Leise knisterte der Docht der Kerze als er sie ausdrückte und samt ihrem Tonuntersetzer beiseite schob. Das gläserne Gefäß, dass sie erwärmt hatte, wurde äußerlich abgewischt und zu dem anderen, inzwischen dreckigen Apparatus in das bereitstehende Wasserfass gelegt - Zeit zum Abspülen war auch Morgen noch genug. Die angenehm warme, metallene Halterung wurde auseinandergeschraubt und verstaut, und schon war die Arbeitsfläche des kleinen Laboratoriums wieder sauber. Mit einem nassen Lappen noch den allgegenwärtigen Staub hinfortgewischt, die kleinen Fläschchen mit den verschiedenen Essenzen sorgfältig wieder verkorkt.. So ging ein langer Tag zuende, den er fast ausschließlich in seinem ganz eigenen Reich verbracht hatte. Umgeben von den schweren Folianten mit gewichtigen Titeln wie "Der Alchemistenofen", "Die kleine Kräuterfibel" und noch diversen eigenen Schriften dazwischen eingeklemmt die seine eigenen Fortschritte festhielten. Wenn es in dieser Geschwindigkeit auch weiterhin so vorangehen würde, dann könnte es noch mehrere Menschenleben dauern bis er endlich den faszinierenden Details, den kuriosen Kleinigkeiten im Gefüge der En'Hor, der Natur, auf die Schliche kam.
Weit war es nicht zum heimelig hergerichteten Bett - wenigstens das konnten die Novizen. So entledigte er sich der fleckigen, filzigen Robe und schlüpfte unter die warme Decke, schmiegte sein Gesicht in die Daunen des Kopfkissens und sah bald Lifnas Webereien vor dem inneren Auge.
Nur einmal wachte er in der Nacht auf, als sein Körper diverse Dränge verlauten ließ: Am Dringendsten den Wunsch etwas mehr zu trinken. Die Augen geschlossen haltend tastete er nach der Flasche mit verdünntem Rotwein, die sich auf seinem Nachttisch neben dem Bett befand. Tastende Fingerspitzen berührten jene auch, aber eine ungeschickte Bewegung ließ die eh schon kipplig auf der Tischkante stehende Flasche in die falsche Richtung wanken und herabfallen. Das dicke Glas hielt dem kurzen Fall glücklicherweise stand, aber das laute Poltern und der Verdruss um die eigene Tollpatschigkeit ließen ihn die Augen öffnen - mit dem Ziel, erst einmal zum Universum an sich genervt die Augen zu verdrehen.
Ein Blick zum Kamin, dann schloß er die Augen gleich wieder und presst sie diesmal fest zu. Ein mehrmaliges Blinzeln, dann öffnete er das linke Auge um sich zu vergewissern dass ihn seine Sinne auch tatsächlich nicht getrügt hatten.
Die Glut hatte sich schon tief zurückgezogen, wenig Licht kam zwischen den zu Asche verbrannten ehemaligen Holzscheiten hervor. Aber die wenigen Funken, die hervorkamen brannten nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, rot und verglimmten dann wieder, ihre kurze Existenz aushauchend. Stattdessen umgab sie ein merkwürdiges, blaues Funkeln, eine surreale Aura von einer intensiven Farbe die er bisher noch nicht erblicken konnte - ein Farbton zu dem wohl wirklich nur die unbegrenzte Vorstellungskraft des Geistes in der Lage war.
Er musste noch träumen, das war die einzige logische Erklärung. Selbstverständlich, das war es: Ein lucider Traum. Er hatte das Gefühl, wach und bewusst zu sein, aber dabei war es nur ein wirklich beeindruckendes Webstück der Traumweberin Litheth. Kein Grund zur Besorgnis. Von der folgenden Woge der Zufriedenheit im Angesicht des erfolgreich angetretenen Beweises durchströmt schloss er die Augen wieder und drehte sich herum, um durch den Schlaf wieder zu den gewohnten und "echten" Träumen zurückzukehren.
Als er das nächste Mal aufwachte war Fela schon wieder dabei über den Horizont zu wandern, kurz vor ihrem Zenit stehend. Ein wenig länger als ursprünglich beabsichtigt hatte er geschlafen und prompt schämte er sich für diese disziplinlose Faulheit. Mit Schwung wurde die Decke beiseite geschlagen, das Beinpaar aus dem Bett gehievt und die haarigen Füße in die bereitstehenden Sandalen geschoben. Im dünnen, weißen Unterhemd streifte er durch die Räume der Ecclesia und legte selbst Hand an, um die täglichen Verrichtungen zu erledigen. Holz wurde in den Kamin nachgelegt um das Feuer nach Ignis' Willen weiter zu nähren, der Pergamentwust auf dem großen Versammlungstisch wurde zusammengeschoben.
Noch langsam erst aufwachend trat er an eines der Fenster heran, schob die beiden Riegel beiseite und drückte es mit beiden Händen auf um hinauszusehen auf den Goldquell nahes des Prioreigebäudes. Wie schön war es, dass Riens Zeit des Götterlaufes endlich zurückgekehrt war und wieder bunte Blumen und grüne Sträucher überall sprießten.
Die vorherige Windstille wurde schließlich von einer sehr sanften Brise beendet, die von Norden heranrauschte und mit alten Blättern, die noch vom letzten Ventus unter Xans kalter Decke übriggeblieben waren, spielte und sie umherwarf. Ein paar der faserigen Blätter fielen in den Goldquell und schwammen, begleitet von der Brise, wie kleine Boote den ruhigen Strom entlang.
Als der Wind schließlich das offene Fenster erreichte und an Brand vorbei in das Innere der Priorei zog rieb jener Jüngling sich fröstelnd über die Unterarme und schloss die Augen, das sanfte Liebkosen seines Herren genießend. Als er sie wieder öffnete um nach den Blattschiffchen Ausschau zu halten, war ihm so als wäre etwas - anders.
Wo der Wind die kleinen Wellen und Unebenheiten im Wasser berührte sah er nicht nur das übliche Wiederspiegeln, sondern die Farben selbst schienen ein ganz klein wenig stärker und lebendiger als er es gewohnt war. Das Wasser zeigte in Xans Spiegel nicht mehr allein die umliegenden Bäume und Sonstiges, das sich natürlich spiegeln sollte, sondern auch ein buntes Funkeln und Glimmen das dem Verlauf der Windrichtung folgte und mit der Geschwindigkeit der Brise selbst hinfortgeweht wurde - nur, um dann einen Moment später wieder von vorne zu beginnen als der Wind auffrischte.
Mit zunehmender Stärke des Ventus' Atem wurde auch das Gefühl stärker, dass seine Augen ihm den selben Streich spielten wie noch in der vergangenen Nacht. Schlief er noch? Denn der Wind, der kräftig an einem der Büsche am Flussufer rüttelte und schüttelte ließ die sichtbaren Farben verschwimmen wie ein Künstler, der mit zuviel Wasser im Pigmentgemisch arbeitet.
Mit einem Ruck zog er das Fenster wieder zu, überwältig und von Schwindel befallen ob der plötzlich veränderten Wahrnehmung. Und als der Wind nicht mehr seine Haut berührte war alles wieder so wie zuvor. Die schalen Farben im Inneren des Raumes waren wieder scharf umrissen und deutlich zu sehen, aber das Gefühl, dass das nicht der letzte "Anfall" dieser Art gewesen sein konnte blieb zurück.
_________________
"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..."
Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον