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 Betreff des Beitrags: Schattenwelten
BeitragVerfasst: 25.01.09, 16:54 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 25.01.09, 04:49
Beiträge: 6
Schattenkind



Wandeltag, 22. Triar, 1 n. H.
Heuthe war main achter Geburtsag. Wir haben erst fiel zum Herr Belum gebethet in unser Kapele. Wail ich nicht still gepliben binh hat Vater mich hintarher verhaun. Aber die Knie hapen mir so weh getan. Von Mama hapeh ih das Tagebuch hir bekomen. Sie hat mir gesakt wosu manh ein Tagebuch hatt unt das keinar auser mihr drinn lesen tarf. Dann hat sie gelähelt un mih in den Arm genomen. Vater hat gesakt sie soll das lasen. Vater ist schon streng. Er had mir ein klaines Buch mit Gebethe zum Herr Belum geschenk. Das mus ich jez auswendik lernen. Das Buch ist niht so schön wie das Tagebuch von Mama. Ih hab Mama so lieb. Rovigo had mir haimlich ein Holzschwert geschengt. So aines wie die Knapen es hapen dürfen. Er sakt, wenn ich ihm edwas von dem Zukerwerk das Selina immer maht bringe, zeikt er mir, wie man es benutzt. Dann verhau ich Enrico. Mein groser Bruder is dumm. Er verhaud auch immer den kleinen Jaime.

Sonnentag, 9. Querler, 5 n.H.
Vor zwei Wochen ist Meister Galen gestorben. Aber Mama unterrichtet mich viel besser als Meister Galen. Sie erzählt schöne Geschichten von mutigen Rittern und armen Mädchen die von bösen Männern weggeholt werden. Mein linker Arm ist gebrochen und tut weh. Mama habe ich gesagt, ich bin von Astibar gefallen, als er gebockt hat. Weil ich doch Rovigo nicht verraten darf. Das Holzschwert habe ich im Heu versteckt. Mama hat komisch gelächelt und mir dann das Haar gestreichelt.
Gleich kommt die Vitama-Geweihte um den Arm zu heilen. Ich mag sie nicht, weil sie immer so komische Kleider trägt. Solche muss ich immer zum Tanzunterricht anziehen. Tanzunterricht ist lächerlich und nutzlos. Das sagt Rovigo. Vater sagt, der Schwertmeister schwätzt zu viel. Aber ich mag Rovigo. Er kennt auch ganz gruselige Geschichten. Mein Bruder Enrico ist als Knappe zu Sandrigo geschickt worden. Jaime und ich haben danach in der Scheune getanzt und dann König-Hilgorad-und-sein-Hofstaat gespielt.

Endtag, 5. Trier, 6 n.H.
Vater und Mama haben gestritten. Jaime und ich haben an der Luke im Fechtsaal gehorcht. Vater hat gesagt, jetzt ist Schluss damit, dass Mama mich unterrichtet. Er will mich zu den Geweihten in den Ordo Belli schicken. Damit ich viel lerne, bevor er mich verheiratet. Er sagte, er hat schon mit Sandrigo gesprochen. Der hat mich beim letzten Bankett die Chaconne tanzen sehen. Sandrigo ist fett und sein Sohn auch. Ich will seinen fetten Sohn nicht heiraten. Mama hat nicht aufgehört Vater zu bitten, dass ich bleiben darf. Dann hat er laut geschrien, dass sie sich mit ihren Widerworten gegen den Willen des Herrn Bellum stellt. Und dann hat er Mama wieder verhauen. Jaime hat geweint. Aber ich durfte nicht weinen, weil ich ihn trösten musste. Dann ist Jaime eingeschlafen. Ich will nicht fort. Ich will lieber in der Burg bleiben. Bei den Hunden und den Pferden. Und ich muss doch auch Mama beschützen.

Wandeltag, 17. Carmar, 6 n.H.
Vater hat mich vor einer Woche in die Akademie des Ordo Belli zu Savaro gebracht. Ich hasse ihn. Ich hasse die schäbige Kammer hier im Konvent. Ich hasse das grässliche Essen. Ich hasse die Geweihten. Ich hasse die anderen Schüler. Ich hasse alles. Ich will wieder nach Hause zu Mama. Und in den Stall. Und ich will zu Rovigo und Jaime.
Gestern war Vater wieder hier und hat mit seiner Hochwürden geredet. Dann ist er zu mir gekommen und hat mich verhauen. Mama war auch dabei. Aber Vater hat sie aus der Kammer geschickt, bevor er mich verhauen hat. Danach war Mama ganz blass und ich glaube, sie hat geweint. Es tut mir so leid, dass sie wegen mir geweint hat. Ich will jetzt auch ganz artig sein. Dabei habe ich den Folianten gar nicht kaputt machen wollen. Das Tintenfass ist einfach umgefallen. Und für das blaue Auge von Danae kann ich auch nichts. Sie hätte halt nicht sagen sollen, dass Vaters Burg ein mickriger Ziegenstall ist. Danae schielt.
Ein neuer Bursche wurde in die Stallungen des Ordo Belli aufgenommen. Er heisst Brennan und als er mir sagte, ich wäre ein verzärteltes, adliges Gör das keine Ahnung von Pferden hat, habe ich ihn verprügelt. Danach haben wir Calis gesattelt und haben gewettet, wer sich länger auf ihm halten kann. Ich habe gewonnen. Brennan hat mir dann erzählt, dass seine Familie ihn an den Ordo Belli verkauft hat, weil sie keine Dukaten mehr hatten, um ihn durchzufüttern. Er kommt aus Rothenbucht und er sagt, er kennt dort jede Gasse und sogar einen Schurken, von dem man sagt, er habe schonmal jemanden ausgeraubt.

Mondstag, 21. Seker, 6 n.H.
Brennan der Stallburschen hat mir heute ein kleines Bündel gegeben. Er hat ganz leise gesagt, dass er es von Rovigo bekommen hätte. Als ich es in meiner Kammer aufgemacht habe, war ein kleines Tüchlein darin, in das eine blaue Blume eingeschlagen war. Das Tüchlein hat geduftet wie Mama und die blaue Blume war aus dem Beet, bei dem Mama, Jaime und ich früher immer gespielt haben, wenn Vater mit den Soldaten weg gewesen ist. Ich habe das Bündel ganz schnell versteckt, damit man es nicht findet und mir weg nimmt. Ich habe es gerade rechzeitig verstecken können, bevor seine Hochwürden kam und mich verprügelt hat. Danach musste ich zum Herrn Bellum beten und mich für die Prügel bedanken. Hochwürden meinte, das sei nur zu meinem Beste. Dabei habe ich doch gar nichts schlimmes getan. Danaes Nase wird sicher bald wieder heilen. So fett wie sie ist. Sie hätte halt nicht sagen sollen, dass sie es dem Hochwürden petzen will, dass mir der Stallbursche etwas zugesteckt hat.

Sonnentag, 9. Carmar 8 n.H.
Seit zwei Vitamas bin ich nun hier in der Akademie des Ordo Belli. Lesen und Schreiben haben wir nur noch einmal in der Woche. Auch Heraldik und die Geschichte Galadons. Die ganze andere Zeit sind wir im Fechtsaal, auf der Gestech-Wiese, in der Kapelle oder bei den hochnäsigen Anwärtern und Novizen im Osttrakt zum schwatzen. Vater hat mich einige Male besucht und mir erzählt, dass Sandrigo ungeduldig auf das Ende meiner Ausbildung wartet. Sandrigos Sohn ist noch fetter geworden, hat Rovigo mir hinterher zugeflüstert, bevor sie wieder abgereist sind.
Mama habe ich in all der Zeit nur zweimal gesehen. Wahrscheinlich weil die Geweihten es nicht gern gesehen hätten, wenn Vater ohne Mama zum Bellumsfest gekommen wäre. Sie ist so dünn und blass geworden. Und so still. Ich hätte so gerne mit ihr gesprochen, aber Vater war stets dabei. So konnte sie mich nur mit diesen liebevollen, seltsam traurigen Augen ansehen. Und schweigen.

Sonnentag, 29. Querler 11 n.H.
Brennan ist mir ein treuer Freund geworden. Und auch die einzige Verbindung zu Mama. Dank ihm und Rovigo ist es Mama hin und wieder möglich, mir kurze Botschaften zukommen zu lassen. Sie schreibt stets, wie gut es ihr und Jaime geht und dass ich mir keine Sorgen machen soll. Aber ich weiss, dass das nicht stimmt. Einige Male habe ich versucht, Brennan auszuhorchen. Aber er meinte nur, dass zuhause alles in Ordnung wäre. Doch an seinem Blick erkannte ich, dass er etwas verbirgt. Kürzlich sah ich ihn bei Sonnenuntergang hinter dem Stall mit einem Mann in schwarzem Kapuzenumhang tuscheln. Beide schienen sehr angespannt zu sein. Als der Fremde sich umdrehte um im nahen Wald zu verschwinden, wallte sein Umhang zurück und eine der letzten Strahlen der untergehenden Sonne blitzte auf seinem Schwert. Ich würde dieses Schwert unter tausenden wieder erkennen. Es war Rovigos Schwert.

Mittentag, 3. Carmer 11 n.H.
Seitdem ich das seltsame Treffen zwischen Brennan und Rovigo beobachtet habe, ist keine Nachricht von Mama mehr angekommen. Auch Brennan sehe ich kaum noch. Als ob er mir aus dem Weg gehen würde. Ich erlebe den Unterricht nur noch wie in Trance. Ständig kreisen meine Gedanken voller Sorge um die Menschen die ich liebe. Etwas geschieht. Etwas schreckliches. Ich kann es fühlen.

Wandeltag, 7. Oner, 12 n.H.
Die Akademie des Ordo Belli ist in blanker Aufruhr. Alle Lesungen wurden abesagt und uns wurde aufgetragen, die Tage im Gebet in unseren Kammern oder in der Kapelle zu verbringen. Gestern legten die Geweihten ihre Kriegsrüstungen an und haben unter dem kaltem Klirren des Stahls im Innenhof ihre Streitrösser bestiegen. Danach sind sie mit unbekanntem Ziel ausgerückt. An ihrer Stelle sind einige Geweihte des nahen Ordo Astraeli zu uns gekommen, um darüber zu wachen, dass wir im Gebäude bleiben und beten. Es gehen Gerüchte vom Namenlosen um. Wenn ich doch nur mit Brennan sprechen könnte. Aber ich habe ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen.

Endtag, 10. Oner, 12 n.H.
Die Geweihten sind heute zurück gekehrt. Mit dunkelrot besudelten Wappenröcken und von Blut triefenden Schwertern sind sie in den Hof geritten und die Hufe ihrer Pferde klangen auf den Pflastersteinen wie Totenglocken. Wenig später hat man uns in der Kapelle zusammengerufen, wo der Hochgeweihte schon auf uns gewartet hat. Wir mussten lange kniend beten, bevor er uns schliesslich erzählte, was geschehen war. In mehreren Dörfern waren Anhänger des Namenlosen ausgemacht worden. Eine Gemeinschaft, die offenbar schon seit Jahren unerkannt unter den Viergöttergläubigen gelebt hatte. Die Ordenskrieger waren ausgezogen, um sie zu jagen und zu richten. Und sie hatten reiche Beute gemacht. Die meisten waren von den Ordenskriegern gerichtet worden aber einige überlebende Anhänger des Namenlosen sollen in wenigen Tagen zur Abschreckung öffentlich hingerichtet werden. Ich bekam nicht mehr mit, was der Hochgeweihte sonst noch sagte, denn eine grässliche, kalte Furcht packte mich. Bei allen Gerechten! Etwas furchtbares wird geschehen! Ich weiss es!

Mondstag, 16. Oner, 12 n.H.
Ehre. Gerechtigkeit. Gnade. Welch ein Hohn. Welche Schande. Wie viele Tage ist es her, seitdem alles, woran ich je geglaubt habe, in den Flammen der Scheiterhaufen zerstört worden ist? Drei? Vier? Einerlei. Ich fürchte mich vor dem Schlaf, denn mit dem Schlaf kommen die albtraumhaften Bilder. Doch sie sind kein Albtraum. Sie sind die grässliche Wahrheit. Ein Dutzend Scheiterhaufen im Halbrund aufgestellt. Zur Belustigung eines gaffenden, geifernden Mobs. Darunter die höhnisch schimmernden Rüstungen der Ordenskrieger. Hasserfüllten Augen, die auf die armen Wesen auf den Scheiterhaufen starren. Geschundene Leiber und aufgequollene Gesichter. Kaum mehr am Leben. Halb nackt, ihrer Würde entblösst hat man sie an die Pfähle gebunden. Und unter den armen Seelen jene, die ich am meisten geliebt habe.
Brennan. Sein Kopf baumelte sinnlos hin und her. Sein Gesicht eine blaurote, aufgequollene Masse. Welche Gnade, dass ihn das Ende bewusstlos erreicht hat.
Neben ihm Jaime. Der kleine Jaime! Mein Bruder! Was kann ein halbes Kind tun, das es rechtfertigen würde, ihn bei lebendigem Leibe zu verbrennen?!
Doch grauenvoller selbst als der Anblick des zuckenden, lodernden Knabenleibes waren die Augen meines Vaters, als er unter dem Segen der Bellums-Geweihten auf die Gestalt neben Jaime zuschritt und ihr den Bauch aufschlitzte. Wie konnte man diesen Leuten nur derartiges Grauen im Namen des Glaubens antun? Wie konnte man sie aller Würde berauben und sie vor gierig gaffenden Augen öffentlich schlachten wie dreckiges Vieh? Ich verstand es einfach nicht. Selbst als der armen Gestalt die Gedärme aus dem Bauch quollen und die Wunde sie qualvoll langsam zugrunde gehen liess, verstand ich es nicht. Erst als mein Vater zurück trat und den Scheiterhaufen unter der Gestalt mit der Fackel entzündete, erst als die Augen der Gestalt voller Trauer zu mir blickten verstand ich es. Erst da begriff ich, dass mein eigener Vater meine Mutter geschlachtet hatte, die angeklagt worden war, eine Anhängerin des Namenlosen zu sein.

Mittentag der 18. Oner, 12 n.H.
Ich habe keine Tränen mehr. Und keine Gebete. Tag und Nacht kniete ich und flehte ich. Um Gnade, Beistand, Gerechtigkeit, Aufhebung des Unrechts. Doch allein was ich erntete war höhnisches Schweigen. Bellums Ehre, Astraels Einsicht, Vitamas Güte, Morsans Gnade. Nichts. Nichts. Nichts. Unrecht blieb Unrecht. Sie sind tot. Fort. Was bleibt ist Schweigen. Leere. Verzweiflung. Sie sind tot. Sie sind tot sie sind tot tot tot ...

