Felatag, der 17. Oner
Ein ganz und gar unspektakulärer Tag der da mit dem ersten Aufgang Felas begann - als würde der Hauptdarsteller, der Feuerdrache am Firmament, die Bühne des Lebens betreten und dem folgenden Possenspiel Atem und Leben einhauchen begann die Vielfalt des natürlichen Lebens im nahen Garten. Knospen der lichtliebenden Pflanzen entfalteten sich langsam und behutsam, folgten ihren stummen und gedankenlosen Instinkten um den hellen Schein vom ersten bis zum letzten Moment voll auskosten zu können. Die Konkurrenz nämlich, schläft nicht, und war in Form der beiden Bäume in der Nähe ganz besonders groß und furchteinflößend. Schnell hieß es zu wachsen, um dem Tod im Schatten, abgeschnitten von den lebensspendenden Felastrahlen, zu entgehen. Vermehren sollte man sich, mit Sporen und Saaten, aber die Zeit dafür war noch nicht gekommen. Noch war es zu kalt, der eiskalte Schnee Xans liess einem den Pflanzensaft wahrlich im Stiel stocken, so kalt war es. Den Vögeln im Geäst der Bäume ging es nicht anders, denn sie waren auf die Pflanzen angewiesen, auf die vielen verschiedenen Sorten an köstlichen Körnern und Saaten, die ihre potentielle Karriere als zukünftiges Pflänzchen im Vogelmagen schließlich zugrunde gehen sehen sollten. Aber: Was für eine freudige Überraschung! Da hatte doch tatsächlich ein aufmerksamer, vogelfreundlicher Jemand ein kleines Körbchen voller Sonnenblumenkörner auf das Fensterbrett der Fassade der Priorei gestellt. Ein wacher Blick umher, dann flatterte das erste, schnellste Rotkehlchen hinüber um sich unter freudigem Tschilpen die Körner einzuverleiben, bevor die unliebsamen Mitvögel noch aufmerksam wurden. Doch war es nicht möglich, diese um ihr Mahl zu betrügen. So sammelte sich bald eine kunterbunte Schar unterschiedlichster Vogelarten um das Körbchen und alle rempelten und hackten und schimpften erbost, was das Zeug hielt. Das Flügelgeflatter und Geschnatter machte einen Heidenlärm zu einem so frühen Zyklus, wo jeder rechtschaffene noch in den warmen Daunen des Bettes liegen sollte.
"Rechtschaffen" ist so eine Definition. Eine Auslegungssache, sozusagen, ein Ding das dem Winkel, dem Standpunkt, des Betrachters sehr stark unterliegt und variieren kann. Also war da tatsächlich noch jemand wach, hellwach genaugenommen, wenn auch vor den Blicken der Vögel verborgen im weitläufigen Keller unter der Priorei. Dunkel war es hier unten, und stickig, muffig. Ersteres mag wohl daran gelegen haben, dass die einzigen Lichtquellen zwei weißlich-grelle Brennerflammen waren, auf komplizierte Weise mit Luft angereichert an die Grenzen ihres heißen Potenzials getrieben. Ihr stetes, statisches Licht warf hartkantige Schatten auf die umliegenden Wände und verlieh Dingen ein absurdes, abstraktes Aussehen, die schon bei Tageslicht merkwürdig genug aussehen. Kunstvoll gedrehte Glasflaschen voller trüber Substanzen in verschiedenen Varianten der vielfältigen Farbe "Schlammbraun" reihten sich auf einem niedrigen Regalbrett, das in das Fachwerk der Wand eingelassen war, aneinander. Eine birnenförmige Flasche aus Steingut wurde von einer verdrehten Metallstütze samt verstellbarer Klammer über einer Flamme gehalten. Ihre Öffnung war verstopft mit einem Korken, aus dem sich ein neugieriges Röhrchen hervorschlängelte und in eine herabsteigende Spirale überging, in der transparente Tröpfchen einer obskuren Substanz kondensierten. Desto näher man dem Labor kam, desto beeindruckender wurde der Geruch nach allerlei Chemicalia und Alchemica - Substanzen mit Gerüchen wie aus dem Lehrbuch, von fauligen Eiern über Bittermandel bis Leichenodor. Inmitten dieser wohlgeordneten Ansammlung stand ein Jüngling, tief über den Tisch vor sich gebeugt und beide Hände in einem sorgfältig aufgebrochenen und ausgeweideten Uhrwerk versenkt. Das Ticken und Drehen der Räder war längt erstorben, denn das schwunggebende Pendel lag "seziert" daneben, Schicht für Schicht abgetragen bis auf den blanken Kern aus Roheisen. Zwischen dem Wust aus Schriften und zu Papier gebrachten Theoremen verborgen sich hier und dort Zahnrädchen. Vereinzelt konnte man auch diverse messingfarbene Sprungfedern hervorgucken sehen.
Ein halb leergegessener Teller mit einem Häufchen von Saaten, den selben, die sich gerade die Vögel oben an der frischen Morsansluft zu Gemüte führten, war der einzige Hinweis darauf, dass der Bewohner dieses vorbildlichen Laboratoriums auch menschlichen Bedürfnissen nachging. In einer fast andächtigen Stille stand er lange Zeit dort an der Werkbank, beschäftigt mit dem Kleinod feinwerkerlicher Hochkunst. Dann aber zog er die schmierölbesudelten Finger wieder aus dem bronzenen "Leichnam" hervor und griff nach einem Wischlappen um sie oberflächlich zu reinigen. Die monoton rauschenden Flammen der beiden Brenner wurden mit kurzen Griffen zu den Luftschlitzen erstickt. Aus dem Haufen zog er ein längliches Blatt, beschmiert mit einer entfernt nach Käfermatsch aussehenden Substanz, hervor und kratzte ein paar die darauf befindliche Schrift wirklich allzusehr verdeckende Flecken ab. Mit flinken Schritten eilte er die Treppe hinauf und zog sich noch im Gehen die mit Brandlöchern übersäte Arbeitsschürze vom Körper. Das Blatt wurde auf den großen Gemeinschaftstisch gelegt und am Rand mit einer Notiz versehen: "Für die Novizen. Prompt erledigen." Bei einem Blick auf die List finden sich darauf eher mundan anmutende Arbeiten wie beispielsweise: "Neues Feuerholz für den Kamin im Schlafsaal heranschaffen. Geschirr von gestern Abend abwischen und mir neue Mahlzeit hinstellen. Vögel füttern und Trinkschale nachfüllen." Nur ein paar Schritte mehr trugen ihn schon hinüber zum Schlafsaal, wo er sich prompt in das Bett fallen liess. Nach einer durchgearbeiteten Nacht in den Tiefen seiner Forscherstube forderte dieser schwache, menschliche Körper seinen Tribut, sein Anrecht auf wenigstens zwei Stunden Nickerchen bevor er sich wieder auf die beschwerliche Reise zum Bergschrein aufmachen würde.. Alles in allem ein durchschnittlicher Tag.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..." Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον
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