Nachdem sie den Brief in der Burg abgegeben hatte und erfahren, dass die Burggräfin erst in zwei Siebentag aus ihrer Klausur zurückkehren würde, wuchs die Anspannung in ihr noch weiter. Daheim angekommen setzte sie sich einen Tee auf und sammelte ihre Gedanken.
Möglicherweise, nein gewiss, hatte sie den Bogen überspannt. Was aus der Kongregation zur Gesetzesfindung für das Ersonter Lehen durchsickerte war alles andere als vielversprechend. Es schien so, als würden ihre Ratschläge in keiner Form von den Teilnehmern berücksichtigt. Am Anfang hatte man sie noch einbinden wollen und um Hilfe gebeten, nun hatten Gespräche stattgefunden, ohne dass sie benachrichtigt worden wäre. Doch die peniblen Protokolle hatten ihr verraten, in welche Richtung die Beratungen gingen. Sie hatte schwer mit sich ringen müssen ehe sie den Entschluss fassen konnte, vorzupreschen. Würde sie länger warten würde die Burggräfin Gesetzesentwürfe vorgelegt bekommen, der sie als Statthalterin niemals zustimmen könnte. Also galt es, kühn den ersten Schritt zu machen und ihnen zuvor zu kommen. Es war der Wille der neuen Lehensherrin, den Ordo Astraeli mit der Ausarbeitung von Gesetzen zu beauftragen. Und sie war selbst angetan davon, genoss die Kirche und der Orden des Allsehenden doch ihren höchsten Respekt. Nun sah sie sich gefangen in dem Konflikt zwischen ergebener Treue zu diesen Mitgliedern der Kirche und untertäniger Pflichterfüllung gegenüber Lehen und Krone. Ein Widerspruch, für den in ihrem Tarebild bis dato gar kein Platz gewesen war. So sehr sie sich aber auch mühte: sie konnte den Vorschlägen von Hochwürden Mantaris nicht zustimmen. Felsenfest war ihre Meinung, dass sie Unheil für die Stadt hervorrufen würden, die sie zu leiten hatte. Ihre Verantwortung war ihr so heilig wie der Glaube selbst. Andersartige Beschlüsse würde sie nicht mittragen können. War es kühn, ja töricht, ihre Position mit dieser Frage zu verknüpfen? - Zweifelsohne! Würde die Kirche ihr Gewicht in die Waagschale werden, dann hätte sie Burggräfin kaum eine andere Wahl als sie aus ihrem Amt zu entheben. Aber dieses Risiko musste sie für Ihr Gewissen einfach eingehen. In Gedanken sah sie Siegfried Steiner, wie er ihr mit väterlichem Wohlwollen zunicken würde. Ja, er würde es wohl gutheißen. Es waren seine letzten Worte als Lehensvasall, dass sie das Wohl der Stadt nicht ausliefern dürfe. Und genau darum ging es hier.
Der Gedanke, ihre Arbeit zu verlieren schreckte sie weniger als sie selbst dachte. Innerlich hatte sie sowieso schon damit abgeschlossen, als die Baronin ihr diese güldene Statuette überreicht hatte. Für Freifrau Nhergas war es das Abschiedsgeschenk aus dem Amt als Königliche Richterin, der berüchtigte "vergoldete Tritt in den Allerwertesten". Warum sollte es dann bei ihr selbst anders sein? Gewiss würden die neuen Herren ihren eigenen Gefolgsmann ins Rathaus setzen wollen. Also hatte sie Zeit sich mit dem Gedanken anzufreunden, ihren Posten zu verlieren. Und dabei empfand sie regelrechte Erleichterung. Eine große Bürde der Verantwortung würde von ihr abfallen und sie würde endlich wieder Zeit gewinnen. Zeit, die sie für ihre Forschung einsetzen könnte, für ihre Magisterarbeit an der Akademie, Zeit ihre Bücher zu lesen, Zeit in Ruhe daheim statt immer unterwegs im Gehen zu essen, Zeit...Umso überraschter war sie, schon bald im Amt bestätigt zu werden. Die greifbare Freiheit, wieder in weite Ferne gerückt.
Nun war es nicht so, dass sie jetzt ihren Rauswurf provozieren wollte. Die Würde des Amtes und ihr Pflichtgefühl verboten ihr es schlichtweg. Aber sie würde nun mit der Entscheidung der Burggräfin leben können, egal wie sie lauten würde. Sie hatte schon Pläne für eine Zeit nach der Stadtverwaltung; die Frage war nur, wie bald sie diese umsetzen würde. Außerdem müsste es doch mit dem Einen zugehen, wenn sie nirgendwo anders unterkommen würde. Vielleicht sollte sie ihrem Förderer in Seeberg schreiben, oder mit dem wohlwollenden Sire Rondragon sprechen. Sein Angebot, als Secretatia in Seeberg zu arbeiten war zwar lachhaft, aber ein Gespräch würde nicht schaden. Das wirklich quälende war nun das Warten. Lange vierzehn Tage würde es brauchen, bis die Burggräfin ihren Brief wohl überhaupt lesen könnte, dann sicher noch eine Bedenkzeit. 14 Tage und mehr in denen sie nicht wissen würde, ob sie noch den 20. Mond ihrer Arbeit im Rathaus von Falkensee erleben würde. 14 Tage und mehr aber auch, in denen die Stadt weiterhin ohne vernünftige Verordnung und das ganze Lehen ohne vernünftige Gesetze auskommen musste. Es sei denn die Burggräfin hatte ihrem Berater für die Dauer ihrer Klausur Entscheidungsvollmachten gegeben. Ruhe bewahren, abwarten und Tee trinken. Oh, der Tee war ja fertig. Bestimmt war er schon bitter, so lange wie er nun gezogen hatte, und Honig hatte sie keinen im Haus, so wie man Süßkram überhaupt vergeblich in ihrer Küche suchen würde.
_________________ Danke fürs Char-Portrait an Awa
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