Mittentag, 13. Oner, 13 n.H.
Ich weiss nicht, weshalb ich nach all der Zeit gerade jetzt wieder anfange, in mein Tagebuch zu schreiben. Vielleicht, weil es nun einen Morsan her ist, seit auf den Scheiterhaufen der Inquisition alles zerstört worden ist, an das ich je geglaubt habe? Oder vielleicht, weil Rovigo sagte, es würde dem Andenken meiner Mutter ehren, wenn ich ihr Tagebuch wieder verwenden würde?
Rovigo. Der treue, alte Schwertmeister. Seit der Nacht, in der ich aus der Akademie des Ordo Belli geflohen bin, ist Rovigo mein stets treuer, verlässlicher Gefährte gewesen. Mentor, Lehrer, Waffenbruder. Aber vor allem anderen ist er jener, der mir die Augen geöffnet hat für die Lügen, in denen ich all die Jahre gelebt habe. Durch ihn erst lernte ich zu verstehen. Durch ihn erst fand ich zum wahren Glauben.
In all den Monaten seit der grauenhaften Schlachtung meiner Liebsten waren Rovigo und ich auf einer fiebrigen, nervösen Flucht vor stets misstrauischen Geweihten und den Häschern meines Vaters gewesen. Wir fanden immer nur dann kurze, kostbare Augenblicke des Ausruhens, wenn wir auf eine der geheimen Gemeinschaften trafen, die Angamon dienten. Dort fanden wir Unterschlupf und Zuspruch. Dort heilten unsere Wunden an Leib und an Seele. Dort war für uns stets ein kleines zu Hause. Und dort war es auch, wo ich zum ersten mal getötet habe. Dort, in der kleinen Hütte des alten Remigius, der uns Unterschlupf gewährt hatte. Noch heute höre ich das Krachen der Tür und das Donnern der schweren Stiefel des Schlächters, der gekommen war um Remigius zu holen. Rovigo und ich hatten unsere Waffen blank gezogen und den Schlächter gemeinsam gerichtet, noch ehe dieser eine seiner gottlosen Anrufungen loswerden konnte. Den alten Remigius nahmen wir eine Weile mit auf unserer Flucht, bis er weiter im Süden Unterschlupf bei braven, angamonfürchtigen Leuten fand. Seitdem ist viel geschehen, doch ich habe den Eindruck, als ob mein Weg erst begonnen hätte.

Sonnentag, 14. Dular, 14 n.H.
Rovigo ist tot. Oh Angamon, mein Herr, nimmt es denn nie ein Ende? Wird das Unrecht und das Schlachten denn niemals aufhören? Werden die stählernen Klauen der Ordenskrieger jeden richten, den ich ehre und liebe? Wird der Schmerz denn niemals enden? Oh Angamon, gib mir das Herz, das Wissen und die Hand den Weg weiter zu gehen, den Rovigo mich gelehrt hat. Oh Angamon, steh mir bei. Rovigo, mein Mentor, Lehrer, Waffenbruder. Niemals soll dein Werk in Vergessenheit geraten. Niemals soll das Unrecht obsiegen. Niemals wieder sollen die Unschuldigen von der kalten Klaue der Verblendeten gerichtet werden. Niemals wieder …

Wandeltag, 2. Duler, 15 n.H.
Ich weiss nicht, wie oft Joran mir schon gesagt hat, dass ich bei ihm und den anderen in Rothenbucht bleiben soll. Aber ich kann nicht. Zu vieles ist hier geschehen. Zu viel Unrecht getan worden. Ja, es ist eine Flucht. Aber wenn ich hier bleibe, werde ich früher oder später den Schergen der Lüge in die Hände fallen. Oder noch schlimmer: der dumpfen Gleichgültigkeit anheim fallen, die einem die Augen vor all dem Unrecht verschliesst. Nein, das kann ich nicht. Ich muss das Erbe Rovigos und all jener, die ich geliebt habe, bewahren. Darum muss ich fort und weiter auf dem Weg gehen, den Rovigo und all die anderen Mutigen mich gelehrt haben. Fort. Gen Siebenwind. Zu lernen, zu wachsen, zu dienen. Dem Einen. Dem Wahren. Angamon.


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 Betreff des Beitrags: Schattentänzer
BeitragVerfasst: 25.01.09, 16:59 
Einsiedler
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Schattentänzer



Mittentag, 28. Seker, 15 n.H.
"Im Licht musst du leben, im Schatten darfst du sein" hast du mich gelehrt. Was du mich nicht gelehrt hast, war die Einsamkeit. Wenn ich des Abends die Maske dieses Lebens im Licht abstreife um das Sein im Schatten zu begrüssen, dann muss ich dies alleine tun. In Momenten wie diesen suche ich die Gesellschaft der Dunkelheit und den Trost der Gebete. Doch was ich dabei misse sind die Gesellschaft der Gläubigen und der Trost deiner Worte. Würdest du mich darob der Schwäche tadeln, Rovigo? Bestimmt würdest du das. Doch ich besitze nicht deine Stärke, deine Weisheit, deinen Glauben. Oh Rovigo, wie soll ich nur lernen, wachsen ohne deine Wegleitung? Wie soll ich leben? Wie soll ich sein?
Wie du es mich gelehrt hast führe ich des Tags ein Leben der Maskerade. Ein Possenspiel vor den Kulissen eines fremden Daseins. Wie ein Gaukler, der auf der Bühne des Lebens sein Spiel spielt. Zum ergötzen jener Gaffer die nichts anderes als das Possenspiel kennen und es für das wahre Sein halten. In dieser Maskerade habe ich meinen Schwertarm bei einer Gemeinschaft verdingt, bei der ich zumindest im Gestech und im Waffengang weiter wachsen und lernen werde. Die Gemeinschaft wollte den Gaukler in seiner Maskerade natürlich königstreu und gläubig sehen. Also war der Gaukler königstreu und gläubig. Doch es war ein schmaler Grat, auf dem der Gaukler wandeln musste. Stets bestrebt die Wahrheit zu meiden und doch nicht zu lügen. Fast schien mir das Verhör vor der Aufnahme in diese Gemeinschaft wie ein feiner Waffengang, bei dem präzise geführte Worte das flinke Rapier ersetzten. Ein kühner Tanz auf schmalem Grat. Am Ende obsiegte der Gaukler. Das Publikum war's zufrieden. Der Gaukler wurde in die Gemeinschaft aufgenommen. Der Tanz im Schatten gemeistert.
Doch auch ein Remis musste der Gaukler am heutigen Tage erfahren, Rovigo. Ich traf auf einen merkwürdigen Mann mit weissem Haar, welcher ebenfalls auf schmalem Grat zu wandeln scheint. Denn gleichwohl er sich zur gaffenden Schar bekennt, schien er doch einen Blick hinter die Kulissen des Lebens erhascht zu haben. Und darob nicht in empörtes Entrüsten verfallen zu sein. Wie er in erstaunlich gelassener Unbekümmertheit berichtete, scheinen ihm treue Anhänger unseres Glaubens bekannt zu sein. Er schien einigen von ihnen gar verhaltenen Respekt entgegen zu bringen. Er berichtete mir des weiteren von einigen, die er "Tardukai" nannte. Ein seltsames Wort. Was es wohl bedeuten mag? Der Fremde verglich sie mit Geweihten des Ordo Belli, nur dass sie auf den Pfaden des Einen, des Wahren wandeln. Und als der Fremde mir so vom vergangenen Krieg, von dessen Narben und von den Gläubigen des Wahren berichtete, da wurde der Tanz des Gauklers hin und wieder plump und ungelenk. Gleichwohl denke ich nicht, dass der Fremde des Gauklers Tanz durchschaut hat. Aber ich muss vorsichtig sein. So energisch es mich auch nach weiteren Hinweisen drängt, so sorgfältig muss der Tanz doch weiterhin getanzt werden. Zum Ergötzen der Gaffer. Zum Schutz des Gauklers. Ein Tanz in den Schatten.


Sonnentag, 29. Seker, 15 n.H.
"Dienen ist Ehre, Ehre ist Pflicht, Pflicht ist dienen" hast du mich gelehrt. Was du mich nicht gelehrt hast, war der Schmerz. Und wenn ich auf die klaffende Wunde an meinem Arm sehe, muss ich erkennen, dass die Wunde nicht annähernd so schmerzt wie mein verletzter Stolz. Bei der Allmacht des Einen, ich habe Schande über dich gebracht, Rovigo. Denn ich habe nicht nur einen Kampf der Ehre verloren, ich stehe auch vor einem Rätsel, das ich nicht lösen kann. Doch ich tue den zweiten Schritt vor dem ersten. Wie du es oft bei meiner Parade - Riposte getadelt hast.
Alles begann als müssige Plauderei mit einem anderen Angehörigen der Gemeinschaft, in die man mich gestern aufgenommen hat. Unser Weg führte uns in die Taverne zu Brandenstein, wo wir unsere vom Regen genässten Schwerter trockneten und ölten. Mein Begleiter - scheinbar ein ahnungsloser Mitläufer der Gaffer - gab seine letzten Münzen dahin um vom Schankwirt ein Brot zu kaufen. Doch noch während wir unsere Klingen ölten kam ein zerlumpter Ork daher, brüllte uns an und frass das Brot meines Begleiters auf. Ich stellte das Tier zur Rede und gebot ihm im Namen der Ehre, meinem Begleiter ein neues Brot zu kaufen. Allein was ich erntete war Hohn und Spott. Mehr noch. Um uns weiter zu verhöhnen zog dieses gottlose Tier eine Schärpe der Gemeinschaft hervor, der ich mich angeschlossen habe und erklärte uns unter üblem Sabbern, dass er diese erst kürzlich einem armen Anwärter abgenommen hatte. Einem Mittellosen das Brot zu nehmen und einem Schwachen die Schärpe zu stehlen! Welch ehrloses Tun! Es brauchte keinen Augenblick um zu wissen, was zu tun sei. Umso energischer herrschte ich das Vieh also an, das Brot zu bezahlen und die Schärpe zurück zu geben, um der Ehre Genüge zu tun. Allein was ich erntete war weiterer Hohn. Der Ork bot mir höhnisch an, sich mit mir im Waffengang zu messen, um hernach dem Sieger Brot und Schärpe zu überlassen. Und so zog ich meine Klinge blank. Und eben so tat es das orkische Vieh. Der Kampf war kurz und heftig, und gerade als ich einen herbeigelaufenen Elfen anherrschte, sich aus diesem Kampf der Ehre herauszuhalten, überrumpelte mich der Ork und hieb mich mit seiner Axt nieder. Meine Klinge fiel mir aus der nun kraftlosen Schwerthand. Ich mühte mich mit einer klaffenden Wunde am Arm wieder auf, nicht willens dem orkischen Vieh den Sieg zu überlassen. Doch ich versagte. Kindische Schwäche zwang mich zurück auf die Knie und in die endgültige Niederlage. Ich hatte verloren.
Doch dann geschah etwas, was ich nicht verstehen kann. Anstatt mich mit seiner Axt zu richten und die Schmach von mir zu nehmen, liess der Ork seine Klinge sinken und zollte mir auf seine ungeschlachte Art Respekt. Mehr noch der Seltsamkeit! Denn schliesslich - obschon er den Sieg errungen hatte - gab der Ork mir die gestohlene Schärpe zurück. Danach ging er von dannen und liess mich mit blutender Wunde, errungener Schärpe, verlorener Ehre und ratlosem Rätseln zurück. War der Ork ehrlos, weil er Brot und Schärpe gestohlen hatte? Oder war er ehrenhaft, weil er mir am Ende die Schärpe trotz seines Sieges überlassen hat? Kann Ehre aus falschem Tun erwachsen? Falsches Tun korrigieren? Falsches Tun gar negieren? Ist ein Tier wie dieser Ork überhaupt zu ehrenhaftem Tun fähig? Ach wärst du nun doch hier, mein Meister, um einen der lehrreichen Dispute zu führen, die ich immer so geliebt habe.
Die Taverne in Brandenstein ist noch immer von meinem Blut besudelt. Das Brot noch immer nicht bezahlt. Also werde ich statt dessen nun zurück gehen, das Blut entfernen und für das gestohlene Brot aufkommen, das ich durch meine Niederlage nicht wieder erlangen konnte. So wie du es sicher von mir erwartet hättest. Deinen Lehren zu dienen. Dir zu Ehren.


Endtag, 30. Seker 15 n.H.
"Der Gottlose spricht über seine Tugendhaftigkeit und bleibt untätig. Der Tugendhafte schweigt und handelt" hast du mich gelehrt. Was du mich nicht gelehrt hast war die Bitterkeit die erwacht, wenn man dazu verdammt ist, inmitten der Gottlosigkeit zu leben. Oh Rovigo, selten habe ich meine Gebete zu Angamon mit solchem Flehen und solcher Hingabe dargebracht wie heute. Denn wie sonst, wenn nicht durch Sein Wirken, kann der Gottlosigkeit und den Untugenden noch Einhalt geboten werden? Oh, weh mir, wie stinkende Jauche erfüllt die Scheinheiligkeit der verderbten Viere die Menschen, die wie Huren der Tugendhaftigkeit spotten, indem sie sie für sich in Anspruch nehmen.
Nachdem ich die Taverne zu Brandenstein von meinem Blut gesäubert hatte, rief der scheidende Tag mich zurück an den Ort, wo der Waffenappell und die Unterweisung der Gemeinschaft begann, der ich mich angeschlossen habe. Die Lektion verlief ohne Überraschungen und am Ende hiess uns der Lehrmeister, einen dahergelaufenen Orken aus der Umfriedung zu entfernen. Ich wandte mich ohne Waffe dem Orken zu und hiess ihn, sich gemäss dem Geheiss des Zuchtmeisters aus der Umfriedung zu entfernen. Ohne ein weiteres Wort zog der Orken daraufhin seine Axt und schlug mir vor den versammelten Anwärtern eine klaffende Wunde. Im Dreck liegend sah ich ihn noch Fersengeld geben und aus der Umfriedung fliehen. Und was ich noch sah, war die Schar der Anwärter, die sich weder um den Orken noch um mich kümmerten, sondern daneben standen und gemeinsam mit dem Zuchtmeister scherzten, lachten und Proviant austauschten, während sie lobpreisend Bellum anriefen. Allmächtiger! Ich lag blutend im Dreck, der Ork auf der Flucht und sie standen fröhlich lachend umher und preisten Bellums Namen!
Die Zeiten des Zweifels und des Fragens sind schon lange vorbei, Rovigo. Sie verbrannten damals auf jenen Scheiterhaufen. Und doch gestehe ich in all meiner Schwäche und Unvollkommenheit ein, dass mich immer wieder aufs Neue Bitterkeit, Wut gar, überkommt, wenn ich dem hurenhaften Treiben jener, die sich den scheinheiligen Lehren der Viere hingegeben haben, hilflos gegenüberstehen muss. In diesen Momenten wünscht sich der Gaukler auf seiner einsamen Bühne, die Maske herunter zu reissen, den Tanz in den Schatten zu beenden und dem gaffenden Publikum das wahre Sein zu offenbaren. Doch dem Gaukler bleibt nichts weiter als seine einsamen Gebete, der Trost der Dunkelheit, das Wissen um den wahrhaftigen Gott und der Tanz in den Schatten.


Mondstag, 1. Sekar 15 nach Hilgorad
Allmächtiger! Ich habe es geschafft, einen ganzen Tag lang nicht von Orks verprügelt zu werden. Vergebt mir mein loses Mundwerk, Rovigo, doch wenn das Streben nach Ehre und ein Ork aufeinander treffen, scheint das zumeist sehr schmerzhaft für mich zu enden. Wie in einem schlechten Possenspiel, bei dem der Narr auf der Bühne ständig über die selbe Kiste stolpert und das Publikum dabei vor Freude jauchzt. Doch wenn ich es recht bedenke, ist dies kaum lächerlicher als das Possenspiel, das sich heute in Brandenstein zugetragen hat. Auf Order gen Brandenstein entsandt, trafen wir dort am Markt auf einen laut schreienden Vermummten, der sich als fanatischer Anhänger des Bellum ausgab. In lautem Geschrei verfluchte jener den Ordo Belli und hob dabei Bellum über die anderen drei so geheissenen Götter. Der Ordo Belli hätte sich versündigt, indem er Bellum auf die gleiche Stufe wie die anderen drei Götter gestellt hätte. Der Ordo Belli müsse dafür gerichtet werden. Eine dabei stehende Geweihte des Ordo Belli lauschte seinen Ausführungen scheinbar interessiert, bis ein Streiter in den Farben des Lehensbanners einschritt und auf sein Geheiss hin der Bellums-Fanatiker in den Kerker geworfen wurde. Der Geweihten war es einerlei. Sie entfernte sich ohne weiteres Aufheben. Wie verderbt kann ein Irrglaube sein, wenn sich Anhänger gegen Anhänger wendet und der eine den anderen der Ketzerei bezichtigt? Wahrlich, Rovigo, es ist nicht minder kurios wie betrüblich. Ich beginne nun zu verstehen, dass unser Herr seine rettende Hand zurück gezogen hat, um die Insel vorderhand den armen Irrgeleiteten zu überlassen. Wahrlich, sie sind noch nicht bereit dazu, dass jemand den Vorhang des Possenspiels zurück zieht und ihnen die Wahrhaftigkeit zeigt.
Mein Leben hier macht dies nicht weniger einsam, aber wenigstens habe ich nun Hoffnung, dass bis zur nächsten Prügelei mit einem Orken die schlimmsten Wunden wieder verheilt sind.


