Der gestrige Tag war ihm ein Rätsel. Selbst jetzt, als er im Kerzenschein zweier Leuchter an seinem Schreibtisch saß und eigentlich an dem Buch schreiben sollte, was in Auftrag gegeben worden war. Er selbst war sich ein Rätsel. Vor allem, nachdem am gestrigen Tage die Verlockungen und Qualen abermals mit honigsüßer Stimme sein Hirn in weiche Watte gepackt zu haben schienen.
Als er mit dem Trinkschlauch voller köstlichem Himbeersaft Awa in die Schneiderei gefolgt war, hatte er das sich dort erstreckende Chaos betrachtet und - ja - die Flucht ergriffen. "Diese vermaledeite Grütze in meinem Schädel!" schalt er sich selbst. Hatte er gedacht, Awa kenne keine anderen Männer? Vor allem... Männer. Er war nur ein Bursche, was bedeutete er schon? Zu jung, um Lebenserfahrung zu haben. Das dachten sie alle. Die Blumen in Awas Schneiderei hatten ihm gezeigt, dass nicht nur er sie bewunderte. Ihre... Schönheit. Ihre... Bewegungen. Ihr... Wesen... Die Art, wie sie ihm begegnete. Ohne Groll, ohne Ablehnung. Fernab von bösem Zutun, mit Neugier zwar, doch mit aufrichtigem Interesse. Und sie hatte sogar einmal gesagt, dass ihm die Kleidung stehe, die sie gefertigt hatte...
Karol verpasste sich selbst in seiner leeren Wohnung eine Ohrfeige. Das Klatschen der Finger auf seinem Gesicht brach sich an den Wänden und hallte höhnisch wider; die Schatten, die die Leuchter an die Wand warfen, schienen ihn anzustarren. Er seufzte und versuchte, weiterzuschreiben. Schon nach kurzer Zeit schweiften seine Gedanken abermals ab.
Jandra hatte ihn zu sich eingeladen, als er sich gerade in die Meditation begeben wollte, er trug nichts anderes als sein Gewand aus ungefärbtem Leinen. Er hatte es bei Awa erstanden... Karol war sich unsicher - er wusste nicht, wie er Jandra begegnen sollte. Sie war schön... nahezu aufreizend. Sie berührte ihn, fragte ihn unverhohlen Dinge, mit denen er nicht umzugehen wusste. Wie auch? Er hatte nie Zeit mit Mädchen, geschweige denn Frauen, verbracht. In seiner Kindheit als auch in seinem bisherigen Heranwachsen hatte er nur sich und seine Bücher gekannt. Je unsicherer er wurde, umso mehr wollte er Abstand gewinnen. Als sie ihn letztendlich fragte, ob sie sein "Studienobjekt" sein dürfe - so wie ein Buch und die zahlreichen Artefakte, die er untersuchte - entzog er sich der Situation. Der Gedanke, sie zu... studieren...! Die... Welt zu entdecken, die sich... jenseits von Bluse und Rock befanden...!
Karol schrie auf, als der brennende Schmerz seine andere Wange durchzuckte. Erneut hatte er sich mit voller Wucht geohrfeigt. Wie konnte er sich so ablenken lassen? Der Widerhall des Schlages lachte ihn aus, verspottete ihn! Die Schatten offenbarte gespenstische Mäuler, zu dämonisch grinsenden Fratzen entstellt... Es galt, voran zu kommen. Mit seiner Arbeit... mit seinen Forschungen...
...und doch wurden die Verlockungen immer stärker. Honigsüße Stimmen, ihm unerschlossene Welten... sie geisterten in seinen Gedanken umher und umwoben mit den Bildern, die sich ihm offenbart hatten, gierig seinen Verstand.
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