Draußen, in den Straßen Brandensteins, war noch lange nicht Ruhe eingekehrt. Oft genug hörte Ithilia vor ihrem Haus rumpelnde Karren, das Klacken der nägelbeschlagenen Stiefel der Soldaten auf dem Steinpflaster, Kinder jauchzend spielen und hier und da mal einen Hund bellen. Doch sie war müde. Sie gähnte leise hinter einer Hand auf und rollte sich erschöpft auf dem Fell zusammen, was ihr als provisorisches Bett diente, ehe sie endlich richtig einrichten konnte. Ein kleines Kissen zog sie noch unter ihren Kopf, vergrub etwas die Nase in dessen Stoff und zog tief den Duft der im Kissen eingenähten, getrockneten Lavendelblüten ein. Sie hatte es noch zu Hause genäht, in Falkenstein.
Ein leiser, etwas wehmütig klingender Seufzer entwich der jungen Elfe. Auch wenn sie hier auf Siebenwind ihren Bruder nah bei sich hatte und seit kurzem auch noch ihren Cousin - sie vermisste ihr Zuhause doch allzu leicht. Zum einen fehlten ihr die kulturellen Zerstreuungen, die Falkenstein zu bieten hatte, zum anderen aber auch all jene, die sie seit ihrer Geburt vor gut sieben Jahrzehnten kannte. Andererseits aber hatte sie hier ein Ziel - sie wollte auf eigenen Füßen stehen. Zwar mit dem Wissen, dass eine Gemeinschaft hinter ihr stünde, die sie im Notfall auffangen würde, würde sie bei diesem Versuch straucheln, doch vornehmlich wollte sie etwas eigenes schaffen und das war in diesem Fall ein angesehener Schneiderladen. Ithilia kam diesen Schritt allmählich näher, auch wenn es schwieriger war, als sie gedacht hatte. In Falkenstein hatte sie dagegen alles gehabt. Die Kunden ihrer Eltern wurden von Anfang an oft zu ihr geschickt, sie hatte alle nur erdenklichen Stoffe aus allen Teilen Falandriens, Unmengen an Spitzen, Brokat, Borten, Perlen, Kristalle und Edelsteine um die Kleider zu verzieren. Einst überreichte ihr Vater ihr sogar eine kleine Rolle mit einem schimmernden Silberfaden, der für eine prächtige Robe einer hochelfischen Weißmaga der örtlichen Magierakademie gedacht war. Hier dagegen...
Aber sie wollte nun einmal hierher. Um ihren Bruder wieder zu sehen, ihm bei seinem Kontor zu helfen, um auf eigenen Füßen zu stehen und... Ithilia verzog die Miene etwas und schlug ihre Augen auf, den Blick zu den groben, dunklen, hölzernen Balken der Decke gerichtet, ohne wirklich Notiz von diesen zu nehmen. Es gab noch einen anderen Grund, warum sie ihre Heimat verlassen hatte. Ein Grund, der noch immer an ihr nagte und der gerade heute, als sie mit diesem Soldaten, Simon Schwarz, gesprochen hatte, sich dezent mit einem teilweise schlechten Gewissen meldete. Wer war sie überhaupt, dass sie meinte, gute Ratschläge geben zu können, wo sie ganz und gar nicht besser war, ja, nur in der Theorie wusste, wovon sie sprach? Seufzend griff sie zu dem kleinen Kissen, zog es unter ihrem Kopf hervor und legt es sich auf ihr Gesicht, gerade so, dass sie noch atmen konnte und zog wieder den beruhigenden Lavendelduft ein. Heißt es nicht, dieser Duft lässt einen ruhig einschlafen und die kleinen Sorgen für die Nacht vergessen?
_________________ ~*~ Ithilia Mondsilberhaar ~*~
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