Wandeltag, 2. Sekar 15 nach Hilgorad
Ein Gläubiger wurde gefangen genommen! Ich lauschte einem Gespräch, bei dem die Rede von einem Anhänger Angamons war, der im Kerker festgesetzt worden ist. Ich muss versuchen, zu ihm zu gelangen. Rasch. Verzeih mir, Rovigo, doch dies ist nicht die Stunde müssiger Schriften in dies Tagebuch.


Mittentag, 3. Sekar 15 n.H.
Ich konnte kaum mehr als Gerüchte in Erfahrung bringen, Rovigo, doch der Gläubige, den man eingekerkert hatte, scheint durch Angamons weise fügende Hand die Flucht geschafft zu haben. Die Tore der Umfriedung wurden erst unter grösster Aufruhr verriegelt, doch schon nach wenigen Zyklen schien man die Hoffnung aufgegeben zu haben, den Flüchtigen noch in der Umfriedung aufzufinden. Die Tore wurden wieder geöffnet und die Stätte wandelte sich wieder zu ihrem üblichen Umtrieb.
Hernach befahl man einen Übungskampf gegen ein Rudel Orken, welche bereits mit gebleckten Hauern geifernd gewartet hatten. Die Kämpfe waren kurz und hart und der steinerne Boden leckte zumeist das Blut der Menschen. Und noch während jene unter Qualen sich am Boden wälzten, rief der Zuchtmeister der Gemeinschaft seinen Herren Bellum und die Ehre an und ... drehte den ihm anvertrauten, verletzten Kriegern den Rücken zu, um statt dessen die Orken zu verbinden.
Ich sass abseits und kostete im Antlitz dieses gottlosen Tuns die dumpfe Bitternis der Hilflosigkeit. Weh mir, Rovigo, wie sehr flehte mein Herz in diesem Augenblick gen Angamon, er möge mir die Kraft und das Vermögen geben, diesem furchtbaren Spiel Einhalt zu gebieten. Doch das gottlose Tun blieb ungesühnt. Und nun, nachdem die Schatten obsiegt haben und mich wieder tröstliche Dunkelheit umfängt, beginne ich zu begreifen, dass all dies ehrlose Tun zu jenem langen Weg des Lernens gehört, dessen Anfang ich dank dir gefunden habe. Eine weitere Lektion voller Bitterkeit, zu kosten von der schwärenden Verderbtheit dieser Narren. Ein weiteres Scheiden eines Tages, welches ich allein geleitet durch Glauben und Gebete begrüssen musste. Doch seit heute gesegnet mit einem tröstenden Funken der Hoffnung. Denn nun weiss ich, dass dort draussen noch andere sind, die der Wahrhaftigkeit folgen. Dem Einen. Dem Herrn. Dank und Lobpreis Angamon.
Oh, nicht, dass ich es noch eigens erwähnen müsste, Rovigo, ich wurde wieder von einem Orken verprügelt...


Mittentag, 3. Oner 16 n.H.
Es ist lange her, Rovigo, seit ich dir Zeilen in diesem Tagebuch gewidmet habe. Es schien mir richtig, dies heute weiter zu führen. Denn wenn ich diese Zeilen schreiben, befinde ich mich in den Landen, die man mir als die geheiligten Lande Angamons beschrieben hat. Natürlich benutzte jener, der sie mir zeigte, andere Worte dafür. Doch man soll ihm keinen Vorwurf darob machen. Er wusste es nicht besser. Er plapperte nur nach, was man ihm vortrug.
Ach, Rovigo, es ist viel geschehen und doch war das meiste ohne Bedeutung. Das meiste, doch nicht alles. Die geheiligten drei Tage des Herrn liegen nun wieder hinter uns und an ihnen geschah es auch, dass mir die grösste Gunst zuteil wurde, seit ich auf der Insel bin. Am ersten Tag des Dunkeltiefs war es noch schwierig, das Ritual zu vollziehen, denn ich musste dafür die verschlossene Umfriedung verlassen. Ohne die Hilfe jenes Varin hätte ich es wohl nicht zuwege gebracht. Doch so war es möglich, das Ritual so zu vollführen, wie du es mich gelehrt hast. Doch die unbeschreibliche Gunst trug sich erst am Tag darauf zu.
Am zweiten Tag des Dunkeltiefs trug es sich zu. Ich verrichtete am verschlossenen Tor der Stadt Brandenstein meinen Dienst, welcher darin bestand, "nach Übel Ausschau zu halten". Oh diese Narren. Glauben sie wirklich, Eisen und Gestein würden sie vor der gerechten Hand Angamons verbergen können?
Es war wohl um den achten Hellzyklus, als uns allen eine grosse Gunst zuteil wurde. Es begann mit einem Sendboten Des Herrn. Einem schattenhaften Schemen, der von Seinem Kommen kündete. Wehklagen und wildes Geschrei hob an unter jenen, die dort am Tor waren, denn sie verstanden es nicht. Sie verstanden es selbst dann nicht, als vor dem Tor die Stimmen jener erklangen, deren Name von Seiner Grösse und Allmacht zeugt: Tardukai! Und als sie die frohe Botschaft von der Güte Des Herrn darboten, da zuckten Blitze vom dunkelschwarzen Himmel, in deren flackernden Schein wir schemenhaft die geheiligten Reiter sehen konnten. Welch gesegneter Augenblick! Doch oh, was trug sich hernach zu! Die Fehlgeleiteten spuckten auf die dargebotene Hand der geheiligten Krieger, zogen das Fallgitter hoch und jagten den Tardukai nach, die sich vor all dieser Ignoranz abgewendet hatten. Ich versuchte noch dem Durcheinander zu folgen, doch war ich nur zu Fuss. Es war vergebens. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Erinnerung an diesen geheiligten Moment wie etwas unendlich kostbares tief in mir zu verwahren. Geschützt vor den liederlichen Augen all jener, die nicht begreifen wollen.
Danach zogen sich die Zyklen in quälender Langsamkeit dahin, bis unsere Truppe am gestrigen Tage schliesslich zum Grenzwall auszog. Wir bezogen dort Stellung in der Torburg und dort geschah es denn auch, dass man mir die Ostlande wies und mir sagte, dass dies das Land des Herrn sei. Angamons Reich. Geheiligter Grund. Wie eine Antwort auf all meine Gebete war es mir erschienen. Wie ein Fingerzeig, was nun mein nächster Schritt auf meinem Weg sein soll.
So habe ich denn heute mein Bündel gepackt und die Gemeinschaft, der ich mich verpflichtet habe, hinter mir gelassen. Sie werden es gar nicht bemerken. Sie sind mit nutzlosem Tand beschäftigt und unter ihnen sind nur wenige, denen ich zutraue, über einige der Lügen hinaus zu sehen. Xavier vielleicht. Und vielleicht auch Varin. Doch die Zeit ist noch zu jung, um dies mit Sicherheit sagen zu können.
Nachdem ich die Gemeinschaft hinter mir gelassen hatte führte mich der Weg als erstes wieder zur Torburg. Ich passierte sie und als ich endlich den Fuss auf Sein geheiligtes Land setzte, da flehte ich darum, dass er mir den rechten Weg und den Pfad zu seinen Dienern weisen möge. Frisch gestärkt wählte ich darauf hin den Weg am nördlichen Gebirgszug entlang. Ich gelangte zu einem Schneefeld, welches sich weit nach Nordwesten hin erstreckte. Bis auf eine längst erstarrte Leiche fand ich dort jedoch nichts, also zog ich weiter gen Osten, bis ich auf einen weiteren Gebirgszug traf. Diesem folgte ich, bis ich auf einen befestigten Wall mit einem steinernen Wehrgang traf. Riesenhafte Trolle patroullierten darauf und ich flehte Den Herrn um Erkenntnis an, ob dies der Ort sei, an den er mich schicken wollte. Der Ort, an dem ich seine Diener finden sollte. Doch - weh mir - mein Flehen verhallte ohne Gehör. Allein die wütenden Schreie der Trolle schallten mir entgegen, also setzte ich meine Reise wieder fort. Nach einem beschwerlichen Marsch durch einsames Land gelangte ich schliesslich an einen See, in dessen Mitte eine Insel aufragte. An seinem östlichen Ufer fand ich eine zerstörte Siedlung, wo ich schliesslich Unterschlupf fand. Dort bin ich nun, Rovigo, inmitten des geheiligten Landes, vor mir ein Lagerfeuer, auf meinem Schoss das Tagebuch und in meinem Herzen die Sehnsucht treulich dem Pfad zu folgen, den Er für mich bestimmt hat. Ich will nun beten, Rovigo, und dann ruhen. Denn früh am morgigen Tag will ich meine Suche fortführen. Hier, in den geheiligten Landen Angamons. Ihm zu folgen. Ihm zu dienen. Ihm zu Ehren.


Mittentag, 3. Oner 16 n.H.
Am Ende der Reise findet sich stets ein neuer Anfang. So hast du es mich gelehrt und so ist es geschehen, Rovigo. Ich wünschte, ich hätte die geschmeidige Eloquenz der Gelehrten oder die filigrane Anmut der Geschichtenerzähler. Doch all dies misse ich. So will ich dir denn von den heutigen Ereignissen erzählen in den ungeschlachten Worten einer dankbaren Schülerin.
Nach einer kurzen Nacht in den Ruinen nahe des seltsamen Sees setzte ich heute bei Tagesanbruch meine Reise durch die geheiligten Landen fort. Zuerst entlang einer Mauer - einst wohl eine Stadtmauer - die in zerbröckelndem Marmor von der Vergänglichkeit alles Weltlichen kündete. Ein Mahnmal für die Vergänglichkeit weltlichen Tands. Ich folgte ihr wohl einen Zyklus lang, bis ich weiter auf meinem Pfad auf ein Gebirgsmassiv stiess, das sich trutzig in den sich eindunkelnden Himmel reckte. Ich folgte der Flanke des Gebirgszugs eine Weile, bis ich schliesslich vor mir in der Dämmerung einen Ort auftauchen sah, der anders war, als all die Ruinen, an denen ich den ganzen Tag zuvor vorüber gezogen war. Ich sage dir, Rovigo, an diesem Ort pulsierte die Kraft und Allmacht Des Wahrhaftigen! So kniete ich nieder und vollzog dort in stiller Einsamkeit das Dankesritual. Ich tat es einsam doch ich tat es voller Freude. Denn wahrlich, seit ich zu meiner Reise aufgebrochen war habe ich keinen Ort entdeckt, an dem ich mich Dem Wahrhaftigen näher gefühlt habe als hier. Wie trunken von köstlich schwerem Wein war ich, als ich das schlichte Ritual vollzogen hatte. Und voller Dankbarkeit. Denn Er hatte mich an diesen Ort geführt. Und als ich denn wieder aufbrach, so blieb ein Stück von mir zurück. So, wie du es mich gelehrt hast.
Ich setzte meine Reise schliesslich fort. Stets dem Gebirgszug folgend, bis ich zu einem seichten Bach kam, der in eine Höhle führte. Ich erkundete sie, doch war nichts auffälliges daran, ausser, dass sie trocken und sicher schien. Ich erkannte sie als nützlichen Unterschlupf für die kommende Nacht, merkte mir ihren Ort und verliess sie schliesslich wieder. Und dann geschah es. Gerade als ich am Bach kniete und Wasser schöpfte, geschah es.
Oh Rovigo, meine lange Suche hat ein Ende gefunden. Mein bisheriger Weg seine Erfüllung. Und nun stehe ich hier voll demütiger Dankbarkeit und berichte dir voller Freude und Stolz, dass ich gefunden habe, wozu ich einst aufgebrochen bin. Ich bin am Ende dieser Reise angelangt, edler Rovigo. Und voller Dankbarkeit und Demut tat ich im gleichen Augenblick den ersten Schritt auf zu einer neuen Reise. Einer Reise, die voller Fragen und Seltsamkeiten begonnen hat, voller Hoffnung und Freude, voller Geheimnisse und Erkenntnisse. Doch dies, edler Rovigo, ist eine andere Geschichte.


Am Ende der Reise ein neuer Anfang.

Gepriesen sei der Name des Wahrhaftigen.


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 Betreff des Beitrags: Schattenreich
BeitragVerfasst: 25.01.09, 17:06 
Einsiedler
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Schattenreich



Jenseits des Grenzwalls, irgendwo tief in den geheiligten Landen des Ostens, schimmert in den ewig dunklen Wäldern ein einsames Lagerfeuer. Und in die andächtige Stille der Nacht webt sich der leise Gesang einer Frau.

Leis' flüstert Wind durch schwarze Weiden
streicht mit kühler Hand übers Moor.
Und aus den Gräsern unter den Eiben,
Schwingen sich dunkle Schatten empor.

Sei bereit - die Dunkelheit erwacht
Sei bereit - sie rufen diese Nacht
Sei bereit - der Schatten dunkles Kleid
berührt den Mantel der Zeit.

Dort wo die hohen, schwarzen Steine,
Segnen die Nacht und bannen das Licht.
Dort stehen sie wartend, harren sie deiner.
Spürst Du denn ihr Rufen nicht?

Sei bereit - die Dunkelheit erwacht
Sei bereit - sie rufen diese Nacht
Sei bereit - der Schatten dunkles Kleid
berührt den Mantel der Zeit.

Segnende Schatten in tröstlicher Nacht,
Heilige Reiter, schwarze Gestalten.
Führet mich fort mit des Gottkönigs Macht,
Nichts soll mich mehr gefangen halten.



