Irgendwas auf dieser Insel schien Aggressionen zu schüren. Sie konnte es von Tag zu Tag mehr spüren. Anfangs war ihr das freilich nicht aufgefallen...
Nachdem das Schiff tagelang durch den Sturm geschlingert war und Manwana schon mit ihrem Leben abgeschlossen hatte, war es doch noch geglückt die Insel zu erreichen. Mit den Nerven und ihren Kräften völlig am Ende hatte sie das Schiff fluchtartig verlassen, sobald es angelegt hatte. Ihr war alles so egal gewesen, dass sie zuerst nicht mal registriert hatte, dass sie mitten in einer großen Haim der Menschen gelandet war. Erst nach eine halben Dunkelzyklus und nachdem sie zum dritten mal den Markt passiert hatte, wurde ihr langsam klar, dass sie völlig die Orientierung verloren hatte. Ruckartig blieb sie stehen und blickte auf. Jetzt erst wurden ihr die riesigen Steinmauern bewusst, welche sich links und rechts von ihr auftürmten. Entsetzt sah sie umher. Es schnürte ihr förmlich den Atem ab und sie spürte eine Art Panik in sich aufsteigen. Sie musste hier raus und zwar sofort! Sofort stürmte sie los, rannte förmlich durch die Gassen und Straßen, bis sie wieder an den Markt gelangte. Verzweifelt sah sie sich um. Es war ihr unmöglich, hier einen Weg heraus zu finden. Sie würde um Hilfe bitten müssen. Ihr Blick wanderte panisch über den Markt. An einem der Stände stand ein Mann aus dem Volk der Menschen und schien seine Waren anzubieten. Sie taumelte mehr als dass sie ging und erreichte mühsam den Stand. Es fiel ihr schwer, den Mann anzusprechen, doch jetzt blieb ihr nichts anderes übrig. „Vielleicht könnt ihr mir helfen...,“stieß sie keuchend hervor. „Mit was kann ich euch helfen?“ Freundlich sah der Mann sie an. „Ich kam grad erst hier an....und ich komme in dieser Stadt nicht zurecht... ich suche eigentlich nur den Weg hier hinaus und zu meinem Volk,“ stammelte sie. „Es gibt eine Siedlung eures Volkes nicht weit von hier,“hörte sie ihn da schon zu ihrer grenzenlosen Erleichterung sagen. Problemlos konnte er ihr den Weg aus der Haim und sogar den weiteren Verlauf zum Dorf der anderen Fey beschreiben. „Ich danke euch vielmals!“ Sie war auf einmal sogar in der Lage den Mann anzulächeln. Dankbar ging sie wieder los. Diesmal fand sie den Weg sofort. Sie lief einen schmalen Pfad entlang, überquerte eine Holzbrücke und gelangte in ein Waldstück. Kaum, dass sie den Wald betreten hatte, kehrte ihr Orientierungssinn zurück. Aufatmend sah sie sich um. Dieser Wald schien sich kaum von ihren Heimatwäldern zu unterscheiden. Die Pflanzen und auch die Tiere kamen ihr bekannt vor. Leise huschte sie vorwärts. Den Weg zum Dorf fand sie problemlos. Sie spürte etwas, was sie von alleine in die richtige Richtung lenkte. Als sie das Dorf erreichte, sah sie, was es war. Ein großer Yewbaum erhob sich auf einer kleinen Insel. Mehrere bunte Blüten erstrahlten in voller Pracht. Fasziniert trat sie näher und berührte sachte die Rinde. Ein tiefes Gefühl von Ruhe und Geborgenheit durchströmte sie. Lange blieb sie einfach so stehen, mit geschlossenen Augen sammelte sie neue Kräfte.
Mehrere Tage waren vergangen, sie hatte einige Geschwister kennen gelernt und auch ihr Seelentier gefunden. Und nun begann sie die stetige Aggression zu spüren. Silanya, eine Schwester, hatte ihr von toten Land berichtet, welches sich im Osten der Insel erhob. Aber auch ohne dort zu sein, konnte man seine Macht spüren. Sie schien sich über die ganze Insel zu erstrecken. Immer öfter sah sie Tiere, in deren Augen sie ein gefährliches Leuchten wahrzunehmen schien. Auch gelangten Berichte von bösen, gefährlichen Menschen an ihr Ohr. Das verwunderte sie allerdings weniger. Ihre Meinung von den Menschen war eh nicht sehr hoch.
