Ich selbst trete deren Meinung bei, die glauben, dass die Völkerschaften Khalandriens, ohne je durch eheliche Verbindungen mit anderen Stämmen fremdartige Bestandteile in sich aufgenommen zu haben, ein eigenständiges, reines, nur sich selbst ähnliches Volk geworden sind. Daher ist auch die Körperbeschaffenheit trotz der großen Menschenzahl bei allen die gleiche: bernsteinfarbene Augen mit wildem Ausdruck, schwarzes Haar, hochgewachsene und nur für den Angriff starke Leiber; für Mühsal und Arbeiten haben sie nicht in dem selben Maß Ausdauer, und am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze. An Kälte und Hunger haben sie sich infolge Klima oder Boden gewöhnt.
Aus: "Khalandrien - Ein Forschungsbericht" von Ahasver von Stumpf, Diener des Herren Astrael und Erforscher der nördlichen Lande.
Der humpelnde Schritt führte den riesigen, aber dürren Mann über die ausgedorrte und verdorbene Erde des öden Landes im Osten der Insel. Zielstrebig ging er auf die Bauwerke zu, welche von den Galas als Wüstenwall bezeichnet wurden. Ein riesenhafter Troll kam brüllend auf den Alten zugestürmt und schwang eine mannshohe Axt. Der alte Khalandrier verharrte einen Augenblick und bewegt seine langen Finger mit den klauenartigen Fingernägeln. Feuer flammte aus den Fingern empor und schoß dann auf den Troll zu. Noch bevor dieser seinen Hieb vollenden konnte, umschloßen ihn die Flammen und verzehrten seine Haut. Brüllend vor Schmerz brach der riesenhafte Angreifer zusammen und zuckte nur noch einige Male auf. Der Magiewirker trat auf den Kadaver zu und zückte ein langes, wellenartig geschliffenes Messer und machte sich am Maul des schwarzen Trolls zu schaffen. Mit einigen Mühen brach er dem riesenhaften Ungetüm ein paar Zähne heraus und ließ sie in einem Beutel verschwinden.
Dann sah der Alte auf, etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er richtete sich auf und humpelte zu einem skelettierten und fast vollständig von Eis und schneebedeckten Wolfskadaver. Ein unguter, beinahe unnatürlicher Geruch ging davon aus. Der Alte legte seinen Stab beiseite und öffnete den gefrorenen Leib mit seinem langen Messer. In den Gedärmen des Wolfes legte er einige halb verdaute Pflanzen frei, seltsam genug. Dann sah er sich um und erblickte in der näheren Umgebung eine ähnlich zugerichtete Leiche eines Goblins. Auch diesem Kadaver nahm er sich an und untersuchte den Mageninhalt. Auch hier halb verdaute Pflanzenreste... sie kamen dem Alten nicht sonderlich bekannt vor, aber er meinte sie bereits irgendwo gesehen zu haben.
Sein bernsteinfarbener Blick schweifte umher, dann richtete er sich grunzend auf und stolperte auf den schneebedeckten Teil des Ödlandes zu. Ein Felsenfinger war mit einem schwarzen verdorrten Rankengewächs bedeckt. Die Struktur der Blätter schien die selbe zu sein. Der alte Khalandrier streckte seine Hand aus und schloß seine durchdringenden Augen. Kein Leben mehr, Tod. Dann beugte er sich hinab und versuchte mühsam den gefrorenen Boden aufzugraben. Nach kurzer Zeit ließ er von seinen Bemühungen ab und konzentrierte sich auf sein Messer. Rot glühte die Klinge auf und dann begann er wieder zu graben. Wie ein warmes Messer durch Butter schnitt die Klinge nun in das Erdreich. Der Khalandrier legte die Wurzeln des Gewächses frei und betrachtete auch sie. Auch hier kein Leben, welches sich über den Morsan hinweg ins Erdreich zurückgezogen hätte.
Schnaufend richtete sich der Alte auf, kurz verharrte er regungslos, dann streckte er den langen dürren Arm nach dem einige Schritte abseits liegenden Stab aus. Ein kurzes, herrisches Winken und der knorrige Stab sprang regelrecht in die Hand des Alten. Das lange Messer wurde zurück in den Gürtel gesteckt und der dürre Riese ging auf die alte Weide zu, welche in der Nähe stand.
Kein Leben. Der Khalandrier legte eine Hand auf die Rinde des Baums und streichelte beinahe sanft darüber. Dann begann er mit gutturaler Stimme einen kehligen Sprechgesang:
"Moddr Arlija, to Tid is öwer ond det Tid vön to Find hevt begonn. To Levn, det to je schenkt hevst, is nu en to Reik ond wart för det Fröhling. Moddr Hrydia is nu det Fardayn vön det Tid. Abr det Narr is eingebroch ond hevt det Sirkel vön Levn ond Vergehn dorchbroch. He is heer ond schend det Geschenks. Je heer för det Dienst an to, Moddr Arlija ond Moddr Hyrdia. Gev je to Kraft för je Dienst."
Dann ritzte sich der Khalandrier mit einem langen Fingernagel einen Schnitt in seine Handfläche und drückte das hervortropfende Blut gegen den Baum. Ein magischer Impuls von großer Kraft fuhr in den Baum hinein, und die Weide schüttelte sich leicht. Die Äste zitterten und knisterten. Dann war wieder Ruhe eingekehrt und die seltsamen, furchteinflössenden Geräusche des Ödlandes klangen mit um so größerer Lautstärke wieder in den Ohren des Alten.
Erschöpft ächzend wandte er sich herum und ließ seinen Blick über die verdorrten und verbrannten Pflanzen gleiten. Dann wandte er sich an den Baum zurück und sprach leise: "Slep nu, Friund Boom, em Fröhling werst to weedr Levn han."
Ein letztes Streicheln über die Rinde, ein letzter Blick zu den toten Pflanzen, dann wandte der Alte sich mit hängenden, buckligen Schultern wieder nach Norden zum Wüstenwall.
Ein wölfisches Grinsen lag auf seinen hageren Zügen.
Das eine hatte geendet, das andere würde nun beginnen...