Mondtag der 6. Oner 16 n.H.
"Leben entstehen und vergehen. Doch ein Schwur bleibt." So hast du es mich gelehrt. Und nun ist es vollbracht, Rovigo. Ich habe meinen Weg gewählt. Ich habe meinen Schwur getan. Jenen, der mein Leben und mein Vergehen, mein Streben und mein Streiten sein soll. Ich habe meinen Schwur getan.
Sie erschienen, als ich mich in der Umfriedung im Waffengang übte. Wortlos und ohne jeglichen pompösen Zierat waren sie erschienen. In einer stillen Schlichtheit voller Grösse. Einfache Reisende in den Augen der Verblendeten. Welch eine Ironie. Sie trugen mir auf, nach der Zusammenkunft zu jenem Ort zu kommen, an dem mein Weg begonnen hatte. Stille Feierlichkeit umhüllte ihre Worte und ich gehorchte. Oh, weh mir Rovigo, die Zusammenkunft der Gemeinschaft zog sich an jenem Abend in quälender Langsamkeit dahin. Augenblicke schienen wie Zyklen und die Lektion schien mir wie ein ganzer Mondenlauf. Doch schliesslich endete es. Und es begann.
In grösster Eile kleidete ich mich und zog aus gen Grenzwall. Die Torburg passierte ich noch im hellen Tageslicht, doch als ich meinen Weg durch die geheiligten Lande wählte, da begann der Tag sich allmählich vor der Nacht zu verneigen. Eine Allegorie dessen, was kommen sollte. In grösster Hast eilte ich dem Gebirgsmassiv entgegen, das mich am Horizont bereits mahnend grüssend willkommen hiess. Und schliesslich sah ich im Schatten des Gebirgsmassivs die Konturen des Ortes erwachen, an den man mich beordert hatte. Und er wartete bereits. Feierlicher noch als Worte waren seine Stille und so folgte ich ihm in stummer Demut. Verwirrend waren die Pfade, die er wählte, und doch hätten sie anders niemals sein können. Wie eine Metapher meines bisherigen Lebens, das in bizarren Windungen schliesslich sein Ziel gefunden hatte.
Als die Dämmerung einsetzte, erreichten wir unser Ziel. Und oh, Rovigo, es hätte glorreicher nicht sein können. Im sterbenden Licht des scheidenden Tages sah ich vor mir ein majestätisches Mahnmal der Vergänglichkeit aller Lügen. Ein Symbol für die Endlichkeit allen Seins und für die Ewigkeit des Wahrhaftigen. Der Ort war gekrönt mit mahnenden Manifestationen seiner Allmacht. In respektvollem Abstand wählten wir unseren Weg, bis wir schliesslich den Ort erreichten, an dem es geschehen sollte. Wir erreichten die Halle, als das Licht nur noch ein aufbegehrender, sterbender Funke war. Genug, um dies Mahnmal der Vergänglichkeit in all seiner Tragik zu erblicken. Dann erwachten die Schatten. Und die Wahrheit.
Als die Nacht den geheiligten Ort in Dunkel hüllte, trat er vor mich und begann mir den Anfang aller Wahrheit zu offenbaren. Nichts als die bitterste aller Wahrheiten. Und die Bürde. Denn noch während er erzählte, erschien hinter ihm jene seltsame Gestalt, in deren Blicken die Last und die Trauer einer ganzen Welt zu ruhen schien.
So vereinten sich am Ende diese drei zur heiligsten aller Allegorien: die Vergänglichkeit der Lüge, der Anbeginn der Wahrheit und die Bürde, beides erkennen zu müssen. Wahrlich, Rovigo, diese Nacht war geheiligt.
So geschah es denn, dass am Ende der Offenbarung mir die grösste aller Gnaden zuteil wurde. Als die Schatten sich zu majestätischer Grösse erhoben hatten, da kniete ich nieder und leistete im Antlitz von Vergänglichkeit, Wahrheit und Bürde meinen Schwur. Als die Schatten obsiegten, betrat ich ein neues Leben. Ein neues Reich. Schattenreich.


Wandeltag der 7. Oner 16 n.H.
"Erst wenn die Lichter erlöschen, lernt man zu sehen". So hast du es mich gelehrt, Rovigo. Aber erst jetzt, da meine Reise begonnen hat, beginne ich den Sinn dieser Worte zu begreifen.
Seit diese neue Reise begonnen hat, beginnen auf der Bühne des Gauklers die Laternen zu sterben. Einst gaffte das Publikum, als der Gaukler seinen Tanz tanzte. Gierte nach diesem einen Fehltritt, der ihn zu Fall bringen sollte. Auf dass sie ihn darob zerreissen würden. Doch der Gaukler fehlte nicht. Und so wenden sich die gaffenden Bluthunde nun ermattet ab. Die Lichter der Bühne verblassen. Der Gaukler verliert sich im Schatten. Wohl getan.
Doch wie auf des Gauklers Bühne die Laternen vergehen, wie der Vorhang aus Schatten zu fallen beginnt, wie das Blenden des Possenspiels endet, da beginnt der Gaukler auf die Gaffer hinabzublicken. Still steht er da und beginnt zu sehen. Was vorher hinter grellem Schein verborgen lag, entblösst sich nun im erbarmungslosen Schein der Schatten. Als im Narrentheater des Lebens die Dunkelheit erwacht, erblickt der Gaukler die Konturen, die bislang hinter grellem Lichte wohl verborgen lagen. Des Publikums hurenhaftes Treiben, bislang versteckt hinter dem gleissenden Possenspiel ihres jämmerlichen Daseins. Und wie die Trugbilder ihrer falschen Lichter vergehen, bleibt nichts zurück als nur die Wahrheit. Wie Marionetten zucken sie nun in grotesken Posen sinnlos einher, wie geführt von einer dem Wahnsinn verfallenen Hand, spottend ihrer selbst und gierend kreischend nach dem Licht, das sie verhüllen soll. Doch im Obsiegen der Schatten bleibt allein zu sehen ihr Fallen.
Das Leben, das ich bislang führte, edler Rovigo, verliert von Augenblick zu Augenblick an Bedeutung. Seit ich jene Bruderschaft gefunden habe, die dem Pfad der Wahrhaftigkeit folgt, kann ich mich endlich lösen von diesem Leben voller Lügen. Es abstreifen wie ein zu eng gewordenes Gewand dass doch nie gepasst hat. Nun, da mir gestattet wurde, im Kreis der Bruderschaft Fürsten und Gottkönig zu dienen, löse ich mich von Augenblick zu Augenblick mehr von diesem fremden Leben das einst meines war. Und - weh mir - von Zyklus zu Zyklus wird das lästerliche Treiben, das sich um mich herum vollzieht, grotesker. Die Gemeinschaft, derer ich mich vor einiger Zeit angeschlossen habe, hat einen neuen Lehrer. Ein Meister, der die Lernenden der Gemeinschaft führen und leiten soll. Und oh, das tat er! Jenen, die zu spät eintrafen, legte er nahe, sich inskünftig eine treffliche Ausrede auszudenken. Sie könne gern erlogen sein. Erlogen! Er forderte die Schüler auf, zu lügen! Doch mehr noch, edler Rovigo! Just im nächsten Atemzug beklagte er sich über den Mangel an Disziplin unter den Schülern! Wie sonst könnte man diese Groteske bezeichnen als 'beschämend'. Alsdenn tat ich eben dieses und ging.
Jenen, die diesem Schmierentheater folgen, wurde hingegen ein Aufstieg gewährt. Mit stolzgeschwellter Brust stolzierten sie in ihren neuen Gewändern in Brandenstein einher und dröhnten wichtigtuerisch um ihre neu erhaschten Bildchen, die auf ihren Wappenröcken prangten. Speichellecker, denen andere Speichellecker Brosamen vom Tisch ihres eigenen Schmierentheaters hingeworfen haben. Oh, sie erkennen nicht, dass sie hechelnd einem Trugbild nachäffen. Sehen sie denn nicht, dass sie in all ihrem Geifern und Ringen um Tätscheleien und Beförderungen sich selbst verlieren? Dass sie auf dem Götzenaltar ihrer Beförderungen all ihre Tugenden, ihre Ehre opfern? Wo Tugendhaftigkeit der Massstab eines jeden Tuns sein sollte, wird sklavisches Nachäffen zum Gebot allen Handelns? Weh mir, Rovigo, wie verloren ist diese Welt ?
Doch weiss ich wohl, edler Rovigo, dass unter des Fürsten und des Wahrhaftigen weise leitender Hand diese Welt dereinst errettet werden wird. So bleibt mir für den Augenblick nichts als die Bitterkeit für jene Marionetten des Schmierentheaters. Und die Freude im Wissen, dass sie durch des Wahrhaftigen Gnade dereinst errettet werden können. Oder vernichtet.


Endtag der 10. Oner, 16 n.H.
Das Spiel wandelt sich, Rovigo. Einst war es nur die bittere Maskerade eines einsamen Gauklers auf der Bühne seelenloser Gaffer. Doch der Gaukler ist in die Schatten zurück getreten. Hat seinesgleichen gefunden. Das Publikum hingegen ist nicht mehr länger im schützenden Rund des Theaters verborgen. Nicht mehr länger bestimmen sie mit hurenhaftem Geschrei die Schritte des Gauklers. Die Rollen haben sich verändert. Komplexer wurden sie. Wie ein filigranes, verwirrendes Gespinst miteinander verwobener Figuren. Wie das Spiel der Könige. Schwarz gegen Weiss. Zug um Zug. Lauerndes Taktieren. Finten und Paraden. Jäger und Gejagte. Wahrheit und Lüge. Im steten Wandel.
Der schwarze Läufer hat heute sein wahres Gesicht entblösst. Er hat seine Maske von sich gerissen und sich als weisser Ritter offenbart. Gerade rechtzeitig noch, ehe er in die zerbrechlichen Züge von Schwarz einbezogen werden konnte. Bitter? Das wohl. War man doch voller Hoffnung in sein Tun. Doch bitter ist der Weg aller Erkenntnis, Rovigo. Gerade im gefährlichen Tanz zwischen Schwarz und Weiss. Wahrheit und Lüge. So liess man denn den schwarzen Läufer voller Bitterkeit sich wandeln. Liess ihn ziehen. Allein was blieb war hilfloser Zorn. Ungestüm. Doch wohl gezügelt. Dem Wahrhaftigen sei Dank, er war wohl gezügelt. Denn nicht lange liessen Parade und Riposte auf sich warten:
Ein schwarzer Bauer erschien auf dem Spielbrett zwischen Wahrheit und Lüge. Er zog scheinbar harmlos mal hier hin, mal dort hin. Nicht ohne Bedeutung, doch ohne Hoffnung ihn in die zentralen Züge einbeziehen zu können. Welch ein Trugschluss! Oh Rovigo, noch immer lass ich es geschehen, dass ich mit den Augen der Gaffer sehe. Muss erst lernen, die Augen zu schliessen um wahrhaftig zu sehen. So auch hier. Denn was ich erst als Bauer erkannt hatte, entpuppte sich als schwarze Dame. Machtvoll. Im Hintergrund harrend. Doch schliesslich in die Taktik eingreifend. Dem schändlichen Wandel des schwarzen Läufers zum weissen Ritter folgten ihre Parade und Riposte. Erst stand die schwarze Dame nahe beim schwarzen König, doch raumgreifend sind nun ihre Schritte geworden und in ihrem Tun kommt sie der Rolle des schwarzen Ritters gleich, der mir so kostbar geworden ist.
So schliesst sich denn nun langsam der Kreis. Schwarze Dame. Schwarzer Ritter. Schwarzer Bauer. Immer enger. Um den weissen Ritter herum. Zerbrechlich noch. Kaum zu erahnen. Und wohl ahnt auch der weisse Ritter noch nichts. Wie könnte er auch. Er steht im grellen Licht von Weiss. Blendender Schein. Kann nicht sehen. Nie gelernt. Blind die feinen Konturen der Schatten übersehend. Zug um Zug. Bis zu seinem Fall.


Mittentag der 13. Oner 16 n.H.
"Schmal ist der Grat zwischen Tragödie und Komödie, zwischen Drama und Posse. Der Weise wird das eine vom anderen zu scheiden wissen. Der Narr wird dazwischen zugrunde gehen." So hast du es mich gelehrt. Seit ich diese seltsame Depesche erhalten habe, beginnen die Grenzen zwischen Drama und Posse zu verschwimmen. Macht mich das zum Narren, Rovigo? Oder kann ein Ding beides zugleich sein? Tragödie und Komödie?
Die weissen Ritter haben einen seltsamen Zug getan. Unerwartet. Unerklärlich. Gefährlich. Im ersten Moment schien es wie eine Komödie, dass sie den schwarzen Bauern zu umgarnen suchen. Ihn bei Weiss aufzunehmen suchen. Hat der schwarze Bauer sein Spiel wirklich so gut gespielt? Komödie? Oder wurde der schwarze Bauer enttarnt und der seltsame Zug von Weiss ist der erste Zug zu seinem Fall? Tragödie? Die Grenzen verschwimmen. Der schwarze Bauer wird zum Narr, der nicht mehr zwischen Drama und Posse zu scheiden vermag. Hernach gab es nur einen sicheren Zug. Jener zur schwarzen Dame. Und jener Zug erwies sich als der richtige. Als der einzige.
Die Geschichte der schwarzen Dame wies den Weg. Die Lösung war von schlichter Präzision. Ob Tragödie oder Komödie war nicht mehr von Bedeutung. Allein was zählte war der Weg des schwarzen Bauern. Der Weg, den die Geschichte der schwarzen Dame gewiesen hatte. Wahrhaftigkeit; der schmale Grat zwischen Tragödie und Komödie. Die Lösung so schlicht wie selbstverständlich. Kein Zögern. Kein Zweifeln. So macht der schwarze Bauer nun seinen nächsten Zug. Zwischen Drama und Posse. Auf schmalem Grat.


Sonnentag der 14. Oner 16 n.H.
"Vertrauen ist der Schierlingsbecher der Unbeschwerten" hast du mich gelehrt. Und - weh mir - heut' habe ich von der süssen Bitterkeit dieses Schierlingsbecher gekostet. Und wäre beinah daran gestorben.
Ich wurde verraten, Rovigo. Verraten von jenen, denen der schwarze Bauer zu leichtfertig unbefangenes Vertrauen entgegengebracht hatte. Freunde nannten sie sich einst! Oh, welch ein Hohn! In schlecht sitzendes Lammfell gekleidete Bluthunde mit dem Wappen des Lehensbanners waren sie stets! Doch nicht nur diesem Verrat gilt mein Zorn. Sondern auch jenem Verrat, den ich an mir selbst begangen habe: allzu unbeschwert Vertrauen zu verschenken. Während ich hier sitze und den Federkiel im Zorn des Erlebten quetsche, versuche ich wieder und wieder zu verstehen, wie ich es hatte geschehen lassen können. Was war es, das die Bluthunde auf die Fährte gelockt hatte? Wo tat ich fehl? Weh mir, edler Rovigo, tausend Dinge streifen meinen Sinn und tausend Dinge verwerfe ich auch wieder. Gebete im Rund der Götzendiener? Stets ohne Makel wohl kaschiert. Apelle im Namen des Königs? König gesagt, Gottkönig gemeint. Fügsamkeit vor den Insignienträgern der Götzen? Gauklers wohl geübtes Spiel. Gehorsamkeit vor den Bannerträgern der Lüge und der Korruption? Stets gewährt. Waren es wirklich die beiden Lächerlichkeiten an jenem Abend? Die Bitte, das Wasser abschlagen zu dürfen? Das Magenknurren in der Kapelle? Oh ja, Rovigo, ich war unter ihnen in der Kapelle. Und es widerte mich an. Doch musste es sein um der Bluthunde willen. Einzig ein einfaches Magenknurren liess die Maskerade wanken. Genug für die Bluthunde? Weh mir, mein Sinn vermag es einfach nicht zu begreifen. Und doch geschah es. Eine Bitte, Wasser abschlagen zu dürfen und Magenknurren in der Kapelle hatten genügt, der Bluthunde Lefzen geifernd fletschen zu lassen. Dann begann die Jagd.
Ketzer nannten sie mich und banden mich wie einen daher gelaufenen Lump. Schon sah ich mich im Dienste des Gottkönigs fehlen und in Schande von den Bluthunden der Götzen zerrissen zu werden. Doch dann geschah ein Mirakel. Ein Diener der weissen Ritter erschien auf dem seltsamen Spielbrett und wies die Bluthunde in die Schranken. Mehr noch: er nahm mir meine Fesseln und bot mir Schild und Schutz. Rovigo! Ein Scherge der weissen Ritter schützte mich! Wieder suchte ich verzweifelt den schmalen Grat zwischen Tragödie und Posse. Und noch während ich ihn suchte, wand der Pfad sich auch schon weiter. Ein fiebriger Tanz war es, der mich von weissen Rittern zu weissen Priestern führte. Und alle sprachen mich am Ende des Pfades vom Vorwurf der Ketzerei frei. Ist Wahnsinn der einzige Weg, um nicht auf schmalem Grat zwischen Tragödie und Posse zu fallen? Denn was geschah war nichts minder als schierer Wahnsinn. Ein wahnwitziger, fiebriger Taumel auf schmalem Grat. Doch ich fiel nicht. Aber - oh - zu welchem Preis?! Den weissen Rittern musste ich Respekt zollen und vor den weissen Priestern in Demut das Haupt zu neigen. Der Lohn war mein Leben als Dienerin. Der Preis war das Besudeln meines Glaubens.
Ich habe überlebt, Rovigo, doch nun erst wird über mich Gericht gehalten. Mit dem Makel, den ich nun mit mir trage, will ich in dieser Nacht vor den Gottkönig treten und mein Leben in seine Hände legen. War der Preis, den ich zahlte, zu hoch oder war es wohl getan? Es soll richten über mein Tun. Ihm empfehle ich mich. Ihm zu folgen. Ihm zu dienen. Ihm zu Ehren.


