Wieder einmal war es Nacht geworden. Wieder eine Nacht nach einem kalten, langen Tag, den sie in sämtlichen Knochen spüren konnte. Wieder eine Nacht auf den schmonzigen Fellen, in denen der Schweiß und die Krümel unzähliger Orkengenerationen hafteten. Ihr Geruch war ihr vertraut geworden, seit sie zu den Kaz’la gekommen war. Ihr Geruch erinnerte sie an harte Arbeit und ungewaschene Körper, und an das Vieh, das sie im Winter der Wärme wegen in die Schlafhütte holten. Das und die Ausdünstungen derer, deren Mägen schwer an der Zersetzung des, in übermäßiger Fülle verzehrten, rohen Fleisches zu schaffen hatten, reicherte die Luft im Schlafsaal zu einer dicken, undurchdringlichen Masse an. Und Obwohl Zkruazna dankbar für die Wärme war, freute sie sich über jeden kalten Luftzug, der durch das unverglaste Fenster eindringen konnte. Sie konnte mittlerweile das Schnarchen aller Orken auseinander halten, wenn sie im Dunkeln wach lag. Rhobarz hatte eine ganz merkwürdige Art, zu schnarchen. Er zog kurz und unter knarzigem Grunzen Luft ein, hielt diese wenige Augenblicke ein, und stieß sie dann unter einem hellen Seufzen wieder aus. Tzizrahs Schnarchen bestand nur aus kurzen, hektisch wirkenden Sägelauten. Zlarks Schnarchen klang wie ein unterdrücktes Stöhnen. Und Pazhnak schnarchte alles übertönend. An der Art und Weise seines Schnarchens konnte man erkennen, ob er auf dem Bauch oder dem Rücken lag. Außerdem hatte er diese Atemaussetzer. Wenn Zkruazna nicht einschlafen konnte, horchte sie auf Pazhnaks Atem und zählte die Aussetzer. Wenn sie bei zwei angelangt war, fing sie wieder von vorne an.
Heute half es nichts. Sie wälzte sich unruhig hin und her, die Rüstung drückte. Sie war unbequem und unter den Armschonern juckte es. Die Schnallen drückten sich ins Fleisch, die Nähte rieben ihre lederne Haut wund. Doch sie zog sie, wie die meisten anderen Orken auch, nie aus. Selbst im Schlaf nicht, selbst in der Schlafhütte nicht. Als wären sie alle besessen von ihren Rüstungen. Sie lebten darin, wie Schalentiere in ihren Panzern. Unfähig, auf diesen Schutz zu verzichten.
Zkruazna hatte die Rüstung satt. Sie fühlte sich eingesperrt. Sie fühlte sich, als würde ihr die Luft zum Atmen genommen. Die ganzen Monate, seit sie bei den Kazla war, hatte sie die Starke gespielt, um nicht unterzugehen. Gerade sie hatte es schwer bei den Grünorken. Sie war ein Weib. Und sie war schwarz. Sie hatte sich immer doppelt beweisen müssen, doppelt so stark sein müssen, wie alle anderen. Und sie hatte es weit gebracht, sie war Truch geworden. Für ein Weib eine herausragende Position. Wenn sie ihr Leben vor ihren Augen Revue passieren ließ, wie sie es gerade tat, wurden all die Schmerzen, die sie für den Erfolg auf sich genommen hatte, wieder spürbar. Alte Wunden brachen auf, ihr Wundwasser sickerte wie eine ätzende Säure in ihr Inneres. Klang der Schmerz ab, fühlte sie sich einsam und leer, sich selbst entfremdet. Wer war sie geworden, durch all diese Schmerzen? Durch die Gier nach Freiheit und Macht? Die ihr nicht zustanden. Sie war ein harsches Weib geworden, garstig und kalt, das Fehler nie vergab und den Schwachen nur Verachtung entgegenbrachte. Keinen ließ sie an sich ran, hart zu Anderen und vor allem zu sich selbst. Als würde sie alles Weibliche an sich verleumden. Manchmal, in der Nacht, wenn die Orken wie die Schatten friedlicher Felsen neben ihr lagen, wurde ihr klar, dass das alles nur Fassade war. All die Stärke eine Maske, eine Rolle. Und sie war zu feige, diese Maske abzulegen und sie selbst zu sein. Ein schwaches Weib, das verletzbar ist und eine Schulter zum anlehnen braucht. Es gab keinen Weg, der zurückführte, in das alte Leben, das sie aus ihrer Kindheit kannte. Sie konnte nicht mehr das werden, was sie hätte werden sollen. Ihren ihr von der Natur und Cirgbus angestammten Platz einnehmen. Was würde sie für ein Leben ohne diese Last alles eintauschen. Ihren Stolz, ihre Autorität, ihre schmutzig-grüne Tunika.
Sie wälzte sich wieder herum und blickte in Zlarks Gesicht, das plötzlich ganz nah lag. Sie konnte es im Dunkeln nur schemenhaft erkennen. Die großen Hauer und die vor Schweiß glänzende Stirn. Die abgetragene, dunkle Rüstung, vor der sich die graue Margh Tunika hell abhob. Das spärliche Mondenlicht spiegelte sich in seinen dunklen Augen, die so schwermütig und glasig ins Leere blickten, dass sie für einen Augenblick dachte, er schliefe mit offenen Augen. Doch dann hob er den Kopf und ihre Blicke trafen sich. In seinen Augen lag Sanftmut und Einsamkeit. Wie er so dalag, erschien er ihr zart und verletzlich, wie auch sie sich zart und verletzlich fühlte. Nie hatte sie sich jemandem so nahe gefühlt. Zlark bewegte seine Hand vor, langsam und unmerklich, wie unbewusst, vielleicht einen Finger breit. Plötzlich zuckte er zusammen, zog sie zurück, schloss die Augen und drehte sich geräuschvoll von ihr weg. Der Augenblick war verloren. Auch Zkruazna wandte sich ab. Eigentlich, so dachte sie sich, waren ja in der Nacht alle Orken schwarz.
Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief sie schließlich ein und spürte erst am nächsten Morgen die blauen Flecke und Einschnitte, die die metallenen Schnallen und spröden Nähte der Rüstung ihr in der Nacht zugefügt hatten.
Anmerkungen für Ungelehrte:
Kazla: Stamm der Orken auf Siebenwind Truch: Jungkriegerkaste der Kazla, deren Zeichen die dunkelgrüne Tunika ist Cirgbus: Orkischer Gott der Magie Margh: Oberkriegerkaste der Kazla, deren Zeichen die graue Tunika ist
|