Wasser hatte viele Manifestationen: Es kam in zahlreichen Formen und Zuständen daher. Es war der fröhlich sprudelnde und springende Gebirgsbach genauso wie die zu Eis erstarrten Gebilde im Winter. Es brachte Leben. War tödlich. Hier an den Klippen zerstieben die mächtige Wellen zu tausend kleinen Tropfen, verfingen sich die Tropfen im silbrig glänzenden Haargespinst einer jungen Frau, deren blaue Augen aus zwei schmalen Schlitzen auf die See hinaus blickten. Das Meer, das ewig wechselhafte. Berechenbar in seinen Gezeiten und vollkommen unvorhersehbar in seinen Launen, wenn man nicht gelernt hatte auch die kleinsten Anzeichen am Horizont zu lesen. Trügerisch sanft, aber im Rythmus des sich hin und her wiegenden Schiffes beruhigend. Noch nie war sie am Meer und nun wusste sie, was sie von ihrer Schwester unterschied: Nicht die sich langsam ebnenden Wege eines Flusses, nicht der fröhliche Quell Lebens im Gebirge waren es, in denen sie sich wohl fühlte, sondern das Rauschen der See und der Klang von Möwen die im Sturm ihre Kreise drehte. Sie atmete ein und lachte und lebte. Vielleicht zum ersten Mal wirklich.
18 Jahre waren seit dem Tag vergangen, an dem Mark Gansholm beim Bepacken des Karrens von einer Möwe überrascht wurde, die über ihm zwei Kreise zog und dann in Richtung Heimat verschwand. Ungewöhnlich und ihm deshalb im Gedächtnis haften geblieben, weil er kein abergläubischer Mann war: Er verehrte Astrael, trieb Handel und ernährte seine bald wachsende Familie. Aber zum einen war es der Tag, an dem seine Töchter geboren werden sollten, zum zweiten weil er an diesem Tag noch am Fluss hätte schwören können von einem Otter verfolgt zu werden und zum dritten, und für ihn sicher wichtigsten: Es war der Tag, an dem seine Töchter geboren wurden. Und vielleicht kamen ihm diese Erinnerungen auch Rückblickend, als er den Weg seiner beiden Töchterchen betrachtete und sich an diese Begebenheiten erinnerte.
Kedja und Maren sollten gegen Abend das Licht der Welt erblicken und Mark Gansholm hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Pferde versorgt und wurde rasch herein gerufen um seinen Nachwuchs begutachten zu können, nichts, dass aussergewöhnlich war, als der Regen die Kinder mit seinem Trommeln in den Schlaf wiegte.
~~Stille, als die nächste Welle heranrollte, aufgewühlte Meerespflanzen sich Grün im Dunkel rollender See abzeichneten~~
Jahre vergingen und immer wenn der Vater seine Töchter sah, mit Staunen das helle Haar - das später in dieser Geschichte schließlich hellgrau, silbrig werden würde - und die tiefblauen Augen der beiden beobachtete. Sicher war es jener Tag der ihm am eindrucksvollsten im Gedächtnis blieb, als die beiden Kinder lachend vom Spielen wiederkamen und ihre nassen Kleider zum Teil ausgezogen hatten, erzählten wie sie im Fluß gespielt hatten, von dem der Vater wusste das er sie ermahnt hatte dort nicht zu spielen. Dieser Tag, an dem sie erzählten wie sie im Fluss geschwommen waren und die Fische ihnen um die Füße gestrichen waren, bis sie schließlich klatschnass waren. Es machte ihn nachdenklich.
~~Gischt stob ihr ins Gesicht, benetzte die helle Haut und die fliessenden Kleider~~
Einige Jahre später schon sollte die Zeit des Kind seins für die beiden allmählich ein Ende finden: Kedja stand mit den Füßen in den Pfützen des vorhergegangenen Regens, als ihr Vater mit dem Wasserschöpfer sprach, der sie beide aufnehmen sollte und zog mit dem Finger Kreise im Wasser, während ihre Schwester drinnen bei den anderen saß. Etwas war anders. Zum ersten Mal im Leben der beiden hatte ihre Schwester etwas, dass sie nicht hatte, hob sich ihre Schwester durch irgendetwas von ihr ab das sie weder sehen, noch fühlen konnte. Aber zumindest würden sie beide dort in die Lehre gehen, beide dort beginnen zu lernen was es hiess, auserwählt zu sein.