Sonnentag der 14. Oner 16 n.H.
Es ward Gericht gehalten. Ich lebe. Und tue Busse. Drei Tage Schweigen, drei Nächte beten. Dank sei dem Gottkönig. Und Dank sei seinem schwarzen Ritter, der mir den Willen des Einen offenbart hat.

Und nun soll Schweigen herrschen.

In der erhabenen Stille einer majestätischen Halle liegt auf dem kühlen Steinboden verloren eine zusammen gekauerte Gestalt. Ihr Gesicht ist Blut besudelt. Die schlichte Robe aus grobem Wollstoff auf Bauchhöhe ebenso. Um ihre rechte Hand ist ein Stück Linnen gewickelt, durch das sich dunkelrote, sich langsam bräunlich färbende Flecken quetschen.

Quer vor ihr liegen ein Schwert und ein Dolch. Die Klinge des Schwertes geziert von dunklen Tropfen. Davor ein Dolch. Blutverschmiert.

Der Atem der Gestalt geht langsam, gleichmässig, flach. Ein seltsam tiefer Schlaf, den nur Erschöpfung bringen kann. Oder Erlösung.




Wandeltag der 17. Oner n.H.
"Sicher ist das Lamm nur unter Wölfen". Ich habe diese, deine Lehre nie verstanden, edler Rovigo. Doch wenn ich nun in diesem fremden Wappenrock in diesem fremden Haus weile, dann beginne ich sie zu begreifen. Denn der einzige Weg, den Wölfen zu entkommen, war es, sich ihnen anzuschliessen. Vor wenigen Tagen, als mein Schweigegelübde mich noch band, geschah es. Meine Antwort auf das Angebot der weissen Ritter, mich ihnen anzuschliessen, wurde abgelehnt. Die Ablehnung abgelehnt! Die Erklärung, mich ihnen solange nicht anschliessen zu können, solange die Schmach, die die beiden Bannersleut' mir haben widerfahren lassen, nicht getilgt ist, ward wortreich abgewiesen. Erst wehrte sich das Lamm noch darob. Wollte den Wölfen in ihren gelben Wappenröcken gestenreich entkommen. Doch diese begannen schon misstrauisch zu werden, die Zähne zu fletschen. Das einzige was dem Lamm also blieb war, sich den Wölfen anzuschliessen. Und der heikle Tanz, dies ohne Schwur zu tun. Denn mahnend entsann ich mich stets der Geschichte der schwarzen Dame. Allein es gelang.
So sitze ich nun hier, inmitten gelber Wölfe, die mich voll lauernder Eifersucht beschützen. Ja, sie bewahren mich vor den Bluthunden, die draussen geifernd ihre Runden drehen. Doch im nächsten Augenblick schon können sich die gelben Wölfe gegen das Lamm in ihren Reihen wenden. Oh Rovigo, dies Spiel wird zu gross für mich. Zu sagen, ich verspürte keine Furcht, wäre eine Lüge. Und ich will nicht lügen. So suchte ich alsdenn in meiner kindischen Furcht beim schwarzen Ritter Rat. Und wahrlich sein Rat war streng und mahnend: in Dankbarkeit und Demut solle ich den Wölfen weiter folgen und den Willen des Gottkönigs erfüllen. Dies als Prüfung. Und als Gunst. So will ich denn in Dankbarkeit und Demut Prüfung und Gunst annehmen. Sie entweder meistern und zu seiner Ehr' obsiegen. Oder darin fehlen und gerecht darob gerichtet werden.
So schweig denn still, närrisch furchtsames Herz.


Endtag, 20. Oner 16 n.H.
Wahrlich seltsam sind die Wege, die der Wahrhaftige mich wandeln lässt, edler Rovigo. Es ist bereits einige Tage her, seit ich vor jenen Morotai habe treten dürfen, der mir den Weg des Schweigegelübdes gewiesen hatte. Für einen Abend im Dienste des Herren entband er mich von diesem Gelübde. Und nachdem ich ihm vom Lamm inmitten der gelben Wölfe berichtet hatte, hiess er mich in Treu und Glauben diesen seltsamen Weg weiter zu gehen, das Wappen weiter zu tragen, bis ich anders geheissen werde.
Oh, wie weise war stets des schwarzen Ritters Rat und so fügte ich mich voller Demut und Vertrauen in seine Order. Ich ging zurück in die Stadt der Verderbten und ergab mich in mein gottgewolltes Schicksal unter den gelben Wölfen. Voll misstrauischer Eifersucht hatten sie mich bereits erwartet und weiter ging dies groteske Treiben im drohenden Antlitz von Scheitern und Sterben. Im steten Tanz herum um die Abgründe von Lüge, Ungehorsam und Ehrlosigkeit.
Oh, Rovigo, und nun sitze ich hier inmitten der geheiligten Halle der Stille und bete zum Allmächtigen, dass ich am heutigen Tage wohl getan habe. Dass ich den Tanz herum um die Abgründe von Lüge, Ungehorsam und Ehrlosigkeit wohl getanzt habe. Denn es war der Zyklus der Entscheidung. Die gelben Wölfe bestellten mich heute in ihre Burg um in hochnotpeinlicher Befragung in mich zu dringen. In lauernder Strenge wurde ich von ihnen befragt und bereits erwachte in mir diese bittersüsse innere Ruhe, die einen erreicht, wenn man in eine Schlacht zieht, von der man nichts anderes als den Tod erwarten kann. Doch der Gottkönig fügte es anders.
Als in mir bereits die innere Stille nahen Todes keimte, als ich mich bereits in stummem Gebet dem Nahen des Richtspruchs fügte, da zogen die gelben Wölfe sich plötzlich zurück, bedachten mich in grösstem Wohlwollen und hiessen mich aufzustehen. Ich tat es. Und dann traten sie vor mich, zogen ihre Klingen blank und verkündeten feierlich, dass sie mich im Schwur auf ihre Art in ihre Gemeinschaft aufnehmen wollen.
Oh, weh mir, gerade noch dem Todeskampf der mir misstrauisch nachjagenden Wölfe entkommen, wartete nun ein noch grässlicherer Kampf auf mich. Es war ein Kampf, der nicht zu gewinnen war. Lehnte ich in diesem Augenblick ab, dann würde nicht nur neues Misstrauen erwachen sondern ich würde auch die Order des Morotai missachten. Fügte ich mich jedoch in ihren Schwur, würde ich mich auf die Pfade begeben, vor der die Geschichte der schwarzen Dame gewarnt hatte. Oh, in diesem Augenblick begann ich zu verstehen, dass unsere Pfade der Wahrhaftigkeit immer Pfade steter Prüfung sein werden: entweder im Namen des Gottkönigs wohl tun und obsiegen oder zu fehlen und zu fallen. Alsdenn dankte ich dem Gottkönig für diese Prüfung, ergab mich in Treu und Glauben in seine Hände und wählte meinen Weg. Ich wollte schwören. Auf den Gottkönig.
So fragten mich denn die gelben Wölfe "Willst du auf die Viere schwören, ihnen stets treu dienen und ihnen folgen?" Und ich antwortete "Ich will auf meinen wahren Glauben schwören, ihm stets treu dienen und ihm folgen"
Dann fragten mich die gelben Wölfe "Willst du dem Königreich und seinem Gefolge die Treue schwören?" Und ich antwortete "Ich will meinem König und seinen Dienern die Treue schwören."
Und schliesslich fragten sie mich "Willst du der Ritterschaft die Treue schwören, auch wenn es dich in Morsans Hallen führen wird?" Und ich antwortete "Ich will Ihm dienen, auch wenn es mein Tod sein soll."
In diesem Schwur nun sollte es sich entscheiden. Würden die gelben Wölfe die wahre Bedeutung meiner Worte erkennen? Würden sie erkennen, dass ich auf 'Ihn' und nicht die 'Ritterschaft' geschworen hatte? Auf meinen Glauben und nicht auf die Viere? Auf meinen König und nicht auf ihr Königreich? Würde ich der Order des Morotai folgen können, ohne in der mahnenden Geschichte der schwarzen Dame fehl zu tun? Augenblicke troffen quälend schweigend dahin. Harren dem Tod. Harren dem Sieg.

Und es gelang.

Die gelben Wölfe vernahmen meine Worte und schon wie damals, vor dem Götzendiener, hörten sie nicht das, was wahrhaftig gesagt wurde, sondern nur das, was ihre tauben Ohren hören wollten. Ich ward aufgenommen in ihren Reihen. Der Befehl des Morotai war ausgeführt. Die Bedrohung aus der Geschichte der schwarzen Dame abgewehrt.
Und nun weile ich hier, in der geheiligten Einsamkeit dieser Halle, trunken von der erhabenen Stille gläubiger Andacht, schwelgend im Wissen um Seine segensreiche Nähe, genesend von der fiebrigen Groteske, die ich dank des Gottkönigs weise fügender Hand lebendig überstanden habe. Hier an diesem Ort schwinden Furcht und Maskerade. Hier endet die ewig wiederkehrende Hatz zwischen Jäger und Gejagtem. Hier kann ich ruh'n. Hier kann ich sein. Hier finde ich Zuflucht. Bis das grausame Spiel erneut beginnt.
Ich will nun etwas hier verweilen, Rovigo, voll süsser Dankbarkeit mich ins Gebet versenken. Und darauf hoffen, in dieser viel zu kurzen Zeit auf einige meiner Gefährten zu treffen. Vielleicht den Morotai mit seinem kostbaren Rat? Vielleicht die schwarze Dame in ihrer erhabenen Weisheit? Vielleicht den schwarzen Ritter mit all den Lehren, nach denen es mich so sehnsüchtig dürstet?
Oh Rovigo, tadle mich nicht der Schwäche, wenn ich dir hier heimlich gestehe, dass mir nach nichts so sehr der Sinn steht, wie im Rund meiner Gefährten zu sein. An ihrem Wissen, ihrer Weisheit, ihrem Rat zu lernen und zu wachsen. Viel zu kurz sind die kostbaren Momente, in denen ich bei ihnen sein darf. Ehe mich meine seltsam gewundenen Pfade wieder von ihnen nehmen. Hinaus in das kalte Spiel um Jäger und Gejagte. Hinaus in die Einsamkeit.


Wandeltag, 22. Oner 16 n.H.
Der Orkenpass und die geheiligten Lande der Stille liegen wieder hinter mir, edler Rovigo. Und mit jedem Schritt, den ich zurück in dieses grässliche Leben der Masken machen muss, lastet die Bürde des Verlustes schwerer auf mir. Die Sehnsucht nach dem, was ich wieder einmal hinter mir lassen muss. Viel zu kurz, viel zu kostbar war das Treffen mit der Morotai. Viel zu rasch verklungen ihr Rat, viel zu schnell geendet ihre Lehren. Ob ich ihre Gesellschaft vermisse? Oh ja, wahrlich das tu ich. So wie ich auch die Gesellschaft all der anderen misse. Zwischen den brüllenden Orkanen und der tobenden Gischt dieses quälenden Lebens der Masken sind mir die Zyklen im Rund der Gemeinschaft zu einem Hafen der Stille und der Klarheit geworden. Doch ach so selten sind die Momente, unter ihnen sein zu dürfen. Ich will mich nicht beklagen, edler Rovigo. Und doch ertappe ich mich immer häufiger dabei, wie ich nach einem Abend wie heute an unsere gemeinsamen Zeiten auf dem Festland zurück denke. Damals, als meine Pfade im Namen des Gottkönigs noch jung waren. Erinnerst du dich noch an all die Abende in dunkler Stille im Rund unserer Gefährten? Wie wir den kleinen Tempel im Süden für die grosse Messe vorbereiteten? Das Ritual des Erwachens für Hedren? Oder die Nacht der Tränen, als wir mit dem Blut der geweihten Götzendiener um Seinen Beistand für unseren Plan baten? Jenes seltsame Treffen, in dem wir unter der strengen Hand der Schwarzmagier einen viel zu kurzen Blick in die Mysterien der heiligen Rituale gewährt bekamen? Es waren Nächte voller Wunder, voll demütiger Andacht, voll kindlichem Staunen über eine majestätische, machtvolle Welt die wir gerade erst zu begreifen begannen. Oh, wie sehr ich sie vermisse.
Und nun bin ich hier, Rovigo, und man heisst mich Feradai. Doch ich weiss nicht einmal, was dieses Wort bedeutet. Es ist bislang nicht mehr als eine dürre Fassade, hinter deren Bedeutung ich noch nicht gedrungen bin. Was sind meine Pflichten? Was ist der Dienst, den ich zu leisten habe? Welchem Codex unterstehe ich? Welche Rituale habe ich zu tun? Welche Arbeiten in den Hallen der Gemeinschaft muss ich erfüllen? Welche Lektionen habe ich zu lernen? Ist der Befehl, in dieser Pagen-Maskerade den gelben Wölfen zu dienen, wirklich alles, was eine Feradai ausmacht?
Durch eine seltsame Fügung erfuhr ich, dass es neben der grossen Halle, die mir so kostbar geworden ist, noch einen anderen, geheimen Ort geben muss, an dem sich die Bruderschaft trifft. Doch wurde mir der Zugang verwehrt. Wieder und wieder frage ich mich, weshalb. Habe ich Fehl getan? Habe ich meine Pflichten vergessen? Weshalb verwehrt man mir ein Leben in der Gemeinschaft? Weshalb verwehrt man mir, zu lernen und zu dienen? Was habe ich getan? Doch wie häufig ich mich dies auch frage, die Antworten bleiben aus. Es ist wie ein Rätsel, ein Geheimnis, das seit meinem Schwur der Bruderschaft über mir schwebt. Ich trage wohl diesen seltsamen Titel, doch mehr als dieser Titel bin ich nicht. Weshalb? Was ist der Grund? Wo finde ich Antworten? Weshalb wandelt die Bruderschaft in dieser Isolation? Selbst vor ihren Feradai? Ich frage mich, ob diese Gemeinschaft der Abtrünnigen, vor der man mich gewarnt hat, Antworten dafür hat. Ja, ich weiss, ich soll mich von ihnen fern halten. Doch dies kann nicht der Weg sein, den der Gottkönig für mich bestimmt hat: nur ein namenloser Titel voller Fragen ohne Antworten zu sein, ohne Pflichten, ohne Weg. Oder liegt gerade darin meine Prüfung? Ist genau dies die erste Aufgabe einer Feradai? Aufzubrechen und zu suchen, anstatt zu verharren und zu warten? Ja! Rovigo! Dies muss es sein. Darin muss der Grund verborgen liegen, dass ich bislang zwar bei ihnen aber nie unter ihnen weilen durfte. Alsdenn soll nun genug des müssigen Verharrens sein. Ich will nun aufbrechen und das Mysterium zu ergründen suchen. Und der erste Schritt ist schon gewählt.


Sonnentag, 29. Oner, 16 n.H.
Ich beginne zu straucheln, edler Rovigo, ich kann es fühlen. Mein Dienst in dieser Narrenkluft der gelben Wölfe wird von Mal zu Mal schwieriger. Denn einer ihrer Leitwölfe hat Gefallen an mir gefunden. Der Allmächtige ist mein Zeuge, ich hasse ihn mit jedem Zyklus mehr, den er mir mit seinen lüsternen Blicken gegenüber steht. Ich habe versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, doch der alte Wolf ist schlau. Ich habe versucht, ihn mit der kühlen Distanz einer Untergebenen zu begegnen, doch dieser Hurenbock denkt nicht mit dem Hirn, sieht nicht mit den Augen, hört nicht mit den Ohren; allein was ihn treibt sind sein Gemächt und die verderbten Gedanken, die ihm förmlich aus den Schweinsäuglein triefen mit jedem verhassten Blick, den er auf mich legt.
Zweimal bereits besudelte er meine Ehre, zwang mir in einem Moment der Unachtsamkeit seinen stinkenden Geifer erst auf Lippen, dann auf Ohren. Beide male liess ich ihn stehen in der Hoffnung, er würde endlich seine wurstigen Finger von mir lassen. Und ich schwöre im Namen des Herren, wird er ein drittes Mal zum Sklaven seiner verderbten Gedanken, dann wird es sein Tod sein. Oh, und wenn es so weit kommt, dann werde ich mit Freuden die Strafe der Bruderschaft entgegen nehmen dafür, dass ich einen Ritter ermordet habe.