An all das musste sie denken, als sie wieder einmal durch die Wälder streifte. Sie wollte den Norden der Insel genauer erkunden. Hier hatte sie ihr Seelentier gefunden, wer wusste schon, was sich hier noch verbarg. Leise huschte sie umher. Ein Geräusch schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Etwas näherte sich von vorne. Sie blieb stehen und zog vorsichtig einen Pfeil aus ihrem Köcher. Aufmerksam spähte sie in das Grün vor sich. Während sie den Pfeil auf die Sehne legte, trat sie weiter vorwärts. Dort, links von ihr war etwas. Sie riss den Bogen hoch, doch zum Schiessen kam sie nicht mehr. Eine grüne Faust schoss aus den Büschen heraus und krachte direkt neben ihrem Kopf an einen Baumstamm. Manwana sprang beiseite. Hinter einem anderen Baum kam sie zu stehen. Wieder riss sie den Bogen hoch. Das Wesen vor ihr steuerte laut gröhlend auf sie zu. Dafür, dass es so grobschlächtig gebaut war, bewegte es sich unheimlich schnell. Ihr Pfeil schnellte mit einem zischenden Geräusch von der Sehne und traf das Wesen in der linken Schulter. Doch dieses schien sich daran nicht weiter zu stören. Wieder holte es aus und schlug nach ihrem Kopf. Manwana tauchte hinter dem Baumstamm unter, doch sie war nicht schnell genug. Der Schlag erwischte sie direkt auf den Brustkorb und presste ihr die Luft aus den Lungen. Keuchend taumelte sie rückwärts. „Das ist ein Fromîr,“ schoss es ihr irrsinnigerweise in diesem Moment durch den Kopf. Sie hatte Zeichnungen dieser Wesen in der Bibliothek ihres Heimatdorfes gesehen. Irgendwie hatten sie auf den Bildern harmloser gewirkt. Weiter kam sie nicht mit ihren Gedanken. Der Fromîr preschte wieder vor. Sie rollte sich nach rechts ab, sprang auf die Beine und legte mit raschen Bewegungen den nächsten Pfeil auf die Sehne. Erneut schoss sie und traf ihn diesmal direkt in die Brust. Doch noch immer hielt er sich auf den Beinen. Mit Schaum vor dem Mund stürzte er vorwärts. Blut quoll aus seinen Wunden und tropfte auf den Waldboden. Sogleich zog Manwana den nächsten Pfeil hervor. Einen Moment lang konnte sie genau in die funkelnden Augen des Fromîr blicken. Irrsinn schien sich darin zu spiegeln. Er gröhlte wie ein Wahnsinniger und schien mit jeder Verletzung, die sie ihm zufügte nur noch aggressiver zu werden. Verwundert über diese Tatsache trat Manwana einen Schritt zurück und stieß gegen einen breiten Stamm. Den Baum hatte sie in der Hektik gar nicht bemerkt. Links und rechts von ihm wuchsen dichte Büsche. Hier konnte sie nicht ohne weiteres mehr ausweichen. Schon schoss der Fromîr vorwärts und holte zum nächsten Schlag aus. Ihr Pfeil lag auf der Sehne. Dieser Schuss musste sitzen, wenn sie noch eine Chance haben wollte. Tief atmete sie durch, hob den Bogen an, blickte noch einmal in die Augen des Wesens. Der Pfeil sauste los. Krachend traf er sein Ziel. Der Fromîr taumelte, schwankte dann hin und her. Sein Gröhlen war noch immer zu hören. Noch einmal bäumte er sich auf und hob die Faust. Manwana versuchte sich zu ducken, doch die Büsche rundherum liessen ihr fast keine Bewegungsfreiheit mehr. In Erwartung des unvermeidlichen Treffers schloss sie kurz die Augen. Sie hörte ein krachendes Geräusch, dann herrschte Stille. Langsam öffnete sie die Augen wieder. Der Fromîr lag vor ihr auf dem Boden. Aus seiner Stirn ragte der zuletzt abgeschossene Pfeil. Seine Augen waren weit geöffnet und starrten ins Leere. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte. Vorsichtig richtete sie sich wieder auf und betrachtete die Leiche angewidert. Selten hatte sie ein so hässliches Wesen gesehen. Noch immer lief das Blut aus seinen Wunden und sickerte in den Boden. Seine runzelige, grüne, lederartige Haut schlug tausend Falten und seinem leicht geöffneten Mund entströmte ein übler Gestank. Angeekelt wandte sie sich ab. Sie lief ein ganzes Stück in den Wald hinein, bis sie eine kleine Lichtung erreichte. Erschöpft liess sie sich auf einen querliegenden Baumstamm sinken. Es wurde Zeit, dass sie endlich wieder ihre alten Kräfte erreichte. Die Überfahrt zu dieser Insel hatte sie doch mehr geschwächt, als zunächst gedacht. Nun, sie würde alles dran setzen, diesen Zustand so bald wie möglich zu ändern.
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