~~Und zog sich zurück. Ausatmen. Schmerzliches Sehnen als sich das Meer zurückzieht~~
Mit wachsendem Unmut betrachtete sie die Fortschritte ihrer Schwester und spürte jenen geschwisterlichen Neid, den es so im Leben der Zwillinge bis dahin nicht gegeben hatte. Etwas trennte sie von Maren und sie wusste nicht, ob es das oder der Neid war, der so sehr schmerzte. Während sie dort saß, mit den Füßen im Flußbett stand und versuchte sich auf den Lauf des Flusses einzustellen, riss der Strom ihre Schwester im Geiste schon lachend mit, hüpfte in Gedanken um Steine und Äste herum. Es schien kein Hindernis zu geben - für sie. "Du bist nicht deine Schwester, Kedja." waren dann auch die mahnenden Worte ihres Mentors. "Larn.." hob sie an, als sie ihn mit Namen ansprach, damals noch jünger an Jahren, und graue Augen die des Mädchens suchten: "...warum ist sie anders? Warum begreift sie schneller?" Er seufzte, denn es war nicht das erste Gespräch dieser Art - genau das was er ihr auch schließlich sagte: "Sie ist im Fluss ... und sie sieht, das bedarf einer gewissen Aufmerksamkeit. Versteh das." Heute noch erinnerte er sie an einen See, dessen Oberfläche nur der Wind sacht kräuseln konnte, aber nie zu hohen Wellen auftürmen. "Ja, ich verstehe. Immer geht es um sie." Ein Stoß, ein Hieb, sie warf etwas zu Boden und grollte. "Es geht auch um dich." Aber da wollte sie das noch nicht verstehen.
~~Nur der Regen erzählt dem See vom Stürmen des Meers~~
Zweite. Natürlich, versuchte sie ihren Groll zu verbergen, wenn sie ihre Lektionen alleine absolvierte. Nähte übte, Pflanzen zu unterscheiden lernte. Allgemeinwissen, Medizin, Meditation, Medizin, Meditation. Zweite. Sie zankte sich mit ihrer Schwester, wie sie es immer getan hatte, aber etwas schien ihr nun näher als das geschwisterliche Band zwischen den Beiden. Es frustrierte. Ihre Schwester sah, aber sie sah nicht den Groll Kedjas. Und so vergingen Jahre, die sie zur Dienerin Xans machten, ohne dass sie sich recht heimisch fühlte dabei.
~~Der Moment, in dem das Meer sich am weitesten vom Land entfernte, neue Kräfte sammelte und sich auftürmte~~
"Ich gehe." Larn blickte sie und lächelte, so als überrasche ihn nichts mehr was die junge Frau zu sagen hatte. "Hast du gehört? Ich gehe. Meine Eltern wissen Bescheid." - "Ich weiss." Für einen winzigen Moment kochte Wut in ihr auf, wurde zurück gedrängt und glättete sich wie die überraschend verebbende Sturmflut. "Und...?" Stille folgte, er legte seine Arbeit zurecht und betrachtete sie. "Deine Schwester weiss es auch." Sie biss die Lippen aufeinander - nein, die wollte sie nach all den jahren einfach heute nicht sehen. "Heisst das, du entlässt mich?" - "Kedja.." hob er an. Wind, der kleine Wellen aufwirft, dachte sie und lächelte sachte. "Du wirst dort draussen glücklicher sein. Ich weiss wo es dich hinzieht. Ich halte es für eine gute Idee für deinen Neuanfang." Wieder Stille und ein Nicken, eine Umarmung, dann ein leise gehauchtes: "Danke." - auch wenn sie es manchmal vorgab, sie war nicht aus Eis. Und dann ging sie, einfach so. Packte ihr Bündel, bekam ein wenig Proviant und Reiseutensilien mit auf den Weg und ging, um ihr Glück woanders zu suchen. Siebenwind. Eine Insel. Meer.
~~ Die Wellen kehrten zurück und sie spürte die Sehnsucht mit ihrem Kommen verebben, fühlte die Vollkommenheit die vielleicht ihre Schwester so nah am Fluß gespürt haben musste. Es fühlte sich richtig an. Dort, im sicheren Hafenbecken von Rothenbucht konnte sie den Mast des Schiffs sehen, das sie hinüberbringen würde. Ein Neuanfang, um vielleicht irgendwann zurück zu kehren und zu sagen: "Sieh, was ich geschafft habe, Schwester.".
Eine aus dem Zopf entflohene Strähne des Haars wurde hinters Ohr zurückgeschoben, als sie Wochen später die Küste Siebenwinds näher kommen sah und sie fieberte dieser neuen Welt entgegen. Die Überfahrt war mit Xans Wohlwollen gesegnet, das wusste sie und keinen Abend vergass sie das Opfer an die Elementarherrin. Sie war dankbar für diese Gelegenheit und dankbar für das Meer, auf dem sie sich so wohl fühlte. Nun würde alles anders, dessen war sie sich sicher. Das Land kam näher.
_________________ Charaktere: Tara Lichtspiel, wandernde Jahrmarktszauberin; Kedja Gansholm, Schöpferin des Wassers
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