Endtag, 5. Onar, 16 n.H.
Ich halte mich immer weniger in Brandenstein auf. Zu gross ist dort die Gefahr, dem alten Hurenbock im Wappenrock der Ritterschaft über den Weg zu laufen. Statt dessen verbringe ich meine Zeit nun immer häufiger in Falkensee. Der alte Hurenbock kommt dort nie hin, denn dort gibt es keine lüsternen Hafenhuren, kein williges Fleisch unzüchtiger Weiber, keine Aussicht auf willfährige Opfer seiner zügellosen Verderbtheit.
Und gerade darin entwickelt Falkensee seinen seltsame, einsamen Reiz. Es ist still dort, denn meistens liegt es verlassen unter Felas trügerischem Schein. Kaum ein Händler verirrt sich dort hin, das Banner bleibt dem Ort fern und auch die Ritter scheinen es zu meiden, weil es dort keine dankbaren Bewunderer ihrer geckenhaften Eitelkeit gibt. Statt dessen herrscht dort Stille, in der Gedanken sich klären können. Und die heiligen Lande sind nah. So tröstlich nah.
Und in Momenten stillen Nachdenkens gestehe ich es mir ein, dass ich insgeheim die Gesellschaft von einem dieser gelben Wölfe suche. Lavid nennt man ihn und erst schien er mir eine der üblichen, verblendeten Marionetten der Lügengötzen zu sein. Doch er ist anders. So seltsam anders. Natürlich ist sein Schädel voll der Lügen, die man ihm eingebläut haben muss. Doch inmitten all dieser Lügen findet sich bei ihm ein Gebaren, dass - ich vermag es kaum nieder zu schreiben - ehrenhaft zu nennen ist.
Als ich erst wenige Tage auf der Insel weilte, da traf ich in der Schänke zu Brandenstein auf einen grauhaarigen Kämpen, der mir mit seltsamen Respekt über die Tardukai erzählt hat. Sehr viel später erst erfuhr ich, dass er ein Ritter mit Namen Steiner war. Und umso mehr verblüfften mich darob die Worte, die er damals an mich gerichtet hatte. Doch heute beginne ich diesen Ritter zu begreifen. Beginne zu hoffen, dass selbst im verderbtesten Sumpf viergöttlicher Lügen einsame Blüten von Reinheit und Ehre gedeihen können. Wenn ich des Ritter Lavids Gebaren betrachte, dann beginne ich zu hoffen, dass er einer von jenen seltenen Blüten sein könnte.


Mondtag, 6. Onar, 16 n.H.
Ich diene mittlerweile hauptsächlich Sire Lavid, verbringe meine Zeit zumeist in Falkensee. Und zum ersten Mal seit ich die Maskerade des Pagenrocks angelegt habe, wird mir der Dienst nicht zur ständigen Qual. Es liegt eine unerwartete Erleichterung darin, nicht ständig der Verderbtheit der viergöttlichen Marionetten ausgesetzt zu sein, sondern bei diesem Lavid tatsächlich Reste von Anstand und Ehre entdecken zu können.
Ein Mann ist fast immer an Lavids Seite. Man nennt ihn Sarek und er ist ein stiller, alter Kämpe mit verschlossenem Gesicht und ernsten Augen, in denen man Wunden alter Zeiten und die Patina erlebten Leides erkennen kann. Ich stehe ihm mit Argwohn entgegen, denn er scheint gleichsam schlau wie unbarmherzig zu sein. Zumal ich mir gewiss bin, dass sich Lavid nicht mit hirnlosen Laffen umgeben würde. Sarek muss gefährlich sein. Ohne Zweifel.


Mittentag, 8. Onar, 16 n.H.
Oh Rovigo, etwas furchtbares ist geschehen. Ich habe Xavier wieder getroffen! Doch ist dieser Kerl, der sich zum Diener von Intrigen und Heimtücke gewandelt hat, wirklich noch der Mann, der mir einst teuer war? So fremd schienen mir nach all der Zeit diese Augen, in denen ich einst die Hoffnung auf Ehre und Anstand gesehen habe. So verschlagen sind diese Augen nun, dass mir Angst und Bang wurde. Und so wie seiner Augen Glanz sich trübte, so mischte sich das Gift der Hinterlist in seine Worte. Oh, weh mir, edler Rovigo, Radwulf beginnt den Verlockungen aus Macht, Intrige, Hinterlist anheim zu fallen. Immer tiefer ist er in diesen Sumpf gesackt und all die Worte - in Strenge wie in Milde - die ich für ihn fand, schienen unnütz hernieder zu fallen wie einsame Regentropfen auf glühend heisse Steine. Weh mir, Rovigo, Xavier ist nicht mehr. Allein was blieb ist eine Schlange die sich Radwulf nennt. Weh mir ...


Mondtag, 11. Onar, 16 n.H.
Blut und Asche! Ich bringe diesen Sarek um! Ich schwöre bei meiner Ehre und der Wahrhaftigkeit des Allmächtigen, ich bringe ihn um! Wie kann in einem einzigen Menschen so viel Arroganz, so viel Überheblichkeit, so viel Besserwisserei liegen?! Doch ich entsinne mich deiner Worte, edler Rovigo, und versuche meinen Unmut zu zügeln, und dir zu erzählen, was sich zugetragen hat.
Im Versuch, an der Torburg zwei Wehrlose vor dem Angriff orkischen Gezüchts zu retten, nahm man mich gefangen. Ich besitze keine Erinnerungen mehr daran, doch erzählte man mir, dass man mich mehr tot als lebendig aus den schwarzen, stinkenden Klauen dieser Viecher gerettet hatte. Man erzählte mir auch, dass dieser Sarek dabei gewesen war, um mich aus der Gefangenschaft dieser Viecher zu befreien. Seltsam fürwahr, doch da es die Ehre gebietet, trat ich nach meiner Genesung vor ihn, um ihm meinen Dank zu entbieten. So, wie's sich geziemt. Doch oh! Dieser Bastard! Nichts als arroganten Hohn fand er für mich! Versuchte mir den Unterschied zwischen Ehre und Dummheit zu erläutern und am Ende führte er mich mit einem heimtückischen, wortgewandten Trick vor wie eine dumme Bauersmagd! Ich sage dir, edler Rovigo, ich werde diesem Bastard das Herz aus der Brust reissen und vor seinen sterbenden Augen daraus Rothenbuchter Eintopf kochen! Oh dieser Hundesohn!


Wandeltag, 12. Onar, 16 n.H.
Schweig still, närrischer Geist, der du mir weiss machen willst, dass Wahrheit in den Worten dieses Bastards Sarek lag. Das kann nicht sein! Das darf nicht sein!


Mittentag, 13. Onar, 16 n.H.
Widerwillig habe ich den Zorn über diesen eitlen Geck nieder gerungen und mir ebenso widerwillig eingestehen müssen, dass er mit der bitteren Lektion, die er mir erteilt hat, Recht gehabt hat. Natürlich wird er das nie erfahren, denn das würde diesen grässlichen Kerl nur noch mehr in seiner Arroganz bestärken. Doch ich gestehe mir nun ein, dass seine Worte weise waren. Und niemand ist darüber mehr verblüfft als ich. Denn mit grösstem Widerwillen beginne ich mir einzugestehen, dass auch in diesem Mann vielleicht Reste von Anstand und Ehre verborgen liegen könnten. Natürlich tief vergraben inmitten von Schuttbergen aus Lüge und Trunksucht. Doch etwas ist seltsam an diesem Mann. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto seltsamer wird es.
So grüsst er zum einen nie im Namen der Viere. Ich habe es erst nicht bemerkt, doch er tut es tatsächlich nie. Natürlich bringt er den Götzendienern den gebotenen Respekt entgegen, doch scheint dies nicht dem verblendeten, hirnlosen Fanatismus zu entspringen wie bei all den anderen. Auch rezitiert er nie die leeren Floskeln falschen Glaubens daher, um ehrloses Tun mit einem dürren Feigenblatt zu verdecken, so wie es all die anderen immer tun.
Und wahrlich, es besteht auch selten Anlass dazu. Denn in all seiner Einsamkeit und seiner Verbitterung scheint mir sein Tun doch auf eine seltsame Art ehrenhaft zu sein.
Dann erstaunt mich noch sein Gebaren gegenüber den Schlangen des Lehensbanners. So wie Sire Lavid auch scheint er diesen korrupten, ehrlosen Schergen keinen wirklichen Respekt entgegen zu bringen. Natürlich lässt er sich dies nicht anmerken und ich habe es selbst erst durchschaut, als ich ihn aufmerksam beobachtet habe.
Und so scheint er auf eine merkwürdige Art selbst inmitten der Seinen stets ein Einzelgänger, ein Aussenseiter zu bleiben. Als ob er nicht den ausgetretenen Pfaden aus Machtgier, Irrglaube und hirnlos daher rezitierten Lügen folgen würde, sondern eigenen, stillen, geheimen Pfaden, die ihren Ursprung in alten Wunden, alten Zeiten haben müssen. Manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlt, wird sein Blick leer und ernst und er scheint weit fort in fernen Gefilden, an fremden Gestaden zu weilen. Ich frage mich, was ihm widerfahren sein mag. Doch was immer es auch war, es scheint ihm in gleichem Masse Einsicht und Bürde gegeben zu haben. So wie aus jeder Einsicht Bürde erwächst.


Endtag, 15. Onar, 16 n.H.
Radwulf treibt sich immer häufiger in Falkensee herum. Ich versuche ihm aus dem Weg zu gehen, doch er ist aufdringlich wie ein räudiger Köter. Immer eindringlicher versucht er mir sein Gift aus Hinterlist und Intrigen ins Ohr zu träufeln. Dieser Bastard hat gar behauptet, dass die Tardukai sein Tun gut heisst und ihn darin bestärkt! Diese Lüge! Die Tardukai wird ihm dafür die Zunge aus dem verderbten Hals reissen! Wie kann er nur einen Augenblick annehmen, dass ich ihm diese Lügen glauben werde! Die Tardukai - Manifestation aus Ehre und Wahrheit auf Taren, Treueste der Treuen - sie soll das Tun dieses intriganten Bastards gut heissen?! Niemals!
Radwulf hat sich heute versucht, bei Sarek anzubiedern. Doch im schlangenhaften Glitzern seiner Schweinsäuglein erkannte ich Radwulfs wahre Absichten. Sarek ist mir in der letzten Zeit auf eine seltsam verhasste Art ein Vertrauter geworden, also habe ich ihn vor Radwulf gewarnt. Er nahm es mit der ihm eigenen, üblichen Distanziertheit entgegen und verzierte das ganze mit einer seiner üblichen Sticheleien. Oh wie sehr ich mir manchmal wünschte, diesem Gecken den eitlen Kamm zu stutzen. Doch dann, nur Momente später, tut er dann wieder Dinge, die tatsächlich voller Ehre sind. Und immer mehr komme ich zur Überzeugung, dass dieser Sarek auf eigenen, seltsamen Pfaden wandelt. Abseits von Kirche, Lehen und selbst Ritterschaft. Er scheint seine Gefährten mit grösstem Bedacht zu wählen, scheint alles und jeden zu hinterfragen und ihn anhand seiner eigenen Regeln und Werte aus Anstand und Ehre zu prüfen. Und wer diese Prüfung nicht besteht, dem bringt er eine Fassade aus Höflichkeit entgegen, hinter der sich aber gänzlich ohne Zweifel Ablehnung verbirgt. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich vor seinem mir unbekannten Codex aus Ehre und Anstand bestehen möge.


Wandeltag, 17. Onar, 16 n.H.
Weh mir, Rovigo! War ich so verblendet? Oder ist die ganze Welt um mich herum verblendet?! Radwulf hatte recht! Die Tardukai heisst sein ehrloses Tun tatsächlich gut! Wie kann das sein! Oh, Rovigo, ich bin völlig verloren inmitten tausend Fragen ohne Antwort! Wie kann das zusammen gehen mit allem, was man mich über Ehre und Anstand gelehrt hat?! Wie kann man sich so einer hinterlisten Schlange wie Radwulf bedienen, ohne sich in diesem Tun zu besudeln?! Wohl wird es eine Erklärung geben, denn die Tardukai würde niemals etwas tun, das ohne Ehre ist. Und doch gebe ich zu, dass ich verzweifelt um diese Erklärung ringe und sie mir bisher versagt geblieben ist. Wie kann man treu den Pfaden der Ehre folgen und sich dennoch der Dienste eines räudigen Bastards wie Radwulf bedienen?!


Mittentag, 18. Onar, 16. n.H.
Ich wurde geprüft. Und ich habe bestanden. Knapp und nicht ohne Makel. Zu sehr habe ich mich im ersten Moment von Jähzorn und Hass leiten lassen und beinahe hätte ich inmitten verblendeten Zorns das schlimmste getan, was eine treue Dienerin der Bruderschaft tun kann: die Ehre zu vergessen. Doch der alte Hurenbock von Ritter lebt, das Gift wurde nie in die Phiole gelassen. Ich habe mich dem Auftrag entsagt und in der Zurückweisung des Befehls des Tardukai meine Prüfung gemeistert. Dank sei dem Allmächtigen für diese Prüfung. Und Dank für die Gunst, sie bestehen zu dürfen.


Endtag, 20. Onar, 16 n.H.
Radwulfs Treiben wird immer ärger. Und immer weniger verstehe ich es, wie die Tardukai dies Treiben gut heissen kann. Radwulfs wahnsinniger Taumel im Geifern nach Macht hat nun selbst mich erreicht und er beginnt, Gift und Lüge gegen mich zu verbreiten. Wahrlich, ich wünschte, ich könnte ihm das Herz aus der Brust schneiden, doch der Befehl der Tardukai war eindeutig. Ich soll Radwulf wirken lassen und ihm aus dem Weg gehen. Ha! Aus dem Weg gehen? Wie denn, wenn dieser Bastard mir auf Schritt und Tritt nachstellt wie ein räudiger Köter um mich zu verhöhnen und sein Gift zu versprühen! Immer häufiger erhalte ich nun Kunde, wie er meinen Namen besudelt. Bei den Vendells, diesem Abschaum den er nun Freunde heisst; beim Banner, bei dem er sich nun lieb Kind macht; an der Akademie, wo er Gift in aller Ohren träufelt. Wie lange soll dies Treiben nun noch gehen, edler Rovigo! Warum lässt die Tardukai zu, dass dieser Bastard meinen Namen beschmutzt; mich und die Bruderschaft durch seine Lügen in Gefahr bringt? Warum nur? Warum?!


Wandeltag, 22. Onar, 16 n.H.
Was niemals hätte geschehen dürfen, ist geschehen. Oh Rovigo, ist dies der Beginn meines Untergangs? Oder ist es jener Pfad, den Morotai Malith mich mit vorgehaltenem Schwert gelehrt hat? Sollte der Morotai am Ende doch Recht behalten in seinen Worten über die Kostbarkeit der wahren Liebe? Wie sehr bete ich darum, dass des Morotai Worte wahr sind. Denn wenn sie es nicht sind, wird meine Entscheidung, mir Sarek als Gefährten zu erwählen, mein Untergang sein. Und Sareks.


