*durch einen bereits bezahlten Boten erreicht ein Schreiben den Tempel des Astrael in Falkensee*
Brandenstein am Mondtag, 26. Dular, 21 nach Hilgorad
Tempel des Astrael zu Falkensee
persönlich zu Händen des Novizen Ionas
Den Vieren zur Ehre
sei mein freundlichster Gruß aus dem schönen Brandenstein diesen Zeilen beigegeben.
Meine unzähmbare Neugierde führte mich kürzlich und durch die glückliche Fügung
über die Bekanntschaft mit einem vertrauenswürdigen Reisenden nach Nordwesten
der schönen Stadt Brandenstein zu, und so möchte ich nun Euch, als meiner ersten
engeren Bekanntschaft seit meiner Ankunft auf der Insel in - so hoffe ich - nicht allzu
ermüdenden Worten - meinen Eindruck von dieser Stadt übersenden.
Die Worte sind vielleicht insoweit zu weit gefasst, als mir bislang die Stadt selbst mit
ihren Bauwerken und Bewohnern kaum bekannt ist, da ich mich seit meiner Ankunft
in der hiesigen Bibliothek aufhalte.
Das öffentlich zugängliche Archiv ist in tadellosem Zustand.
Es lässt in vortrefflicher Weise den unbedarften Besucher Einblick in die unterschiedlichsten
Werke zu vielfältigen Themengebieten halten, in bezug auf welche ich mir der Euch unterstellten
Kenntnis derselben zum Trotz erlaube zu erwähnen, daß das Spektrum von der Verfassung des Reiches
über umfangreiche Bestiarien und Herbarien bis hin zu philosophischen Schriften reicht.
Im Hinblick auf die vornehmlich zuvorletzt Genannten wird die Lektüre gewiß einige
Zeit beanspruchen. Auch traf ich schon am zweiten Abende im Gemäuer einen Stammgast,
so daß selbst die Unterbrechungen kurzweilig zu werden versprechen.
Im verborgenen Tal, das Ihr mir zeigtet, habe ich übrigens eine gewisse Zeit zugebracht und Dhala mit
ihren Jungen dorthin geführt. Sollten meine Augen vom Lesen schwer und der Ruf in meinem Herzen
nach lebendigem Wissen wieder lauter werden, wird es der nächste Ort sein, den ich aufsuchen werde.
Nicht unerheblich scheint mir noch, Euch von einem eigentümlichen Geschenk zu berichten, das ich von
jenem Wanderer erhielt, der mich nach Brandenstein führte. Es handelt sich um ein glutrotes Amulett,
gefertigt aus Schuppen, wie von einem sehr leichten Metall. Er hatte es - seiner Aussage nach - auf einer
Wiese im Wald, noch in diesem Dular, zwischen Blumen gefunden und dafür keine Verwendung.
Nun ist es in meinem Besitz und eng um meinen Hals gelegt. Ich verbinde damit keine weitergehende
Bedeutung als die freundliche Bekanntschaft mit dem Wanderer, und dennoch ertappte ich mich dabei,
es entgegen meiner mit Halsketten eigentlich eingewöhnten Handhabungsweise bei Nacht nicht abzulegen.
Ich bin in mystischen, religiösen oder arcanen Dingen nicht bewandert, ja volkommen unwissend, und glaube auch
eigentlich, daß die gemeinhin denselben beigemessene Bedeutung von vielen überschätzt wird.
Nichtsdestoweniger verunsichert mich ein wenig, daß ich meine Angewohnheit einfach nicht
beizubehalten vermag. Ich habe mich entschlossen, es Euch zu zeigen, wenn ich wieder nach
Falkensee zurückkehre.
Im Übrigen habe ich ein wenig im Archiv des "Boten" nachgeblättert und Eure Signatur gefunden.
Mir gefällt Euer Artikel über den "blinden Maler" vom 13. Seker. Ungeschlagen ist jedoch der Charme
eures Beitrags vom 15. Onar.
Möge das Euch zugedachte Licht im Blick Astraelens die Erweiterung Eures Wissens fördern.
Mit freundschaftlichem Gruß
Rahel Calamahr
*die Handschrift ist sehr stark rechtsgeneigt und ausschweifend, so daß teilweise die über oder
unter der Zeile liegenden Buchstaben durch die darunter- oder darüberliegenden bedeckt werden*