sagte den Juroren, dass er den Preis verdient habe, denn sein Lehrling habe ja nur nach seinem Rezept die Kreationen zubereitet. Der Bäckersohn widersprach dem zwar, aber da er nur ein Lehrling war, glaubten die Juroren dem Meister und gaben ihm den Preis. Traurig über diesen Betrug packte der Bäckersohn seine Töpfe und trug sie zurück zum Karren. Dort angekommen holte er aus seinem Rucksack die Harfe hervor. Nachdenklich betrachtete er sie. Ob sie ihm wohl helfen würde? Er schlug die Saiten an und im selben Moment trat ein Bäcker aus der Stadt an ihn heran. Er erzählte ihm, dass er den Streit zwischen den Juroren, seinem Meister und ihm belauscht hätte und ihm glauben würde. Er kannte den Meister von früher und wusste, dass er nicht sehr talentiert war. Als Ausgleich für den verlorenen Preis, bot er dem Bäckersohn an ihm das Rezept für seine Kreationen für gutes Geld abzukaufen. Freudestrahlend ging der Junge darauf ein. Mit einem großen Beutel Geld in der Tasche packte er noch am Abend seine Sachen und verließ seinen Meister. Wieder gingen einige Wochen ins Land, in denen der Bäckersohn durch das Land zog. Langsam nahte der Winter. Zwar hatte er sich von dem Geld des freundlichen Bäckers schon warme Kleidung gekauft, doch wäre es besser die kalten Monate unter einem warmen Dach zu verbringen. Da kam es ihm genau recht, dass er Gierberg erreichte. Schon beim ersten Bäcker hatte er Erfolg. Er wurde freundlich aufgenommen, bekam ein gutes Zimmer und einen ebenso guten Lohn versprochen und begann gleich am nächsten Morgen mit seiner Arbeit. Der Meister lehrte ihn vieles über Brote und Brötchen, die er für teures Geld unter das Volk brachte. Eines Tages, der Winter war schon hereingebrochen, lud der Meister seinen Lehrling in ein nahes Gasthaus auf ein Bier ein. Sie tranken gemeinsam, lachten und hatten ihren Spaß. Als der Abend länger wurde, begann der Bäckersohn von seiner Reise zu erzählen. Von seinem Pech mit dem ersten Meister, wie ihm die Harfe geholfen hatte, der Betrug des zweiten Meisters und die neuerliche Hilfe der Harfe. Die Worte seines Schülers ließen die Gier in dem Herzen des Meisters erwachen. Er malte sich aus, was er wohl mit so einer Zauberharfe alles anfangen könnte! Unbedingt musste er sie haben. So bestellte er ein um das andere Bier für seinen Lehrling, bis dieser genug hatte und auf dem Tisch einschlief. Er erwachte am nächsten Morgen in der Gosse vor dem Gasthaus, wo ihn der Wirt wohl abgelegt hatte. Von seinem Meister war weit und breit nichts zu sehen, also sprang er eilig auf und rannte zur nahen Bäckerei. Da wurde er schon von seinem zornigen Meister erwartet, der mit ihm schimpfte. Gerade heute, so sagte er, habe er die Hilfe des Jungen brauchen können, denn heute waren besonders viele Kunden gekommen. Er könne keinen Lehrling gebrauchen, der lieber in den Bierkrug schaute als sich seiner Arbeit zu widmen! Er solle sich davon machen. Und seine Sachen, das Apfelkuchenrezept und die Harfe würde er auch behalten, als Entschädigung für das Fehlen des Lehrlings! Da stand er nun, der Bäckersohn, mit nichts weiter als den Kleidern, die er am Körper trug. Tiefe Trauer überkam ihn, denn er hatte nichts mehr. Sogar die Zauberharfe konnte ihm dieses Mal nicht helfen, denn sie befand sich ja nun im Besitz des gierigen Bäckers. So streifte er ziellos durch die Stadt. Irgendwann kam er an einem Haus vorbei, aus dem einige Männer gerade Möbelstücke heraus trugen. Aus Neugierde heraus fragte der Bäckersohn, was sie da täten und sie antworteten ihm, dass der Besitzer des Hauses – ein Instrumentenbauer – vor kurzem gestorben sei und sie nun seinen Nachlass herausschaffen würden, damit eine Familie in das Haus einziehen könne. Auf einem kleinen Beistelltisch entdeckte der Bäckersohn eine alte und ziemlich mitgenommen wirkende Harfe. Hoffnung keimte in ihm auf. Vielleicht besaß diese alte Harfe ja auch Zauberkünste? Er fragte die Männer, ob er sich das Stück nehmen dürfe und sie hatten nichts dagegen einzuwenden. Sie meinten so ein altes Ding wäre ohnehin nur noch für den Ofen als Feuerholz zu gebrauchen. Drei Straßen weiter versuchte der Bäckersohn sein Glück und schlug die Saiten. Doch nichts geschah. Noch dazu war die Harfe ziemlich verstimmt. Er schalt sich einen Dummkopf, das er geglaubt hatte, sie könnte wirklich ebenfalls über Zauberkünste verfügen. Zumindest aber war er nun im Besitz einer Harfe, die nach dem Stimmen der Saiten auch einen ganz passablen Klang hatte. Mit ihr bewaffnet machte er sich auf den Heimweg, wobei er sich über Wasser hielt, in dem er hier und da in Gasthäusern vorspielte. So erreichte er im Frühling die Bäckerei seines Vaters. Als seine Familie von seiner Ankunft erfuhr, kamen sie alle heraus, begrüßten ihn voller Freude und schlossen ihn in die Arme. Bei ihm aber wollte keine rechte Freude aufkommen. Er zog seinen Vater beiseite und beichtete ihm, was geschehen war und das er die Zauberharfe verloren hätte. Der Vater aber lachte nur. „Aber mein Sohn“, sagte er, „die Harfe die ich dir gab war nur eine ganz normale Harfe die ich Tags zuvor auf dem Markt erstanden hatte. Ich dachte mir sie würde dir die Langeweile vertreiben und etwas geben, dass dich an uns erinnert.“ Da konnte sich auch der Bäckersohn endlich mit seiner Familie freuen und noch am selben Tag wurde ein großes Fest gefeiert. Der Bäckersohn hatte viel über die Bäckerkunst und das Leben auf seiner Reise gelernt und als die Zeit kam eine eigene Bäckerei zu eröffnen, war er sehr erfolgreich. Das Harfespielen aber ließ ihn nicht mehr los und auch als er Erwachsen war und selbst Kinder hatte, spielte er von Zeit zu Zeit. Und wenn er nicht gestorben ist, so spielt er noch heute.
_________________ Benion - vita et amor - Pater Brown Verschnitt, Häretiker und Lord der Vitamith - Geburtshelfer: 8 mal - Ehejahre-Rekordhalter Querdenker aus Leidenschaft.
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