Sonnentag, 24. Onar, 16 n.H.
Es ist vorbei! Oh, edler Rovigo, endlich ist es vorbei! Nach all den Tagen und Nächten schwer getrag'ner Last habe ich heute das Narrenkostüm der Ritterschaft ablegen dürfen! Die Order der Tardukai war ebenso schlicht wie kostbar: es wurde mir gestattet, den Dienst bei der Ritterschaft aufzugeben. Und mit wieviel Freude kam ich diesem Befehl nach!
Der Weg war einfach: ein Gespräch mit dem Götzendiener der Hure, um alles vorzubereiten. Und dann das Gespräch mit dem gelbgewandeten Hurenbock der Ritterschaft. Die Erklärung, dass mich die Worte des Hochgeweihten dazu gebracht haben, waren ihm genug. Die Erklärung, dass ich fürderhin nur noch dem Glauben dienen will, nahm er sogar mit einer gewissen Genugtuung hin. Dieser Bastard! Dieser Hurenbock! Oh wenn er doch nur wüsste, wie gerne ich ihm das Gemächt abgeschnitten und es den räudigen Strassenkötern zum Frass vorgeworfen hätte. Doch er wird es nie erfahren. Er entliess mich aus den Diensten der Ritterschaft. Und nun bin ich frei. FREI!


Wandeltag, 27. Onar, 16 n.H.
Mit jedem Mal den ich ihm begegne, wird es schwerer, ihn nicht zu töten. Radwulf. Dieser Hurensohn brüstet sich nun schon mit all den Huren, die er sich in Brandenstein willfährig gemacht hat, um ihm auf seinem Weg der Intrige und Heimtücke dienlich zu sein. Und immer ärger verbreitet er Hetze und Lüge über mich. Ich spüre, wie sich der Strick um meinen Hals enger legt und auf dem Strick steht auf jeder einzelnen Windung der Seile der Name "Radwulf". Ich habe versucht, Rat bei der Tardukai zu finden, doch sie scheint in wichtigen Missionen fort gereist zu sein. Und so bleibt mir denn nichts weiter, als voll von kaltem Hass schweigend untätig dem Treiben Radwulfs zuzusehen. Denn nichts wird mich dazu bringen, den Befehl der Tardukai zu missachten. Ich muss Radwulf in Ruhe lassen. Selbst in all seinem Ränkespiel gegen mich. Ist dies eine Prüfung, die die Tardukai mir auferlegt hat? Wenn es so ist, dann ist es die schwerste bislang.


Mittentag, 28. Onar 16 n.H.
Oh wie bittersüss ist doch der Trunk aus dem Schierlingsbecher der Liebe. Süss die kostbaren Momente der Vertrautheit. Bitter die Erkenntnis, dass dereinst der Tag kommen kann, in dem ich meinem Gefährten auf dem Schlachtfeld gegenüber stehen werde und sein Leben nehmen muss.
Wandler zwischen den Welten bin ich geworden, gefangen im verzweifelten Kampf, nicht im grotesken Tanz auf grässlich schmalem Grat zu straucheln. Gefangen zwischen meiner Heimat im Schoss der Wahrhaftigkeit Angamons und zwischen jenen unbekannten Gefilden reiner Liebe. Ein Tanz des Wahnsinns, dessen jähes, schreckliches Ende heute schon geschrieben steht. Und doch kann ich diesem grässlichen, wundervollen Tanz auf schmalen Grat nicht mehr entfliehen. Und so gewiss ich mir meiner Liebe zu Sarek bin, so gewiss bin ich mir, dass ich sein Leben nehmen werde, so es dereinst der Wille Angamons ist. Nun erst beginne ich die Geschichte der Tardukai zu verstehen. Nun erst vermag ich zu ahnen, welche Bürde sie auf ihren Schultern trägt. Nun erst beginne ich zu begreifen, dass alleine sie diesen furchtbaren Tanz nur allzu gut verstehen wird. Denn sie ist ihn einst selbst getanzt. Ob sie mir Rat weiss? Wegleitung? Wer sonst, wenn nicht sie?


Endtag, 30. Onar, 16 n.H.
Sarek hat den Bund der Tapferen wieder zum Leben erweckt. Ich beginne zu ahnen, dass er es aufgrund unseres Disputes getan hat. Ich vermag es selbst nicht zu erklären, warum ich ihn darum gedrängt habe. Vielleicht weil ich mir insgeheim wünsche, dass dieser seltsame, einsame Pfad, den Sarek geht, noch weitere Wanderer finden wird? Vielleicht weil ich mir erhoffe, dass Sarek zu jenen gehört, die, trotzdem sie im grellen Licht der Lüge wandeln, ihr nicht verfallen sind? Ich hoffe, dass man Drängen wohl getan war. Und dass die Auferstehung des Bundes weitere Seelen auf den Pfad führen wird, den Sarek geht. Denn auch er scheint ein Wandler zwischen den Welten zu sein.


Sonnentag, 4. Duler, 16 n.H.
Der Bund ist geschmiedet. Der erste Schritt auf langem Pfad ist getan. Ich bin Dienerin. Ich bin Schülerin. Dank sei dem Allmächtigen und Ehre sei dem Fürsten.


Endtag, 25. Duler, 16. n.H.
Oh welch ein Narr war ich doch! Habe ich jemals geschrieben, dass ich Sarek liebe?! Narretei! Seit der gestrigen Nacht, als ich im Tempel von Angamons Macht habe kosten dürfen, scheint es mir, als ob ich endlich aufgewacht wäre. Oh Rovigo, ich spüre unbändige Kraft in mir. Das herrliche pulsieren unbezwingbarer Überzeugung. Die erlösende Genugtuung, dass ich Werkzeug, Schwertarm der Wahrhaftigkeit sein darf. Das köstliche Schwelgen in den Traumbildern geschlachteter Ketzer. Die Vorstellung, wie ich ihnen die Herzen aus den noch warmen, zuckenden Leibern reisse, um sie vor ihre brechenden Augen zu halten. Oh, wie köstlich dieser Labsal gesegneter Träume doch ist. Wie süss das Sehnen mit dem Schwert Seinen Willen erfüllen zu dürfen. Ihre bleichen Knochen sollen brechen, ihr Gedärm soll die Gründe ihrer verderbten Gefilde besudeln. Ich will ihr Fleisch schmatzen hören, wenn meine Klinge sie schlachtet wie krankes Vieh. Ich will sie lehren, dem Willen des Allmächtigen und der Glorie des Fürsten niemals wieder zu trotzen! Des Wahrhaftigen gerechter Zorn soll über sie kommen und sie sollen weinen und wehklagen, wenn er ihnen in einem letzten Akt der Gnade die wertlosen Leben nimmt. Oh Rovigo, hinaus, hinaus will ich nun gehen, denn meine Klinge dürstet nach Ketzerblut! Lobpreis sei der Glorie des Allmächtigen! Ewige Ehr' dem siegreichen Fürsten!


Wandeltag, 2. Dular, 16 n.H.
Blut und Asche! Wie konnte mir nur ein derart lächerlicher Fehler unterlaufen! Ich hatte Radwulfs Leben schon in meiner Hand; bereit sein zuckendes Herz zu zerquetschen, es für immer zum verstummen zu bringen! Und dann kam der Ruf der Tardukai! Welchen Unterschied macht es, ob er die Waffe nun in der Hand oder am Gürtel hatte?! Er hat den Tod verdient. DEN TOD! Ich will sein Blut von meinen Händen triefen sehen! Ich will ihm die vergiftete Zunge aus dem Hals reissen und sie den Hunden zum Frass vorwerfen! Ich will das Blut aus seinen Adern rinnen sehen, sehen wie es das lächerliche Grün der Auen tränkt! Sterben soll er! Sterben!


Mittentag, 8. Dular, 16 n.H.
Müde, bin so müde, Rovigo. Kraft verlässt mich. Köstliche Kraft. Nur graue Leere bleibt. Oh wo schwindet sie hin, diese köstliche Kraft, diese segensreiche Überzeugung. Nein, nein ... nicht fort ... noch nicht ... Tag um Tag wird es schwächer ... werde ich matter ... So müde ... so müde ... müde ..


Endtag, 10. Dular, 16 n.H.
Die Kraft kehrt langsam zurück, edler Rovigo, und doch bleibt eine bittere Leere zurück. Die vergangenen Tage scheinen mir wir ein verschwommener Traum. Und die Gedanken daran wandeln zwischen dunkler Sehnsucht nach dieser köstlichen Macht und einer närrischen Furcht vor dem, was ich tat. Oh weh mir, Rovigo, wie sehr wünschte ich mir, wieder von dieser unbezwingbaren Kraft kosten zu dürfen. So gross das Sehnen. So bitter die Leere.


Mondtag, 11. Dular, 16 n.H.
Ich habe einen Schüler gerichtet. Ich habe Darn gerichtet. Er ist gestrauchelt auf seinen Pfaden. Und dafür wurde er gerichtet. Doch an meinen Händen klebt viel mehr als nur sein Blut. An meinen Händen klebt die Wahrheit, die ich in seinen letzten Worten erkannt habe. Und wenn ich nun auf seinen aufgebahrten Leichnam blicke, dann erkenne ich den Pfad vor mir. So klar die Entscheidung zwischen den Worten des Morotai Malith und den Worten des Morotai Lunal. Die Wahl zwischen beiden Lehren ist gefällt worden. Ich werde Sarek verlassen um den köstlichen, dunklen Träumen folgen, die mich seit jener Nacht im Tempel nicht mehr los gelassen haben. Klarheit. Endlich Klarheit.


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 Betreff des Beitrags: Schattenklinge
BeitragVerfasst: 25.01.09, 17:10 
Einsiedler
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Registriert: 25.01.09, 04:49
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Schattenklinge



Erzähle uns eine Geschichte, Grossvater!"
"Ja! Von Helden und Schurken."
"Und von Kriegern und Schwertern und auch von Magie!"

"All dies zugleich? Ah, weh mir, ihr kleinen Dämonen. Dann lasst mich euch von einer Klinge erzählen, in deren eherner Seele sich Licht und Schatten auf's unheilvollste vereint hatten. Wie jeder weiss, erzählen alle meine Geschichten nichts anderes als die Wahrheit. Und diese hier besonders. Denn es ist die Geschichte der Schattenklinge...



Weit entfernt von hier, im Herzen eines Gebirges, das so düster und gewaltig war, dass manche es den "Grat der Dunkelheit" nannten, gab es einst eine Binge der Zwerge. Tapfer und aufrecht lebten und wirkten die Zwerge dort und mit ihren Händen und ihren Herzen schufen sie Waffen und Rüstungen, wie kein sterbliches Auge sie je zuvor gesehen hatte. Stark und machtvoll waren sie, gerade so wie es auch das Wesen der Dwarschim ist. Denn was die Dwarschim erschaffen, erschaffen sie für die Ewigkeit.
Über Wiesen und Auen, Seen und Berge verbreitete sich die Kunde über das Wirken der Dwarschim und bald schon erreichte sie auch eine ferne Stadt, einen fernen Tempel der Vier Götter. Ein Streiter Bellums, nicht minder stark und aufrecht wie die Dwarschim selber, vernahm die Kunde und beschied, dass nur jene ihm ein Schwert schaffen konnten, das seiner Berufung, den Willen Bellums zu vollziehen, gerecht werden konnte. So zog er denn aus und bat die Dwarschim um ein Schwert, wie es nie zuvor eins gegeben hatte. In seiner Seele sollte all der Glaube, all die Stärke, all die Weisheit liegen, die auch im Herzen seines Herren lag. Und die Dwarschim willigten ein.
Ungezählt sind die Mondenläufe, in denen die Dwarschim tief im Herzen ihrer Binge ein Schwert schufen, das auf Tare's Antlitz nicht seinesgleichen hatte. Voll Ehre und Treue, Weisheit und Glaube war seine Seele und vier magische Runen - eingelassen in den blanken Stahl seiner Klinge - zeugten von seiner Macht.
Und weil der Streiter Bellums in der Klinge eine treue Freundin erkannte, die ihn auf seinen Wegen des Glaubens und der Ehre stets begleiten würde, schenkte er ihr einen Namen. Und dieser Name war "Sala" - Gefährtin.

Ruhmreich und ehrenvoll waren die Wege des Streiters und Sala war stets treu an seiner Seite. Bis zu jenem Tag im Triar, als sich in einem einzigen Augenblick das Muster im Webstuhl des Schicksals veränderte. Der Streiter Bellums fiel in einem Kampf gegen dunklen Klingen und seltsame Mächte. Es hätte nicht viel gefehlt und Galtor hätte ihn in Morsans Reich geführt. Und vielleicht wäre dies auch das beste gewesen. Doch seltsam ist mitunter der Wille der Götter, und unergründlich. Der Streiter Bellums überlebte. Gerettet und gepflegt von den Händen einer Frau, einer einsamen Kriegerin. Der Streiter Bellums genas und im Dank an die Viere und die fremde Frau beschied er, dass nichts minderes als Sala selbst sein Dank sein sollte. Und so gab er Sala hin in die Hände dieser einsamen Kriegerin. Und sie nahm sie.

Weit fort führte die Kriegerin die treue Klinge Sala. Fort aus der Stadt und fort aus dem Licht. Tief hinein ins Herz der Dunkelheit, wo es nur einen Herrscher gibt: Angamon. Denn die Kriegerin war eine Dienerin des Namenlosen. Und sie tat, was sie tun musste. Sie übergab die Klinge in die Hände von Angamons heiliger Bruderschaft, Raziels dunkler Paladine. Und jene, die unter ihnen die höchste war, Sakai geheissen, erkannte die Macht, die in der Klinge ruhte. Und sie erkannte die Möglichkeit, diese Macht zu nutzen. Grausame Schwärze hüllte sich über den Ort, als die Sakai die Klinge nahm und im Wirken ungenannter Rituale, im Weben unbeschreiblicher Macht und im Herbeirufen Angamons finsterster Kraft die Seele der treuen Sala zerbrach und sie neu formte. All die Stärke und die Macht Sala's blieben als leere Hülle zurück und wurden von der Sakai mit Angamons dunkler Glut aus Hass und Verderben gefüllt. Salas Seele war verloren. Nur noch ihre Hülle aus Stärke und Macht war zurück geblieben, dazu verdammt, nun Angamons grässliche Saat zu tragen. Und vor Qual und Trauer begannen die vier Runen, die die Zwerge in die Klinge geprägt hatten, fortan mahnend blau zu schimmern. Und als der Sakai Tun vollendet war, da nahm sie der Klinge selbst den Namen. Aus dem Schwert des Lichts wurde das Schwert der Schatten. Aus Sala wurde Njuvel'sala. Njuvel'sala - die treulose Gefährtin.

Doch trügerisch ist Angamons Macht. Denn Njuvel'sala erhielt nebst des Ungenannten Macht auch einen eigenen Willen. Heimtückisch und verschlagen wurde sie. Und in ihrer Verblendung masste sich Njuvel'sala an, nicht mehr nur Werkzeug zu sein für ihren Herren, sondern Lehrer. Und Richter. Die Klinge begann, sich ihre Herren selbst zu erwählen und wer immer sie nahm, nahm die Bürde von Njuvel'salas Prüfung und Lehre auf sich.

Sieben Herren hatte sich Njuvel'sala nach jener unheilvollen Nacht erwählt. Und vier davon starben. Sie hatten in der Prüfung der Klinge versagt: zu wenig hatten sie auf sie vertraut. Oder zu viel. Zu früh hatten sie sie los gelassen. Oder zu spät. Njuvel'sala's Seele dunkler Macht kannte keine Gnade. Vier verfielen dieser Macht. Vier starben. Nur drei überlebten.
Ein jedes Mal, wenn Njuvel'sala sich von einem ihrer Herren trennte, da nahm sie mit sich etwas von der geheimsten Schwäche ihres einstigen Herren. So wuchs Njuvel'sala, mehrte ihr düsteres Wissen, ihre schattengleiche Macht.
Doch wann immer das dunkle Schwert einen Träger hinter sich liess, stets fand sie den Weg zurück in die Hände der Kriegerin, die sie einst von jenem Streiter Bellums als Geschenk erhalten hatte. Auch die Kriegerin wuchs und reifte in all dieser Zeit. Dunkel wurde ihre Macht und unwiderstehliche ihre Stärke. Doch in all ihrem düsteren Wirken, in all ihrer Macht vergass die Kriegerin niemals die Gefahr, die in Njuvel'sala's dunkler Seele ruhte. Die Kriegerin berührte die Klinge niemals mit der blossen Hand. So überlebte sie. So wurde sie zu Njuvel'salas Hüterin.

Nach der Prüfung der sieben blieb Njuvel'sala lange in den Händen ihrer Hüterin. Wohl verborgen, wohl gehütet. Doch niemals hörte Njuvel'sala auf zu lauern, zu harren. Und schliesslich fand Njuvel'sala, worauf sie so lange gewartet hatte. Die achte Kriegerin.
Nichts weiter als ein Schatten ihrer selbst war diese achte Kriegerin, als sie in Njuvel'salas dunkles Bewusstsein rückte. Gepeinigt war sie an Leib und am Geist. Dem Tode näher als dem Leben. Dem Wahnsinn näher als der Erkenntnis. Vielleicht hatte Njuvel'sala sie erwählt, um ihr letzte Chance zu sein. Oder letztes Verderben.
Die achte Kriegerin zögerte lange - gefangen zwischen Momenten aus Klarheit und Wahnsinn - und schliesslich nahm sie Njuvel'sala aus den Händen der Hüterin an.

Die achte Kriegerin ahnte nicht, wie sich der Webstuhl des Schicksals in diesem Augenblick verändern sollte. Niemand ahnte das.


Aber dies, meine kleinen Dämonen, ist eine andere Geschichte ...



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 Betreff des Beitrags: Schattenweberin
BeitragVerfasst: 25.01.09, 17:12 
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Schattenweberin



Erzähle uns von der Schattenklinge, Grossvater!"
"Ja, und von der achten Kriegerin!"
"Und von Dämonen und Kriegen und Magiern und Adligen und Nortraven und Schiffen und Mondamuletten und ..."
"Nein, halt! Du bist ja närrisch, das kann er doch gar nicht alles auf einmal!"
"Ich bin überhaupt nicht närrisch!"
"Wohl b..."

"Hoo, haltet ein, kleine Dämonen. Ich will euch erzählen wie alles begann. Als die Schattenklinge ihre achte Herrin erwählte. Obwohl alles eigentlich schon viel früher begonnen hatte. Denn als die Schattenklinge ihre Wahl traf, befand sich der Faden der achten Kriegerin auf dem Webstuhl des Schicksals fast schon am Ende. Aber nur fast ..."



Die Götter gaben uns ein Geschenk, das uns Privileg und Bürde zugleich ist. Das Geschenk, wählen zu können. Entscheiden zu können über unser Leben, unser Tun, unseren Pfad. Links oder rechts. Wachsen oder vergehen. Gut oder Böse. Sie liessen uns die Wahl. Es ist an uns, die Waagschale in die eine oder die andere Richtung zu neigen. Denn wir bergen in uns beides: Licht und Schatten.
Und gerade so war es auch bei der achten Kriegerin. Sie war nicht von Anfang an dem Dunkel verfallen. Im Licht begann sie ihr Leben und beinahe hätte sich ihre Waagschale auch auf die Seite des Lichts geneigt. Doch wie so häufig bei uns allen wurde auch ihr eine Prüfung auferlegt. Grausam war sie und zu gross für sie. Denn sie verzweifelte daran. Aus Trauer wurde Verzweiflung. Aus Verzweiflung wurde Bitterkeit. Aus Bitterkeit wurde Hass. So schlängelte sich ihr Pfad immer tiefer hinein in jene Schattenlande, aus denen Angamon sich seine Diener holt.
Doch nicht alles in ihr war dunkel. Tief in ihr ruhte ein letzter Funke verblassenden Lichts, der sich verzweifelt gegen das Verderben wehrte. Und fast hätte der Funke seinen verzweifelten Kampf gewonnen, denn in dem seltsamen Geflecht auf dem Webstuhl des Schicksals wurde der achten Kriegerin ein kostbares Geschenk zuteil: ihr wurde Liebe geschenkt. Grausam tobte fortan in ihr der Kampf zwischen Licht und Schatten, Liebe und Hass. Es stand auf Messers Schneide. Jeder vage Hauch des Schicksals konnte die Wendung bringen. In einem einzigen Augenblick könnte sie die Rettung im Licht finden oder auf ewig dem Dunkel verfallen. Niemand würde ihr diese Entscheidung abnehmen können. Niemand hätte es gedurft. Und doch tat es einer. Einer versuchte, an ihrer Statt die Waagschale in eine Richtung zu neigen. Und daran zerbrach sie.
Jener, den sie über alles liebte, hinterging sie und versuchte sie in einem einzigen, verzweifelten Schlag von allem zu befreien, das Dunkel in ihr war. Sein Ansinnen war ehrbar und gut, denn er liebte sie aus reinstem Herzen. Und doch war es gerade dieses Tun, das die achte Kriegerin endgültig ins Dunkel treiben sollte. Bitter ist das Schicksal mitunter und voller Ironie.

Qualvoll lange Nächte hielt er sie gefangen wie ein Tier und niemanden schmerzte dies mehr als ihn. Er wusste, dass seine Möglichkeiten begrenzt waren und so holte er sich in seinem Tun einen mächtigen Verbündeten: einen Erzgeweihten jenes Gottes, der die achte Kriegerin vor vielen Dunkeltiefs vor ihre erste und grösste Prüfung gestellt hatte. Vielleicht war es gerade diese Wahl, die das Schicksal der achten Kriegerin endgültig besiegeln sollte. Denn sie versuchten ihr eben jene Lehren aufzuzwingen, an denen sie vor vielen Dunkeltiefs bereits verzweifelt war. Endlos, immer und immer wieder, versuchten sie der achten Kriegerin mit Bellums Lehren das Dunkel auszutreiben. Mit Strenge und Milde, mit Härte und Sanftmut versuchten sie es. Doch eines Menschen Pfad kann nicht gewaltsam bestimmt werden. Und so bäumte sich die gepeinigte Seele der achten Kriegerin auf, wehrte sich gegen Gefangenschaft und die Mittel ihrer Kerkermeister. Hass und Trotz loderten in archaischer Wildheit in ihr auf, genährt durch die Gefangenschaft und die Versuche, ihr die Lehren Bellums gewaltsam aufzuzwingen. Und dann tat ihre Seele das selbe wie ein wildes Tier, das man in die Enge treibt: sie wehrte sich.

Erst verweigerte sich ihr Leib. Und dann verweigerte sich ihr Geist. So wie ihr Leib Brot und Wasser mied, so mied ihr Geist fortan die Realität. Immer weiter zog sie sich in sich zurück. Immer dann, wenn man ihr Bellums Lehren aufzwingen wollte, tauchte sie hinab in die düsteren Tiefen ihrer gepeinigten Seele und lauschte den tröstlich säuselnden Stimmen der Schatten in sich; den Lehren Angamons, die ihr in ihrer Verzweiflung zum letzten, grässlichen Rettungsanker geworden waren. So begann sie schliesslich dem Wahnsinn zu verfallen. Vielleicht wäre sie in dieser düsteren, fensterlosen Zelle gestorben. Und vielleicht wäre dies auch das beste gewesen. Doch das seltsame Geflecht auf dem Webstuhl des Schicksals gönnte ihr diese Erlösung nicht.
Niemand der dem Namenlosen einmal gedient hat, entkommt ihm jemals wieder. Und so waren die Diener der Schatten nicht untätig geblieben. Im Verborgenen hatten sie sich vereint und ihre dunklen Fäden gesponnen, um Angamon's verlorene Dienerin zurück zu holen. Und so kamen sie eines Nachts. Mit Schwert und Magie und des Namenlosen düsterer Macht. Klingelndes Metall und wispernde Schattenmagie sangen ihre düstere Symphonie, als Angamon's Dienerin, die achte Kriegerin, zurück in die Schattenlande geholt wurde.

Seltsam windet sich der Faden des Lebens auf dem Webstuhl des Schicksals. Denn bevor die achte Kriegerin von Njuvel'sala erwählt wurde, führte der Faden ihres Lebens sie nach ihrer Befreiung zu drei Seelen, die sich auf seltsame Art Freund und Feind zugleich waren: der dunkle Paladin, die Schattenweberin, die Hüterin. Jene drei waren es, die die achte Kriegerin heraus aus dem Labyrinth des Wahnsinns führten. Und hinein ins ewige Dunkel.


"Aber dies, meine kleinen Dämonen, ist eine andere Geschichte ..."



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 Betreff des Beitrags: Schattenbund
BeitragVerfasst: 25.01.09, 17:14 
Einsiedler
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Schattenbund



"Erzähle uns von dem dunklen Paladin, Grossvater!"
"Nein, von der Schattenweberin!"
"Oh nein, von der Hüterin!"
"Nein, nein, ihr seid ja närrisch, die Geschichte über die Schattenweberin ist sicher am besten!"
"Ich bin überhaupt nicht närrisch!"

"Hoo, ihr kleinen Dämonen. Ich werde euch etwas über alle drei erzählen. Denn in der Geschichte der Schattenklinge sind sie alle drei verbunden. Auch wenn das damals keiner wahrhaben wollte ..."



In jener Nacht, als die Diener Angamons in die Kerker der Inquisition eingebrochen waren um die achte Kriegerin zu holen, fanden sie dort nichts weiter als den verblassenden Schatten einer dem Wahnsinn verfallenen Seele vor. Es stand auf Messers Schneide, denn keiner wusste, ob sie den schmalen Grat, den das Leben vom Vergehen trennt, nicht schon überschritten hatte. Aber so verblendet, wie die Diener des Namenlosen dem Dunkel folgen, so unbeirrbar sind sie auch in ihrem Tun. Also nahmen sie sie mit. Und als das Werk getan war, da blieben drei von ihnen bei der achten Kriegerin zurück.

Sie waren drei. Und sie waren einander Feind und Freund zugleich. Einer seltsamen Allegorie gleich entstammte jeder der Drei einer anderen Gemeinschaft. Drei Gemeinschaften, drei Wege, drei Mächte. Vereint nur durch dies eine Band: Angamon. Doch war dies Band genug? Lauerndes Misstrauen waberte zwischen den drei Mächten und so war es auch zwischen diesen drei Seelen:

Da war der Dunkle Paladin - Inkarnation dunkler Macht, Treuester der Treuen, Glaube, Codex, Ehre, Loyalität. Düstere Klüfte längst vergangener Tage lagen zwischen seiner Bruderschaft und den anderen beiden Mächten. Denn niemand schmäht den Namen des Fürsten Raziel ohne den Preis dafür zu zahlen. Und der Preis dafür war Isolation.

Da war die Schattenweberin - lächerlich gebrechliches Gefäss vergänglicher Sterblichkeit das in sich unbeschreibliche Kräfte barg. Arrogantes Streben nach mehr und immer mehr Macht, Paktierer des Allmächtigen, Weber seiner dunklen Kräfte, Schwarzmagier. Unwiderstehlich war die Macht dieser Magier. Und sie wussten es. Aus dem Wissen über ihre Macht wuchs Arroganz. Und aus Arroganz erwuchs Isolation.

Und da war die Hüterin - Kriegerin, Dämonenblut, Stärke oder Tod, Schild der Schatten, Dracon. Ihre Gemeinschaft war die dunkle Klinge eines Assassinen, dem der Tod des Opfers und der Sieg der Sache über die Wahl der Mittel geht. Unbeirrbar ihr Streben nach Stärke und dem Sieg des Namenlosen. Die Wahl der Mittel? Einerlei. Und aus der Wahl ihrer Mittel erwuchs Isolation.

Sie waren Drei. Herz und Geist und Hand. Bruderschaft, Magier, Schild der Schatten. Miteinander verwoben in Angamons groteskem Geflecht der Nacht. Entzweit in ihren menschlichen Schwächen.

Man sagt, dass im Licht der Vergangenheit die Konturen der Gegenwart ihre Schatten in die Zukunft werfen. Vielleicht waren die Drei eine Allegorie dieser Weisheit. Und vielleicht war es ihnen nur deshalb möglich, die achte Kriegerin aus dem Labyrinth des Wahnsinns zu führen.

Lange und qualvoll war der Weg der achten Kriegerin und er begann in der Gegenwart. Mit dem Geist der Düsternis, der Schattenweberin. Grausame Tentakel filigraner Macht bohrte sie im Weben ihrer Magie in den verwirrten Geist der achten Kriegerin. Vergewaltigte ihn auf der Suche nach verborgenem, verdrängtem. Und was sie fand war der Kampf des Irrsinns, in dem die achte Kriegerin gefangen war: all ihr Hass, all ihre Urängste, all ihr Gieren nach Rache für die Taten ihrer Kerkermeister. Voller Genugtuung zog die Schattenweberin sich aus dem Geist der achten Kriegerin zurück, denn Hass und Rache sind der Nährboden, auf dem Angamons dunkle Saat gedeiht. Die Schattenweberin gab der achten Kriegerin ihren Geist zurück.

Doch was sind Hass und Rache, wenn sie keinen Rahmen haben? Zügellos und chaotisch sind die Kräfte, die daraus erwachsen. Zerstörerisch, wenn sie nicht gebändigt werden. Und so wie der reissende Fluss im Triar durch das Flussbett gebändigt wird, so wurde die Urgewalt aus Hass und Rache durch den Zweiten gebändigt. Durch den Dunklen Paladin, Herz der Düsternis. Er holte die Vergangenheit der achten Kriegerin aus dem Labyrinth des Wahnsinns. Er befreite Stück um Stück das, was von Irrsinn verschüttet worden war: Schwur, Codex, Treue, Pflicht, Glaube. Er führte sie zurück zu dem, was ihr Ursprung, ihre Herkunft war. Er machte sie wieder zur Khetai. Er gab ihr ihr Herz zurück.

Die Vergangenheit war geborgen, die Gegenwart enthüllt. Was blieb war die Zukunft. Die Zukunft der achten Kriegerin sollte Kampf sein. Und diese Zukunft gab ihr die Hüterin, die Hand der Düsternis. Sie nahm Vergangenheit und Gegenwart der achten Kriegerin auf, prüfte und wog ab und zeigte ihr dann den Weg in die Zukunft: Versagen das im Tode endet, Stärke die nicht erbettelt sondern bewiesen wird, der Einklang von Willen und Pflicht, Demut, Glaube, Stärke. Sie gab der achten Kriegerin einen Weg in die Zukunft.

Grausam war der Weg, den die Hüterin der achten Kriegerin wies, und ohne Gnade. Doch in diesem Weg vereinte sich auf seltsame Art, was vor langer Zeit entzweit worden war:

Herz, Geist, Hand.
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
Bruderschaft, Magier, Schild der Schatten.

Und als die achte Kriegerin durch das Wirken der Drei - Dunkler Paladin, Schattenweberin, Hüterin - aus dem Labyrinth des Wahnsinns heraus geführt worden war, da war die Zeit gekommen, auf die Njuvel'sala so lange gewartet hatte. Es hätte eine Zeit werden können, in der Herz und Geist und Hand wieder vereint, Seite an Seite hätten streiten können. Doch das taten sie nicht. Und obwohl die achte Kriegerin durch das Zusammenwirken der Drei gerettet worden war, stand sie nach Njuvel'sala's Wahl plötzlich alleine da. Vielleicht war eben dies der Fluch Njuvel'sala's. Oder ihr Segen.


"Aber dies, meine kleine Dämonen, ist eine andere Geschichte ... "



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